Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 31.03.2011, Az.: S 36 AS 1470/09

Durch das Vorlegen einer Beweisurkunde in Form einer Bescheinigung des Vermieters verwirklicht sich der Tatbestand der Erledigungsgebühr

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
31.03.2011
Aktenzeichen
S 36 AS 1470/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 16925
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2011:0331.S36AS1470.09.0A

Tenor:

  1. 1.

    Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 17. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. September 2009 verurteilt, den Klägern Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 1. März 2009 in Höhe weiterer 333,20 Euro zu gewähren.

  2. 2.

    Der Beklagte hat den Klägern ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

  3. 3.

    Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger erstreben die Gewährung weiterer Kosten des Widerspruchsverfahrens in Gestalt von Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 333,20 Euro unter Berücksichtigung einer Erledigungsgebühr.

2

Die 1954 und 1948 geborenen, miteinander verheirateten Kläger beziehen seit dem Jahre 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitssuchende -. Mit Bescheid vom 10. März 2009 bewilligte der Beklagte Leistungen für die Zeit vom 01. April bis 30. September 2009 in Höhe von monatlich 1.242,66 Euro.

3

Dagegen legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 14. April 2009 Widerspruch ein.

4

Mit Schreiben vom 22. Mai 2009 teilte der Beklagte unter anderem mit, dass bei den Vorauszahlungen für Nebenkosten in Höhe von 141,- Euro die Gebühr für Kabelfernsehen in Höhe von 7,63 Euro monatlich nicht anerkannt werden könne, da davon auszugehen sei, dass die Wohnung auch ohne dieses anzumieten sei. Sollte dies nicht der Fall sein, werde gebeten, eine Bescheinigung des Vermieters vorzulegen. Auch die Kosten für die Stellplatzmiete in Höhe von monatlich 20,- Euro könnten nicht berücksichtigt werden.

5

Mit Schreiben vom 02. Juni 2009 erklärte der Prozessbevollmächtigte, dass eine weitere Begründung des Widerspruchs zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen werde, da derzeit die Bescheinigung des Vermieters beschafft werde. Im Übrigen hätte es dem Beklagten im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht oblegen, weitere Ermittlungen hinsichtlich Kabelgebühren und Stellplatzkosten durchzuführen. In nahezu allen Fällen seien diese Posten vom Mietvertrag nicht abtrennbar.

6

Mit am 07. Juli 2009 bei dem Beklagten eingegangenem Schreiben legte der Prozessbevollmächtigte eine Bescheinigung des Vermieters vor, dass die Wohnung ohne Kabelanschluss und Stellplatz nicht angemietet werden könne und bat um Änderung des Bescheides.

7

Mit Bescheid vom 14. Juli 2009 hob der Beklagte den Bescheid vom 10. März 2009 in Gestalt des zwischenzeitlich ergangenen Änderungsbescheides vom 06. Juni 2009 auf und berücksichtigte nunmehr Kosten für Kabelfernsehen und Stellplatz. Auf Antrag seien die entstandenen Kosten des Widerspruchsverfahrens zu erstatten, und die Zuziehung eines Rechtsanwaltes werde für notwendig erklärt.

8

Daraufhin legte der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 14. August 2009 eine Kostenrechnung vor mit folgenden Positionen:

9

Geschäftsgebühr gem. Nr. 2400 VV 30% Erhöhung gem. Nr. 1008 VV, § 7 RVG 312,- Euro Erledigungsgebühr gem. Nr. 1005 VV 280,- Euro Entgelt für Post- u. Telekommunikations- Leistungen gem. Nr. 7002 VV 20,- Euro Zwischensumme 612,- Euro 19,00% Umsatzsteuer gem. Nr. 7007 VV 116,28 Euro Endsumme 728,28 Euro.

10

Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 17. August 2009 erkannte der Beklagte für das Widerspruchsverfahren notwendige Aufwendungen in Höhe von 395,08 Euro an, und zwar die Geschäftsgebühr mit Erhöhungsgebühr im Umfang von insgesamt 312,- Euro zuzüglich Pauschale für Entgelte für Post und Telekommunikation von 20,- Euro zuzüglich Mehrwertsteuer. Die geltend gemachte Erledigungsgebühr sei nicht angefallen, da sie eine Mitwirkung des Rechtsanwalts erfordere, welche nicht allgemein auf die Verfahrensförderung, sondern auf den besonderen Erfolg der Rechtssache ohne förmliche Entscheidung gerichtet sei. Die bloße Einlegung des Rechtsbehelfs, dessen Begründung und das Nachreichen von Unterlagen erfüllten nicht das zur Gewährung einer Erledigungsgebühr geforderte Tatbestandsmerkmal "durch die anwaltliche Mitwirkung" nicht.

11

Dagegen legten die Kläger am 25. August 2009 Widerspruch ein, welchen sie damit begründeten, dass der Prozessbevollmächtigte den Beklagten hinsichtlich der Kabelgebühren aufgefordert habe, von Amts wegen zu ermitteln. Als dies unterblieben sei, habe er sich an den Vermieter gewandt, um die Bescheinigungen zu erhalten. Das BSG habe mit Urteil vom 02. Oktober 2008 (B 9/9a SV 3/07) entschieden, dass eine Erledigungsgebühr entstehe, sofern nicht bereits präsente Beweismittel vorgelegt worden seien, sondern anstelle der Behörde der Rechtsanwalt diese beschaffe, welche zur Abhilfe führten.

12

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02. September 2009 zurück und führte zur Begründung an, dass die Erstattung der Erledigungsgebühr zu Recht abgelehnt worden sei. Es obliege grundsätzlich den Leistungsempfängern, die zum Beweis des geltend gemachten Leistungsanspruchs erforderlichen Unterlagen zu beschaffen und einzureichen. Die Bescheinigung des Vermieters hätte von dem Beklagten aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht selbst beschafft werden dürfe.

13

Dagegen haben die Kläger am 29. September 2009 Klage erhoben.

14

Sie tragen vor:

15

Der Beklagte habe die Kläger nicht darauf hingewiesen, dass Kabelgebühren und Stellplatzmiete dann nicht aus den angemessenen Kosten der Unterkunft herausgerechnet werden dürften, wenn keine Abtrennung mietvertraglich möglich sei. Bei der beschafften Vermieterbescheinigung handele es sich nicht um ein präsentes Beweismittel. Der Text der Bescheinigung sei vom Prozessbevollmächtigten vorformuliert worden. Damit liege eine die bloße Widerspruchsbegründung übersteigende Tätigkeit des Rechtsanwalts vor. Entscheidend sei nicht, wie hoch der Aufwand zur Beschaffung des Beweismittels gewesen sei.

16

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 17. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. September 2009 zu verurteilen, den Klägern Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 10. März 2009 in Höhe weiterer 333,20 Euro zu gewähren.

17

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

18

Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor:

19

Der Beklagte habe die Kläger bereits mit Schreiben vom 22. Mai 2009 darauf hingewiesen, dass die entsprechende Bescheinigung des Vermieters vorgelegt werden müsse, aus der sich ergebe, ob die Wohnung auch ohne Kabelanschluss angemietet werden könne. Aufgrund dieses Schreibens sei den Klägern selbst ohne anwaltliche Hilfe ersichtlich, welche Beweismittel vorzulegen seien. Sollte dies nicht der Fall gewesen sein, hätte es dem Prozessbevollmächtigten oblegen, sie dahingehend zu beraten, was durch die Geschäftsgebühr abgegolten gewesen wäre. Eine anwaltliche Vorformulierung der Bescheinigung sei nicht erkennbar, da eine Wohnungsverwaltungsgesellschaft durchaus zur eigenständigen Fertigung in der Lage sei. Der anwaltliche Beitrag zur Entstehung und Beibringung des Beweismittels sei nicht so maßgeblich und aufwändig gewesen, dass man davon sprechen könne, er habe das Beweismittel beschafft.

20

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

21

Die Klage hat Erfolg.

22

Der Bescheid des Beklagten vom 17. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. September 2009 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten.

23

Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide sind §§ 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), 40 Absatz 1 Satz 1 SGB II.

24

Nach § 63 Absatz 1 Satz 1 SGB X hat, soweit der Widerspruch erfolgreich ist, der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten.

25

Nach § 63 Absatz 2 SGB X sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren erstattungsfähig, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.

26

Nach Absatz 3 der Norm setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest; hat ein Ausschuss oder Beirat die Kostenentscheidung getroffen, obliegt die Kostenfestsetzung der Behörde, bei der der Ausschuss oder Beirat gebildet ist.

27

Die Kläger haben Anspruch auf Erstattung einer Erledigungsgebühr für das Widerspruchsverfahren gemäß RVG VV Nr. 1005. Eine solche Gebühr fällt an, wenn eine Einigung oder Erledigung in sozialrechtlichen Angelegenheiten eintritt, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)).

28

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) kann eine Gebühr für die Mitwirkung an der Erledigung eines isolierten Vorverfahrens nur beansprucht werden, wenn der Rechtsanwalt eine über die Einlegung und Begründung des Widerspruchs hinausgehende besondere Tätigkeit entfaltet hat (vgl. Urteil des BSG vom 05. Mai 2010 - B 11 AL 14/09 R - und Urteil vom 21.3.2007, - B 11a AL 53/06 R - Rd. 16; SozR 4-1935 VV Nr. 1002 Nr. 1, Rd. 14 m.w.N.). Erforderlich ist eine qualifizierte erledigungsgerichtete Mitwirkung, die über das Maß hinausgeht, das schon durch den allgemeinen Gebührentatbestand für das anwaltliche Auftreten im Widerspruchsverfahren abgegolten wird (vgl. Urteil des BSG vom 07. November 2006 - B 1 KR 23/06 R -, SozR 4-1300 § 63 Nr. 8 Rd. 22). Eine solche qualifizierte, eine Erledigungsgebühr begründende Tätigkeit liegt beispielsweise vor, wenn der Rechtsanwalt zum Zwecke des Beweises entscheidungserheblicher Tatsachen unaufgefordert neue Beweismittel, etwa während des Vorverfahrens neu erstattete Befundberichte, beibringt (vgl. Urteil des BSG vom 02. Oktober 2008 - B 9/9a SB 5/07 R -. SozR 4-1935 VV Nr. 1002 Nr. 1 Rd. 15). Dagegen bewegt sich die Vorlage präsenter Beweismittel noch im Rahmen der dem Widerspruchsführer ohnehin obliegenden Mitwirkung (§ 21 Abs. 2 SGB X) und ist bereits mit der Geschäftsgebühr bzw. der Auslagenpauschale abgegolten (vgl. Urteil des BSG vom 2.10.2008, B 9/9a SB 3/07 R, Rd. 16, 17).

29

Dies zugrunde gelegt, liegt eine Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten vor, welche über die Betreibung des Geschäftes hinausgeht. Indem er am 07. Juli 2009 eine Beweisurkunde, die Bescheinigung des Vermieters, vorgelegt hat, ist der Tatbestand der Erledigungsgebühr verwirklicht. Dabei ist irrelevant, ob der Vermieter die Erklärung selbst gefertigt hat oder ob der Prozessbevollmächtigte an diesen eine vorformulierte Erklärung gesandt hat. Entscheidend ist das Beibringen einer Beweisurkunde, die (unstreitig) kausal zum Erfolg des Widerspruchs geführt hat. Bei der Einholung der Vermieterauskunft handelt es sich um eine Aufgabe, welche dem Beklagten aufgrund seiner Amtsaufklärungspflicht gemäß § 20 SGB X obliegt. Er vermag sich daher nicht darauf zu berufen, dass die Beibringung in die Verantwortungssphäre der Kläger gefallen sei, da es ihm ein leichtes gewesen wäre, die Auskunft kurzfristig selbst - ggf. mit Zustimmung der Kläger - einzuholen.

30

Rechtlich nicht zu beanstanden ist die Geltendmachung der Mittelgebühr mit 280,- Euro entsprechend der Geschäftsgebühr. Es handelte sich um ein Verfahren mit durchschnittlicher Schwierigkeit und Dauer, welches keine Abweichung nach oben oder unten zulässt.

31

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.

32

Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer des Beklagten mit 333,20 Euro unterhalb des Schwellenwertes von 750,- Euro liegt. Die Berufung wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichtes, des Bundessozialgerichtes, des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe oder des Bundesverfassungsgerichtes abweicht sowie auf dieser Abweichung beruht.

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Rechtsmittelbelehrung:

34

Dieses Urteil kann nicht mit der Berufung angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist.

35

...

D.