Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 11.03.2008, Az.: L 7 AS 332/07
Anspruch einer Bedarfsgemeinschaft auf Erstattung der Kosten für Unterkunft ohne Heizung; Prüfung der Angemessenheit von Wohnungskosten bzw. Mietaufwendungen für eine Unterkunft; Leistungsnachzahlung zu Gunsten aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft; Nicht ordnungsgemäße Ladung der Kläger zur mündlichen Verhandlung; Miete einschließlich der sogenannten kalten Nebenkosten als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts; Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen; Nachweis des Hilfebedürftigen über Suche nach günstigerer Wohnung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 11.03.2008
- Aktenzeichen
- L 7 AS 332/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 12625
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2008:0311.L7AS332.07.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs. 2 S. 2 SGG
- § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG
- § 19 Abs. 1 SGB II
- § 22 Abs. 1 SGB II
- § 8 WoGG
Fundstelle
- NZM 2008, 691 (Kurzinformation)
Tenor:
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 27. April 2007 aufgehoben. Die Bescheide der Beklagten vom 29. März 2006, 12. Mai 2006 und 02. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2006 werden geändert. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 01. April bis zum 30. September 2006 Unterkunftskosten ohne Heizung in Höhe von 451,00 EUR monatlich zu gewähren.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten sind nur noch die Kosten für Unterkunft ohne Heizung für den Zeitraum vom 01. April bis zum 30. September 2006 streitig.
Die Kläger haben in der Gemeinde H. zusammen gewohnt, im Streitzeitraum zum Teil als Mitglieder einer Bedarfgemeinschaft im Sinne des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Beklagte gewährte den Klägern ab 01. April 2005 für ein zunächst angemietetes Einfamilienhaus in der I. Unterkunftskosten in Höhe von 602,38 EUR monatlich (Bescheid vom 07. März 2005). Gleichzeitig wurde darauf hingewiesen, dass ab 01. Oktober 2005 angemessene Kosten der Unterkunft nur noch für einen 3-Personen-Haushalt mit einer maximalen Wohnungsgröße von 75 qm übernommen werden. Ab 15. April 2005 zogen die Kläger deshalb in eine 3-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 94,3 qm in H., J. um. Für diese neue Wohnung waren neben der hier nicht streitigen Garagenmiete und der Heizkostenpauschale eine Kaltmiete von 368,00 EUR sowie Nebenkosten von 83,00 EUR monatlich zu zahlen. Der Beklagte sicherte durch Bescheid der Gemeinde H. vom 18. Mai 2005 die Übernahme der notwendigen Umzugskosten zu.
Für den Leistungsabschnitt vom 01. Oktober 2005 bis zum 31. März 2006 setzte der Beklagte für die Kläger zu 1) und 2) entsprechend der früheren Ankündigung die Unterkunftskosten anteilig auf 270,85 EUR monatlich fest (Bescheid vom 21. September 2005). Soweit ersichtlich wurde diese Bewilligungsentscheidung bestandskräftig. Mit Bescheid vom 29. März 2006 bewilligte die Beklagte für den Leistungszeitraum vom 01. April bis zum 30. September 2006 für die Kläger zu 1) und 2) anteilige Unterkunftskosten zunächst in Höhe von 268,27 EUR monatlich. Dieser Bescheid wurde später aufgehoben.
Mit dem hier streitigen Bescheid vom 12. Mai 2006 setzte der Beklagte für den Zeitraum vom 01. April bis zum 30. September 2006 für die Kläger zu 1) und 2) nach Abzug eines Mietanteiles von einem Drittel für den Kläger zu 3), der nach Auffassung des Beklagten entweder eine eigene Bedarfsgemeinschaft bildete oder eigenes Einkommen bezog, anteilige Unterkunftskosten in Höhe von 278,88 EUR monatlich fest. Er legte dabei eine 75 qm große Wohnung bei einem Mietzins von 4,09 EUR pro qm sowie Nebenkosten in Höhe von 73,03 EUR und Heizkosten von 38,54 EUR zugrunde. Hiergegen legten die Kläger Widerspruch ein, weil die Unterkunftskosten in voller Höhe zu übernehmen seien und der Kläger zu 3) ab 01. Mai 2006 kein Einkommen mehr beziehe. Mit Änderungsbescheid vom 02. August 2006 gewährte der Beklagte ab 01. August 2006 Unterkunftskosten in Höhe von 418,32 EUR monatlich unter Berücksichtigung des Klägers zu 3) als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. August 2006 wies der Beklagte den Widerspruch ohne Berücksichtigung und Einbeziehung des Änderungsbescheides vom 02. August 2006 als unbegründet zurück.
Am 11. September 2006 wurde Klage erhoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg am 27. April 2007, an der die Kläger nicht teilgenommen haben, hat der Beklagte Unterkunftskosten nach der rechten Spalte der Wohngeldtabelle, Mietstufe II, 3-Personen-Haushalt, in Höhe von 410,00 EUR monatlich anerkannt. Daraufhin hat das SG Lüneburg mit Urteil vom 27. April 2007 die Klage abgewiesen. Soweit der Kläger Unterkunftskosten bis zu einem Wert von 273,33 EUR begehre, sei die Klage unzulässig, weil der Beklagte zwischenzeitlich diese Kosten anteilig anerkannt habe. Soweit der Kläger darüber hinausgehende Unterkunftskosten begehre, sei die Klage unbegründet, weil der Beklagte auf die rechte Spalte der Wohngeldtabelle zurückgegriffen habe, was der Spruchpraxis des SG entspreche.
Am 22. Mai 2007 haben die Kläger Berufung eingelegt und verlangen vom Beklagten die Übernahme der vollen Mietzahlung abzüglich geleisteter Zahlungen und der Garagenmiete. Im Übrigen sei ihnen eine Ladung zum Termin vor dem SG nicht zugestellt worden.
Die Kläger beantragen,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 27. April 2007 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 29. März 2006, 12. Mai 2006 und 02. August 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2006 zu ändern,
- 2.
den Beklagten zu verurteilen, ihnen für den Zeitraum vom 01. April bis zum 30. September 2006 höhere Kosten für Unterkunft zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt die Entscheidung des SG.
Wegen des vollständigen Sachverhalts und wegen des umfassenden Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Gegenstand des Verfahrens waren ferner die Verwaltungsakten der Agentur für Arbeit Hermannsburg.
Entscheidungsgründe
Es muss zunächst klargestellt werden, dass im erstinstanzlichen Urteil das Aktivrubrum unvollständig erfasst wurde und deshalb durch das LSG von Amts wegen zu berichtigen ist (BSG, SozR 4-4200 § 22 Nr. 1). Beteiligte auf Klägerseite sind nämlich nicht nur der Kläger zu 1), sondern auch seine Ehefrau - Klägerin zu 2) - sowie sein Sohn - Kläger zu 3) - , die im Streitzeitraum Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft waren. Es geht in diesem Rechtsstreit um materiell-rechtliche Ansprüche aller drei Kläger auf Übernahme von Unterkunftskosten. Das einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft kann aber nicht mit einer eigenen Klage die Ansprüche aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verfolgen. Insoweit war das Klagebegehren des Klägers zu 1) nach dem sogenannten "Meistbegünstigungsprinzip" unabhängig vom Wortlaut unter Berücksichtigung des wirklichen Willens in dem Sinne auszulegen, dass eine Leistungsnachzahlung zu Gunsten aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verlangt wird. Dabei hat sich der Senat daran zu orientieren, was als Leistung möglich ist, wenn jeder vernünftige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung durch das SG anpassen würde und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen. So verhält es sich im vorliegenden Fall, in dem der Kläger zu 1) im Verwaltungsverfahren und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich auch Leistungen für seine Ehefrau und seinen Sohn geltend gemacht hat. Soweit der Kläger zu 1) Ansprüche für seinen Sohn geltend macht für eine Zeit, in der der Kläger zu 3) eine eigene Bedarfsgemeinschaft bildete, ergibt sich die Prozessführungsbefugnis aus § 73 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die in diesem Sinne verstandene Berufung der Kläger ist gemäß §§ 143, 144 SGG statthaft, weil sie zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung mit dem Rechtsmittel einen insgesamt höheren Betrag als 500,00 EUR begehrt haben. Selbst wenn der Beklagte zwischenzeitlich für alle drei Kläger entsprechend dem abgegebenen Teilanerkenntnis "nach der rechten Spalte der Wohngeldtabelle" höhere Unterkunftskosten nachgezahlt haben sollte, was die Kläger bestreiten und anhand der Akte nicht feststellbar ist, waren die Kläger zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung in Höhe des ursprünglichen Klagebetrages von mehr als 500,00 EUR beschwert. Denn das SG hat im Umfang des abgegebenen Teilanerkenntnisses (unzutreffenderweise) nicht durch Anerkenntnisurteil entschieden, sondern die Klage insoweit wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig angesehen (was nur denkbar wäre, wenn in der mündlichen Verhandlung vor dem SG der Nachzahlungsbetrag auch tatsächlich an die Kläger geflossen wäre).
Die auch im Übrigen zulässige (§ 151 SGG) Berufung ist begründet und führt zur Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind dahin gehend zu ändern, dass den Klägern für den Zeitraum vom 01. April bis zum 30. September 2006 Unterkunftskosten ohne Heizung in Höhe von 451,00 EUR monatlich zustehen.
Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen. Zwar sind die Kläger nicht zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 27. April 2007 ordnungsgemäß geladen worden. Die Ladung ist dem Kläger zu 1) nicht zugestellt worden. Das SG hätte ohne Weiteres erkennen können, dass die an die J. in H. gerichtete Ladung vom 30. März 2007 die Kläger nicht erreichen konnte. Aus der Verwaltungsakte des Beklagten geht eindeutig hervor, dass die Kläger nach dem Räumungsurteil des Amtsgerichts K. vom 26. Oktober 2006 spätestens am 08. November 2006 diese Wohnung geräumt haben (Aktenvermerk vom 08. November 2006, Bl. 180 VA). Obwohl das Urteil allein aus diesem Grunde an einem wesentlichen Mangel leidet (§ 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG), hält es der Senat nicht für geboten, den Rechtsstreit an das SG zurückzuverweisen.
Streitgegenstand ist der Bescheid des Beklagten vom 12. Mai 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. August 2006, soweit über die Unterkunftskosten der Kläger für den Zeitraum vom 01. April bis zum 30. September 2006 entschieden worden ist. Streitgegenstand ist ferner der Änderungsbescheid des Beklagten vom 02. August 2006, auch wenn dieser in den späteren Widerspruchsbescheid nicht mehr eingeflossen ist. Inhaltlich kann der Streitgegenstand auf die Kosten der Unterkunft beschränkt werden, weil diese sich von der Regelleistung abgrenzbar unterscheiden (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 1; BSG vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 7/07 R -). Da vorliegend die Höhe der für die Heizung aufzuwendenden Kosten abzüglich eines Warmwasseranteils zwischen den Beteiligten unstreitig sind und durch den Beklagten laufend übernommen wurden, bedarf es einer gerichtlichen Überprüfung nur hinsichtlich der Miete einschließlich der sogenannten kalten Nebenkosten.
Zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gehören gemäß § 19 Abs. 1 SGB II auch die angemessenen Kosten für die Unterkunft. Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II in der bis zum 31. Juli 2006 gültigen Fassung werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (Satz 1). Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft solange zu berücksichtigen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (Satz 2). Die tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung in H., L., betragen ohne die hier streitigen Kosten für Garagenmiete und Heizung insgesamt 451,00 EUR monatlich (368,00 EUR Kaltmiete plus 83,00 EUR Nebenkosten). Demgegenüber will der Beklagte auf der Basis des abgegebenen, von den Klägern aber nicht angenommenen Teilanerkenntnisses für einen 3-Personen-Haushalt nur den Betrag von 410,00 EUR erstatten. Entscheidend ist allein, welche Unterkunftskosten angemessen im Sinne des § 22 SGB II sind.
Die Prüfung der Angemessenheit von Wohnungskosten erfolgt auf zwei tatsächlichen Ebenen mit unterschiedlichen Darlegungs- und Mitwirkungspflichten der Beteiligten (BSG, SozR 4-4200 § 22 Nr. 3; ausführlich: Link, Sozialrecht Aktuell 2007, 8-14). Eine erste "abstrakte Angemessenheitsprüfung" muss die örtlichen Verhältnisse erfassen und beurteilen, damit auf dieser tatsächlichen Grundlage eine Mietpreisspanne für die im unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten festgesetzt werden kann. Die Darlegung dieser Entscheidungsgrundlage im Prozess obliegt allein den Behörden und nicht den Hilfebedürftigen. Liegen für die örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt kein Mietspiegel bzw. keine validen Mietdatenbanken vor, so ist der Grundsicherungsträger gehalten, für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene - grundsicherungsrelevante - Tabellen zu erstellen (BSG, a.a.O., Rdnr. 23). In einer zweiten "konkreten Angemessenheitsprüfung" ist dann zu prüfen, ob dem Hilfebedürftigen eine andere bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich ist. Auf dieser zweiten Ebene ist der Hilfebedürftige auch verpflichtet, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er trotz intensiver Bemühungen keine preisgünstigere Wohnung gefunden hat. Besteht im Einzelfall eine solche konkrete günstigere Unterkunftsalternative nicht, sind die tatsächlichen Aufwendungen für die gemietete Wohnung als angemessen anzusehen.
Maßgebliche Kriterien für die Angemessenheit von Mietaufwendungen für eine Unterkunft sind die Wohnraumgröße, der Wohnort und der Wohnungsstandard. Angemessen im Sinne des § 22 SGB II sind nämlich die Unterkunftskosten nur dann, wenn die Wohnung nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist. Diese Einschränkung ergibt sich aus dem Zweck der Grundsicherung für Arbeitssuchende, nur den notwendigen Bedarf sicher zu stellen, sodass zum Beispiel nicht auf den jeweiligen örtlichen Durchschnitt aller gezahlten Mietpreise abzustellen ist. Die Wohnung muss hinsichtlich der maßgeblichen Kriterien, die als den Mietpreis bildende Faktoren in der Regel im Quadratmeterpreis ihren Niederschlag finden, im unteren Segment der nach Größe der in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk liegen, der den Vergleichsmaßstab bildet. Bei der Bestimmung des maßgeblichen örtlichen Wohnungsmarktes zur Festlegung der abstrakten Angemessenheitsgrenze ist vorrangig auf den Wohnort des Hilfebedürftigen abzustellen, weil ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit einer Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, in der Regel von ihm nicht verlangt werden kann (BSG, SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 Rdnr. 26).
Die angemessene Höhe der Unterkunftskosten ergibt sich dann als Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins pro Quadratmeter ("Produkttheorie"). Das bedeutet, dass nicht jeder einzelne Faktor wie Wohnungsgröße, Ausstattungsstandard oder Quadratmeterpreis für sich isoliert angemessen sein muss, weil es im Ergebnis allein auf die Kostenbelastung des Grundsicherungsträgers ankommt. Entscheidend ist daher das Ergebnis aus der Quadratmeterzahl und der Miete je Quadratmeter, sodass der Hilfebedürftige sich bei einem besonders günstigen Mietzins auch eine größere Wohnung leisten oder Ausstattungsmerkmale mit gehobenem Wohnstandard durch andere Elemente ausgleichen kann, wenn die Unterkunftskosten im Ergebnis noch angemessen sind (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24. April 2007 - L 7 AS 494/05 ).
Die berücksichtigungsfähige Wohnfläche ist in Niedersachsen nach den Richtlinien über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsbestimmung - WFB - 2003) in dem Runderlass vom 27. Juni 2003 zu ermitteln (Niedersächsisches Ministerialblatt 2003, Heft 27, S. 580). Danach gilt für Mietwohnungen bei einem 3-Personen-Haushalt eine Wohnfläche bis 75 qm als angemessen. Die von den Klägern bewohnte Wohnung in der J. hat eine Wohnfläche von 94,3 qm und ist zu groß. Anhaltspunkte für einen gehobenen Wohnungsstandard sind nicht erkennbar. Insoweit geht der Senat davon aus, dass Lage und Ausstattung der Wohnung einfache Wohnverhältnisse nicht übersteigen. Es kommt also darauf an, ob die gezahlte Miete nach abstrakten Überprüfungskriterien noch angemessen ist.
Der Senat sieht sich nicht in der Lage, anhand von konkreten Daten einen marktüblichen Mietzins über den spezifischen Wohnungsmarkt in H. und näherer Umgebung festzusetzen.
Örtliche Mietspiegel oder andere Mietdatenbanken existieren nicht. Der Beklagte ist seiner Verpflichtung nicht nachgekommen, zum Zwecke der Ermittlung der abstrakt angemessenen Wohnkosten entsprechende Mietspiegel oder Tabellen mit grundsicherungsrelevanten Daten zu erstellen. Diese dürfen zwar auf einer schwächeren Datenbasis als ein Mietspiegel nach § 558 d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) beruhen. Gleichwohl müssen sie den maßgeblichen örtlichen Wohnungsmarkt nachvollziehbar abbilden. Erforderlich sind z.B. Angaben zu Wohnort, Wohnfläche, Netto- und Brutto-Kaltmieten, Anmietungszeitpunkt (weil nicht Bestandsmieten, sondern nur Angebotsmieten das Mietpreisniveau darstellen können, zu dem eine Wohnung zu beschaffen ist), Umfang der ausgewerteten Datenquellen im Vergleich zu der Zahl der Absenkungsverlangen, Modalitäten des Erhebungsverfahrens. Wichtig ist es, dass die Datenerhebung vollständig und fortlaufend zu erfolgen hat, und nicht nur sporadisch oder einmalig. Insoweit haben preisgünstigere Wohnungsangebote in Zeitungsannoncen oder als Ergebnis einer Internetrecherche für die abstrakte Angemessenheitsprüfung keine große Bedeutung. Denn der Leistungsbezieher kann nicht auf vereinzelte, nicht repräsentative, atypisch günstige Wohnraumangebote verwiesen werden, weil jede Angemessenheitsgrenze bzw. Durchschnittsbewertung mit sich bringt, dass Wohnungen mit geringeren Mieten vorhanden sein müssen. Der Hilfebedürftige würde ansonsten unter einem ständigen Umzugsdruck stehen, sofern der Grundsicherungsträger ihm eine preiswertere Wohnung nachweist. Im Hinblick darauf, dass der Hilfebedürftige einen Anspruch auf Deckung seines Unterkunftsbedarfs hat (§ 19 Satz 1 SGB II), muss sich das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 SGG die Überzeugung bilden, dass unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Verhältnisse Wohnraum zu einem bestimmten Mietzins in ausreichender Zahl vorhanden ist. Erst dann ist die konkrete Angemessenheitsprüfung möglich, ob der Hilfebedürftige eine realistische Chance hat, seinen Unterkunftsbedarf innerhalb dieser durchschnittlichen Mietspanne zu decken.
Da der Beklagte keinerlei aussagekräftigen Unterlagen vorgelegt hat und auch in der mündlichen Verhandlung keinen zielführenden und einer Beweisaufnahme zugänglichen Hinweis geben konnte, dem Senat ferner für diesen örtlichen Wohnungsmarkt keine weiteren Erkenntnisquellen bzw. Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, ist ausnahmsweise ein Rückgriff auf die Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz zulässig (BSG, SozR 4-4200 § 22 Nr. 3). Zwar sind die Tabellenwerte in § 8 Wohngeldgesetz kein von vornherein geeigneter Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft, weil für das Wohngeld rechtlich ohne Bedeutung ist, inwieweit die Wohnung als solche im Sinne eines notwendigen Bedarfs angemessen ist. Die Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz stellt aber mangels anderer Erkenntnismöglichkeiten und -mitteln den einzig normativen Ansatzpunkt dar, an den die Angemessenheitsprüfung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angelehnt werden kann. Eventuelle Unbilligkeiten aufgrund der pauschalierenden Regelung sind mit einem Zuschlag von etwa 10% zu den Tabellenwerten auszugleichen (BSG, a.a.O., Rdnr. 23).
Bei der Anlehnung an die Tabellenwerte zu § 8 Wohngeldgesetz hält es der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Senate des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des § 22 SGB II für gerechtfertigt, ausschließlich die rechte Spalte der Tabelle zugrunde zu legen. Denn das Jahr der Bezugsfertigkeit des Wohnraums ist für die Höhe der vereinbarten Miete unerheblich. Ausschlaggebend sind vielmehr die Lage und die Ausstattung der Wohnung sowie die Nachfrage nach dem jeweiligen Wohnraum. Darüber hinaus kann eine modernisierte Altbauwohnung nicht selten die Preisstufe einer Neubauwohnung erreichen und überschreiten. Das Abstellen auf die rechte Spalte hat ferner für Grundsicherungsträger und Leistungsempfänger beim Fehlen anderer valider Datenbanken den wesentlichen Vorteil, dass in einer Gemeinde eine einheitliche Angemessenheitsgrenze je nach Haushaltsgröße besteht, ohne nach Bezugsfertigkeit der Wohnung zu differenzieren. Schließlich sind in § 22 SGB II keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass durch die Übernahme von Unterkunftskosten im Rahmen des Grundsicherungsrechts eine andere Zielsetzung als die fiskalische Entlastung des SGB II-Trägers verfolgt wird, wie z.B. die Steuerung von Leistungsempfängern zur Altbauwohnung.
Der Senat folgt ferner der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass die in der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz alleine durch die Pauschalierung inne wohnende Unbilligkeit, die der individuellen Angemessenheitsprüfung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II entgegensteht, mit einem Zuschlag bis zu 10% der Tabellenwerte ausgeglichen werden kann. Denn die Tabellenwerte zu § 8 Wohngeldgesetz bestehen seit dem 01. Januar 2001 unverändert fort. Selbst die Änderung ab 2001 hat nach der Begründung des Gesetzgebers die seit 1990 eingetretene Mietentwicklung durch die Änderung der Tabelle nicht vollständig ausgeglichen, sondern im Durchschnitt nur etwa zur Hälfte (Bundestagsdrucksache 14/1636, S. 184). Zu berücksichtigen sind ferner nach Auffassung des Senats die seit 2001 enorm gestiegenen Wohnnebenkosten. Nach dem Betriebskostenspiegel für Niedersachsen ergab sich für 2004 ein Nebenkostenbeitrag von 2,00 EUR pro Quadratmeter (www.mieterbund-nieders-bremen.de), der in dieser Höhe in den Tabellenwerten nicht erfasst ist und erheblich über den vom Beklagten zugrunde gelegten Pauschalsätzen liegt. Um insoweit einen Ausgleich für den hier streitigen Wohnungsmarkt zu erreichen, müssen beim Fehlen valider Mietdatenbanken bei der Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 SGB II die in der rechten Spalte der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz angeführten Werte um 10% erhöht werden. Eine unzumutbare Belastung des Beklagten ist dadurch nicht zu befürchten, denn ihm steht es jederzeit frei, eigene Mietspiegel oder Tabellen zu erstellen.
Die Gemeinde H. gehört nach den Zuordnungsmerkmalen der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz zu den Gemeinden mit Mieten der Stufe II. Für einen 3-Personen-Haushalt sieht die rechte Spalte dieser Tabelle einen Höchstbetrag einschließlich der Nebenkosten ohne Heizung von 410,00 EUR monatlich vor. Dieser Tabellenwert ist nach den oben dargelegten Gründen um 10% zu erhöhen, sodass für die Bedarfsgemeinschaft der Kläger Unterkunftskosten ohne Heizung in Höhe von 451,00 EUR monatlich angemessen sind. Hinzu kommen die hier unstreitigen Heizkosten in Höhe von 38,54 EUR. Es steht fest, dass auch der Kläger zu 3) im gesamten Streitzeitraum hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II war und für jeden Monat Regelleistungen erhalten hat. Damit entfällt eine nur anteilige Kostenübernahme nach Kopfteilen. Der Beklagte schuldet den Klägern die Unterkunftskosten in voller Höhe von 451,00 EUR abzüglich bereits geleisteter Zahlungen.
Die in Anlehnung an die Wohngeldtabelle festgestellten, angemessenen Unterkunftskosten decken sich mit den tatsächlichen Aufwendungen der Kläger für die Kaltmiete zuzüglich Nebenkosten (451,00 EUR). Der Senat braucht deshalb nicht darüber zu befinden, ob die tatsächlichen Kosten allein als Folge des äußerst knapp formulierten Absenkungsverlangens im Bescheid vom 07. März 2005 in voller Höhe zu übernehmen sind. Gleiches gilt für die Frage, ob die tatsächlichen Unterkunftskosten schon deshalb zu erstatten sind, weil der Grundsicherungsträger durch die Übernahme der Umzugskosten die Angemessenheit der neu bezogenen Wohnung zugesichert hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Da der Beklagte unterliegt, muss er auch für die außergerichtlichen Kosten der Kläger aufkommen.
Die Revision bedarf der Zulassung (§ 160 SGG). Sie ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Das Urteil setzt nur die Rechtsprechung des BSG auf die konkreten Verhältnisse im Zuständigkeitsbereich des Beklagten um.