Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 03.03.2011, Az.: S 7 AL 169/09
Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages stellt eine versicherungswidriges Verhalten nach § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (III) - Arbeitsförderung - (SGB III) dar
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 03.03.2011
- Aktenzeichen
- S 7 AL 169/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 16022
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2011:0303.S7AL169.09.0A
Rechtsgrundlage
- § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, S. 4 SGB III
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen das Ruhen des Anspruches auf Arbeitslosengeld wegen Eintritts einer Sperrzeit für die Dauer vom 01. bis 21. März 2009 und gegen die Minderung um 21 Kalendertage.
Der 1961 geborene Kläger war seit dem Jahre 2001 als Kraftfahrer beschäftigt. Mit Schreiben vom 09. Februar 2009 kündigte die Firma I. das Arbeitsverhältnis wegen Arbeitsmangels zum 28. Februar 2009. Ebenfalls unter dem 09. Februar 2009 schlossen der Kläger und die Arbeitgeberin eine Vereinbarung, welche die Punkte Kündigung, Lohnzahlung für Februar 2009 und Abfindung von 1.000,-- Euro beinhaltete.
Mit Bescheid vom 18. März 2009 stellte die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01. bis 07. März 2009 fest, weil der Kläger eine Abfindung erhalten habe.
Zwischenzeitlich nahm der Kläger Anfang April 2009 erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf.
Mit Bescheid vom 23. Juni 2009 stellte die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosigkeit und dessen Minderung um jeweils 21 Kalendertage fest und begründete dies damit, dass eine Sperrzeit eingetreten sei. Die Arbeitgeberin habe das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen nicht innerhalb der Kündigungsfrist gekündigt. Da der Kläger dagegen keine Klage erhoben habe, habe er an der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mitgewirkt.
Dagegen legte der Kläger am 10. Juli 2009 Widerspruch ein und begründete dies damit, dass er nicht verpflichtet gewesen sei, gegen die Kündigung Klage zu erheben. Ferner wäre das Arbeitsverhältnis bei Erfolg der Klage zu einem späteren Zeitpunkt beendet worden.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25. August 2009 zurück und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:
Der Kläger habe durch Zustimmung zum Aufhebungsvertrag das Beschäftigungsverhältnis zum 28. Februar 2009 gelöst. Die Kündigung habe diesen Sachverhalt nur verdecken sollen. Die Arbeitgeberin habe die Kündigungsfrist nicht eingehalten so dass die Kündigung offensichtlich rechtswidrig gewesen sei. Als Gegenleistung für die Abfindung habe der Kläger offenbar auf Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichtet. Die Arbeitslosigkeit habe er kausal verursacht, da kein Anschlussarbeitsverhältnis vorgelegen habe. Ein wichtiger Grund für die Arbeitsaufgabe sei nicht vorhanden.
Dagegen hat der Kläger am 29. August 2009 Klage erhoben.
Er trägt vor:
Die Abfindung habe die Regelabfindung nicht überstiegen, so dass es auf eine Mitwirkung des Klägers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ankomme. Es dürfe keine doppelte Sanktionierung wegen Abfindung und Sperrzeit stattfinden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. Juni 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2009 zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 08. bis 21. März 2009 Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungssatz in Höhe von 32,94 Euro zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.
Die Arbeitgeberin hat erklärt, dass die Kündigung im gegenseitigen Einverständnis und aus Arbeitsmangel erfolgt sei. Mit Zahlung der Abfindung, welche etwa einem halben Monatsgehalt entsprochen habe, sollten alle Ansprüche des Klägers erloschen sein.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 2009 erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten.
(1)
Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide bezüglich des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Eintritts einer Sperrzeit ist§ 144 Absatz 1 Satz 1, 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) - Arbeitsförderung -.
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich der Arbeitsnehmer versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu habe (§ 144 Absatz 1 Satz 1 SGB III).
Nach § 144 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III liegt versicherungswidriges Verhaltens dann vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat.
Eine Lösung des Arbeitsverhältnisses ist durch einseitige oder einvernehmliche Beendigung möglich (vgl. Eicher/Schlegel/Henke/Eicher, Kommentar zum SGB III, Loseblattsammlung § 144, Rd. 110; Niesel, Kommentar zum SGB III, 4. Aufklage 2007, § 144, Rd. 9 bis 10). Dies ist bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages stets der Fall (vgl. Urteile des Bundessozialgerichtes vom 05. Juni 1997 - 7 RAr 27/95 - und 20. Januar 2000 - B 7 AL 20/99 R -). Denn eine Lösung ist dann ohne Zustimmung des Betroffenen nicht möglich und daher kausal.
Durch Abschluss des Aufhebungsvertrages hat der Kläger sein unbefristetes Arbeitsverhältnis selbst gelöst, wobei es nicht auf Verschulden ankommt (vgl. Eicher/Schlegel/Henke § 144, Rd. 119).
Nach dem Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 25. April 2002 (B 11 AL 89/01 R) können mit der Kündigung verbundene Begünstigungen oder das nachgehende Verhalten des Betroffenen Anzeichen dafür sein, dass die angebliche Kündigung einen Aufhebungsvertrag und mithin eine einverständliche Lösung des Beschäftigungsverhältnisses verdecke, so dass die Kündigung als Scheingeschäft nach § 117 Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch zu werten sei. Die Hinnahme einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung im Hinblick auf eine zugesagte Vergünstigung, genüge jedenfalls nicht für den Eintritt einer Sperrzeit, weil die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe an ein aktives Verhalten des Versicherten anknüpfe (vgl. auch Eicher/Schlegel/Henke § 144, Rd. 115).
Der Aufhebungsvertrag vom 09. Februar 2009 und die zeitgleiche Kündigung wegen Arbeitsmangels sind insgesamt als Aufhebungs- bzw. Abwicklungsvertrag zu werten, da ein unauflöslicher Zusammenhang zwischen den wechselseitigen Erklärungen bestand. Die Vereinbarung nahm Bezug auf die ausgesprochene Kündigung zum 28. Februar 2009, die Lohnzahlung für Februar 2009 und eine Abfindung in Höhe von 1.000,-- Euro. Die Arbeitgeberin führt hierzu im Schreiben vom 14. Dezember 2009 an das Gericht aus, dass die Kündigung im gegenseitigen Einvernehmen erfolgt sei. Dies sind durchgreifende Indizien, welche auf einen Beteiligungssachverhalt hindeuten. In diesem Kontext ist als weiterer Anhaltspunkt zu werten, dass der Kläger die offensichtlich rechtswidrige, da vorfristige Kündigung hinnahm, ohne arbeitsgerichtlich dagegen vorzugehen. Unstreitig zwischen den Beteiligten ist, dass die Arbeitgeberin am 09. Februar 2009 Kündigung nicht innerhalb der vierwöchigen Kündigungsfrist zum 15. März 2009 erklärt hat, sondern bereits zum 28. Februar 2009. Durch die Akzeptanz der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem früheren Zeitpunkt als dem nach ordentlicher Kündigung war der Kläger bereits ab 01. März 2009 arbeitslos und ohne Arbeitsentgelt. Dieser Zustand wäre ansonsten zum Vorteil der Versichertengemeinschaft erst zwei Wochen später eingetreten, worin versicherungswidriges Verhalten zu sehen ist.
Damit hat der Kläger auch kausal und vorwerfbar die Arbeitslosigkeit herbeigeführt, zumal kein Anschlussarbeitsverhältnis gegeben war (vgl. Gagel/Winkler, Kommentar zum SGB III, Loseblattsammlung, § 144, Rd. 42) und er den Eintritt der Arbeitslosigkeit ab 01. März 2009 als sicher vorhersehen musste. Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit müssen sich lediglich auf die Herbeiführung der Arbeitslosigkeit beziehen (vgl. Eicher/Schlegel/Henke § 144, Rd. 155).
Der Kläger vermag keinen wichtigen Grund, für dessen Vorliegen ihn gemäß § 144 Absatz 1 Satz 4 SGB III die Darlegungs- und Beweislast trifft, für sein Verhalten vorzuweisen.
Bei dem wichtigen Grund handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 17. Oktober 2002 - B 7 AL 96/00 -; Eicher/Schlegel/Henke, § 144, Rd. 164). Ein solcher ist gegeben, wenn Umstände vorliegen, unter denen nach verständiger Abwägung mit den Interessen der Versichertengemeinschaft dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar war, weil sonst seine Interessen in unbilliger Weise geschädigt werden (vgl. Urteile des Bundessozialgerichtes vom 17. Juli 1964 - 7 RAr 4/64 - und 20. April 1977 - 7 RAr 112/75 -; Niesel § 144, Rd. 125 ). Dabei genügt das objektive Vorliegen eines Grundes (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 25. April 2002 - B 11 AL 65/01 R -; Gagel/Winkler, § 144, Rd. 9)
Grundsätzlich hat der Versicherte ein zumutbares Beschäftigungsverhältnis gemäß § 2 Absatz 5 Nr. 1 SGB III fortzusetzen.
Ein wichtiger Grund bei Arbeitsaufgabe kann nach den Urteilen des BSG vom 12. Juli 2006 - B 11a AL 47/05 R - (BSG E 97, 1 ff.) und 17. November 2005 - B 11a/11 AL 69/04 R - (BSGE 95, 232 ff.) insbesondere dann bestehen, wenn ein Aufhebungsvertrag mit Abfindungsregelung abgeschlossen wurde, sofern ansonsten eine rechtmäßige, nicht verhaltensbedingte, das Arbeitsverhältnis auch zum gleichen Zeitpunkt gedroht hätte.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, weil das Arbeitsverhältnis erst zum 15. März 2009 unter Einhaltung der Kündigungsfrist - auch wegen Arbeitsmangels - hätte gekündigt werden dürfen, wie vorstehend bereits ausgeführt wurde. Somit sind in diesem Kontext der Umfang der Abfindungszahlung und die Tatsache, dass diese die Regelabfindung nicht übersteigen dürfte, unerheblich.
Im vorliegenden Einzelfall überwog somit das Interesse der Versichertengemeinschaft das Leistungsinteresse des Klägers, da bei rechtmäßiger Kündigung der Versicherungsfall erst zwei Wochen später eingetreten wäre.
Die Anwendbarkeit des § 144 Absatz 1 Satz Nr. 2 SGB III ist entgegen der Rechtsansicht des Klägers nicht aus dem Grund ausgeschlossen, dass die Beklagte bereits mit Bescheid vom 18. März 2009 - im Übrigen bestandskräftig - das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosigkeit für die Zeit vom 01. bis 07. März 2009 angeordnet hat. Sie begründete dies mit der Nichteinhaltung der Kündigungsfrist bei Abfindungszahlung gemäß § 143a SGB III.
Dem Urteil des BSG vom 17. Oktober 2007 lag eine Fallkonstellation zugrunde, nach welcher die Bundesagentur für Arbeit das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld jeweils wegen einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe, wegen Urlaubsabgeltung und wegen Erhalt einer Erlassungsentschädigung nach § 143a SGB III angenommen hat. Das BSG bestätigte das Ruhen nach § 143a SGB III und wies den Rechtsstreit wegen der Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe an das Instanzgericht zurück. Dabei sah es die Anwendbarkeit des § 144 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III neben dem § 143a SGB III aber ausdrücklich nicht als ausgeschlossen an, zumal eine Zurückverweisung dann offensichtlich ohne Sinn gewesen wäre. Auch das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg verneinte nicht mit Urteil vom 26. Juli 2006 (L 3 AL 1308/05) die grundsätzliche Anwendbarkeit von § 143a und § 144 Absatz 1 Satz 2. Nr. 1 SGB III in kumulativer Weise. In gleicher Weise verfuhr das LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 19. Januar 2005 (L 12 AL 206/03).
Die Kammer schließt sich dieser Sichtweise an und verweist auf den klaren und unmissverständlichen Gesetzeswortlaut, welcher die Auslegung nicht zulässt, dass eine Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe ausgeschlossen sei, wenn gleichzeitig ein Tatbestand des § 143a SGB III vorliegt. Es steht allein dem Bundesgesetzgeber zu, eine derart weitreichende Regelung mit Bindungswirkung zu treffen.
Die Beklagte hat zu Recht den Eintritt einer verkürzten, dreiwöchigen Sperrzeit angenommen, weil gemäß § 144 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1 SGB III das Arbeitsverhältnis innerhalb von zwölf Wochen nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, ohne eine Sperrzeit geendet hätte. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis ohnehin innerhalb von sechs Wochen ab dem 09. Februar 2009 das Arbeitsverhältnis wegen Arbeitsmangels hätte beenden können. Die Kammer schließt sich dieser Überzeugung an.
(2)
Rechtsgrundlage der Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld ist § 128 Absatz 1 Nr. 4 SGB III.
Wegen des Eintritts einer Sperrzeit war auch die Minderung im Umfang von drei Wochen rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.
Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung nicht der Zulassung, weil hier die Beschwer des Klägers mit 1.152,90 Euro oberhalb des Schwellenwertes von 750,-- Euro liegt.