Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 05.07.2011, Az.: S 13 R 28/11 ER
Einrede der Verjährung stellt einen Fall der unzulässigen Rechtsausübung bei einer rechtlichen Sonderverbindung zwischen den Parteien dar; Einrede der Verjährung als Fall der unzulässigen Rechtsausübung bei einer rechtlichen Sonderverbindung zwischen den Parteien
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 05.07.2011
- Aktenzeichen
- S 13 R 28/11 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 25213
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2011:0705.S13R28.11ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 25 Abs. 1 SGB IV
- § 47b Abs. 1 SGB V
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2010 wird abgelehnt.
- 2.
Die Antragstellerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen eine Beitragsforderung der Antragsgegnerin.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2010 machte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin Nachforderungen in Höhe von insgesamt 390.590,78 EUR geltend, nachdem sie zuvor die Antragstellerin mit Schreiben vom 08. Oktober 2010 angehört hatte. Die Antragstellerin hatte sich zu der Anhörung nicht geäußert. Hintergrund des Bescheides war ein seit Jahren bestehender Streit zwischen den Krankenkassen und den Trägern der Rentenversicherung zu der Frage, auf welcher Grundlage und in welcher Höhe die Beiträge zur Rentenversicherung in den Fällen zu zahlen sind, in denen für Zeiten nach Inkrafttreten der Art. 22 Nr. 2 b und Art. 24 des Gesetzes zur Sanierung des Bundeshaushalts (Haushaltssanierungsgesetz) zum 01. Januar 2000 im Anschluss an den Bezug von Arbeitslosenhilfe Krankengeld nach § 47 b Abs. 1 SGB V in Höhe des Betrages der Arbeitslosenhilfe gezahlt wird. Hierbei handelte es sich um Sachverhalte bis zum 31. Dezember 2004.
Auf der Grundlage der von ihnen vertretenen Auffassung berechneten die Krankenkassen die Beiträge zur Rentenversicherung aus dem Zahlbetrag der vor Beginn des Krankengeldes bezogenen Arbeitslosenhilfe. Die Rentenversicherung vertrat hingegen die Auffassung, dass ein Betrag in Höhe von 80 v. H. des der Leistung zu Grunde liegenden Arbeitsentgelts als Beitragsbemessungsgrundlage anzusetzen war.
Anlässlich einer Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger und der BA über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 26./ 27.05.2004 verständigten sich die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung darauf, die strittige Rechtsfrage höchstrichterlich klären zu lassen. Die einschlägigen Fälle sollten von den Krankenkassen gesondert festgehalten und bei der Bestätigung der Rechtsauffassung der Rentenversicherungsträger durch das BSG die zu wenig gezahlten Rentenversicherungsbeiträge von Amts wegen nachgezahlt werden. Es wurden in der Besprechung über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 26./ 27.05.2004 zwei Musterstreitverfahren vereinbart. Im Übrigen hatten die Vertreter der Krankenversicherung zugesagt, ihren Mitgliedern zu empfehlen, im Falle des Obsiegens der Rentenversicherungsträger die Einrede der Verjährung nicht zu erheben. Eine weitgehend vergleichbare Ausgangssituation bestand im Bezug auf die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Auch hier war eine Klärung der Frage der Beitragshöhe auf dem Verfahrensweg über die Sozialgerichtsbarkeit vereinbart worden.
In seinem Urteil vom 21. Januar 2009 (Az.: B 12 AL 2/07 R - USK 2009-17) bestätigte das Bundessozialgericht in dem Musterstreitverfahren hinsichtlich der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung die Auffassung der Bundesagentur für Arbeit. Danach richtete sich die Bemessung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für Personen, deren Krankengeldbezug in Höhe des Betrages der Arbeitslosenhilfe vor dem 01.01.2005 begonnen hatte, für die Zeit des Leistungsbezugs nach 80 v. H. des der Leistung zu Grunde liegenden Arbeitsentgelts und nicht nach dem Zahlbetrag der Leistung.
In den als Musterstreitverfahren auch hinsichtlich der Beiträge zur Rentenversicherung geführten Rechtsstreitverfahren bestätigte das BSG mit Urteilen vom 27. Januar 2010 (Az.: B 12 R 2/09 R; B 12 R 7/09 R) unter Hinweis auf das Urteil vom 21. Januar 2009 (Az. siehe oben) die Auffassung der Rentenversicherung. Danach waren auch die Beiträge zur Rentenversicherung in den in Rede stehenden Fällen nach 80 v. H. des der Leistung zur Grunde liegenden Arbeitsentgelts zu bemessen. In der mündlichen Verhandlung haben die klagenden Krankenkassen auf Einlassung des Gerichts die Klagen (Revisionen) gegen die Säumniszuschläge zurückgenommen.
Die Antragsgegnerin sah die umstrittene Rechtsfrage für die Bereiche der Renten- und der Arbeitslosenversicherung mit den oben genannten höchstrichterlichen Entscheidungen als geklärt hat. Entsprechend der Besprechung vom 26./ 27.05.2004 waren die betreffenden Fälle nunmehr von den Krankenkassen aufzugreifen und hinsichtlich der Beiträge, die nicht auf der Grundlage in Höhe von 80 v. H. des der Leistung zu Grunde liegenden Arbeitsentgelts bemessen worden waren, neu zu berechnen. Die jeweiligen Meldungen der Krankenkassen an die Rentenversicherungsträger über Zeiten, in denen Personen aufgrund des Leistungsbezugs versicherungspflichtig sind, waren zu stornieren und unter Berücksichtigung der geänderten Beitragsbemessung neu abzugeben. Eine entsprechende Korrektur der die Antragstellerin betreffenden Fälle erfolgte nicht. Die Antragsgegnerin nahm Nachberechnungen auf der Grundlage der von der Antragsstellerin zur Verfügung gestellten Datenselektionen zu diesem Personenkreis vor. Es ergab sich danach eine Nachforderung an Rentenversicherungsbeiträgen von insgesamt 225.548,28 EUR. Weiter ergaben sich aus der verspäteten Zahlung der Beiträge Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 165.042,50 EUR.
Mit dem oben genannten Bescheid vom 15. Dezember 2010 forderte die Antragsgegnerin von der Antragstellerin den Gesamtbetrag von 390.590,78 EUR. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin Klage beim Sozialgericht Lüneburg (Az.: S 13 R 29/11) am 17. Januar 2011. Am gleichen Tage beantragte die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Die Antragstellerin beruft sich darauf, dass die Ansprüche der Antragsgegnerin in der Zeit von 2002 bis 2005 entstanden und zwischenzeitlich verjährt sind. Mit Email vom 23. September 2010 sowie Schreiben vom 12. Januar 2010 erhob die Antragstellerin die Einrede der Verjährung. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass der Forderung der Antragsgegnerin von Anfang an die Einrede der Verjährung entgegenstand, woraus sich die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides ergebe. Soweit die Antragsgegnerin auf die Empfehlung der Spitzenverbände der Krankenkassen vertraut habe, sei darauf hinzuweisen, dass der E. keine "Durchgriffsrechte" gegenüber der Antragstellerin habe. Seine Rechte waren in § 217 SGB V (alte Fassung) abschließend aufgeführt. Musterstreitvereinbarungen habe der E. nicht zu Lasten der Krankenkassen vereinbaren können, er habe lediglich unverbindlich solche Verfahren vorbereiten können. Auch hier sei dies nur in dieser unverbindlichen Form erfolgt. Denn der vorliegenden Musterstreitvereinbarung der Verbände fehle ohne die Verjährungsverzichtserklärung der jeweils in Rechten betroffenen Krankenkassen das entscheidende, verbindliche Moment. Deshalb sei es nur zu einer unverbindlichen Empfehlung an die Krankenkassen durch deren Verbände gekommen. Insbesondere sei mit dieser Empfehlung auch kein Hinweis verbunden gewesen, möglichst vor Ablauf der Verjährung eine verbindliche Entscheidung mitzuteilen, um der Antragsgegnerin zur Durchsetzung ihrer Ansprüche zu verhelfen.
Soweit die Antragsgegnerin vortrage, sie hätte ohne die Absprache zwischen ihr und dem E. bei jeder Krankenkasse eine Sonderprüfung durchführen müssen und es wäre unweigerlich zu einer Flut von Verfahren gekommen, sei dies übertrieben. Richtig sei, dass die Antragsgegnerin mit jeder einzelnen Krankenkasse eine Vereinbarung darüber zu treffen gehabt hätte, welche Wirkung das Musterstreitverfahren haben solle. Soweit weiter von der Antragsgegnerin vorgetragen werde, es entspräche der "Tradition" oder sei sonst üblich, im Falle von Musterstreitverfahren nicht zugleich die jeweiligen Verjährungsverzichtserklärungen einzuholen, sei das Gegenteil der Fall. Eine Verzichtserklärung der Betroffenen bzw. die Bevollmächtigung der Verbände zur Abgabe dieser Erklärung sei ein elementarer Bestandteil derartiger Vereinbarungen.
Die einzelnen Ansprüche der Antragsgegnerin seien in der Zeit von 2002 bis 2005 entstanden. Die Antragsgegnerin habe sie gebündelt mit dem angegriffenen Bescheid vom 15. Dezember 2010 erstmalig geltend gemacht. Für jeden einzelnen Anspruch habe die Verjährungsfrist gem. § 25 Abs. 1 SGB IV vier Jahre betragen. Mithin liege eine Verjährung vor. Ein Verzicht auf die Einrede der Verjährung sei weder von der Antragstellerin noch von den F. abgegeben worden. Im Vorfeld des Bescheides hätten sich die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung darauf geeinigt, ein Musterverfahren zur Klärung der strittigen Fragen durchzuführen. Hierbei sei zwischen dem G. und der H. über eine solche Verzichtserklärung verhandelt worden. Diese habe von den einzelnen Kassen, auch der Antragstellerin, eingeholt werden sollen. Dies habe die Antragsgegnerin versäumt zu tun.
Aus Punkt 9) der Niederschrift der Besprechung vom 26./27. Mai 2004 gehe hervor, dass die Vertreter der Krankenversicherung zugesagt hätten, ihren Mitgliedern zu empfehlen, im Falle des Obsiegens der Rentenversicherungsträger die Einrede der Verjährung nicht zu erheben. Die Antragstellerin habe die entsprechende Empfehlung nicht erhalten und jedenfalls vor der Entscheidung über das Musterstreitverfahren keine Verzichtserklärung abgegeben. Auch nach Eintritt der Verjährung bzw. nach Beendigung des Musterstreitverfahrens habe die Antragstellerin keine Verzichtserklärung abgegeben. Ebenso wenig habe dies der I. im Namen der Antragstellerin getan. Letzteres wäre nicht unüblich, indem die Krankenkasse ihren J. vor der Vereinbarung von Musterstreitverfahren mit einer entsprechenden Vollmacht zur Abgabe einer Verzichtserklärung bevollmächtigt und der Spitzenverband rechtlich so ausgestattet im Namen der Antragstellerin tätig wird. Dies Verfahren habe jedoch im vorliegenden Fall nicht stattgefunden, weshalb sich die Antragstellerin einer offensichtlich verjährten Beitragsforderung ausgesetzt sehe.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 17. Januar 2011 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin trägt vor, der Antrag sei unbegründet, da keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden. Eine Verjährung der mit dem Bescheid geltend gemachten Beitragsansprüche sei nicht eingetreten. In ihrer Argumentation verkenne die Antragstellerin den Sinn und Zweck des Beratungsergebnisses der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vom 26./27. Mai 2004, ferner missachte Sie die Tradition solcher Absprachen und verstoße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben.
In der erwähnten Besprechung am 26./27. Mai 2004 hätten die Spitzenverbände der Krankenkassen u.a. zugesagt, dass sie ihren Mitgliedern empfehlen werden, im Falle des Obsiegens der Rentenversicherung die Einrede der Verjährung nicht geltend zu machen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass von dieser Problematik zehntausende von Fällen betroffen waren. Es habe sich um alle Fälle gehandelt, in denen ein Versicherter der gesetzlichen Krankenversicherung in der Zeit vom 01. Januar 2000 bis zum 31. Dezember 2004 (ggfs. auch darüber hinaus) nachdem Bezug von Arbeitslosenhilfe Krankengeld bezogen habe. Ohne die Absprache hätten die Rentenversicherungsträger bei allen damals existierenden ca. 300 Krankenkassen Sonderprüfungen durchführen und die Höhe der Forderungen durch Verwaltungsakt geltend machen müssen. Dies hätte für alle Beteiligten einen immensen Verwaltungsaufwand bedeutet. Die Krankenkassen hätten wiederum gegen die Verwaltungsakte klagen müssen, um die Bindung der Bescheide zu verhindern. Selbst wenn man alle Verfahren danach zum Ruhen gebracht hätte, wäre auch den Sozialgerichten ein erheblicher Aufwand entstanden. Wenn die Antragstellerin nunmehr behauptet, die Antragsgegnerin hätte sich bei jeder einzelnen Krankenkasse rückversichern müssen, ob diese der Empfehlung ihres Spitzenverbandes nachkomme, so führe sie das ganze Verfahren ad absurdum. Es sei gerade Sinn und Zweck der Empfehlung gewesen, langwierige Schriftwechsel mit jeder einzelnen Krankenkasse zu vermeiden.
Der K. habe die Erklärung vom 26./27. Mai 2004 für alle L. - also auch für die Antragstellerin - abgegeben. Der K. sei seinerzeit Körperschaft des öffentlichen Rechts mit hoheitlichen Funktionen und Durchgriffsrechten gegenüber den L. gewesen. Nach dem in § 242 BGB normierten Grundsatz von Treu und Glauben habe sich die Antragsgegnerin auf die Zusage des M. verlassen können müssen. Die Verjährungsreinrede der Antragstellerin sei treuwidrig in diesem Sinne, denn es habe zunächst der Ausgang eines Musterprozesses abgewartet werden sollen. Wenn eine Partei den Eindruck erwecke, sie unterwerfe sich der Entscheidung in einem schwebenden Musterprozess, könne sie deren Verbindlichkeit nicht nachträglich bestreiten (BGHZ 94, 344, 354). Nach höchstrichterlicher Rechtssprechung sei die Berufung auf die Verjährung dann als rechtsmissbräuchlich anzusehen, sofern der Verpflichtete den Berechtigten - wenn auch unabsichtlich - durch sein Verhalten von der rechtzeitigen Geltendmachung des Anspruchs abgehalten habe. Dies sei hier der Fall gewesen. Zumindest bis zu ihrem Schreiben vom 14. Januar 2011 habe die Antragstellerin die Antragsgegnerin in dem Glauben gelassen, sie werde Beiträge und Säumniszuschläge im vollen Umfang zahlen. Die Antragsgegnerin habe im Vertrauen auf dieses Verhalten der Antragstellerin nichts unternommen, den Beitragsanspruch geltend zu machen.
Die Antragsgegnerin habe sich auch deshalb auf die Zusage des N. verlassen können müssen, weil in der Vergangenheit bereits mehrfach Absprachen dieser Art getroffen und eingehalten worden seien. Es habe im Mai 2004 nicht der geringste Zweifel daran bestehen können, dass derartige Absprachen nicht eingehalten würden. Der nunmehr vorliegende Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben sei innerhalb der Sozialversicherung einmalig. Dass auch der O. von der Richtigkeit und "Verbindlichkeit" der damaligen Erklärung überzeugt sei, zeigten seine Fachinformationen in dieser Sache vom 29. April 2010. Darin bringe er unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Beiträge aufgrund der nunmehr höchstrichterlich zu Gunsten der Antragsgegnerin entschiedenen Rechtsfrage nachgezahlt werden müssen.
Weiter habe die Antragstellerin bereits in den vergangenen Jahren sowohl Kenntnis von ihrer Beitragspflicht als auch von den beabsichtigten und abgesprochenen Musterstreitverfahren gehabt. Das Bundessozialgericht habe in seinem Urteil vom 17. April 2008 (Az. B 13 R 123/07 R) klargestellt, dass eine Wissenszurechnung zur Verlängerung der Verjährung auf 30 Jahre gem. § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV führe. Auch aus diesem Grund sei eine Verjährung nicht eingetreten.
Weiter sei der Antragstellerin die Vereinbarung der Spitzenverbände vom 26./27. Mai 2004 seit deren Zustandekommen bekannt gewesen. Auf die Einrede der Verjährung habe sich die Antragstellerin jedoch erstmalig mit Schreiben vom 14. Januar 2011 berufen. In dem fast siebenjährigen Zeitraum zwischen Abschluss der Vereinbarung und Erhebung der Verjährungseinrede habe die Antragstellerin keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennen lassen, dass sie sich an das Ergebnis der Vereinbarung und somit auch an die Verzicht auf die Einrede der Verjährung nicht gebunden fühle. Hierdurch habe sie der Antragsgegnerin nachträglich auch die Möglichkeit genommen, ihre Ansprüche rechtswirksam innerhalb des nicht verjährten Zeitraums geltend zu machen. Die Antragstellerin wäre, soweit sie sich darauf beruft, dass die Formulierung der Vereinbarung laute, der Verzicht auf die Verjährungseinrede werde den Mitgliedskassen lediglich empfohlen, gehalten gewesen, der Antragsgegnerin rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist anzuzeigen, dass sie sich an diese Absprache nicht gebunden fühle und die Erhebung der Einrede der Verjährung beabsichtige.
Die Antragsgegnerin habe sich auch deshalb auf die Verbindlichkeit der Vereinbarung verlassen können müssen, weil in der Vergangenheit bereits mehrfach Absprachen dieser Art getroffen und eingehalten worden seien. Hierfür wurden von der Antragsgegnerin Beispiele benannt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Antragsgegnerin sowie der Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Für die Entscheidung des Gerichts gelten die gleichen Voraussetzungen, nach denen die Verwaltung die Aussetzung vorzunehmen hat, nämlich die in § 86 a Abs. 3 SGG genannten. Danach soll die Aussetzung der Vollziehung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Es ist also eine Abwägung vorzunehmen (vgl. Conradis in LPK-SGB II, 1.Aufl. 2005 Anhang Verfahren Rn. 114; Meyer-Ladewig, Komm. zum SGG, 7. Aufl. 2002, § 86 b Rn. 12).
Im vorliegenden Fall bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes.
Der der Nachforderung zugrunde liegende Sachverhalt ist im vorliegenden Verfahren nicht streitig. Gleiches gilt für die Gesamthöhe der Forderung, die von der Kammer auch nicht als fehlerhaft erkannt werden kann.
Im vorliegenden Verfahren ist entscheidend die Beantwortung der Frage, ob die Antragstellerin sich auf die Einrede der Verjährung berufen kann.
Der von der Antragsgegnerin geltend gemachte Anspruch ist entstanden und fällig. Fraglich ist, ob sich die Antragstellerin auf die Einrede der Verjährung nach § 25 SGB IV berufen kann. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Dies ist im vorliegenden Fall der Fall. Die geltend gemachten Beitragsforderungen sind bereits in der Vergangenheit entstanden und wurden mit dem beklagten bzw. durch Eilverfahren angegriffenen Bescheid geltend gemacht. Die Verjährungsfrist für die Ansprüche ist verstrichen.
Das Verhalten der Antragstellerin stellt jedoch einen Fall der unzulässigen Rechtsausübung dar. Hierbei handelt es sich um einen Unterfall des Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB.
Zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin besteht eine rechtliche Sonderverbindung. Dieser Begriff ist im Bereich des § 242 im weitesten Sinn zu verstehen. Es genügt hierfür jeder qualifizierte soziale Kontakt. Es werden auch erfasst Vertragsverhandlungen, dauernde Geschäftsverbindungen, Nachwirkungen eines Vertrages etc. (Palandt, BGB - Kommentar, 70. Auflage 2011, Rn. 3 zu § 42). Da die Antragstellerin hinsichtlich der Krankenkassenbeiträge grundsätzlich eng mit der Antragsgegnerin zusammenarbeiten muss, ist von einer rechtlichen Sonderverbindung im Sinne des § 242 BGB auszugehen.
Im Falle des Rechtsmissbrauches geht es typischerweise darum, dass die Ausübung eines individuellen Rechts als treuwidrig und unzulässig beanstandet wird (Palandt a.a.O. Rn. 40 zu § 242). Die Rechtsausübung kann unzulässig sein, wenn dem Berechtigten eine Verletzung eigener Pflichten zu Last fällt. Im vorliegenden Fall liegt eine derartige Verletzung eigener Pflichten durch die Antragstellerin vor. Nach Auffassung der Kammer ist die Antragstellerin nicht im hinreichenden Umfang ihrer Aufklärungspflicht nachgekommen. Aufklärungspflicht ist die Pflicht, den anderen Teil unaufgefordert über entscheidungserhebliche Umstände zu informieren. Sie betrifft Informationen, nach denen der andere Teil sein früheres Verhalten ausgerichtet hätte (Palandt a.a.O., Rn. 37 zu § 242).
Die Antragstellerin hat zwar offenbar vor Erlass des Bescheides gegenüber der Antragsgegnerin kundgetan, dass sie beabsichtigt, die Einrede der Verjährung zu erheben. Sie wäre jedoch dazu verpflichtet gewesen, dies zu einem Zeitpunkt zu tun, in dem die Antragsgegnerin hierauf noch sinnvoll hätte reagieren können, nämlich durch Geltendmachung der streitigen Forderungen. Aufgrund der Besprechung der Spitzenverbände der Krankenversicherungen und der Antragsgegnerin über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzuges am 26./27. Mai 2004 ging die Antragsgegnerin davon aus, dass die betroffenen Krankenkassen die Einrede der Verjährung nicht erheben werden.
Soweit die Antragstellerin vorgetragen hat, sie habe von der Vereinbarung der Spitzenverbände vom 26./27. Mai 2004 keine Kenntnis gehabt, kann dies anhand der vorliegenden Akten nicht nachvollzogen werden. Dieser Vortrag ist jedoch nach Auffassung der Kammer nicht glaubhaft. Dass der E. den Krankenkassen über eine derart entscheidende Vereinbarung, die erhebliche Kostenfolgen nach sich ziehen würde, keinerlei Information zukommen ließ, kann die Kammer nicht für zutreffend halten. Der Sinn einer Besprechung zu umstrittenen Themen ist gerade, allen Beteiligten eine Handlungsanweisung - unabhängig von deren rechtlicher Qualität - zukommen zu lassen. Wenn die Ergebnisse solcher Besprechungen nicht veröffentlicht würden, wäre die Besprechung als solche sinnlos. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Ergebnisse von Besprechungen der Spitzenverbände denjenigen, die davon betroffen sind oder sein können, zur Kenntnis gegeben werden. Weshalb das hier nicht der Fall gewesen sein soll, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Unter diesen Umständen kann die Kammer nur davon ausgehen, dass die Antragstellerin zumindest Kenntnis haben konnte. Sollte diese möglicherweise von der Information versehentlich keine Kenntnis gehabt haben - etwa, weil die entsprechenden Informationen nicht sorgfältig gelesen wurden - hat sich die Antragsgegnerin dies nicht zurechnen zu lassen.
Ob der Spitzenverband der Krankenkassen eine gegenüber den einzelnen Krankenkassen bindende Erklärung hierüber abgegeben konnte oder nicht, kann im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben. Denn die Antragsgegnerin durfte sich darauf verlassen, dass alle Beteiligten - auch die einzelnen Krankenkassen - sich an das Ergebnis der Besprechung halten oder aber rechtzeitig ankündigen würden, dass sie dies nicht tun würden.
Inhalt der oben genannten Besprechung war die Durchführung von Musterverfahren zur Klärung strittiger Rechtsfragen. Es ist üblich, dass bis zur Entscheidung einer Rechtsfrage durch das Bundessozialgericht etliche Jahre vergehen können, so dass die Verjährungsfristen im Laufe dieser Zeit ablaufen. Des Weiteren ist nicht ungewöhnlich, dass durch das Bundessozialgericht Rechtsfragen geklärt werden, die eine enorme Vielzahl von Einzelfällen betreffen. Es ist im Interesse der Allgemeinheit, derart streitige Rechtsfragen, die eben eine solche Vielzahl von Fällen betreffen, in Musterstreitverfahren klären zu können. Alternative hierzu wäre die Geltendmachung der Forderungen in jedem Einzelfall. Die Belastung sowohl der jeweils beteiligten Organisationen der Krankenversicherung, der Rentenversicherung und auch der Sozialgerichte überstiege jedes vernünftige Maß, würde man so verfahren. Auch die einzelnen Krankenkassen wären durch den Verwaltungsaufwand, den ein solches Verfahren nach sich zöge, überaus belastet. Soweit die Antragstellerin darauf hinweist, dass die Antragsgegnerin "lediglich" mit jeder einzelnen Krankenkasse eine Vereinbarung darüber zu treffen gehabt hätte, welche Wirkung das Musterstreitverfahren hätte haben sollen, kann dies nicht überzeugen. Im Gegensatz zu dem von der Antragstellerin angesprochenen Verfahren, in dem sie sich in derartigen Fällen mit jedem einzelnen ihrer Versicherten auf das Ruhen eines Widerspruchsverfahrens einige, wenn entsprechende Musterklagen bereits anhängig seien, bedürfte das Abschließen einer solchen Vereinbarung auch der jeweiligen - durchaus zeitaufwendigen - Verhandlungen mit den jeweiligen Krankenkassen, um deren Einverständnis zu erlangen. Mit der Vereinbarung des Ruhens eines Widerspruches lässt sich dies nicht vergleichen. Es ist auch gerade Sinn und Zweck von Spitzenverbänden, solche Vereinbarungen zu treffen. Dies spart nicht nur Verwaltungsaufwand, sondern auch Zeit und Personalaufwand. Wie sich aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen ersehen lässt, ist ein solches Vorgehen bereits in früheren Jahren üblich gewesen. Soweit die Antragstellerin darauf verweist, es gäbe keine "Tradition", wonach im Fall von Musterstreitverfahren nicht zugleich die jeweiligen Verjährungsverzichtserklärungen einzuholen seien, überzeugt dies nicht. Derartige Absprachen sind üblich und, wie oben bereits dargelegt, im Interesse der Allgemeinheit auch sinnvoll.
Im Hinblick auf die Vereinbarung der Besprechung vom 26./27. Mai 2004, die auch der Antragstellerin vorlag, durfte die Antragsgegnerin darauf vertrauen, dass von der Geltendmachung der Einrede der Verjährung abgesehen werden würde. Soweit die Antragstellerin die Absicht hatte, diese dennoch geltend zu machen, wäre sie dazu verpflichtet gewesen, dies der Antragsgegnerin kundzutun, bevor die Verjährungsfrist abgelaufen war. Wäre der Antragsgegnerin bekannt gewesen, dass die Antragstellerin die Einrede der Verjährung erheben will, so hätte sie, bevor die Frist ablief, noch darauf reagieren und ihre Ansprüche durch die rechtzeitige Geltendmachung schützen können. Dass sie dies nicht getan hat, ist ganz offensichtlich allein darauf zurückzuführen, dass sie davon ausging, dass sich die Krankenkassen an den vereinbarten Verzicht der Verjährungseinrede halten würden. Auch hier ist es nicht notwendig, zu entscheiden, ob der Spitzenverband der Krankenkassen für die einzelnen Krankenkassen verbindliche Erklärungen abgegeben hat. Die Antragsgegnerin durfte aufgrund der rechtlichen Sonderbeziehung zwischen ihr und den Krankenkassen darauf vertrauen, dass alle einzelnen Krankenkassen von dieser Vereinbarung Kenntnis erhalten würden und diese, sofern sie nichts Gegenteiliges kundtaten, sich daran halten würden.
Auch dass die Antragstellerin vor Erlass des Bescheides und auch noch vor dem Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin deutlich machte, dass sie beabsichtigte, die Einrede der Verjährung zu erheben, ändert hieran nichts. Denn die entsprechenden Gespräche fanden offenbar erst im Jahr 2010, also nach Erlass des Urteils des BSG im Januar 2009 und deutlich nach Ablauf der Verjährungsfristen, statt. Zu diesem Zeitpunkt kundzutun, dass auf die Einrede der Verjährung nicht verzichtet wird, bedeutet nach Auffassung der Kammer, von diesem Recht missbräuchlich Gebrauch zu machen. Die Antragstellerin hat nach Auffassung der Kammer bei ihrem Handeln zugrunde gelegt, dass die Antragsgegnerin aufgrund des Fehlens anderslautender Mitteilungen von ihr davon ausging, sie werde auf die Einrede der Verjährung verzichten. Die Tatsache, dass die Antragstellerin nicht durch Tätigwerden einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, wie von ihr im Rahmen des Eilverfahrens gerügt wird, steht der Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung nicht im Wege. Bei der konkreten Fallgestaltung war es an der Antragstellerin, die Antragsgegnerin rechtzeitig, also zu einem Zeitpunkt, in dem diese ihre Rechte noch schützen konnte, darauf hinzuweisen, dass sie die Vereinbarung des Spitzenverbands der Krankenkassen und der Deutschen Rentenversicherung nicht für auf sie anwendbar hielt und die Absicht hatte, die Einrede der Verjährung bei Eintritt derselben zu erheben.
Die Rechtsmissbräuchlichkeit, die sich aus dem Geltendmachen des Einwandes der Verjährung zu diesem späten Zeitpunkt ergibt, hat eine rechtshindernde Wirkung. Die Antragstellerin kann sich hierauf somit nicht berufen.
Im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides kann die Kammer eine besondere Härte gegenüber der Antragstellerin nicht erkennen.
Da der Bescheid der Antragsgegnerin rechtmäßig ist und eine besondere Härte nicht vorliegt, war dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht zu entsprechen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.