Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 29.09.2011, Az.: S 7 AL 115/10
Gelernter Friseur erhält kein Gründungszuschuss bei fehlendem Nachweis der Kenntnisse und Fähigkeiten zur Durchführung einer selbstständigen Tätigkeit; Gründungszuschuss bei fehlendem Nachweis der Kenntnisse und Fähigkeiten zur Durchführung einer selbstständigen Tätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 29.09.2011
- Aktenzeichen
- S 7 AL 115/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 29293
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2011:0929.S7AL115.10.0A
Rechtsgrundlagen
- § 57 Abs. 1 SGB III
- § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 SGB III
Redaktioneller Leitsatz
1.
Eine Ersetzung von tatsächlichen Umständen, denen gestaltende Erklärungen des Existenzgründers zugrunde liegen, ist nicht möglich.
2.
Mangelnde Darlegungen der Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung einerer selbständigen Tätigkeit gehen zu Lasten des Existenzgründers, woraus eine Durchbrechung des Amtsermittlungsgrundsatzes folgt.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin erstrebt die Gewährung eines Gründungszuschusses.
Die 1955 geborene Klägerin arbeitete in der Vergangenheit als Friseurin, in der Zeit von April 1977 bis Oktober 1978 als Geschäftsführerin des Salon G.in Kassel, anschließend als Verkäuferin, Gärtnerin und zuletzt bis Dezember 2009 Kassiererin. Daraufhin meldete sie sich arbeitssuchend.
Die Klägerin stellte am 11. März 2010 einen Antrag auf Gewährung eines Gründungszuschusses, wobei sie angab, zum 01. April 2010 eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit im Bereich Gardinenpflege und Handel mit sonnenschützender Raumausstattung aufzunehmen. Mit Antrag vom 25. März 2010 meldete sie das entsprechende Gewerbe an.
Am 26. März 2010, eingegangen bei der Beklagten am 31. März 2010, gab die fachkundige Stelle zur Tragfähigkeit der Existenzgründung, die Beratungsgesellschaft Fuß und Willkomm mbH, eine Stellungnahme ab. Demnach seien die Voraussetzungen für das Existenzgründungsvorhaben in kaufmännischer und unternehmerischer Hinsicht nicht gegeben. Ferner habe die Klägerin lediglich eine DIN-A4-Seite zum Konzept des Vorhabens vorgelegt mit der Anmerkung, "mehr ginge nicht".
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 04. Mai 2010 ab und begründete dies damit, dass die fachkundige Stelle die Tragfähigkeit der Existenzgründung nicht befürwortet habe. Es seien nicht alle erforderlichen Unterlagen zur Beurteilung des Gründungsvorhabens vorgelegt worden. Die Voraussetzungen für eine Existenzgründung seien in kaufmännischer und unternehmerischer Hinsicht nicht gegeben.
Dagegen legte die Klägerin am 20. Mai 2010 Widerspruch ein, welchen sie damit begründete, dass sie kaufmännische Erfahrungen im Bereich selbständiger Tätigkeit habe, da sie bereits als Friseurin selbstständig gewesen sei. Sie habe ferner am 17. Mai 2010 mit Herrn H. von der Beratungsgesellschaft I. telefoniert und die Zustimmung zu ihrer Existenzgründung erhalten.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2010 zurück und führte zur Begründung an, dass die Klägerin weder die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachgewiesen noch ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit dargelegt habe. Sie habe lediglich eine DIN-A4-Seite als Konzept vorgelegt unter der Erklärung, dass weitergehende Angaben nicht möglich seien. Die selbständige Tätigkeit als Friseurin genüge nicht zum Nachweis der Fähigkeiten und Kenntnisse. Ferner habe sie nur die J. als Kunden, ohne mit dieser einen Vertrag abgeschlossen zu haben. Denn die vertragliche Bindung erfolge über ihren Lebensgefährten. Sie nutze die Waschmaschinen der Klinik, wobei die Aufträge eher rückläufig seien.
Dagegen hat die Klägerin am 09. Juni 2010 Klage erhoben.
Sie trägt vor:
Die Klägerin habe der Beratungsgesellschaft I. sämtliche Unterlagen eingereicht, und Herr H. habe ihr ausdrücklich die Tragfähigkeit des Vorhabens versichert. Sie habe die BWA (Betriebswirtschaftliche Auswertung)-Planwerte für April bis Dezember 2010, welche ihre Steuerberaterin dokumentiert habe, der Beklagten eingereicht. Demnach sei eine tragfähige Existenzgründung möglich und wahrscheinlich gewesen. Im April und Mai seien die Planzahlen übertroffen worden. Die ausgeübte selbständige Tätigkeit sei in der Vergangenheit durch eine andere Person erfolgreich versehen worden. Der wirtschaftliche Erfolg widerlege die Feststellung des Fehlens der fachlichen Kenntnisse. Ferner sei die Klägerin Eigentümerin der fünf Waschmaschinen, mit denen die Gardinen gereinigt würden. Die K. habe keinen schriftlichen Vertrag mit der Klägerin geschlossen, weil dies seit Jahren derart gehandhabt worden sei. Die K. habe mit Schreiben vom 16. November 2010 bestätigt, dass die Firma der Klägerin Dienstleistungen im Gardinen-Service für sie erbringe. Mit Schriftsatz vom 03. März 2011 teilte die Klägerin mit, dass geplant sei, einen weiteren Arbeitsplatz einzurichten. Sie habe ab 03. März 2009 aus eigener Veranlassung an der Gründungswerkstatt unter Leitung von Herrn H. teilgenommen, wobei es drei Einzelbesprechungen gegeben habe. Dieser habe erklärt, dass die Belegung eines gesamten Kurses nicht notwendig sei. Die Sachbearbeiterin der Beklagten habe keine Kursempfehlungen ausgesprochen oder Kurse vermittelt.
Die Beratungsgesellschaft I. hat auf schriftliche Anfrage der Kammer mit Schreiben vom 20. Januar und 17. Mai 2011 erklärt, dass die Klägerin am 03. März 2010 in die Gründungswerkstatt aufgenommen worden sei. Dabei habe ein Einzelcoaching bezogen auf die Erstellung eines Businessplanes stattgefunden. Die Klägerin habe einen sehr kurzen Businessplan auf einer Seite vorgelegt. Sie sei darauf hingewiesen worden, dass aus unternehmerischer Sicht eine ausführlichere Beschreibung notwendig sei, woraufhin sie erklärt habe, dass sie sich mit der Beschreibung des Vorhabens und den Anforderungen an einen strukturierten Leitfaden schwer tue. Es sei ihr ferner geraten worden, einen schriftlichen Vertrag mit der K. abzuschließen. Zur Vermeidung einer Scheinselbständigkeit seien weitere Aufträge zu akquirieren. Die Beratung der Klägerin habe am 29. März 2010 geendet. Sie habe nicht an einer Schulung für die kaufmännischen und unter-nehmerischen Voraussetzungen teilgenommen. Letztere haben nicht vorgelegen, wobei trotz Aufforderung die Klägerin keine Zeugnisse, Befähigungsnachweise oder Berufsabschlüsse vorgelegt habe. Daher seien lediglich die Gespräche und eingereichten Unterlagen als Anhaltspunkt zugrunde gelegt worden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2010 zu verurteilen, der Klägerin Gründungszuschuss im gesetzlichen Umfang ab dem 01. April 2010 für die Dauer von neun Monaten zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor:
Es sei weiterhin keine Tragfähigkeit der selbständigen Tätigkeit zu erkennen. Auch die kaufmännische und unternehmerische Befähigung sei nicht nachgewiesen worden. Die Klägerin habe nicht am 3-wöchigen Kurs zum kaufmännischen Basiswissen teilgenommen. Die Kenntnisse und Fähigkeiten in unternehmerischer Hinsicht hätten dabei vermittelt werden können. Die Beklagte habe der Teilnahme an der Gründungswerkstatt vom 03. bis 31. März 2010 zugestimmt. Die Klägerin habe jedoch lediglich an einem Einzelcoaching teilgenommen, das sich auf die Erstellung eines Businessplanes bezogen habe.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 04. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2010 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in eigenen Rechten.
Auf die zutreffenden Ausführungen in den angegriffenen Bescheiden wird Bezug genommen (§ 136 Absatz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Gemäß § 57 Absatz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) - Arbeitsförderung - haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gründungszuschuss.
Nach Absatz 2 Satz 1 der Norm wird ein Gründungszuschuss geleistet, wenn der Arbeitnehmer
1.
bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit a) einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch hat oder b) eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach diesem Buche gefördert worden ist, 2. bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, dessen Dauer nicht allein auf § 127 Absatz 3 SGB III beruht, von mindestens 90 Tagen verfügt, 3. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und 4. seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.
Zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung ist der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute (Satz 2). Bestehen begründete Zweifel an den Kenntnissen und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit, kann die Agentur für Arbeit vom Arbeitnehmer die Teilnahme an Maßnahmen zur Eignungsfeststellung oder zur Vorbereitung der Existenzgründung verlangen (Satz 3).
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin zwar bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf mindestens 90 Tage Arbeitslosengeld besessen. Die Gewährung des Gründungszuschusses setzt ferner die Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit voraus, welche auch tatsächlich am 01. April 2010 aufgenommen wurde.
Die Gewährung eines Gründungszuschusses scheitert jedoch an der Tatsache, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zur Durchführung einer selbständigen Tätigkeit nicht nachgewiesen hat. Denn zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 26. Mai 2010 lag dieser Nachweis nicht vor.
§ 57 Absatz 2 Satz 1 Nr. 4 SGB III normiert eine Darlegungspflicht, welche allein subjektive Komponenten zum Inhalt hat, so dass der Existenzgründer verpflichtet ist, seine unternehmerische Eignung darzulegen. Mangelnde Darlegung geht zu Lasten des Existenzgründers, woraus eine Durchbrechung des Amtsermittlungsgrundsatzes folgt (vgl. Eicher/Schlegel/Link, Kommentar zum SGB III, Loseblattsammlung, § 57, Rd. 74 bis 76).
Die Kammer legt ihrer Entscheidung zugrunde die Stellungnahme der fachkundigen Stelle vom 26. März 2010 und deren Stellungnahme vom 17. Mai 2011. Letztere wurde kurz vor Erlass des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2010 gefertigt. Demnach wurden keine Befähigungsnachweise, wie zum Beispiel Zeugnisse, oder Berufsabschlüsse vorgelegt. Die Voraussetzungen für eine Existenzgründung seien in kaufmännischer und unternehmerischer Hinsicht nicht gegeben. Diese Einschätzung wird schlüssig auch damit begründet, dass die Klägerin nicht in der Lage war, ein Konzept des Vorhabens auf mehr als einer DIN -A4-Seite darzustellen. Die Klägerin hat auch nicht an entsprechenden Schulungen teilgenommen, um die Befähigung nachzuweisen.
Auf den Ausgang des Rechtsstreits hat, da auf die letzte Verwaltungsentscheidung abzustellen ist, keinen Einfluss, ob in der Folgezeit die entsprechenden Kenntnisse nachgewiesen wurden.
Darüber hinaus kann sich die Klägerin nicht auf die Grundsätze eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs stützen, bei deren Vorliegen der Betroffene rechtlich so zu stellen ist, wie es bei fehlerfreier Beratung der Fall gewesen wäre (vgl. Kasseler Kommentar/SGB I/Seewald, Loseblattsammlung, § 14, Rd. 24).
Tatbestandliche Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind:
- 1.
eine Pflichtverletzung, die der Beklagten zuzurechnen ist,
- 2.
ein dadurch beim Kläger eingetretener sozialrechtlicher Nachteil und
- 3.
die Befugnis der Beklagten, durch eine Amtshandlung den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht begangen worden wäre (vgl. Urteil des BSG vom 18. Februar 2004 - B 10 EG 10/03 R -).
Einerseits ist fraglich, ob eine eigene Pflichtverletzung der Beklagten vorliegt bzw. zumindest eine solche, welche ihr zuzurechnen wäre. Denn die fachkundige Stelle hat eine Einschätzung abgegeben und ein Beratungsgespräch mit der Klägerin verfügt. Deren Verschulden, welches aber nicht erkennbar ist, kann der Beklagten nicht zugerechnet werden.
Andererseits ist der Herstellungsanspruch auf die Vornahme einer (rechtmäßigen) Amtshandlung gerichtet zur Herstellung des Zustands, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger eine dem Versicherten gegenüber obliegende Pflicht verletzt hat, insbesondere Beratung und Betreuung hätten vorgenommen werden müssen.
Im vorliegenden Fall wäre die Fingierung einer Schulungsteilnahme, zum erfolgreichen Erwerb der Kenntnisse und Fähigkeit zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit, eine rechtswidrige Maßnahme, da diese zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde gerade nicht vorliegt. Denn eine Ersetzung von tatsächlichen Umständen, denen gestaltende Erklärungen der Klägerin zugrunde liegen, ist nicht möglich (vgl. Urteil des Landessozialgerichtes (LSG) Baden-Württemberg vom 16. Juli 2009 - L 13 AL 2074/08 -). Gleiches hat das Bayerische LSG mit Urteil vom 15. Juni 2010 - L 9 AL 377/06 - hinsichtlich der Fingierung des Beginns der selbständigen Tätigkeit abgelehnt. Somit könnte sich - bei schuldhafter Pflichtverletzung der Beklagten - allenfalls ein Anspruch aus Staatshaftung ergeben, für welche jedoch der Zivilrechtsweg eröffnet ist. Im vorliegenden Verfahren erstrebte die Klägerin jedoch keine Schadensersatzansprüche, sondern die Gewährung von Gründungszuschuss.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.
Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung nicht der Zulassung, weil hier die Beschwer der Klägerin oberhalb des Schwellenwertes von 750,- Euro liegt.