Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 26.07.2011, Az.: S 45 AS 282/11 ER
80 m² ist als Wohnungsgröße für eine temporäre Bedarfsgemeinschaft aus zwei dauerhaft im Haushalt lebenden Personen und einer temporär im Haushalt lebenden Person angemessen; Angemessenheit von 80 m² als Wohnungsgröße für eine temporäre Bedarfsgemeinschaft aus zwei dauerhaft im Haushalt lebenden Personen und einer temporär im Haushalt lebenden Person
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 26.07.2011
- Aktenzeichen
- S 45 AS 282/11 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 24175
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2011:0726.S45AS282.11ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 1 SGB II
- § 7 Abs. 3 Nrn. 1 u. 4 SGB II
- § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II
- § 12 WoGG
Fundstellen
- ZfSH/SGB 2012, 53-57
- info also 2012, 94
Tenor:
- I.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern ab dem 6. Juli 2011 vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei Unterliegen in der Hauptsache, längstens für einen Zeitraum von sechs Monaten, Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 290,67 EUR monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
- II.
Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 8/10 zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Anordnung die Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II.
Die 1966 geborene Antragstellerin zu 1. lebt gemeinsam mit ihrem im Jahr 2000 geborenen Sohn G. in einer 97 m2 großen Wohnung mit einer sich anschließenden, 53 m2 großen Ladenfläche. Die Miete für die Wohnfläche beträgt laut Mietvertrag vom Januar 2008 624,- EUR monatlich. Daneben entfallen 149,- EUR der monatlichen Betriebs- und Heizkostenvorauszahlung auf die Wohnfläche. Laut Mietbescheinigung vom August 2009 betragen die monatlichen Heizkostenvorauszahlungen 125,- EUR für Wohn- und Gewerbefläche insgesamt. Der Antragsteller zu 2. bezieht Kindergeld in Höhe von 184,- EUR monatlich, Unterhalt in Höhe von 260,- EUR monatlich sowie Wohngeld in Höhe von 164,- EUR monatlich. Der Antragsteller zu 3. wohnt überwiegend in einem Fechtinternat in TH. und verbringt die Schulferien sowie die wettkampffreien Wochenenden in der Wohnung seiner Mutter. Im Schuljahr 2009/2010 waren dies 13 Ferienwochen und 25 Wochenenden.
Die Antragstellerin zu 1. betreibt in der von ihr angemieteten Ladenfläche ein Blumengeschäft. Laut der aktuellen Anlage EKS prognostizierte sie für den 6-monatigen Bewilligungszeitraum vom 1. Juli 2011 bis 31. Dezember 2011 unter Berücksichtigung von monatlichen Personalkosten für einen geringfügig beschäftigten Mitarbeiter in Höhe von 520,- EUR monatlich sowie eines Vorsteuerabzugs in Höhe von 1.388,- EUR einen Gewinn in Höhe von 4.694,- EUR.
Mit Bescheid vom 24. Juni 2011 lehnte die Antragsgegnerin die Gewährung von Leistungen für den Zeitraum ab 1. Juli 2011 wegen fehlender Hilfebedürftigkeit ab. Die Antragsgegnerin ging dabei davon aus, dass die monatlichen Personalkosten unangemessen hoch und daher nicht als notwendige Betriebsausgaben anzuerkennen seien. Zudem seien auch die veranschlagten Telefonkosten in Höhe von 60,- EUR monatlich unangemessen und nur zur Hälfte anzuerkennen, so dass sich das Einkommen der Antragstellerin zu 1. aus selbständiger Tätigkeit auf 1.332,33 EUR monatlich belaufe. Hinzu kämen Kinder-geld-, Unterhalts- und Wohngeldzahlungen an den Antragsteller zu 2. in Höhe von monatlich 608,- EUR. Mit diesem Gesamteinkommen werde der Bedarf der Antragsteller zu 1. und zu 2. gedeckt. Der Antragsteller zu 3. gehöre nicht zur Bedarfsgemeinschaft. Der Bedarf der Antragsteller zu 1. und zu 2. hinsichtlich der Kosten der Unterkunft betrage 435,- EUR nach der Wohngeldtabelle zuzüglich der auf die Wohnfläche entfallenden Heizkosten in Höhe von 80,83 EUR.
Gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24. Juni 2011 legten die Antragsteller am 5. Juli 2011 Widerspruch ein, über den nach Aktenlage bislang nicht entschieden wurde.
Die Antragsteller haben am 6. Juli 2011 die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt.
Zur Begründung tragen sie vor, die Antragsteller seien hilfebedürftig. Bei der Prognose des Einkommens der Antragstellerin zu 1. müsse von den Angaben in der Anlage EKS ausgegangen werden. Die Personalkosten fielen tatsächlich an und seien angesichts der Tatsache, dass die Antragstellerin zu 1. alleinerziehend sei und zudem nur ein Jahr lang eine Berufsausbildung genossen habe, sei eine Aushilfe im Blumenladen unerlässlich, um den Betrieb überhaupt fortführen zu können. Bei der Bedarfsberechnung sei der Antragsteller nach den Grundsätzen der temporären Bedarfsgemeinschaft - auch bei den Kosten der Unterkunft - angemessen zu berücksichtigen.
Die Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragstellern Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 611,20 EUR zuzüglich Heizkosten und einem anrechnungsfähigen Einkommen der Antragstellerin zu 1. in Höhe von vorläufig 545,66 EUR sowie anteilige Regelbedarfe für den Antragsteller zu 3. für eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft zu zahlen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie trägt vor, Kosten der Unterkunft seien im Falle einer temporäreren Bedarfsgemeinschaft für das nur zeitweise im Haushalt lebende nicht Kind zu gewähren. Die von der Antragstellerin zu 1. geltend gemachten Personalkosten seien nicht angemessen, worauf die Antragstellerin zu 1. bereits im Dezember 2010 hingewiesen worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Anwendung dieser Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist eine Entscheidung auf der Grundlage einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grund-rechtlichen Belange des Antragstellers einerseits und der öffentlichen Belange des Antragsgegners andererseits vorzunehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/06 -, NVwZ 2005, 927 = Info also 2005, 166 [BVerfG 12.05.2005 - 1 BvR 569/05]).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze war hier der Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlich, da die Antragsteller einen Anordnungsanspruch in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang glaubhaft gemacht haben.
Zunächst ist festzustellen, dass neben dem Antragsteller zu 2. auch der Antragsteller zu 3. zur Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin zu 1. zählt. Dies ergibt sich aus § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, da der Antragsteller zu 3. als unter-25-jähriges unverheiratetes Kind dem Haushalt der Antragstellerin zu 1. angehört.
Die Antragstellerin zu 1. ist leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 1 SGB II, da sie das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht hat, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat. Insbesondere ist die Antragstellerin zu 1. entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin hilfebedürftig.
Die gegenteilige Auffassung der Antragsgegnerin ergibt sich aus einer unzutreffenden Bedarfsermittlung in dem Bescheid vom 24. Juni 2011. Darin hat die Antragsgegnerin zunächst den Bedarf der Antragsteller hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung unzutreffend ermittelt.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Die tatsächlichen Aufwendungen der Antragsteller für die von ihnen bewohnte Wohnfläche mit 97 m2 betragen 624,- EUR Miete zuzüglich 149,- EUR Neben- und Heizkosten. Mit der Antragsgegnerin geht die Kammer davon aus, dass in diesen Neben- und Heizkosten ein monatlicher Heizkostenbetrag in Höhe von 80,83 EUR enthalten ist und die übrigen Heizkosten in Höhe von 44,17 EUR auf die Gewerbefläche entfallen. Das entspricht dem Anteil der Wohnfläche an der Gesamtmietfläche (97/150). Die Heizkosten in dieser Höhe sind zwischen den Beteiligten unstreitig, so dass die Kammer von der Erstattungsfähigkeit von Heizkosten in Höhe von 80,83 EUR monatlich ausgeht.
Die tatsächlichen Kosten der Unterkunft von 692,17 EUR (624,- EUR Miete zuzüglich 149,- EUR Heiz- und Nebenkosten abzüglich 80,83 EUR Heizkosten) sind in Höhe von 569,25 EUR als angemessen zu berücksichtigen. Die berücksichtigungsfähige Wohnfläche ist in Niedersachsen nach den Richtlinien über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsbestimmung - WFB - 2003) in dem Runderlass vom 27. Juni 2003 zu ermitteln (Nds. MinBl 2003, 580, zuletzt geändert durch Runderlass vom 19. Oktober 2006, Nds. MinBl. 2006, 973). Danach gilt für Mietwohnungen bei einem Zwei-Personen-Haushalt grundsätzlich eine Wohnfläche bis 60 m2 als angemessen.
Im Anschluss an eine neuere Tendenz in der Rechtsprechung ist allerdings davon auszugehen, dass die Antragsteller sich nicht auf die Angemessenheitswerte eines Zwei-Personen-Haushalts verweisen lassen müssen. Denn in der Wohnung der Antragstellerin zu 1. hält sich zeitweilig neben dem Antragsteller zu 2. auch der Antragsteller zu 3. auf, und zwar überschlägig an jedem zweiten Wochenende sowie während der Schulferien, also insgesamt in etwa an einem Drittel der Tage im Jahresverlauf. Es ist daher vom Bestehen einer sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 4 SGB II auszugehen (vgl. zu einer vergleichbaren Konstellation SG Dortmund, Beschl. v. 28.12.2010 - S 22 AS 5857/10 ER - unter Verweis auf BSG, Urt. v. 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R -). Der Annahme einer temporären Bedarfsgemeinschaft steht nicht entgegen, dass sich der Antragsteller zu 3. nur zeitweise in der Wohnung der Antragstellerin zu 1. aufhält. Es genügt nach der einschlägigen Rechtsprechung ein dauerhafter Zustand in der Form, dass Kinder mit einer gewissen Regelmäßigkeit länger als einen Tag bei einem Elternteil wohnen, also nicht nur sporadische Besuche vorliegen (BSG, Urt. v. 02.07.2009 - B 14 AS 75/08 R -). Sind diese Voraussetzungen - wie hier - erfüllt, kann es auch keinen Unterschied machen, ob mehrere Kinder regelmäßig länger als einen Tag bei dem Elternteil wohnen oder ob es sich - wie hier - lediglich um ein Kind handelt. 19a) Der Annahme einer temporären Bedarfsgemeinschaft steht auch nicht entgegen, dass sich der Antragsteller zu 3. in der überwiegenden Zeit in einem Internat in Tauberbischofsheim aufhält. Zwar wurde diese Rechtsfigur vom Bundessozialgericht im Hinblick auf die Ausübung des Umgangsrecht getrennt lebender Eltern entwickelt. Doch diese Situation unterscheidet sich qualitativ nicht maßgeblich von dem vorliegenden Fall, in dem der Antragsteller zu 3. den überwiegenden Teil des Jahres in einem Internat verbringt, sich die übrige Zeit dagegen im Haushalt seiner Mutter aufhält. Es kommt lediglich darauf an, dass sich ein Kind nicht dauerhaft bei seinem im Leistungsbezug nach dem SGB II stehenden Elternteil aufhält und keinerlei anderweitige Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts erhält. Wo sich das Kind dagegen in der restlichen Zeit befindet - ob bei dem anderen Elternteil, einer Schule oder einer sonstigen Einrichtung -, ist für die Frage nach dem Vorliegen einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft irrelevant. Eine hiervon abweichende Auslegung des § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II wäre mit der besonderen Förderpflicht des Staates nach Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz nicht vereinbar (vgl. BSG, Urt. v. 02.07.2009 - B 14 AS 75/08 R -). Dies hat inzwischen auch der Gesetzgeber erkannt und auf die neuere Rechtsprechung zum erhöhten Unterkunftsbedarf im Falle temporärer Bedarfsgemeinschaften reagiert. Dazu hat er in § 22b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II nunmehr bestimmt, dass eine Satzung nach § 22a SGB II den erhöhten Raumbedarf wegen der Ausübung des Umgangsrechts im Wege einer Sonderregelung berücksichtigen muss.
Es ist damit zu entscheiden, wie die angemessene Wohnungsgröße für eine temporäre Bedarfsgemeinschaft aus zwei dauerhaft im Haushalt lebenden Personen und einer temporärer im Haushalt lebenden Person rechnerisch zu bestimmen ist. Insofern kommt zum Einen in Betracht, die angemessene Wohnungsgröße danach zu ermitteln, wie häufig sich das Kind in der Wohnung aufhält, und den Bedarf entsprechend dem Verhältnis der monatlichen Anwesenheitstage des Kindes zu den Monatstagen zu erhöhen. Art. 6 Abs. 1 GG verlangt jedoch in den Fällen, in denen die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Elternteil und seinen Kindern durch regelmäßige Aufenthalte der Kinder bei diesem Elternteil aufrechterhalten werden, dass auch ein entsprechender Wohn- und Lebensraum zur Verfügung steht, innerhalb dessen dies möglich ist. Es kann dann zur Ermittlung eines solchen Mindestmaßes an Wohn- und Lebensraum aber nicht darauf ankommen, an wie vielen Tagen im Monat ein Kind sich bei dem getrennt lebenden Elternteil aufhält. Das Gericht schließt sich demgegenüber - jedenfalls in der vorliegenden Konstellation eines Eilverfahrens - den Teilen der neuen Rechtsprechung an, die im Falle einer temporären Bedarfsgemeinschaft die für jedes temporär der Bedarfsgemeinschaft zuzurechnende Kind die Hälfte der Wohnfläche zu Grunde legt, die für ein weiteres Voll-mitglied der Bedarfsgemeinschaft anzusetzen wäre (vgl. SG Fulda, Urt. v. 27.01.2010 -S 10 AS 53/09 -; SG Kassel, Beschl. v. 23.06.2010 - S 6 AS 144/10 ER -, bestätigt durch Hessisches LSG, Beschl. v. 01.11.2010 - L 6 AS 441/10 B ER -). Diese Vorgehensweise trägt dem berechtigten Einwand Rechnung, dass nicht in jedem Fall des Vorliegens einer temporären Bedarfsgemeinschaft für jedes Kind der volle zusätzliche Wohnflächenbedarf angesetzt werden kann, da dies im Vergleich zu sonstigen Hilfebedürftigen mit Kindern zu unbilligen Ergebnissen führen könnte. Sie berücksichtigt zugleich, dass bei einem hälftigen Aufenthalt der Kinder bei jedem Elternteil die Grenze dafür erreicht sein muss, beiden Elternteilen den Wohnflächenbedarf für die gesamte temporäre Bedarfsgemeinschaft zuzusprechen, um eine trennungsbedingte Benachteiligung der Mitglieder der jeweiligen gemeinsamen Bedarfsgemeinschaft zu vermeiden. Darüber hinaus spricht für diesen Ansatz, dass er entgegen einer auf jeden Einzelfall abstellenden, tageweisen Betrachtung für die Verwaltung praktikabel bleibt und am ehesten einer abstrakt-generellen Regelung in einer Satzung nach § 22a SGB II zugänglich ist.
Danach geht die Kammer davon aus, dass für die Antragsteller in einem ersten Schritt ein Mittelwert zwischen den für zwei Personen und den für drei Personen angemessenen Wohnflächen- und Mietgrenzen heranzuziehen ist. Mit anderen Worten: Grundsätzlich, d.h. ohne Rücksicht auf eventuelle sonstige Mehrbedarfe, wäre im Falle der Antragsteller rechnerisch auf einen Zweieinhalb-Personen-Haushalt abzustellen.
Gemäß Ziffer 11.4 der WFB 2003 erhöht sich die angemessene Wohnfläche jedoch für Alleinerziehende und für jeden schwerbehinderten Menschen um jeweils weitere 10 m2. Dies entspricht im Bereich oberhalb eines Zwei-Personen-Haushalts der Berücksichtigung eines weiteren Haushaltsmitglieds, so dass zur Ermittlung der angemessenen Wohnfläche und der angemessenen Miete rechnerisch auf einen Dreieinhalb-Personen-Haushalt abzustellen ist, also 80 m2 als angemessen zu betrachten sind. Zur Überzeugung der Kammer ist diese erhöhte Wohnfläche auch bei der Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten zu berücksichtigen (so auch LSG Nds.-Bremen, Beschl. v. 27.07.2010 - L 9 AS 1049/09 B ER -; Beschl. v. 30.07.2007 - L 9 AS 155/07 ER -; SG Lüneburg, Urt. v. 01.02.2011 - S 44 AS 1891/09 -). Dem entgegen stehend verweisen die Entscheidungen des 7. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen vom 05.08.2009 (Az. L 7 AS 302/09 B ER) und vom 13.07.2010 (Az. L 7 AS 1258/09 B ER) zwar darauf, dass für die Angemessenheitsprüfung im Rahmen des § 22 SGB II nicht dieselben Zwecke zu beachten seien, die mit dem Wohnraumförderungsgesetz bzw. den Ausführungsbestimmungen der Länder verfolgt werde und auch kein Maßstab dafür bestehe, in welche Art und Weise eine Erhöhung zu übertragen wäre. Dies überzeugt indes nicht. Eine Begründung für eine größere Wohnfläche bei Alleinerziehung ist, dass hier - anders als bei erwachsenen Partnern - neben Räumlichkeiten für den Schlafbereich und den gemeinsamen Wohnbereich auch ein zusätzliches Kinderzimmer vorhanden sein muss. Bis zu einer geänderten höchstrichterlichen Rechtssprechung stützt sich die erkennende Kammer weiter auf Wohnraumförderungsbestimmungen, so dass für die Bedarfsgemeinschaft der Antragsteller 80 m2 als angemessen anzusehen sind. (vgl. für den Fall der Behinderung LSG Nds.-Bremen, Beschl. v. 29.06.2010 - L 15 AS 176/10 B ER - und vom 14.01.2010 - L 8 SO 336/09 B ER). Nur dieses Verständnis ist im Übrigen mit der bereits erwähnten Neuregelung in § 22b Abs. 3 SGB II zu vereinbaren. Zu den dort geregelten Mehrbedarfen, die eine Satzung nach § 22a SGB II zukünftig zu berücksichtigen haben wird, zählt nach der Gesetzesbegründung gerade auch der Bedarf wegen Alleinerziehung, der aus "allgemeinen sozialen Gründen vom typischen Bedarf abweicht" (BT-Drs. 17/3404, S. 102).
Im Rahmen der konkreten Angemessenheitsprüfung kann hier mangels hinreichender Datengrundlagen zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten auf die Werte der Tabelle zu § 12 WoGG zurückgegriffen werden (zu § 8 WoGG a.F. s. BSG, Urt. v. 07.11.2006 - B 11b AS 18/06 R -). Zwar sind die Tabellenwerte kein von vornherein geeigneter Maßstab für die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft, weil für das Wohngeld rechtlich ohne Bedeutung ist, inwieweit die Wohnung als solche im Sinne eines notwendigen Bedarfs angemessen ist. Die Tabelle des WoGG stellt aber mangels anderer Erkenntnismöglichkeiten den einzig normativen Ansatzpunkt dar, an den die Angemessenheitsprüfung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angelehnt werden kann (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 11.03.2008 - L 7 AS 332/07-, Beschl. v. 13.07.2010 a.a.O.). Für Adendorf (Landkreis Lüneburg) gilt die Mietenstufe III. Nach § 12 WoGG ergibt sich für einen Dreieinhalb-Personen-Haushalt dieser Mietenstufe rechnerisch ein Miethöchstbetrag von 517,50 EUR.
Dieser Wert nach § 12 WoGG ist zusätzlich um einen Zuschlag in Höhe von 10% zu erhöhen (vgl. u.a.: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 13.07.2010 - L 7 AS 1258/09 B ER -; Beschl. v. 13.09.2010 - L 11 AS 1015/10 B ER -; zuletzt Beschl. v. 10.05.2011 - L 15 AS 44/11 B ER -). Insoweit folgt die Kammer nicht der Auffassung, der Zuschlag auf die Werte der Wohngeldtabelle habe für die Zeit seit 1. Januar 2009 zu unterbleiben, weil dieser Zuschlag nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urt. v. 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R -) ausschließlich im Hinblick auf die bis zum 31. Dezember 2008 nicht erfolgte Anpassung der Tabelle an Preissteigerungen der vorhergehenden Jahre anzusetzen sei. Vielmehr hat das BSG in der genannten Entscheidung ausgeführt, der Zuschlag zum jeweiligen Tabellenwert stelle einen "Sicherheitszuschlag" dar, der im Interesse des Schutzes des elementaren Bedürfnisses des Hilfebedürftigen auf Sicherung des Wohnraumes erforderlich sei, weil beim Fehlen eines schlüssigen Konzept nicht mit Sicherheit beurteilt werden könne, wie hoch die angemessene Referenzmiete tatsächlich sei. Der Zuschlag beruht damit nicht auf fehlenden Anpassungen an Preissteigerungen, sondern auf Unwägbarkeiten bei Fehlen eines schlüssigen Konzepts (so auch LSG Hessen, Beschl. v. 25.11.2010 - L 6 AS 423/10 B ER -). Diese Unwägbarkeiten haften aber der neuen Wohngeldtabelle in gleicher Weise an wie die der alten Tabelle. Es bleibt der Antragsgegnerin unbenommen, durch die Vorlage eines der Rechtsprechung des BSG genügenden Wohnungsmarktgutachtens die angemessenen Unterkunftskosten nachzuweisen, soweit sie den Zuschlag zur Wohngeldtabelle für nicht sachgerecht erachtet. Unter Berücksichtigung des Sicherheitszuschlages von 10% ergibt sich eine noch angemessene Miete einschließlich Nebenkosten in Höhe von 569,25 EUR, so dass die zu berücksichtigenden Kosten der Unterkunft und Heizung sich auf 650,08 EUR belaufen.
Der Bedarf der Antragstellerin zu 1. hinsichtlich der Kosten für Unterkunft und Heizung beträgt ein Drittel dieses Betrages, also 216,69 EUR. Hinzu kommt der Regelbedarf in Höhe von 364,- EUR und ein Mehrbedarf wegen Alleinerziehung in Höhe von 55,- EUR, so dass der Gesamtbedarf der Antragstellerin zu 1. sich auf 635,69 EUR beläuft. Der Bedarf des Antragstellers zu 2. besteht aus dem Sozialgeld in Höhe von 251,- EUR und dem auch von der Antragsgegnerin anerkannten Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 3,- EUR sowie Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von ebenfalls 216,69 EUR, d.h. 470,69 EUR insgesamt. Beim Antragsteller zu 3. berücksichtigt die Kammer im vorliegenden Eilverfahren einen Regelleistungsanteil von 97,- EUR (1/3 der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II) sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von 216,69 EUR.
Dieser Bedarf wird nicht durch die zu berücksichtigenden Einkommen der Antragsteller zu 1. und zu 2. gedeckt. Beim Antragsteller zu 2. sind Unterhalt, Kindergeld und Wohngeld in Höhe von 608,- EUR monatlich zu berücksichtigen, so dass der Bedarf des Antragstellers zu 2. vollständig gedeckt wird und das Kindergeld in der seinen Bedarf übersteigenden Höhe von 137,31 EUR bei der Antragstellerin zu 1. als Einkommen zu berücksichtigen ist.
Das darüber hinaus zu berücksichtigende Einkommen der Antragstellerin zu 1. aus selbständigem Gewerbe beläuft sich nach der Anlage EKS auf 4.694,- EUR im sechsmonatigen Bewilligungszeitraum, also auf 782,33 EUR monatlich. Die Kammer hat im Rahmen dieses Eilverfahrens keine Bedenken, die Angaben der Antragstellerin zu 1. in der Anlage EKS einer vorläufigen Leistungsbewilligung zur Grunde zu legen. Das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit ist nach § 13 SGB II i.V.m. § 3 Arbeitslosengeld II-Verordnung (Alg II-V) zu ermitteln. Nach § 3 Alg II-V sind für das Einkommen aus selbständiger Arbeit von den Betriebseinnahmen im Bewilligungszeitraum die notwendigen Ausgaben im Bewilligungszeitraum ohne Rücksicht auf steuerliche Vorschriften abzusetzen. Da die existenzsichernden Leistungen nach § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II monatlich im Voraus erbracht werden sollen, ergibt sich die Notwendigkeit einer Einkommensprognose. Diese obliegt zunächst dem Hilfebedürftigen im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I. Es geht dabei um ein erwartbares Maß an betrieblicher Planung. Bei der Anlage EKS handelt es sich um tabellarische Angaben zu geschätzten Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nach unterschiedlichen Kostenpositionen. Ihrer Mitwirkungspflicht ist die Antragstellerin zu 1. durch die Vorlage der Anlage EKS nachgekommen. Zu Unrecht hat die Antragsgegnerin die geltend gemachten Betriebsausgaben für eine Aushilfe im Blumenladen der Antragstellerin zu 1. als unangemessen betrachtet. Bei der Bewertung einer Einkommensprognose ist davon auszugehen, dass der selbständig Tätige grundsätzlich eigenverantwortlich seine unternehmerischen Entscheidungen trifft. Will er staatliche Transferleistungen in Anspruch nehmen, ist seine unternehmerische Freiheit zwar insoweit eingeschränkt, dass gemäß § 3 Abs. 3 Sätze 1 und 3 Alg II-V Ausgaben als Absetzbeträge unberücksichtigt bleiben, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind, offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende entsprechen oder in einem auffälligen Missverhältnis zu den jeweiligen Erträgen stehen. Dies ist jedoch zur Überzeugung der Kammer bei keinem der Ausgabenposten so eindeutig ersichtlich, als dass nicht im Wege der nachträglichen Korrektur nach Ablauf des Bewilligungszeitraums nachgesteuert werden könnte. Dass die in der Anlage EKS geltend gemachte Vorsteuer nicht aufgrund der Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG vermeidbar ist, hat die Antragstellerin nach einem entsprechenden Hinweis der Kammer glaubhaft gemacht. Auch die geltend gemachten Personalkosten der Antragstellerin zu 1. für eine Aushilfskraft können nicht als unangemessen betrachtet werden. Sie betragen lediglich 14% der Summe der Betriebseinnahmen. Dies scheint, gerade vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin zu 1. alleinerziehend ist und daher auf Unterstützung zur Aufrechterhaltung ihres Ladens angewiesen ist, nicht jenseits dessen, was ein wirtschaftlich denkender Bürger an Personalkosten in Kauf nehmen würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch nach Abzug der Personalkosten noch ein Gewinn verbleibt, der zur Deckung der Lebenshaltungskosten beiträgt. Gleiches gilt für die in Abzug gebrachten Telefonkosten, die ebenfalls als notwendige Betriebsausgaben anzuerkennen sind.
Der Einkommensanrechnung war demnach die von den Antragstellern eingereichte Anlage EKS und das sich daraus ergebende monatliche Einkommen der Antragstellerin zu 1. in Höhe von 782,33 EUR vorläufig zu Grunde zu legen. Hinzu kommen 137,31 EUR überschießendes Kindergeld. Von dem Gesamteinkommen in Höhe von 919,64 EUR waren Freibeträge nach § 11b Abs. 2 und 3 SGB II in Höhe von 263,93 EUR in Abzug zu bringen, so dass sich das bereinigte Einkommen der Antragstellerin zu 1. auf 655,71 EUR beläuft. Die Kammer errechnet daraus Restbedarfe der Antragstellerin zu 1. in Höhe von 194,32 EUR und des Antragstellers zu 3. in Höhe von 96,35 EUR, insgesamt somit in Höhe von 290,67 EUR monatlich.
Der erforderliche Anordnungsgrund ergibt sich ohne Weiteres aus der Erwägung, dass den Antragstellern die zur Führung eines menschenwürdigen Lebens notwendigen Leistungen nach dem SGB II nicht bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache vorenthalten werden können.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Die Kostenerstattungsquote entspricht in etwa der Erfolgsquote der Antragsteller.