Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.11.2010, Az.: 1 ME 193/10
Aufschiebende Wirkung entgegen § 212 a Baugesetzbuch (BauGB) des Widerspruchs eines Nachbarn gegen die baurechtliche Genehmigung eines Kleintierkrematoriums bei Annahme immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsbedürftigkeit solcher Anlagen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.11.2010
- Aktenzeichen
- 1 ME 193/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 27814
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:1111.1ME193.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Lüneburg - 31.08.2010 - AZ: 2 B 58/10
Rechtsgrundlagen
- § 9 BauGB
- § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB
- § 212 a BauGB
- § 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO
- § 4 BImSchG
- § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG
Fundstellen
- AUR 2011, 447-450
- AbfallR 2011, 45
- BauR 2011, 303
- BauR 2011, 819-823
- DÖV 2011, 123
- FStNds 2011, 81-86
- NVwZ-RR 2011, 139-141
- NZBau 2011, 153
- NdsVBl 2011, 88-90
- NordÖR 2011, 202
- UPR 2011, 154-157
- ZfBR 2011, 72
- ZfBR 2011, 176-179
Amtlicher Leitsatz
Der Widerspruch eines Nachbarn gegen die baurechtliche Genehmigung eines Kleintierkrematoriums hat entgegen § 212 a BauGB aufschiebende Wirkung, weil von der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit solcher Anlagen auszugehen und darauf abzustellen ist, nach welchem Regime die Genehmigung richtigerweise hätte erteilt werden müssen.
Gründe
Der Antragsteller wendet sich als Nachbar gegen die baurechtliche Genehmigung eines Kleintierkrematoriums.
Das Verwaltungsgericht hat vorläufigen Rechtsschutz im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, das Vorhaben sei in einem faktischen Dorfgebiet als nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb zulässig und auch nach seinem Nutzungsumfang gebietsverträglich. Es unterliege bei einer Verbrennungsleistung von 40 bis 50 kg pro Stunde keiner Genehmigungspflicht nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz. Infolgedessen habe auch keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen werden müssen. Die Baugenehmigung enthalte Nebenbestimmungen, welche die Nachbarschaft ausreichend schützten. Selbst wenn das Einvernehmen der Gemeinde fehlerhaft erteilt worden wäre, könnten sich Nachbarn darauf nicht berufen.
Mit seiner dagegen gerichtete Beschwerde will der Antragsteller in erster Linie festgestellt wissen, dass seine Widersprüche gegen die erteilten Baugenehmigungen aufschiebende Wirkung haben; hilfsweise begehrt er deren Anordnung. Er meint weiterhin, dass das Vorhaben den Vorschriften desBundes-Immissionsschutzgesetzes und des Umweltverträglichkeitsgesetzes unterfalle; § 212 a BauGB sei daher nicht anwendbar. Soweit nach Nr. 8.1, Spalte 2, Buchstabe a des Anhangs zur 4. BImSchV Anlagen zur Beseitigung fester, nicht gefährlicher Abfälle durch Verbrennung mit einem Abfalleinsatz von bis zu 3 Tonnen pro Stunde genehmigungspflichtig seien, unterliege es keinem Zweifel, dass eine Untergrenze nicht festgelegt sei. Im immissionsschutzrechtlichen Verfahren sei im Übrigen umfassender zu prüfen als im baurechtlichen Verfahren. Dieses schütze ihn nach der erteilten Baugenehmigung nicht hinreichend gegen Seuchengefahr, Kontaminierung seines Grundstücks, Feinstaub und Gerüche.
Bauplanungsrechtlich sei das Vorhaben unzulässig. Es handele sich nicht nur um eine Nutzungsänderung, sondern im Wesentlichen um einen Ersatzbau mit Erweiterung. Der eigentliche Krematoriumsbau habe gegenüber dem Schweinestall, der an dieser Stelle gestanden habe, dominierenden Charakter. Das Vorhaben füge sich in die dörfliche Umgebung nicht ein. Auch die vorgesehene Flächenversiegelung sei ohne Beispiel in der Umgebung, ebenso die dichte Einzäunung. Eine solche Anlage passe allenfalls in ein Gewerbegebiet.
Der Gebietserhaltungsanspruch habe einen weitergehenden Gehalt als das Verwaltungsgericht meine. Anspruch bestehe auch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung des Baugebiets.
Die Nutzungsbeschreibung, wonach mit vier bis fünf Anlieferungen am Tag gerechnet werde, sei falsch. Zielmarkt seien das gesamte Land Niedersachsen und Teile von Sachsen-Anhalt.
Sein eigenes Grundstück erleide eine erhebliche Wertminderung. Visuell werde es durch das Krematorium erdrückt, zumal durch den hohen Schornstein.
In ihrem Internetauftritt werbe die Beigeladene auch mit einem Tierfriedhof, der planungsrechtlich unzulässig sei.
Das Einvernehmen der Gemeinde sei zu Unrecht erteilt worden, offenbar in kollusivem Zusammenwirken zwischen der Beigeladenen, dem Bürgermeister und der Gemeindeverwaltung. Der Gemeinderat sei nicht gehört worden. Als Tätigkeit der laufenden Verwaltung könne die Erteilung des Einvernehmens für ein Vorhaben dieser Art jedoch nicht angesehen werden.
Die anderen Beteiligten treten dem entgegen.
Die Beschwerde hat mit dem auf Feststellung gerichteten Hauptsacheantrag Erfolg.
Obwohl dieser Antrag schwierige rechtliche Fragen aufwirft, für deren Beantwortung das Eilverfahren an sich nicht der richtige Ort ist, kann der Senat sie nicht im Zuge einer den Hilfsantrag einbeziehenden Interessenabwägung offen lassen, weil gegenwärtig keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass materielle Nachbarrechte des Antragstellers verletzt werden. Dazu nur in Kürze:
Die fehlerhafte Wahl des baurechtlichen anstelle eines immissionsschutzrechtlichen Verfahrens berührt den Nachbarn an sich nicht, denn der Genehmigungsvorbehalt des § 4 BImSchG entfaltet für sich genommen keinen Drittschutz (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 1.6.2010 - 12 LB 31/07 -, DVBl. 2010, 1039 mit zahlreichen Nachweisen).
Auch die Nichtdurchführung einer an sich erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung begründete als solche nach der bisherigen Rechtsprechung keinen Aufhebungsanspruch Dritter (vgl. OVG Lüneburg, a.a.O., auch insoweit mit zahlreichen Nachweisen und Hinweisen zu differenzierenden Ansätzen). Allerdings betrifft die letztgenannte Entscheidung ein Verfahren, auf welches das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz noch nicht anwendbar war. Nach dessen § 4 Abs. 1 kann nunmehr die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht durchgeführt worden und nicht nachgeholt worden ist (vgl. dazu z.B. Appel, NVwZ 2010, 473). Auch hiernach liegen die Voraussetzungen für einen Aufhebungsanspruch jedoch nicht vor. Nach Nr. 8.1.2 und 3 des Anhangs 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung ist die Verbrennung nicht gefährlicher Abfälle erst ab einem Abfalleinsatz von über drei Tonnen pro Stunde oder einem Verbrauch an Deponiegas von mehr als 1000 Kubikmeter pro Stunde UVP-pflichtig. Darunter kommt nur eine allgemeine Vorprüfung nach § 3 c Satz 1 UVPG in Betracht. Hiernach hat die Behörde zunächst überschlägig unter Berücksichtigung der in der Anlage 2 aufgeführten Kriterien zu prüfen, ob das Vorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, die nach § 12 UVPG zu berücksichtigen wären. Eine solche Prüfung hat der Antragsgegner der Sache nach vorgenommen, ist nämlich zu dem Ergebnis gelangt, dass die Anlage mangels denkbarer Umweltauswirkungen nicht (einmal) unter Nr. 8.1 der 4. BImSchV falle. Zu dem gleichen Ergebnis ist im Übrigen auch der vom Antragsteller vorgelegte Genehmigungsbescheid vom 7. Juli 2010 für ein vergleichbares Vorhaben gelangt.
Zu Recht hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass bauplanungsrechtliche Abwehransprüche nicht bestehen. Das gilt dann, wenn hier von einem faktischen Dorfgebiet auszugehen ist, erst recht aber, wenn eine diffuse Gemengelage mit Dorfgebietselementen anzunehmen wäre. Als allgemeines Wohngebiet kann der Bereich schon nach der vom Antragsteller selbst vorgelegten Karte nicht angesehen werden.
Gegen die Bewertung von Kleintierkrematorien als Gewerbebetriebe ist nichts einzuwenden. "Sonstige" Gewerbebetriebe sind im Dorfgebiet nach§ 5 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO allgemein zulässig, vorausgesetzt, dass sie im Sinne des Absatzes 1 dieser Vorschrift nicht wesentlich stören und im Übrigen allgemein gebietsverträglich sind (vgl. zu letzterem: BVerwG, Beschl. v. 28.2.2008 - 4 B 60.07 -, NVwZ 2008, 786; Beschl. v. 20.12.2005 - 4 B 71.05 -, NVwZ 2006, 457). Zwar wurde für "klassische" Tierkörperbeseitigungsanlagen die Auffassung vertreten, diese gehörten im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB in den Außenbereich (vgl. Grünewald, UPR 2002, 303, 305). Das lässt sich auf Kleintierkrematorien jedoch nicht übertragen, weil diese angesichts ihrer Positionierung auf dem Markt hinsichtlich von Kapazität und Arbeitsweise einen ganz anderen Zuschnitt haben. Das hier konkret genehmigte Vorhaben ist jedenfalls für ein Dorfgebiet nicht überdimensioniert, ganz unabhängig davon, welchen Einzugsbereich es abdeckt. Auf vom Antragsteller vermutete weitere Absichten der Beigeladenen kommt es nicht an, sondern nur auf das, was wirklich genehmigt worden ist. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in dem genannten Beschluss vom 20. Dezember 2005 eine Pietätshalle in einem Gewerbegebiet als nicht gebietsverträglich angesehen hat (vgl. hierzu nunmehr auch OVG Münster, Urt. v. 25.10.2010 - 7 A 1298/09 -, [...]), besteht ein vergleichbarer Widerspruch in einem Dorfgebiet dagegen nicht, zumal wenn dort nicht von Menschen, sondern "nur" von Haustieren Abschied genommen wird.
Soweit der Antragsteller gleichwohl einen Gebietserhaltungsanspruch geltend macht, weil die typische Prägung als - verkürzt ausgedrückt - idyllische Dorfgemeinschaft zu berücksichtigen sei, leitet er eine solche Prägung nicht aus Gegebenheiten ab, die nach § 9 BauGB in Verbindung mit der Baunutzungsverordnung bauplanerisch gesteuert werden könnten. Ein Dorfgebiet ist nicht durch "ländliches Ambiente" definiert, sonders stellt ein ländliches Mischgebiet dar, das gleichermaßen Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben dient (BVerwG, Urt. v. 23.4.2009 - 4 CN 5.07 -, DVBl. 2009, 1178). Gerade in Bezug auf die landwirtschaftlichen Betriebe ist es typischerweise mit Immissionen und dem Leben und Tod von Nutztieren verbunden. Idylle ist weder grundsätzliches Wesenselement eines Dorfgebiets noch kann sie durch bauleitplanerische Festsetzungen bewirkt werden.
Zwar ist verständlich, dass der Antragsteller das streitige Vorhaben zu denjenigen zählt, deren Nachbarschaft vielfach als nicht wünschenswert angesehen wird und die die Verkäuflichkeit des eigenen Grundstücks real erschweren. Die Rechtsprechung hat sich unter nachbarrechtlichen Gesichtspunkten mit Friedhöfen, Leichenhallen, Bordellen, Heimen verschiedener Art, Spielhallen und vielen anderen Bauvorhaben auseinander setzen müssen, deren Heranrücken als nachteilig empfunden worden ist. Soweit jedoch solche Nachteile nicht mit baurechtlichen Kriterien erfasst werden können (wie Abstand, Emissionsverhalten usw.), gibt das Baurecht keine Handhabe zu ihrer Abwehr; inbesondere ein "Milieuschutz" wird nicht gewährt (BVerwG, Urt. v. 23.8.1996 - 4 C 13.94 -, BVerwGE 101, 364 = NVwZ 1997, 384). Auch eine Wertminderung des Grundstücks ändert daran nichts, soweit sie sich nicht als finanzieller Ausdruck einer aus anderen Gründen bestehenden Unzumutbarkeit der angegriffenen Nutzung darstellt (vgl. Senatsbeschl. v. 12.03.2009 - 1 LA 184/06 -, NVwZ-RR 2009, 630).
Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung kann offen bleiben, ob sich das streitige Vorhaben in jeder Hinsicht einfügt. Ein Nachbar kann allenfalls geltend machen, dass eventuelle Rahmenüberschreitungen gerade in Bezug auf sei eigenes Grundstücke besondere Spannungen auslösen. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Eine "erdrückende" Wirkung des Schornsteins ist quasi nur beiläufig geltend gemacht und nicht einmal durch abstandsrechtliche Betrachtungen konkretisiert worden.
Auch im Übrigen sind für eine Verletzung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich. Der Antragsgegner hat ein ganzes Geflecht von mehr oder weniger einschlägigen Vorschriften berücksichtigt. Dass unzumutbare Immissionen eintreten werden, liegt nicht nahe. Das streitige Vorhaben hat nur eine geringe Kapazität; die Verbrennung findet offenbar nicht einmal im Dauerbetrieb statt. Es besteht der Eindruck, dass der Antragsteller die realen Auswirkungen des Krematoriumbetriebs unverhältnismäßig aggraviert. Dass die verbleibenden Reststoffe, insbesondere die Asche, Gesundheitsgefährdungen zur Folge haben, drängt sich nicht auf. Auch soweit die Asche abfallrechtlich bei einer Entsorgung als "gefährlicher Abfall" einzustufen sein sollte, ergibt sich daraus für sich genommen nicht gerade eine Seuchengefahr. Der Hinweis unter Nr. 3.4.7 des vom Antragsteller vorgelegten Genehmigungsbescheides vom 7. Juli 2010 begründet die Einstufung als gefährlicher Abfall jedenfalls nur mit dem Bleigehalt. Warum die nur behauptete Seuchengefahr durch Aushändigung der Asche in Urnen an die Hinterbliebenen gesteigert werden sollte, ist ebenso wenig erläutert. Die in einer Urne aufgefangene Asche stellt keinen beseitigungspflichtigen Abfall dar, solange sie aus Pietätsgründen aufbewahrt wird. Da der Sinn einer Urne gerade der dauerhafte Verbleib der Asche in ihr ist, wird diese Asche im Regelfall nicht in der Nähe des Krematoriums in die Umwelt gelangen. Ein Verstreuen der Asche auf dem Betriebsgrundstück oder die Anlage eines Tierfriedhofs erlaubt die Baugenehmigung nicht. Wenn die Beigeladene entfernter gelegene Außenbereichsgrundstücke für solche Zwecke nutzen sollte, wäre dies der Baugenehmigung nicht anzulasten. Schließlich bestehen auch keine bekannten Erfahrungswerte dahin, dass beim Krematoriumsbetrieb Asche ungewollt austritt.
Inwiefern das Grundstück des Eigentümers in Gefahr geraten soll, durch verunreinigtes Regenwasser "kontaminiert" zu werden, zeigt der Antragsteller nicht konkret auf. Die diesbezügliche Nebenbestimmung zur Baugenehmigung sollte dies gerade verhindern. Dass sie inzwischen mangels Erforderlichkeit (Art. 12 Abs. 3 VO (EG) 1774/2002 - Verbrennungsanlage mit niedriger Kapazität) aufgehoben worden ist, ändert daran nichts.
Die mit Nachtrag genehmigte Schornsteinhöhe entspricht ersichtlich den Anforderungen der Nr. 5.5.2 der TA Luft. Soweit der Antragsteller hierzu eine Stellungnahme eines Sachverständigen vorgelegt hat, der den Einfluss umstehender Bäume auf die Entstehung von Leewirbeln unterschätzt sieht, ist der genannten Nummer der TA Luft nur in ihrem letzten Absatz für geringere Schornsteinhöhen in bestimmten Ausnahmefälle zu entnehmen, dass ein ungestörter Abtransport der Abgase mit der freien Luftströmung vorausgesetzt wird. Auch Anhang 3 Nr. 10 zur TA Luft besagt nichts unmittelbar zum Einfluss von Bäumen, allenfalls über die Bezugnahme auf die Rauhigkeitslänge. Die vom Sachverständigen daraus gezogenen Folgerungen sind nicht unmittelbar nachvollziehbar. Dass hier höhere Anforderungen als nach Nr. 5.5.2 Absatz 1 zu stellen wären, müsste aber in einer Weise begründet werden, die den Besonderheiten der Anlage, insbesondere ihrer geringen Kapazität Rechnung trägt.
Dass in nennenswertem Umfang Feinstäube und Gerüche auftreten werden, ist angesichts des konkreten Inhalts der Baugenehmigung Spekulation. Soweit sich der Antragsteller zunächst auf Erfahrungen in einem anderen Kleintierkrematorium berufen hat, hat die Beigeladene ihrerseits Wert auf die Feststellung gelegt, dass sie eine andere Brennanlage verwendet. Es kann nicht unbesehen unterstellt werden, dass diese Funktionsmängel aufweist.
Mithin kommt es maßgeblich auf die formale Frage an, ob der Antragsgegner dem Widerspruch des Antragsteller zu Unrecht aufschiebende Wirkung abgesprochen hat. Dies ist in Rechtsprechung und Literatur - soweit ersichtlich - offenbar nur punktuell erörtert worden. Das Verwaltungsgericht Mainz hat in einem vergleichbaren, den Beteiligten bekannten Fall (Beschl. v. 15.12.2009 - 3 L 1220/09.MZ -, [...]) maßgeblich darauf abgestellt, dass "nun einmal" eine Baugenehmigung erteilt worden sei. Dem ist das Oberverwaltungsgericht Koblenz in seiner Beschwerdeentscheidung vom 16. Februar 2010 (- 1 B 11384/09 -, V.n.b.) nicht gefolgt. Ausgehend von der Annahme, dass ein Kleintierkrematorium zwar nicht nach Nr. 7.12, aber nach Nr. 8.1 des Anhangs zur 4. BImSchV genehmigungsbedürftig ist, hat es ausgeführt:
"Zwar verkennt der Senat nicht, dass die streitgegenständlichen Bescheide vorliegend als bauaufsichtliche Zulassungsentscheidungen ergangen sind, bei denen gemäß § 212 a BauGB der dagegen gerichtet Widerspruch grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat. Insoweit handelt es sich bei dieser gesetzlichen Regelung um eine Ausnahme vom Grundsatz des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Diese Ausnahme kann im vorliegenden Fall aber deshalb nicht eingreifen, weil sich hier die Antragsgegnerin - was noch unten darzulegen sein wird - einer falschen Genehmigungsform bedient hat. Eine solche Handlungsweise darf jedoch nicht zu Lasten des Drittbetroffenen gehen und nicht dazu führen, dass die vom Gesetzgeber grundsätzlich gewollte aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO keine Anwendung findet und der Drittbetroffene mit seinem Begehren auf vorläufigen Rechtsschutz verfahrensrechtlich nur deshalb schlechtergestellt wird, weil die Behörde nicht das richtige Verwaltungsverfahren und somit auch nicht die richtige Genehmigungsform gewählt hat. Vielmehr müssen hier die Antragsteller auch in Bezug auf den vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 VwGO verfahrensrechtlich so gestellt werden, wie sie stehen würden, wenn hier anstelle der ("Inkorrekten") bauaufsichtlichen Genehmigungsentscheidung das erforderliche immissionsschutzrechtliche Verfahren durchgeführt worden wäre."
Dem folgt der Senat im Ergebnis. Zunächst spricht hier Überwiegendes für eine Genehmigungsbedürftigkeit nach demBundes-Immissionsschutzgesetz. Der Antragsgegner kann sich zwar für die Auffassung, "Kleinstanlagen" der hier vorliegenden Art seien von Nr. 8.1 der 4. BImSchV nicht gemeint, auf die fachliche Einschätzung des Gewerbeaufsichtsamtes und auf allgemeine Ausführungen bei Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, B 2.4, 4. BImSchV § 1 Rdnr. 4, und Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 4. BImSchV vor § 1 Rdnr. 6 stützen. Entsprechende Fallgruppen scheinen sich in der immissionsschutzrechtlichen Praxis aber noch nicht herausgebildet zu haben, abgesehen von dem kaum vergleichbaren Fall der von Künstlern betriebenen Kleinstanlagen zur Herstellung von Kupferstichen unter Verwendung von Fluss- oder Salpetersäure. Insbesondere spricht aber gegen eine solche einschränkende Auslegung, dass die Anlage zur 4. BImSchV in der Spalte 2 zwar zum Teil nur obere Schwellenwerte nennt, in anderen Fällen aber auch "nach unten" abgrenzt. Das spricht dafür, dass in den erstgenannten Fällen jedenfalls regelmäßig auch alle Klein- und Kleinstanlagen genehmigungsbedürftig sein sollen.
Die (falsche) Wahl eines baurechtlichen anstelle eines immissionsschutzrechtlichen Verfahrens hat allerdings nicht gleichsam automatisch und von Verfassungs wegen zur Folge, dass § 212 a BauGB nicht anwendbar ist. Effektiver Rechtsschutz bleibt auch dann möglich, wenn die Folgen der Verfahrenswahl im Rahmen eines Nachbarantrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gewürdigt werden. Insbesondere verhält es sich nicht so, dass Art. 19 Abs. 4 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 VwGO den Nachbarn vor einem "aufwändigen Rechtsstreit" schützt, dessen Ergebnis von einer Abwägungsentscheidung abhängt (so die Beschwerdebegründung). Denn auch der Bauherr/Vorhabenträger kann seinerseits die Anordnung der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Genehmigung und insoweit auch gerichtlichen Rechtsschutz beantragen, wobei der widerspruchsführende Nachbar beizuladen ist. Abgesehen von den abweichenden Beteiligtenrollen ergeht die gerichtliche Entscheidung in beiden Fällen nach den gleichen Abwägungsmaßstäben, denn in mehrpoligen Rechtsverhältnissen dieser Art sind nach der Rechtsprechung des Senats immer die Interessen aller Verfahrensbeteiligter angemessen zu gewichten (Beschl. v. 25.1.2007 - 1 ME 177/06 -, BauR 2007, 1394). Dies steht auch im Einklang mit der jüngsten Kammerrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 1.10.2008 - 1 BvR 2466/08 -, NVwZ 2009, 240). Aus der vom Antragsteller angeführten Kammerentscheidung zum Aktenzeichen 1 BvR 2395/09 (Beschluss vom - richtig - 30.10.2009, NJW 2010, 1871 [BVerfG 30.10.2009 - 1 BvR 2395/09]) lässt sich für diese Fallgestaltungen dagegen nichts herleiten, weil sie ohne Drittbeteiligung nur das zweipolige Verhältnis Staat - Bürger betrifft.
Infolgedessen ließe sich mit guten Gründen auch argumentieren, schon aus Gründen der Rechtsklarheit müsse für§ 212a BauGB darauf abgestellt werden, welche Rechtsgrundlage sich die angegriffene Genehmigung selbst beilegt.
Es verbleibt dann allerdings als belastende Auswirkung der falschen Verfahrenswahl, dass der betroffene Nachbar in die Rolle desjenigen gedrängt wird, der über seinen Widerspruch hinaus vorläufigen behördlichen und gerichtlichen Rechtsschutz beantragen muss. Das wollte ihm der Gesetzgeber im Falle immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsbedürftigkeit nicht zumuten (vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 19.7.2010 - 2 M 64/10 -, [...]). Unabhängig davon, ob hier etwa aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis in § 80 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 VwGO hergeleitet werden kann, entspricht es jedenfalls der Intention des Gesetzgebers, den Nachbarn immissionsschutzrechtlich zu genehmigender Anlagen in einer verfahrensrechtlich vorteilhafteren Position zu belassen als den Baunachbarn. Dies spricht dafür, den "wahren" Charakter des Vorhabens ausschlaggebend sein zu lassen, und zwar schon vor der Schwelle einer missbräuchlich falschen Verfahrenswahl, für welche hier keine Anhaltspunkte vorliegen.
Zwar mutet es auf den ersten Blick widersprüchlich an, dem Widerspruch eines Nachbarn aufschiebende Wirkung gerade in Fällen beizumessen, in denen im Hauptsacheverfahren die drittschützende Wirkung des Genehmigungsvorbehalts in § 4 BImSchG verneint wird (siehe oben). Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes verfolgt jedoch andere Zwecke als das Hauptsacheverfahren; in ihm geht es der Sache nach nur um Aufschub, bis eine "Vollprüfung" vorgenommen werden kann. Ist - wie hier - jedenfalls thematisch der Anwendungsbereich der 4. BImSchV unmittelbar berührt, wovon auch die Antragsgegnerin ausgeht, rechtfertigt der Umstand, dass eine Anlage emittiert, grundsätzlich eher ein Hinausschieben ihrer Realisierung als bei "normalen" Bauvorhaben, bei denen eventuelle Emissionen typischerweise nicht im Vordergrund stehen.
Dass es nach dem Willen des Gesetzgebers auf den "wahren Charakter" des Bescheides und nicht seine Bezeichnung ("Überschrift") ankommt, dürfte schließlich in § 67 Abs. 9 BImSchG zum Ausdruck kommen. Darin (§ 67 Abs. 9 Satz 3, Halbs. 2 i.V.m. Satz 1 BImSchG) hat der Gesetzgeber angeordnet, Genehmigungen für Windenergieanlagen, welche auf Bauanträge erteilt wurden, die vor dem 1. Juli 2005 gestellt worden seien, gälten (nur) als Genehmigungen nach diesem Gesetz. Das hat zur Folge, dass sie materiellrechtlich zwar als immissionsschutzrechtliche Genehmigungen anzusehen sind. Im Hinblick auf ihre Vollziehbarkeit aber sind sie selbst dann mit der Folge als Baugenehmigungen anzusehen, dass der Bauherr in den Genuss des § 212a BauGB kommt, wenn diese nach dem 1. Juli 2005 erteilt worden sind (so zutreffend OVG Münster, B. v. 15.9.2005 - 8 B 1074/05 -, NVwZ-RR 2006, 173). Das zeigt: Der Gesetzgeber musste eigens anordnen, dass es bei der Rechtswohltat des § 212a BauGB bleibt, wenn die erteilte Genehmigung eine andere Rechtsnatur als die eines Bauscheins hat. Daraus folgt weiter: Nur dann, wenn der Gesetzgeber eine ausdrückliche Bestimmung dahin trifft, die Vollziehbarkeit solle sich - und sei es übergangsweise - nach anderen Kriterien bestimmen als sie nach der wahren Rechtsnatur des Bescheides gelten würden, ist es gerechtfertigt, sich hinsichtlich der Vollziehbarkeit allein/entscheidend von der Bezeichnung des Bescheides leiten zu lassen. Eine solche ausdrückliche Bestimmung besteht für die hier zu behandelnde Sachlage nicht.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat hat erwogen, den Streitwert höher anzusetzen, als das Verwaltungsgericht dies getan hat, weil der Antragsteller die ihm drohenden Nachteile als sehr gravierend dargestellt hat. Bei objektivierender Betrachtungsweise belasten ihn jedoch eher die Empfindungen, die er mit der Nachbarschaft eines Krematoriums verbindet, als baurechtlich und damit auch streitwertmäßig fassbare Beeinträchtigungen.