Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.11.2010, Az.: 9 ME 76/10
Erdrosselungsverbot und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei Staffelung der Steuersätze bei der Zweitwohnungsteuer von deutlich über 20% Jahresrohmiete sowie Einhaltung des Gleichheitssatzes
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 22.11.2010
- Aktenzeichen
- 9 ME 76/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 28305
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2010:1122.9ME76.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 23.04.2010 - AZ: 3 B 314/10
Rechtsgrundlagen
- Art. 3 Abs. 1 GG
- Art. 105 Abs. 2a GG
- § 4 Abs. 1 ZwStS
Fundstellen
- FStNds 2011, 183-186
- GK/BW 2011, 241-242
- Gemeindehaushalt 2011, 45
- NVwZ-RR 2011, 248-249
- NZM 2011, 270
- NdsVBl 2011, 87-88
- NordÖR 2011, 80-82
- Städtetag 2011, 42
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine Staffelung der Steuersätze, die bei zahlreichen Fallgestaltungen zu einer Zweitwohnungsteuer von deutlich über 20% der Jahresrohmiete führt, bewegt sich im Grenzbereich dessen, was im Blick auf das Erdrosselungsverbot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch als hinnehmbar angesehen werden kann.
- 2.
Eine aus 3 Stufen bestehende Staffelung des Steuersatzes, bei der die höchste Stufe schon bei einem jährlichen Mietaufwand von 3.601,- Euro beginnt und die meisten Zweitwohnungen in diese Stufe fallen, ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie mit Art. 105 Abs. 2 a GG unvereinbar.
Gründe
Die Beschwerde, mit der sich die Antragsgegnerin gegen die teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Verwaltungsgericht wendet, ist zulässig, aber unbegründet. Der angefochtene Beschluss ist in dem Umfang, in dem er zur Überprüfung durch den Senat gestellt worden ist, im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Die Zweitwohnungsteuersatzung der Antragsgegnerin vom 13. Oktober 1988 in der Fassung der 4. Änderungssatzung vom 31. Mai 2001 (ZwStS) erweist sich bei der bloß summarischen Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als wahrscheinlich unwirksam, so dass die auf ihrer Grundlage erfolgte Heranziehung des Antragstellers durch Bescheid vom 18. Juni 2009 rechtswidrig sein dürfte.
Der Senat lässt offen, ob die Zweitwohnungsteuersatzung der Antragsgegnerin bereits deshalb unwirksam ist, weil - wie das Verwaltungsgericht meint - die von der Antragsgegnerin erhobene Zweitwohnungsteuer erdrosselnde Wirkung hat. Nach der Staffelung der Steuersätze in § 4 Abs. 1 ZwStS liegt die Zweitwohnungsteuer bei zahlreichen Fallgestaltungen deutlich über 20% der Jahresrohmiete; sie macht bei einem Mietaufwand von jährlich etwas über 1.800,- EUR sogar 31,1% der Jahresrohmiete aus. Damit bewegt sie sich erkennbar im Grenzbereich dessen, was im Blick auf das Erdrosselungsverbot und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch als hinnehmbar angesehen werden kann. In der Rechtsprechung sind bisher nur Steuersätze, die sich in einem Bereich bis zu 20% des jährlichen Mietaufwands bewegen, als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen worden (vgl. z.B. Bay.VGH, Urteil vom 30.4.2009 - 4 ZB 08.2371 - sowie Beschluss vom 28.10.2009 - 4 ZB 08.1893 -; siehe ferner VG München, Urteil vom 14.1.2010 - M 10 K 09.1827 -, wonach Steuerbelastungen von über 20% der Jahresnettokaltmiete rechtsstaatswidrig sind). Es erscheint zumindest fraglich, ob das Halten einer Zweitwohnung im Gebiet der Antragsgegnerin bei einer Zweitwohnungsteuerlast von deutlich über 20% der Jahresrohmiete und den zahlreichen weiteren Wohnungsnebenkosten, die nach den Angaben der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren ungefähr 25 bis 30% der Kaltmiete ausmachen, noch wirtschaftlich sinnvoll möglich ist und damit eine erdrosselnde Wirkung fehlt. Zur Beantwortung dieser Frage wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich unter anderem zu klären sein, wie sich der Bestand an Zweitwohnungen im Gebiet der Antragsgegnerin seit dem Inkrafttreten der Zweitwohnungsteuersatzung am 1. Januar 1989 entwickelt hat.
Für das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sieht der Senat als entscheidungserheblich an, dass die Zweitwohnungsteuersatzung der Antragsgegnerin jedenfalls deshalb unwirksam sein dürfte, weil die Regelung über den Steuersatz in § 4 Abs. 1 ZwStS wahrscheinlich unvereinbar ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie mit Art. 105 Abs. 2 a Satz 1 GG. § 4 Abs. 1 ZwStS lautet:
Die Steuer beträgt im Kalenderjahr
a)
bei einem jährlichen Mietaufwand bis zu 1.800,00 EUR 310,00 EUR
b)
bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als 1.800,00 EUR, aber nicht mehr als 3.600,00 EUR 560,00 EUR
c)
bei einem jährlichen Mietaufwand von mehr als 3.600,00 EUR 820,00 EUR.
Der Begriff des jährlichen Mietaufwands wird in § 3 Abs. 2 ZwStS definiert als "Gesamtentgelt, das der Steuerschuldner für die Benutzung der Wohnung aufgrund vertraglicher Vereinbarungen nach dem Stand im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerpflicht für ein Jahr zu entrichten hat (Jahresrohmiete)". Gemäß § 3 Abs. 4 ZwStS finden die Vorschriften des § 79 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) entsprechend Anwendung. Mit diesen Regelungen in § 3 ZwStS ist es unvereinbar, dass die Antragsgegnerin bei der Berechnung des jährlichen Mietaufwands im Sinne von § 4 Abs. 1 ZwStS - ausweislich des den Antragsteller betreffenden Verwaltungsvorgangs - auf die Nettokaltmiete abzustellen scheint. Nach dem zitierten Satzungsrecht darf alleine auf das gesamte vom Mieter gezahlte Entgelt abgestellt werden, zu dem auch Umlagen und alle sonstigen Leistungen des Mieters, selbst an die Gemeinde gezahlte Gebühren gehören (vgl. § 79 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BewG sowie VGH Baden-Württemberg., Urteil vom 26.9.1996 - 2 S 2104/94 -). Bei einer solchen Vorgehensweise fallen unter § 4 Abs. 1 a) ZwStS nur solche Wohnungen, bei denen das monatliche Gesamtentgelt, also einschließlich Nebenkosten, höchstens 150,00 EUR (1.800,00 EUR : 12) beträgt. Während unter § 4 Abs. 1 b) ZwStS nur Wohnungen mit einem monatlichen Gesamtentgelt zwischen etwas über 150,00 EUR und 300,00 EUR (3.600,00 EUR : 12) fallen, werden alle übrigen Wohnungen, also solche mit einem monatlichen Gesamtentgelt von über 300,00 EUR, von § 4 Abs. 1 c) ZwStS erfasst. Da das für Zweitwohnungen gezahlte monatliche Gesamtentgelt nach den aus vielen Rechtsstreitigkeiten gewonnenen Erkenntnissen des Senats meistens über 300,00 EUR liegt, dürfte der (wohl deutlich) überwiegende Teil der Zweitwohnungen im Gebiet der Antragsgegnerin unter § 4 Abs. 1 c) ZwStS fallen. Dies wiederum hat zur Folge, dass die (wahrscheinlich bei weitem) meisten Inhaber von Zweitwohnungen bei korrekter Anwendung des Satzungsrechts den Steuerhöchstsatz zu zahlen haben und bei ihnen eine weitere Differenzierung hinsichtlich der zu zahlenden Jahresrohmiete nicht mehr erfolgt, so dass beispielsweise bei einer Jahresrohmiete von knapp über 3.600,00 EUR dieselbe Steuer zu entrichten ist wie bei einer Jahresrohmiete von 7.000,00 oder 12.000,00 EUR.
Eine Staffelung der Steuersätze, die den Höchstsatz bereits ab 3.600,00 EUR Jahresrohmiete vorsieht und die beschriebenen Auswirkungen hat, ist unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser verlangt, dass (Un-)Gleichbehandlungen, die durch Pauschalierungen bei der Ausgestaltung des Steuersatzes auftreten, sachlich gerechtfertigt und in ihrer Höhe verhältnismäßig sind. Nach Gruppen gestaffelte Steuersätze sind trotz der mit ihnen verbundenen Sprünge in der Steuerbelastung daher nur zulässig, wenn sachliche Erwägungen, wie z.B. Vollzugserleichterungen bei der Anwendung des Satzungsrechts, für die Inkaufnahme der sprunghaft unterschiedlichen Steuerbelastung in den Grenzbereichen sprechen (vgl. Bay.VGH, Urteil vom 4.4.2006 - 4 N 04.2798 - für einen in 7 Gruppen, und zwar bis 40.000,01 EUR jährlichen Mietaufwand gestaffelten Steuersatz). Eine sachliche Rechtfertigung dafür, trotz vom Ansatz gewählter Staffelung - bei zutreffender Anwendung des Satzungsrechts - den überwiegenden Teil der Steuerschuldner mit dem Höchststeuersatz zu belasten und damit gleich zu behandeln, obwohl zwischen Gruppen von ihnen (z.B. den Inhabern unterschiedlich großer Zweitwohnungen mit deutlich voneinander abweichendem Mietaufwand) Unterschiede von solcher Art und solchen Gewicht bestehen, dass die gleich hohe Besteuerung nicht mehr gerechtfertigt erscheint, ist nicht erkennbar. Das Ziel der praktikablen Handhabung der Steuererhebung, das im Regelfall eine Staffelung der Steuersätze im Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz alleine zu rechtfertigen vermag (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.9.1996 - 2 S 2104/94 -), kann gerade nicht mehr erreicht werden, wenn die gewählte Staffelung - wie bei der Antragsgegnerin - praktisch leerläuft bzw. funktionslos ist, weil der (wahrscheinlich weit) überwiegende Teil der Steuerschuldner in die höchste Steuerkategorie fällt.
Der Senat sieht die Bemessung der Steuersätze in § 4 Abs. 1 ZwStS ferner als unvereinbar mit Art. 105 Abs. 2 a Satz 1 GG an. Mit Aufwandsteuern soll die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die in der Vermögens- oder Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf zum Ausdruck kommt, erfasst werden (vgl. Bay. VGH, Urteil vom 4.4.2006 - 4 N 04.2798 -). Steuermaßstab und Steuersatz müssen sich daher auf den Aufwand für das Innehaben einer Zweitwohnung beziehen und ein angemessenes Verhältnis zu diesem haben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5.12.1989 - 2 BvR 436.88 - KStZ 1990, 70; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 26.9.1996 - 2 S 2104/94 -). Mit diesem Erfordernis steht es nicht in Einklang, dass die von der Antragsgegnerin erhobene Zweitwohnungsteuer nach Prozentsätzen bemessen besonders hoch ist bei einem relativ niedrigen Mietaufwand (z.B. 31,1% bei einem jährlichen Mietaufwand von knapp über 1.800,00 EUR sowie 22,8% bei einem Mietaufwand von etwas über 3.600,00 EUR), während bei einem deutlich höheren jährlichen Mietaufwand nur ein vergleichsweise geringer Prozentsatz davon als Zweitwohnungsteuer zu entrichten ist (beispielsweise bei einer Jahresrohmiete von 10.000,00 EUR nur 8,2%), und dass die prozentual zu entrichtende Steuer für die in die Kategorie des § 4 Abs. 1 c) ZwStS fallenden Zweitwohnungsinhaber umso niedriger liegt, je mehr Aufwand sie betreiben, desto leistungsstärker sie also sind.
Nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB führen die dargelegten Mängel beim Steuersatz - ebenso wie der vom Verwaltungsgericht angenommene Verstoß gegen das Erdrosselungsverbot - zu einer Gesamtunwirksamkeit der Zweitwohnungsteuersatzung der Antragsgegnerin. Denn es kann angesichts der zentralen Bedeutung der Regelungen betreffend den Steuersatz nicht angenommen werden, dass der Satzungsgeber die Satzung bei Kenntnis von der Teilunwirksamkeit auch ohne die unwirksame Teilregelung erlassen hätte. Das Verwaltungsgericht hätte daher - auch von seinem Rechtsstandpunkt aus - die aufschiebende Wirkung in voller Höhe anordnen müssen.