Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.11.2010, Az.: 10 LA 59/10

Bedeutung der Formulierung "mit ihrem Einvernehmen" in § 72 Abs. 1 S. 2 Niedersächsische Gemeindeordnung (NGO); Zulässigkeit einer rückwirkenden Vereinbarung über die finanziellen Folgen einer Aufgabenübertragung von einzelnen Mitgliedsgemeinden auf die Samtgemeinde nach der Aufgabenübertragung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.11.2010
Aktenzeichen
10 LA 59/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 28505
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2010:1109.10LA59.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 24.03.2010 - AZ: 5 A 164/08

Fundstellen

  • DVBl 2011, 58
  • FStNds 2011, 401-402
  • GK 2011, 149-154
  • Gemeindehaushalt 2011, 44
  • NdsVBl 2011, 119-120

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Mit der Formulierung "mit ihrem Einvernehmen" in § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO ist das Einvernehmen der Samtgemeinde gemeint.

  2. 2.

    Es ist möglich, die Vereinbarung nach § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO zu den finanziellen Folgen einer Aufgabenübertragung von einzelnen Mitgliedsgemeinden auf die Samtgemeinde nach dem Zeitpunkt der Aufgabenübertragung mit Rückwirkung zu schließen.

Gründe

1

Der auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag der Klägerinnen auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

2

1.

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind gegeben, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163 [1164] und vom 21. Dezember 2009 -1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062 [1063]) und sich das angegriffene Urteil im Ergebnis nicht aus anderen Gründen als offensichtlich richtig erweist (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 33 = NVwZ-RR 2004, 542 = DVBl 2004, 838).

3

Das Verwaltungsgericht hat die Klage der Klägerinnen abgewiesen, mit der diese die Feststellung begehrt haben, dass die Übernahme des ehemaligen Bauhofs der Beigeladenen durch die Beklagte ohne Zustimmung der Klägerinnen rechtswidrig gewesen sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Für die Übernahme des Bauhofs habe es nicht der Zustimmung der Klägerinnen bedurft. Es handele sich um eine Übertragung einer Aufgabe des eigenen Wirkungskreises einer Mitgliedsgemeinde auf eine Samtgemeinde i.S.d. § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO. Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift sei dafür das Einvernehmen der Samtgemeinde erforderlich. Dies habe den Zweck, ihr eine gleichberechtigte Verhandlungsposition für die nach § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO vorgeschriebene Vereinbarung zur Regelung der finanziellen Folgen der Aufgabenübertragung einzuräumen. Das Einvernehmen der Samtgemeinde sei ferner erforderlich, damit diese als selbständige öffentlich-rechtliche Körperschaft mit dem Recht der Selbstverwaltung nicht zur Änderung ihrer Hauptsatzung und damit zur Übernahme von Aufgaben gegen ihren Willen verpflichtet werde. Hingegen sei eine Zustimmung der übrigen Mitgliedsgemeinden nicht vorgesehen. Durch die Vereinbarung i.S.d. § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO sei gesichert, dass sie finanziell nicht belastet würden. Im Übrigen stünde ihnen Rechtsschutz im Rahmen einer gegen die Festsetzung der Samtgemeindeumlage gemäß § 76 Abs. 2 NGO gerichteten Anfechtungsklage zu bzw. seien sie gehalten, ihr Anliegen in den zuständigen Samtgemeindegremien durchzusetzen. Diese Auslegung entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers. Im Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts (LT-Drs. 15/1490; Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Sport, LT-Drs. 15/1835) heiße es zur Neufassung des § 72 NGO, dass durch das Erfordernis der Vereinbarung über die finanziellen Folgen mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werde, dass Mitgliedsgemeinden, die von der Übertragungsmöglichkeit keinen oder nur geringen Gebrauch machten, den finanziellen Aufwand über die Samtgemeindeumlage mitfinanzieren müssten, der bei den Samtgemeinden durch eine vermehrte Aufgabenübertragung einzelner Mitgliedsgemeinden entstehe. § 15 Abs. 4 NFAG, der für die Samtgemeindeumlage gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NGO entsprechend gelte, ermögliche es, derartige Vereinbarungen bei der Samtgemeindeumlage zu berücksichtigen. Dabei seien auch praktische Schwierigkeiten für eine angemessene und anlassgerechte Heranziehung der Mitgliedsgemeinden zu der Samtgemeindeumlage in den Fällen gesehen worden, in denen die einzelnen Mitgliedsgemeinden in erheblich unterschiedlichem Maße von der Aufgabenübertragungsmöglichkeit Gebrauch machten. Dieser Begründung sei zu entnehmen, dass der Gesetzgeber einen ausreichenden Schutz der übrigen Mitgliedsgemeinden in der gesetzlichen Verpflichtung zur Vereinbarung über die finanziellen Folgen sehe. Mit der Vereinbarung vom 5. Februar 2009 zwischen der Beklagten und der Beigeladenen über den Ausgleich von Kosten für Bauhofleistungen, die rückwirkend zum 1. Januar 2008 zur Vermeidung finanzieller Benachteiligungen der übrigen Mitgliedsgemeinden sowie aus "Gründen der Rechtssicherheit" getroffen worden sei, seien die Beklagte und die Beigeladene der in § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO normierten Verpflichtung gerecht geworden.

4

Die Klägerinnen wenden hiergegen ein: Die Formulierung "mit ihrem Einvernehmen" in § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO beziehe sich auf die davor genannten Mitgliedsgemeinden. Dies entspreche dem üblichen Sprachgebrauch, wonach sich die Formulierung "mit ihrem" auf das letzte davor im Plural stehende Substantiv beziehe. Auch nach Sinn und Zweck der Norm könnten einzelne Mitgliedsgemeinden nur dann Aufgaben des eigenen Wirkungskreises auf die Samtgemeinde übertragen, wenn die übrigen Mitgliedsgemeinden ihr Einvernehmen erteilten. Denn bei der zweiten Regelungsalternative des § 72 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO handele es sich um eine Schutzvorschrift zugunsten solcher Mitgliedsgemeinden, die keine entsprechenden Aufgaben übertrügen. Mit jeder Übertragung würden zwangsläufig auch die Kosten zur Wahrnehmung der übertragenen Aufgabe auf die Samtgemeinde verlagert. Dies berge die Gefahr, dass sich einzelne Mitgliedsgemeinden zu Lasten der übrigen Mitgliedsgemeinden dadurch wirtschaftliche Vorteile verschafften, dass diese Kosten über die Samtgemeindeumlage von den übrigen Mitgliedsgemeinden anteilig getragen werden müssten. Unter Berücksichtigung der Gewährleistung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts sei es zwingend geboten, den potenziell nachteilig betroffenen Mitgliedsgemeinden ein effektives Mittel an die Hand zu geben, um dies zu verhindern. Hielten die übrigen Mitgliedsgemeinden die Vereinbarung für gerecht, bestünde für sie kein Grund, ihr Einvernehmen zur Aufgabenübertragung zu verweigern. Andernfalls müssten sie die Aufgabenübertragung verhindern können. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die übrigen Mitgliedsgemeinden seien durch § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO hinreichend geschützt, verkenne, dass die übrigen Mitgliedsgemeinden auf die Vereinbarungen keinen Einfluss nehmen könnten. Denn § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO regele nicht, welchen Inhalt die Vereinbarungen haben müssten. Gerade der vorliegende Fall, in welchem der Gemeindedirektor der Beigeladenen zugleich der Samtgemeindebürgermeister und Kämmerer der Beklagten sei und die Klägerinnen im Samtgemeinderat insgesamt nur fünf von 21 Sitzen hätten, zeige, dass nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden könne, mit einer Vereinbarung i.S.d. § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO würden alle Kosten, die mit einer singulären Aufgabenübertragung verbunden seien, gerecht verteilt. Bedürfte es nicht ihres Einvernehmens, hätten es die Beklagte und die hoch verschuldete Beigeladene in der Hand, einen erheblichen Teil der Kosten für die Erfüllung der eigenen Aufgaben der Beigeladenen auf sie - die finanziell wesentlich besser gestellten Klägerinnen - "abzuwälzen". Eine Samtgemeinde müsse aber die Finanzhoheit ihrer Mitgliedsgemeinden wahren und respektieren. Zudem wäre es widersprüchlich, bei der Aufgabenübertragung durch nur einzelne Mitgliedsgemeinden das Einvernehmen der Samtgemeinde zu verlangen, nicht hingegen bei der in der ersten Regelungsalternative des § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO vorgesehenen einheitlichen Aufgabenübertragung durch alle Mitgliedsgemeinden, die viel umfangreicher sei. Aus dem vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 22. Dezember 1986 (2 OVG A 197/85) ergebe sich, dass es zumindest auch der Zustimmung der übrigen Mitgliedsgemeinden bedürfe, um wirksam Aufgaben einer Mitglieds- auf die Samtgemeinde zu übertragen. Denn das Oberverwaltungsgericht habe zu § 72 Abs. 1 NGO a.F., wonach Aufgaben des eigenen Wirkungskreises nur von allen Mitgliedsgemeinden übertragen werden konnten, entschieden, dass eine solche Übertragung nur möglich sei, wenn auch der Samtgemeinderat eine entsprechende Erweiterung des Aufgabenbestands in der Hauptsatzung beschließe. Danach sei eine Samtgemeinde bereits davor geschützt, dass ihr ohne ihre Zustimmung bzw. gegen ihren Willen Aufgaben des eigenen Wirkungskreises ihrer Mitgliedsgemeinden übertragen würden. Es könne davon ausgegangen werden, dass dem Gesetzgeber diese Rechtsprechung bei der Änderung des § 72 Abs. 1 NGO bekannt gewesen und er somit davon ausgegangen sei, dass Samtgemeinden bereits effektiv davor geschützt seien, dass ihnen gegen ihren Willen Aufgaben übertragen werden könnten. Daher könne sich der Passus "mit ihrem Einvernehmen" in § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO n.F. sinnvoller Weise nur auf die Mitgliedsgemeinden beziehen. Darüber hinaus sei es notwendig, dass Vereinbarungen i.S.d. § 72 Abs. 1 Satz 4 NGOvor der Aufgabenübertragung geschlossen würden. Nur so könne verhindert werden, dass durch eine Aufgabenübertragung seitens einzelner Mitgliedsgemeinden Kosten auf die anderen Mitgliedsgemeinden verlagert würden. Hier habe im Zeitpunkt der Aufgabenübertragung zum 1. Januar 2008 keine Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Beigeladenen vorgelegen. Diese sei erst am 5. Februar 2009 geschlossen worden.

5

Aus diesem Vorbringen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.

6

a)

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Formulierung "mit ihrem Einvernehmen" in § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO in der seit dem 30. April 2005 geltenden Fassung vom 22. April 2005 (Nds. GVBl. S. 110) das Einvernehmen der Samtgemeinde und nicht das Einvernehmen der übrigen Mitgliedsgemeinden gemeint ist.

7

Hierfür spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift. Da sich das Wort "ihnen" zweifelsfrei auf die zuvor erwähnten Samtgemeinden bezieht, ist davon auszugehen, dass sich das Wort "ihrem" ebenfalls auf diese beziehen soll. Hätte es sich auf "alle Mitgliedsgemeinden" beziehen sollen, hätte es nahe gelegen, stattdessen das Wort "deren" zu wählen.

8

Es entspricht auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift, das Einvernehmen der Samtgemeinde und nicht der übrigen Mitgliedsgemeinden zu verlangen. Denn ursprünglich erfüllten die Samtgemeinden nach § 72 Abs. 1 NGO a.F. neben den gesetzlich vorgesehenen Aufgaben nur solche Aufgaben des eigenen Wirkungskreises der Mitgliedsgemeinden, die ihnen von allen Mitgliedsgemeinden übertragen wurden. Durch die mit Änderung zum 30. April 2005 eingefügte Ergänzung sollte dem immer wieder aufgetretenen praktischen Bedürfnis Rechnung getragen werden, der Samtgemeinde die Wahrnehmung von Aufgaben einer oder mehrerer Mitgliedsgemeinden auch dann übertragen zu können, "wenn nicht alle Mitgliedsgemeinden einheitlich so verfahren" (Begründung des von den Koalitionsfraktionen unter dem 14. März 2005 unterbreiteten Änderungsvorschlag in der Vorlage 10 zur LT-Drs. 15/1490). Würde gleichwohl das Einvernehmen sämtlicher Mitgliedsgemeinden zu einer Aufgabenübertragung durch eine einzelne Mitgliedsgemeinde verlangt, würde dies der Zielsetzung einer erleichterten Aufgabenübertragung nicht gerecht. Durch die Bindung der Aufgabenübertragung an das Einvernehmen der Samtgemeinde soll vielmehr das Zustandekommen der Vereinbarung über die finanziellen Folgen der Aufgabenübertragung gesichert werden (Vorlage 10 zur LT-Drs. 15/1490). Dafür, dass mit der Formulierung "mit ihrem Einvernehmen" in § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO das Einvernehmen der Samtgemeinde gemeint ist, spricht auch, dass durch die Aufgabenübertragung seitens einzelner Mitgliedsgemeinden auf die Samtgemeinde zunächst allein diese belastet wird, sofern die Aufgabenübertragung bei ihr nicht zu finanziellen Vorteilen - etwa zu einem Gebühren- und Beitragserhebungsrecht - führt. Die Samtgemeinde kann von den Mitgliedsgemeinden gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NGO nur dann eine Umlage erheben, soweit ihre sonstigen Einnahmen den Bedarf nicht decken, wobei die Durchführung des samtgemeindeinternen Finanzausgleichs in ihrem Ermessen steht (LT-Drs. 7/1654, S. 8).

9

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem von den Klägerinnen zitierten Urteil des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 22. Dezember 1986 (2 OVG A 197/85 -, n.v.). Das Oberverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung zu § 72 Abs. 1 NGO a.F., wonach eine Übertragung weiterer Aufgaben des eigenen Wirkungskreises nur durch alle Mitgliedsgemeinden möglich war, festgestellt, dass eine Aufgabe nur dann wirksam durch alle Mitgliedsgemeinden auf die Samtgemeinde übertragen wird, wenn der Samtgemeinderat eine entsprechende Erweiterung des Aufgabenbestands seiner Hauptsatzung beschließt (vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 3. März 2006 - 9 KN 135/03 -, n.v.). Daran anknüpfend hat es entschieden, dass - obwohl eine Änderung der Hauptsatzung bereits mit einer Mehrheitsentscheidung möglich ist - eine Aufgabenübertragung nach § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO a.F. nur stattfinden könne, wenn alle Mitgliedsgemeinden der Übertragung zustimmten. Die Entscheidung stellt insoweit lediglich klar, dass nicht über eine bloße Mehrheitsentscheidung eine Übertragung von Aufgaben aller Mitgliedsgemeinden auf die Samtgemeinde möglich ist. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass es für eine Aufgabenübertragung durch eine einzelne Mitgliedsgemeinde auf die Samtgemeinde nicht deren Einvernehmens bedarf. Dieses ist vielmehr unabhängig von der Änderung der Hauptsatzung erforderlich, um der Samtgemeinde eine gleichberechtigte Verhandlungsposition für die Vereinbarung i.S.d. § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO einzuräumen (vgl. Thiele, NGO, 8. Aufl. 2007, § 72 Erl. 2), deren Zustandekommen durch das Einvernehmenserfordernis gesichert werden soll (s.o.).

10

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass dem Schutz der übrigen Mitgliedsgemeinden vor finanziellen Belastungen nicht durch § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO, sondern anderweitig Rechnung getragen werden soll. Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO sind die finanziellen Folgen einer Aufgabenübertragung nur von einzelnen Mitgliedsgemeinden durch Vereinbarungen zu regeln. Dadurch sollte mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass Mitgliedsgemeinden, die von der Übertragungsmöglichkeit keinen oder nur geringen Gebrauch machten, denjenigen finanziellen Aufwand über die Samtgemeindeumlage mitfinanzieren müssen, der bei den Samtgemeinden durch eine vermehrte Aufgabenübertragung durch einzelne Mitgliedsgemeinden entsteht (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inneres und Sport, LT-Drs. 15/2124 zu Nummer 22 (§ 72)). Nach § 76 Abs. 2 Satz 1 NGO i.V.m. § 15 Abs. 4 NFAG kann die Samtgemeinde die finanziellen Folgen von Vereinbarungen zwischen ihr und einer oder mehrerer Gemeinden, durch die von der allgemeinen Verteilung der Aufgaben zwischen der Samtgemeinde und den Mitgliedsgemeinden abgewichen wird, bei der Samtgemeindeumlage berücksichtigen. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NGO i.V.m. § 15 Abs. 3 Satz 3 NFAG sind die kreisangehörigen Gemeinden und Samtgemeinden rechtzeitig vor der Festsetzung der Umlage zu hören. Ist eine Mitgliedsgemeinde der Auffassung, die Samtgemeinde habe bei der Durchführung des samtgemeindeinternen Finanzausgleichs von dem ihr dabei eingeräumten Ermessen rechtsfehlerhaft Gebrauch gemacht und sie werde im Rahmen der Samtgemeindeumlage zu Unrecht zu bestimmten Kosten herangezogen, kann sie mit einer Anfechtungsklage gegen den Heranziehungsbescheid vorgehen.

11

Auch die Gesetzesmaterialien bestätigen, dass mit der Formulierung "in ihrem Einvernehmen" das Einvernehmen der Samtgemeinde gemeint ist. In der Begründung der von den Koalitionsfraktionen vorgeschlagenen Änderung von § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO heißt es wörtlich: "Die Aufgabenübertragung durch eine Mitgliedsgemeinde ist an das Einvernehmen der Samtgemeinde gebunden" (Vorlage 10 zur LT-Drs. 15/1490). In der 70. Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport am 16. März 2005 wies der Vertreter des Gesetz- und Beratungsdienstes darauf hin, dass in § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO in der Fassung des Änderungsvorschlags der Koalitionsfraktionen klargestellt werden müsse, dass mit den Worten "mit ihrem Einvernehmen" nicht das Einvernehmen der Mitgliedsgemeinden, sondern das Einvernehmen der Samtgemeinde gemeint sei (vgl. den Auszug aus der Niederschrift über die 70. Sitzung des Ausschusses für Inneres und Sport vom 16. März 2005 - II / 6 / He / ehl / 070ISnö, S. 9). In der Plenarsitzung am 20. April 2005 im Landtag äußerte der Redner einer der Koalitionsfraktionen: "Für einzelne Mitgliedsgemeinden wird es künftig einfacher, Aufgaben an die Samtgemeinde zu übertragen, ... Es ist keine Einstimmigkeit mehr erforderlich, die vorher das ein oder andere verhindert hat. Künftig reicht es aus, wenn man mit der Samtgemeinde eine einvernehmliche Regelung über die Kosten erzielt" (Sten. Prot., 15. WP, 58. Plenarsitzung am 20. April 2005, S. 6502). Demgegenüber wird an keiner Stelle davon ausgegangen, dass mit der Formulierung "mit ihrem Einvernehmen" das Einvernehmen der übrigen Mitgliedsgemeinden gemeint sei.

12

b)

Aus dem Vorbringen der Klägerinnen ergeben sich auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass eine Vereinbarung gemäß § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO auch rückwirkend mit Wirkung zum Zeitpunkt der Aufgabenübertragung geschlossen werden kann. § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO enthält keine zeitlichen Vorgaben für die Vereinbarung. Soweit der Gesetzgeber besondere Anforderungen an Vereinbarungen zwischen Samtgemeinden und ihren Mitgliedsgemeinden für erforderlich gehalten hat, hat er dies ausdrücklich klargestellt (vgl. § 72 Abs. 8 NGO). Die Stellung von § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO hinter § 72 Abs. 1 Satz 2 NGO lässt ebenfalls nicht darauf schließen, dass die Vereinbarung zwingend vor der Aufgabenübertragung zu schließen ist. Auch die Gesetzesmaterialien enthalten keine zeitlichen Vorgaben. Für den Schutz der finanziellen Interessen der übrigen Mitgliedsgemeinden ist nicht der Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung nach § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO, sondern ihr Inhalt maßgebend. Ist eine Mitgliedsgemeinde der Auffassung, sie werde im Rahmen der Samtgemeindeumlage zu Unrecht zu bestimmten Kosten herangezogen, kann sie - wie bereits ausgeführt - mit einer Anfechtungsklage gegen den Heranziehungsbescheid vorgehen.

13

2.

Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Frage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung und Anwendung geboten erscheint (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 21. Januar 2009 - 1 BvR 2524/06 -, NVwZ 2009, S. 515 [518]; vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, 3642 [3643]; vom 8. Dezember 2009 - 2 BvR 758/07 -, NVwZ 2010, 634 [641]). Dies ist nicht der Fall, wenn sich eine aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt (BVerwG, Beschlüsse vom 25. Januar 2010 -BVerwG 4 B 53.09 -, NVwZ 2010, 593 = ZfBR 2010, 285 = BauR 2010, 874).

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Die Klägerinnen sind der Auffassung, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, im Hinblick auf die Fragen, "ob es zur wirksamen Übertragung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises durch einzelne Mitgliedsgemeinden auf eine Samtgemeinde des Einvernehmens der übrigen Mitgliedsgemeinden bedarf und ob es in einem solchen Fall bereits im Zeitpunkt der Aufgabenübertragung einer Folgekostenvereinbarung i.S.d. § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO bedarf oder ob eine solche Vereinbarung noch nachfolgend mit Rückwirkung abgeschlossen werden kann."

15

Soweit die Klägerinnen die Frage für grundsätzlich bedeutsam halten, ob es zur wirksamen Übertragung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises durch einzelne Mitgliedsgemeinden auf eine Samtgemeinde des Einvernehmens der übrigen Mitgliedsgemeinden bedarf, lässt sich diese Frage - wie aufgezeigt - mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig verneinen.

16

Die von den Klägerinnen für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob es in dem Fall, dass es zur wirksamen Übertragung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises durch einzelne Mitgliedsgemeinden auf eine Samtgemeinde des Einvernehmens der übrigen Mitgliedsgemeinden bedürfe, bereits im Zeitpunkt der Aufgabenübertragung einer Folgekostenvereinbarung i.S.d. § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO bedürfe oder ob eine solche Vereinbarung nachfolgend mit Rückwirkung abgeschlossen werden könne, ist schon nicht entscheidungserheblich. Denn sie wird von den Klägerinnen nur für den Fall gestellt, dass das Einvernehmen der übrigen Mitgliedsgemeinden zur Aufgabenübertragung durch einzelne Mitgliedsgemeinden auf die Samtgemeinde erforderlich ist. Dies ist aus den genannten Gründen nicht der Fall.

17

Selbst wenn im Hinblick auf die zweite aufgeworfene Frage die einleitende Formulierung, "in einem solchen Fall" dahin ausgelegt würde, dass damit nicht das Einvernehmenserfordernis der übrigen Mitgliedsgemeinden, sondern die Übertragung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises durch einzelne Mitgliedsgemeinden auf eine Samtgemeinde gemeint ist, wäre die Berufung nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Denn die Frage, ob es bereits im Zeitpunkt der Aufgabenübertragung einer Folgekostenvereinbarung i.S.d. § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO bedarf oder ob eine solche Vereinbarung nachfolgend mit Rückwirkung abgeschlossen werden kann, lässt sich - wie ausgeführt - mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres dahin beantworten, dass letzteres möglich ist.

18

3.

Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

19

Die Klägerinnen halten die Rechtssache im Hinblick auf die Fragen für rechtlich besonders schwierig, "ob die Übertragung von Aufgaben des eigenen Wirkungskreises seitens einzelner Mitgliedsgemeinden auf die Samtgemeinde des Einvernehmens der übrigen Mitgliedsgemeinden bedarf und ob in einem solchen Fall eine Folgekostenvereinbarung i.S.d. § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO schon im Zeitpunkt der Aufgabenübertragung zwingend vorliegen muss oder auch noch zu einem späteren Zeitpunkt (rückwirkend) geschlossen werden kann".

20

Die erste Frage lässt sich aus den genannten Gründen ohne besondere rechtliche Schwierigkeiten eindeutig verneinen.

21

Die zweite Frage ist - wie ausgeführt - nicht entscheidungserheblich. Selbst wenn die Formulierung, "in einem solchen Fall" wie oben geschehen ausgelegt würde, wäre die Berufung nicht wegen besonderer rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen, weil sich - wie ausgeführt - die Frage, ob eine Folgekostenvereinbarung i.S.d. § 72 Abs. 1 Satz 4 NGO schon im Zeitpunkt der Aufgabenübertragung zwingend vorliegen muss oder auch noch zu einem späteren Zeitpunkt rückwirkend geschlossen werden kann, ohne besondere rechtliche Schwierigkeiten dahin beantworten lässt, dass letzteres möglich ist.

22

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für nicht erstattungsfähig zu erklären, weil sie einen eigenen Antrag nicht gestellt und sich damit einem Kostenrisiko gemäß § 154 Abs. 3 VwGO nicht ausgesetzt hat (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).

24

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung von Ziff. 22.7 des Streitwertkatalogs 2004 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327 = DVBl. 2004, 1525). Gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG wird die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts entsprechend geändert.