Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 09.08.2023, Az.: 2 A 111/20
Asylfolgeantrag; wiederholter Asylfolgeantrag; Folgeantrag; Iran; Konversion; Qualitätssprung; Qualitätsumschlag; Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei einem (wiederholten) Folgeantrag wegen Konversion zum christlichen Glauben
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 09.08.2023
- Aktenzeichen
- 2 A 111/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 47603
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2023:0809.2A111.20.00
Rechtsgrundlagen
- AsylG § 3
- AsylG § 71 Abs. 1 S. 1
- VwVfG § 51
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Auch der nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylfolgeantrags erneut gestellte Asylantrag ist als Folgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG anzusehen.
- 2.
Ob eine die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens rechtfertigende Sachverhaltsänderung eingetreten ist, ist bei einem wiederholten Folgeantrag in Bezug auf die in dem Asylerstverfahren des Schutzsuchenden als entscheidungserheblich zugrunde gelegte Sachlage zu prüfen.
- 3.
Ein Qualitätssprung, der im Fall der behaupteten Konversion die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens eröffnet, ist nicht erst dann anzunehmen, wenn weitere, mit den bisherigen nicht mehr vergleichbare Aktivitäten entwickelt werden. Für einen Qualitätssprung kann vielmehr eine vertieftere Hinwendung zum neuen Glauben durch eine sich vertiefende religiöse Überzeugung oder Praxis ausreichen.
Tatbestand
Die Klägerin ist nach eigenen Angaben iranische Staatsangehörige persischer Volkszugehörigkeit. Sie wendet sich dagegen, dass die Beklagte ihren erneuten Asylfolgeantrag als unzulässig abgelehnt hat.
Die Klägerin reiste nach eigenen Angaben erstmals 2014 in das Bundesgebiet ein und stellte erstmals am 15. Januar 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Asylantrag. Sie wurde ausweislich der seinerzeit vorgelegten Taufurkunde am 16. August 2015 in F. getauft. Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt am 3. Juli 2017 gab sie zur Begründung ihres Antrages im Wesentlichen an, sie sei im Iran durch ihre Schwester zum Christentum übergetreten, habe dort an Hausgottesdiensten teilgenommen und sei in der Hauskirchengruppe dann auch aktiv gewesen. Nach einer Sitzung der Hauskirche habe jemand unter unbekannter Nummer bei ihr angerufen und ihr gesagt, der Hausgottesdienst sei von der Regierung "erwischt" worden. Sie habe ihren Bruder von dem Anruf erzählt, der sie zu einem Freund gebracht habe. Dann seien die Sicherheitskräfte bei ihnen zuhause gewesen und hätten bei Durchsuchung der Wohnung ihren Laptop und die christlichen Unterlagen gefunden. Sie sei dann mit einem italienischen Visum über den Flughafen in Teheran ausgereist. Der Schleuser habe zwar gesagt, der Landweg sei sicherer. Er habe dann aber einen höheren Preis angeboten, um das Ganze selbst zu organisieren; das Geld sei u.a. für die Passkontrolle gewesen. In Deutschland praktiziere sie ihren Glauben, indem sie in die Kirche gehe und dort bete. Früher hätten sie in der Kirche auch gemeinsam Texte gelesen, diese iranische Veranstaltung finde aber nicht mehr statt. Auf die Frage, ob sie mit anderen Menschen über ihren Glauben spreche, die nicht der Kirchengemeinde angehörten, erklärte die Klägerin, dies tue sie, so wie sie es jetzt tue; sie versuche, die Freundlichkeit beizubehalten.
Das Bundesamt lehnte diesen ersten Asylantrag mit Bescheid vom 31. Juli 2017 ab und stellte fest, dass auch keine Abschiebungsverbote vorliegen. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Lüneburg erhobene Klage nahm die Klägerin nach dem Hinweis des Gerichts, dass eine unterschriebene Klageschrift erst nach Ablauf der Klagefrist eingegangen sei, zurück. Das Gericht stellte das Verfahren daraufhin mit Beschluss vom 21. Juni 2018 ein (Aktenzeichen 5 A 420/17).
Mit Anwaltsschreiben vom 11. Juli 2017 stellte die Klägerin sodann einen weiteren Asylantrag, wobei sie sich zur Begründung erneut auf Konversion zum Christentum berief. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 11. September 2019 ab. Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, die Klägerin habe sich bereits im vorangegangenen Verfahren auf Konversion berufen. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Verfahrens seien daher nicht erfüllt. Die Klägerin erhob gegen den Bescheid Klage beim Verwaltungsgericht Hannover. Im gerichtlichen Verfahren legte die Klägerin unter anderem Unterlagen zu ihrem Facebook-Account vor, aus denen sich nach ihren Angaben zahlreiche Posts mit christlichem Inhalt ergäben, sowie eine Bescheinigung der Missionsgemeinde G., nach der die Klägerin an missionarischen Einsätzen teilgenommen hat. Nach Rücknahme der Klage stellte das Gericht das Verfahren mit Beschluss vom 6. September 2019 ein (Aktenzeichen 6 A 6065/18).
Am 7. November 2019 stellte die Klägerin erneut beim Bundesamt einen Asylantrag. Dabei gab sie schriftlich an, sie besuche Seminare im Zusammenhang mit dem Christentum und sei auf Facebook sehr aktiv in Bezug auf das Christentum. Sie habe als "Missionar" in G. mitgeholfen. Während ihres Aufenthalts in England habe sie drei Personen zur Konversion zum Christentum animiert. Außerdem habe sie Probleme mit ihrer Familie "wegen Nichtakzeptanz einer arrangierten Ehe".
Im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt am 5. Dezember 2019 führte die Klägerin zur Begründung ihres erneuten Asylantrages im Wesentlichen Folgendes aus:
Sie sei Christin und habe deswegen ihr Land verlassen. Seit einiger Zeit missioniere sie auf Facebook. Heute sei sie wegen ihrer Familie hier. Es handele sich um eine ganz religiöse und traditionelle Familie. Sie müssten untereinander heiraten. Sie sei verlobt gewesen mit ihrem Cousin. Er warte noch auf sie und wolle, dass sie ihn heirate. Sie habe aber einen Freund, der Christ sei, und sei seit ungefähr 2015 nicht mehr Jungfrau. Sie habe ihrem Verlobten gesagt, dass sie jetzt Christin sei, und auf ihre Facebook-Seite verwiesen. Ihr Verlobter habe sie daraufhin bedroht. Er arbeite für Basij. Er habe gesagt, sie gehöre jetzt zu den Apostaten und er werde sie irgendwann töten. Ihr Vater habe ihr inzwischen gesagt, dass sie nicht mehr seine Tochter sei, sie sei eine Schande für ihre Familie. Ihr gehe es psychisch sehr schlecht.
Mit Bescheid vom 21. April 2020 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab. Auch den Antrag auf Abänderung des Bescheides vom 31. Juli 2017 bezüglich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG lehnte die Behörde ab. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete das Bundesamt auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise. Zur Begründung führte das Bundesamt im Wesentlichen aus: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens seien nicht erfüllt. Die Klägerin habe sich auf Sachverhalte berufen, die sie bereits in den vorangegangenen Asylverfahren hätte vortragen können. Die behauptete Gefährdung habe sie auch nicht glaubhaft gemacht; insbesondere seien ihre Angaben zu den Telefonaten mit ihrem Cousin und ihrem Vater oberflächlich. Detaillierte Angaben und überzeugende Nachweise zu ihren christlichen Aktivitäten im Internet fehlten. Festzustellen sei, dass ein zutiefst verinnerlichter Glaubenswechsel von der Klägerin nicht vollzogen worden sei. Es sei davon auszugehen, dass die Klägerin in ihren Familienverband zurückkehren könne.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 30. April 2020 Klage erhoben. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend: Sie sei inzwischen, am 7. November 2021, konfirmiert worden. Dazu hat sie eine Bescheinigung der Gartenkirche H., C-Stadt, vorgelegt (Bl. 64 Gerichtsakte). Spätestens dieses Ereignis stelle einen Umstand dar, der die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens erfordere. Sie wirke als Ministrantin an Gottesdiensten der Gartenkirche mit. Zu ihrer Einbindung in die Kirchengemeinde beruft sie sich auf Bescheinigungen der Gartenkirche vom 13. Juli 2021 und 5. Juli 2023, auf die wegen des Inhalts verwiesen wird (Bl. 42 und 117 Gerichtsakte). Außerdem habe sie bei der "Global University" einen Kurs in christlicher Lebensweise absolviert und ein entsprechendes Zertifikat (Bl. 60 Gerichtsakte) erworben. Im April 2022 habe sie an der Osterkonferenz der Stiftung Hensoltshöhe und des Bayerischen Jugendverbades "Entscheidung für Christus" mitgearbeitet; dazu verweist sie auf eine Bescheinigung der Stiftung (Bl. 84 Gerichtsakte). Sie habe sich an Demonstrationen gegen das iranische Regime beteiligt. Seit Jahren sei sie wegen psychischer Probleme in fachärztlicher Behandlung.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 21. April 2020 aufzuheben und hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 21. April 2020 und unter Abänderung des Bescheides vom 31. Juli 2017 zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, nach allen Umständen müsse von einer "Opportunitätskonversion" ausgegangen werden, eine die religiöse Identität prägende Glaubenszuwendung liege nicht vor. Die vorliegenden Unterlagen reichten auch nicht aus, um von einem Abschiebungsverbot wegen posttraumatischer Belastungsstörung ausgehen zu können.
Das Amtsgericht C-Stadt hat mit Beschluss vom 30. März 2021 für die Klägerin eine Betreuerin bestellt. In der Begründung heißt es, dies sei aufgrund der ärztlichen Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung mit im Vordergrund stehender depressiver Symptomatik erforderlich.
In der mündlichen Verhandlung hat das Gericht die Klägerin informatorisch angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die das Gericht gemäß § 102 Abs. 2 VwGO entscheiden kann, obwohl kein Vertreter der Beklagten an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, ist zulässig (I.) und begründet (II.).
I. Die von der Klägerin mit dem Hauptantrag erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft. Unter Berücksichtigung der Änderungen, die das Asylgesetz durch die Regelungen des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 erfahren hat, ist die Entscheidung des Bundesamtes, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig ist, als Verwaltungsakt zu qualifizieren und im Hauptsachverfahren allein mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Eine Verpflichtungsklage, die auf das "Durchentscheiden" des Verwaltungsgerichts gerichtet ist, mit der also die Verpflichtung des Bundesamtes zur Asylgewährung bzw. zur Zuerkennung des internationalen Schutzes begehrt wird, ist nicht mehr statthaft; auch eine auf die Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens gerichtete Verpflichtungsklage ist nicht zulässig, weil das Bundesamt nach Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung automatisch dazu verpflichtet ist, ein Asylverfahren durchzuführen (s. zu allem: BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 16 f., 19 = ZAR 2017, 236). Hilfsweise ist hinsichtlich der Entscheidung des Bundesamtes, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG abzulehnen, eine Verpflichtungsklage statthaft, wie sie auch die Klägerin mit ihrem Hilfsantrag erhoben hat (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 20).
II. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamtes ist rechtswidrig. Das Bundesamt hat den erneuten Asylantrag der Klägerin zu Unrecht als unzulässig abgelehnt.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn es sich um einen Folgeantrag nach § 71 AsylG handelt, auf den ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Folgeantrag ist nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ein erneuter Asylantrag, den der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags stellt. Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG in Verbindung mit § 51 Abs. 1 VwVfG hat das Bundesamt auf einen Folgeantrag ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn sich die dem unanfechtbaren Bescheid des Bundesamtes zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Schutzsuchenden geändert hat, wenn neue Beweismittel vorliegen, die eine ihm günstigere Entscheidung herbeigeführt hätten, oder wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind. Die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens setzt außerdem voraus, dass der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG). Die Regelung in § 51 Abs. 3 VwVfG in Verbindung mit § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG, nach der ein Folgeantrag binnen drei Monaten gestellt werden muss, gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für asylrechtliche Folgeanträge dagegen nicht mehr. Denn Art. 40 der Richtlinie 2013/32 (Verfahrensrichtlinie) sieht solche Fristen nicht vor und ermächtigt auch die Mitgliedstaaten nicht dazu, Fristen dieser Art zu bestimmen. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Europarechts ist die Regelung in § 51 Abs. 3 VwVfG daher für Asylfolgeanträge nicht mehr anzuwenden (vgl. zu allem: EuGH, Urteil vom 09.09.2021 - C-18/20 -, juris Rn. 55 und Bergmann in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl., § 71 Rn. 21 sowie Funke-Kaiser in: GK-AsylG, Stand: Juli 2023, § 71 Rn. 294). Die danach bei einem Folgeantrag für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geltenden Voraussetzungen sind hier erfüllt.
1. Bei dem erneuten Asylantrag der Klägerin handelt es sich um einen Folgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Als frühere Asylanträge im Sinne dieser Regelung sind auch Folgeanträge anzusehen, sodass auch der nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines Asylfolgeantrags erneut gestellte Asylantrag als Folgeantrag zu qualifizieren ist (vgl. § 13 Abs. 1 AsylG und Marx, AsylG, 11. Aufl., § 71 Rn. 5).
2. Die Sachlage hat sich im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachte Konversion nachträglich zu ihren Gunsten geändert.
a) Eine Sachlagenänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG kann nur dann angenommen werden, wenn sich aus dem substanziierten und glaubhaft gemachten Vortrag des Folgeantragstellers ergibt, dass sich die im vorangegangenen Verfahren als entscheidungserheblich zugrunde gelegte Sachlage tatsächlich zu seinen Gunsten verändert hat und nach dem veränderten Sachverhalt eine für ihn günstigere Entscheidung zumindest möglich ist (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 71 Rn. 219; Broscheit, ZAR 2021, 190, 192). Ob sich die Sachlage geändert hat, ist unter Gegenüberstellung der im vorangegangenen Asylverfahren als entscheidungserheblich zugrunde gelegten Sachlage und der nunmehr bestehenden Sachlage zu ermitteln (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 71 Rn. 203). Bei einem erneuten Folgeantrag sind die Änderungen zu berücksichtigen, die sich seit dem Abschluss des vorangegangenen Folgeverfahrens ergeben haben; denn über Änderungen, die vor diesem Zeitpunkt eingetreten sind, ist in dem bzw. den vorangegangenen Folgeverfahren unanfechtbar entschieden worden. Ob eine die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens rechtfertigende Sachverhaltsänderung eingetreten ist, ist bei einem wiederholten Folgeantrag nach unanfechtbarer Ablehnung des Asylantrags im Asylerstverfahren in Bezug auf die in diesem ersten Verfahren als entscheidungserheblich zugrunde gelegte Sachlage zu entscheiden (vgl. Broscheit, a.a.O., S. 191). Dies ergibt sich schon aus Wortlaut und Zweck des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Der wegen einer Sachverhaltsänderung erfolgreiche Folgeantrag eröffnet die Durchführung eines "weiteren Verfahrens", also eines regulären Asylverfahrens ohne die bei Folgeanträgen geltenden Prüfungsbeschränkungen. Der Sachverhalt muss sich daher in Bezug auf das Erstverfahren geändert haben, weil es sich dabei in diesen Fällen um das bislang einzige einschränkungslos mit grundsätzlich vollem Prüfungsprogramm durchgeführte Asylverfahren handelt (vgl. dazu auch Dickten in: BeckOK Ausländerrecht, Stand: 01.07.2023, § 71 AsylG Rn. 17). Für die Beurteilung, ob neue Umstände vorliegen, aus denen sich eine Sachlagenänderung ergibt, ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen bzw. - sofern die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergeht - auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG und Funke-Kaiser, a.a.O., § 71 Rn. 200).
Eine Änderung der Sachlage kann auch dann vorliegen, wenn sich der Schutzsuchende erneut auf eine Konversion beruft, die er bereits in einem vorangegangenen Asylverfahren vorgetragen hatte. Da es sich bei der (behaupteten) Konversion um einen sogenannten Dauersachverhalt handelt, der sich kontinuierlich entwickelt, ist eine Sachlagenänderung in diesen Fällen aber grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn sich die Hinwendung zu der neuen Religion so weit konkretisiert hat, dass ein "Qualitätssprung" bzw. "Qualitätsumschlag" erkennbar ist. Die Hinwendung zum neuen Glauben muss also eine derart neue Qualität erreicht haben, dass eine Neubewertung des Glaubenswechsels und die Durchführung eines regulären Asylverfahrens ohne die Prüfungsbeschränkungen des Folgeantragsverfahrens angezeigt sind (vgl. dazu VG Aachen, Urteil vom 14.11.2022 - 10 K 1630/21.A -, juris Rn. 39 f.; VG Braunschweig, Urteil vom 19.03.2021 - 2 A 140/19 -; Marx, a.a.O., § 71 Rn. 58; Dickten, a.a.O., § 71 Rn. 18; Broscheit, a.a.O., S. 192).
Wann ein solcher "Qualitätssprung" in den Konversionsfällen anzunehmen ist, wird nicht einheitlich beurteilt. Teilweise wird verlangt, dass "weitere, mit den bisherigen nicht mehr vergleichbare Aktivitäten entwickelt werden und dass diese Aktivitäten nach außen hin eine neue Qualität hervorbringen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte" (so z.B. VG Aachen, Urteil vom 14.11.2022, a.a.O., Rn. 41; VG Würzburg, Beschluss vom 08.05.2018 - W 1 S 18.30820 -, juris Rn. 21). Dies überzeugt hingegen nicht. Die Durchführung eines neuen Asylverfahrens nur bei gänzlich neuen Aktivitäten des Schutzsuchenden zu eröffnen, ist schon mit dem Wortlaut des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG und des Art. 40 Abs. 2 und 3 der Verfahrensrichtlinie nicht vereinbar. Diese Regelungen stellen ab auf die "Sachlage" bzw. "neue Elemente oder Erkenntnisse" und enthalten damit keine Beschränkung auf "neue Aktivitäten" des Schutzsuchenden. Eine Beschränkung auf "Aktivitäten", die mit den bisherigen "nicht vergleichbar" sind, lässt sich auch nicht mit dem in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Recht auf Religionsfreiheit vereinbaren. Dieses Recht schützt die religiöse Identität als innere Tatsache, die nach dem Vorbringen des Schutzsuchenden sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen festzustellen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23/12 -, juris Rn. 31 = BVerwGE 146, 67). Unabhängig davon ist das Kriterium, dass die Aktivitäten mit früheren "nicht vergleichbar" sein dürfen, zu unbestimmt.
Für einen "Qualitätssprung" kann vielmehr eine vertieftere Hinwendung zum neuen Glauben durch eine sich vertiefende religiöse Überzeugung oder Praxis ausreichen (vgl. Marx, a.a.O., § 71 Rn. 58 und 89; Broscheit, a.a.O., S. 193). Diese vertieftere Hinwendung kann sich aus neuen Aktivitäten des Schutzsuchenden ergeben, aber auch aus anderen neuen Tatsachen, die für die Entscheidung relevant sind, ob bei dem Schutzsuchenden ein ernsthafter, dauerhafter religiöser Einstellungswandel festzustellen ist, der seine religiöse Identität nunmehr prägt. Dafür darf noch nicht verlangt werden, dass unter Berücksichtigung der neueren Entwicklung alle Anforderungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. die Anerkennung als Asylberechtigter erfüllt werden. Denn die abschließende Prüfung, ob die Voraussetzungen dieser Schutzansprüche vorliegen, ist nicht im Folgeverfahren, sondern in dem nach einem erfolgreichen Folgeantrag durchzuführenden eigentlichen Asylverfahren vorzunehmen (vgl. Broscheit, a.a.O., S. 193; Funke-Kaiser, a.a.O., § 71 Rn. 209 und 215). Eine Sachlagenänderung, die zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt, setzt aber voraus, dass nunmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Schutzsuchende den neuen Glauben nicht nur asyltaktisch, sondern aufgrund einer identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung ernsthaft und dauerhaft angenommen hat (im Ergebnis ebenso VG München, Beschluss vom 17.07.2017 - M 28 S 17.42829 -, juris Rn. 22; Broscheit, a.a.O., S. 193). Dafür wird grundsätzlich nicht ausreichen, dass der Schutzsuchende die Glaubenspraxis, die er bereits im vorherigen Verfahren vorgetragen hat - wie z.B. den Besuch von Gottesdiensten und bestimmter anderer kirchlicher Veranstaltungen - lediglich unverändert fortführt (vgl. VG Braunschweig, Urteil vom 05.03.2021 - 2 A 483/10 - m.w.N.).
b) Die Voraussetzungen, die danach bei erneuter Geltendmachung einer Konversion für eine Sachlagenänderung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG gegeben sein müssen, liegen hier unter Berücksichtigung der persönlichen Eindrücke aus der mündlichen Verhandlung nach einer Gesamtschau der neuen, nach Abschluss des vorangegangenen Verfahrens entfalteten Aktivitäten der Klägerin und der dem Gericht vorliegenden neuen Angaben insbesondere von Mitgliedern der Kirchengemeinde vor.
Eine vertieftere Hinwendung zum neuen Glauben liegt schon darin, dass die Klägerin sich noch einmal deutlich aktiver in das Leben der Kirchengemeinde eingebracht hat. Nach den Angaben der Kirchenvorsteherin Frau I., die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, und den vorliegenden Bescheinigungen der Kirchengemeinde ist die Klägerin nach dem Abschluss des vorangegangenen Verfahrens - etwa seit 2020 - im Gemeinde-Café tätig und engagiert sich seit 2022 auch in dem von der Gemeinde betriebenen Ukraine-Café. Seit 2021 arbeite die Klägerin im Gartenteam der Kirchengemeinde mit, das im Pfarrgarten arbeite. Frau I. hat außerdem darauf hingewiesen, dass die Klägerin immer wieder Freundinnen mitbringe, die Mitglied der Kirchengemeinde werden wollten. Dabei hat Frau I. die Klägerin als außerordentlich aktives Gemeindemitglied bezeichnet. Dafür hat sie insbesondere darauf verwiesen, dass die Klägerin sich wie nur wenige andere Gemeindemitglieder bei der Verteilung des Gemeindebriefes engagiere und dies bereits seit drei, vier Jahren tue. Ihr gesteigertes Engagement für den neuen Glauben hat die Klägerin auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie im vergangenen Jahr nach ihren Angaben und der vorliegenden Bescheinigung an einer christlichen Osterkonferenz teilgenommen und deren Durchführung durch ihren Einsatz im Küchendienst unterstützt hat. Darüber hinaus ist die Klägerin inzwischen als Ministrantin, also als Helferin im Gottesdienst, tätig. Auch dies hat Frau I. bestätigt.
Auch die religiöse Überzeugung der Klägerin hat sich vertieft. Nach ihren glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung hat sich ihr Glaube seit Abschluss der vorangegangenen Verfahren weiterentwickelt. Dazu hat nach ihren nachvollziehbaren Angaben auch die Teilnahme an dem Online-Kurs einer iranischen Kirche über christliches Leben beigetragen, der im August 2021 stattgefunden hat. Die Klägerin hat dazu in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt, sie habe ihr Wissen über den christlichen Glauben durch den Kurs erweitert und die Wunder Christi erkennen können. Sie sei viel ruhiger geworden, habe ihren Einsatz für das Leben in der Kirchengemeinde daraufhin verstärkt und verspüre jetzt den Wunsch, das erworbene Wissen an andere weiterzugeben. Insgesamt sei sie in ihrem Glauben gewachsen. Dieser Vortrag überzeugt auch deswegen, weil die vorgetragene Glaubensentwicklung in einem gesteigerten Engagement der Klägerin für die Kirchengemeinde zum Ausdruck gekommen ist.
Aus den dargelegten neuen Tatsachen ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin den neuen Glauben nicht nur asyltaktisch, sondern aufgrund einer identitätsprägenden inneren Glaubensüberzeugung ernsthaft und dauerhaft angenommen hat. Wesentliche Kriterien dafür sind die aktive Teilnahme am kirchlichen Leben und die innere Bedeutung der neuen Religion für das alltägliche Leben des Schutzsuchenden (vgl. Kluth, ZevKR 66 (2021), 1, 11 f.; Berlit/Dörig/Storey, ZAR 2017, 281, 285 ff.). Diese Wertung wird durch die vorliegende Bescheinigung des Pastors der Gartenkirche vom 5. Juli 2023 bestätigt. Dieser ist danach aufgrund vieler Begegnungen und Gespräche mit der Klägerin davon überzeugt, dass sie aus inneren Gründen zum Christentum konvertiert ist; sie lebe ihren Glauben authentisch und engagiert.
Es mag zweifelhaft sein, ob eine "Konfirmation" bei Erwachsenen ausreicht, um von einem "Qualitätssprung" ausgehen zu können (nicht als ausreichend angesehen z.B. vom VG Aachen, Urteil vom 14.11.2022 - 10 K 1630/21.A -, juris Rn. 44). Denn durch die Konfirmation wird lediglich die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde bestätigt, die durch die vorangegangene Taufe bereits besteht (vgl. https://www.ekd.de/Konfirmation-Basiswissen-Glauben-11035.htm - abgerufen am 14.08.2023). Die Aktivitäten in der Gemeinde und für ihren neuen Glauben, die die Klägerin nach Abschluss des vorangegangenen Verfahrens entfaltet hat, und die gesamte Entwicklung ihres Glaubens gehen aber jedenfalls weit über die erfolgte Konfirmation hinaus und begründen schon deswegen eine asylrechtlich relevante Sachlagenänderung. An diesem Ergebnis würde sich selbst dann nichts ändern, wenn für einen "Qualitätssprung" in den Konversionsfällen mit der hier abgelehnten engeren Auffassung gefordert würde, dass weitere, mit den bisherigen "nicht mehr vergleichbare" Aktivitäten entwickelt werden.
c) Nach dem veränderten Sachverhalt ist eine für die Klägerin günstigere Entscheidung über ihren Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zumindest möglich. Dabei ist für die Annahme einer Verfolgungsgefahr im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG wegen geltend gemachter Konversion zum christlichen Glauben von den folgenden rechtlichen Maßstäben auszugehen:
Nach § 3 Abs. 4 AsylG ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist und nicht die Regelungen des § 60 Abs. 8 AufenthG entgegenstehen. Flüchtling ist gemäß § 3 Abs. 1 AsyG, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet und für den nicht die Ausnahmeregelungen in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG gelten. Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG ausgehen vom Staat (Nr.1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, dem Ausländer Schutz vor Verfolgung (§ 3d AsylG) zu bieten (Nr. 3). Gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG gelten Handlungen als Verfolgung, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach § 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Absatz 1 Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn die Voraussetzungen des sogenannten internen Schutzes erfüllt sind, wenn er also in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (vgl. § 3e Abs. 1 AsylG).
Eine Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG liegt auch dann vor, wenn eine schwerwiegende Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit unmittelbar droht, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, juris Rn. 22 ff. m.w.N). Ein gravierender Eingriff in die Freiheit, den Glauben im privaten Bereich zu praktizieren, kann ebenso zur Annahme einer Verfolgung führen wie ein Eingriff in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013, a.a.O., Rn. 24 ff.). Für die Frage der Erheblichkeit der Beeinträchtigungen ist daher auf die Art der Repressionen und deren Folgen für den Betroffenen abzustellen, mithin auf die Schwere der Maßnahmen und Sanktionen, die dem Ausländer drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013, a.a.O., Rn. 28 ff.). Die Beurteilung, wann eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung zu erfüllen, hängt von objektiven wie auch subjektiven Gesichtspunkten ab (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013, a.a.O.).
Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Die erforderliche Schwere kann insbesondere - aber nicht nur - dann erreicht sein, wenn dem Ausländer durch die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Bei strafrechtsbewehrten Verboten kommt es insoweit maßgeblich auf die tatsächliche Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers an (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013, a.a.O., Rn. 28).
Als relevanter subjektiver Gesichtspunkt ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrenträchtigen religiösen Praxis zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Maßgeblich ist dabei nicht, ob die religiöse Praxis für alle Mitglieder der Glaubensgemeinschaft von zentraler Bedeutung ist, sondern wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013, a.a.O., Rn. 29; Sächs. OVG, Beschluss vom 17.01.2019 - 3 A 890/17.A -, juris Rn. 7; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.03.2018 - 4 A 172/16.A -, juris Rn. 8; VG Würzburg, Urteil vom 18.09.2018 - W 9 K 18.31255 -, juris Rn. 28; VG Karlsruhe, Urteil vom 07.09.2018 - A 2 K 7673/17 -, juris Rn. 32).
Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Ausländer zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013, a.a.O., Rn. 30; Beschluss vom 09.12.2010 - 10 C 19.09 -, juris Rn. 43). Erforderlich ist, dass die Hinwendung zum christlichen Glauben nicht allein aus asyltaktischen Gründen vorgetragen wird, sondern auf einer festen Überzeugung sowie einem ernsthaften, dauerhaften religiösen Einstellungswandel beruht und der neue Glaube nunmehr die religiöse Identität des Betroffenen prägt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.06.2017 - 13 A 1120/17.A -, juris Rn. 10; Beschluss vom 27.04.2016 - 13 A 854/16.A -, juris Rn. 8; VG Würzburg, Urteil vom 03.07.2018 - W 1 K 18.30633 -, juris Rn. 29 m.w.N.). Der Schutzsuchende muss sich aus voller innerer Überzeugung von seinem bisherigen Bekenntnis gelöst und dem anderen Glauben zugewandt haben; der formale Übertritt zum Christentum durch eine Taufe genügt grundsätzlich nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015 - 1 B 40.15 -, juris Rn. 11; Nds. OVG, Urteil vom 07.09.2015 - 9 LB 98/13 -, juris Rn. 34 und Beschluss vom 16.09.2014 - 13 LA 93/14 -, juris Rn. 6; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.04.2016 - 13 A 854/16.A -, juris Rn. 10; VG Hamburg, Urteil vom 05.06.2019 - 4 A 887/17 -, juris). Von einem Erwachsenen, der sich zum Bekenntniswechsel entschlossen hat, darf im Regelfall erwartet werden, dass er mit den wesentlichen Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist; welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, richtet sich vorwiegend nach seiner Persönlichkeit und seiner intellektuellen Disposition (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.04.2016, a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015, a.a.O., Rn. 14). Außerdem kann erwartet werden, dass er insoweit schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann. Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.2015, a.a.O.; Nds. OVG, Urteil vom 07.09.2015, a.a.O., Rn. 34; jeweils m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben spricht nach gegenwärtigem Sachstand alles dafür, dass die Klägerin im Iran einer Verfolgungsgefahr im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG ausgesetzt ist, weil ihr dort eine - sowohl unter objektiven als auch unter subjektiven Gesichtspunkten - schwerwiegende Verletzung ihres Grundrechts auf Religionsfreiheit droht.
Hinreichende objektive Gesichtspunkte für die Annahme einer schwerwiegenden Verletzung des Grundrechts auf Religionsfreiheit sind gegeben.
Zum Christentum konvertierte ehemalige Muslime sind nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen im Iran gezwungen, ihren Glauben entweder ganz zu leugnen oder ihn zumindest auch im privaten Umfeld zu verheimlichen, da andernfalls schwerwiegende Übergriffe durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure drohen. Das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit ist im Iran deutlich eingeschränkt. Zwar werden ethnische Christen nicht behindert oder verfolgt, wenn sie die Ausübung ihres Glaubens ausschließlich auf die Angehörigen der eigenen Gemeinden beschränken. Muslimische Konvertiten sind jedoch willkürlichen Verhaftungen und Schikanen ausgesetzt. Muslimen ist es generell verboten, zu konvertieren ("Abfall vom Glauben", Apostasie) oder an Gottesdiensten anderer Religionen teilzunehmen. Nach geltender Rechtslage kann die Apostasie sogar mit der Todesstrafe geahndet werden, wobei die Anklage eher auf "Gefährdung der nationalen Sicherheit", "Organisation von Hauskirchen" oder "Beleidigung des Heiligen" lautet. Anerkannten ethnischen Gemeinden ist es untersagt, Christen mit muslimischem Hintergrund zu unterstützen. Gottesdienste in der Landessprache Persisch sind ebenso verboten wie die Verbreitung christlicher Schriften. Jegliche Missionstätigkeit kann als "mohareb" (Krieg gegen Gott) verfolgt und mit der Todesstrafe geahndet werden. Unter besonderer Beobachtung stehen insbesondere auch hauskirchliche Vereinigungen, deren Versammlungen regelmäßig aufgelöst und deren Angehörige gelegentlich festgenommen werden. Berichtet wird von anhaltenden Razzien in Kirchengemeinden, insbesondere Hauskirchen, der Konfiszierung von Bibeln und christlichen Materialien und der Verhaftung vieler Christen muslimischer Herkunft, aber auch traditioneller Christen (vgl. zum Vorstehenden: Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 30.11.2022, S. 15 f. und 21; zur Erkenntnislage s. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.11.2012 - 13 A 1999/07.A -, juris Rn. 58 ff. und Beschluss vom 06.01.2021 - 6 A 3413/20.A -, juris Rn. 15; VG Würzburg, Urteil vom 25.01.2021 - W 8 K 20.30746 -, juris Rn. 24; jeweils m.w.N.). Für muslimische Konvertiten ist danach im Iran eine religiöse Betätigung selbst im privaten, häuslichen oder nachbarschaftlichen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich. Dies gilt auch für einfache Mitglieder der Kirchengemeinde, die keine herausgehobene Rolle einnehmen oder eine missionarische Tätigkeit entfalten.
Auch hinreichende subjektive Gesichtspunkte für die Annahme einer schwerwiegenden Verletzung des Grundrechts auf Religionsfreiheit liegen nach gegenwärtigem Sachstand vor. Das Gericht hat - auch unter Berücksichtigung der persönlichen Eindrücke aus der mündlichen Verhandlung - die Überzeugung gewonnen, dass die Klägerin die im Iran unterdrückte religiöse Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfindet, um ihre religiöse Identität zu wahren. Ihr Glaubenswechsel beruht zur Überzeugung des Gerichts auf einem ernsthaften, dauerhaften religiösen Einstellungswandel, der ihre religiöse Identität nunmehr prägt.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion und den Anstößen für den Konversionsprozess gemacht. Sie hat überzeugend dargelegt, dass Gewalterfahrungen sie schon im Iran vom Islam entfremdet haben und der Kontakt mit anderen Gläubigen ihr in einer Lebenskrise Halt gegeben habe. Ihre Hinwendung gerade zum Christentum hat sie unter Darlegung spezifischer Glaubensinhalte nachvollziehbar begründet. Ihre Taufe hat die Klägerin detailliert und sichtlich bewegt geschildert, ihren Taufspruch konnte sie wörtlich wiedergeben. Auf Nachfrage hat sie Bibelstellen zitieren können, die sie besonders beeindruckt haben. Sie hat glaubhaft dargelegt, dass sie sich intensiv mit ihrem neuen Glauben auseinandersetzt. Dies ist auch dadurch zum Ausdruck gekommen, dass sie an einem "Kurs über christliches Leben" sowie an einem christlichen Seminar teilgenommen hat. Die Klägerin hat aber auch glaubhaft erklärt, dass sie die Bibel intensiv studiert. Darüber hinaus hat sie eindrucksvoll und überzeugend dargelegt, wie der christliche Glaube inzwischen ihren Alltag prägt. Dabei ist deutlich zum Ausdruck gekommen, dass es der Klägerin ein besonderes Anliegen ist, mit anderen Menschen über ihren Glauben und über das Wirken Jesu zu kommunizieren.
Im Übrigen bringt sich die Klägerin nach ihren glaubhaften Angaben, die durch die in der mündlichen Verhandlung anwesende Kirchenvorsteherin Frau I. und die vorgelegten Bescheinigungen der Gartenkirche H., C-Stadt, bestätigt werden, aktiv in das Gemeindeleben ein. Sie nimmt nicht nur regelmäßig an Gottesdiensten teil, sondern arbeitet engagiert an anderen Veranstaltungen und Projekten der Kirchengemeinde mit. Hervorgehoben wird von den Gemeindemitgliedern ihr großes Engagement im Gartenteam der Kirchengemeinde und in den Gemeinde-Cafés sowie bei der Verteilung des Gemeindebriefes (s. oben). Der Pastor der Gartenkirche und die Kirchenvorsteherin haben sie als "sehr aktives" bzw. "außerordentlich aktives" Mitglied der Gemeinde bezeichnet (Bescheinigung vom 05.07.2023 bzw. Protokoll der mündlichen Verhandlung, S. 5).
Insgesamt hat die Klägerin in der Verhandlung die Hintergründe und Motive ihres Glaubenswechsels zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können; das Gericht hat den Eindruck gewonnen, dass sie ihren Glaubenswechsel nicht vorgetäuscht hat, um einen Aufenthaltstitel zu erlangen, sondern aus fester innerer Überzeugung Christin geworden ist und die christliche Religion inzwischen identitätsprägende Bedeutung für sie hat. Diese Einschätzung wird durch die vorliegende Bescheinigung der Gartenkirche bestätigt, in der Pastor Dohrmann erklärt, er sei aufgrund vieler Begegnungen und Gespräche mit der Klägerin davon überzeugt, dass sie aus inneren Gründen konvertiert sei; sie lebe ihren Glauben authentisch und engagiert (s. die Bescheinigung vom 05.07.2023). Das Gericht kann danach offenlassen, ob schon wegen der von ihr geschilderten Ereignisse im Iran, der dargelegten familiären Probleme oder ihrer exilpolitischen Betätigung in Betracht kommt, der Klägerin Flüchtlingsschutz zu gewähren.
3. Auch die sonstigen Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens sind gegeben. Die Klägerin war ohne grobes Verschulden außerstande, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen (vgl. § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 2 VwVfG). Die neueren Aktivitäten der Klägerin und ihre hier festgestellte Glaubensentwicklung hatten bei Abschluss des vorangegangenen Verfahrens noch nicht stattgefunden, sie waren der Klägerin in dem früheren Verfahren also noch nicht bekannt; grobes Verschulden kann ihr insoweit schon deswegen nicht vorgeworfen werden (vgl. Marx, a.a.O., § 71 Rn. 80). Selbst wenn die spätere Entwicklung des Sachverhalts in Teilen vorhersehbar gewesen sein sollte, wäre der Klägerin nicht vorzuwerfen, dass sie diese nicht bereits in dem früheren Verfahren geltend gemacht hat (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 71 Rn. 282).