Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.03.2019, Az.: 2 ME 224/19
Prüfling; Prüfung; Prüfungsausschuss; Staatsprüfung, zweite für Lehramt; Zusammensetzung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 06.03.2019
- Aktenzeichen
- 2 ME 224/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69641
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 17.12.2018 - AZ: 7 B 399/18
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DÖV 2019, 492
- NVwZ-RR 2019, 866-867
- NordÖR 2019, 258
- SchuR 2021, 174
- SchuR 2022, 77-79
- SchuR 2023, 124
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Prüfungsbehörde ist auch dann nicht befugt, die gesetzlich angeordnete Zusammensetzung eines Prüfungsausschusses während des laufenden Prüfungsverfahrens zu verändern, wenn dies auf Wunsch des Prüflings erfolgt.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 7. Kammer - vom 17. Dezember 2018 geändert.
Der Antragsgegner wird vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller zu einer weiteren Wiederholung der Staatsprüfung für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen zuzulassen mit der Maßgabe, dass die Prüfung in allen drei Prüfungsteilen (Prüfungsunterricht I und II, mündliche Prüfung) zu wiederholen ist und die Prüfung durch den Prüfungsausschuss in der Besetzung des ersten Prüfungsversuchs (L-PS: ..., FL 1: D., FL 2: E., Schl: F.; im Verhinderungsfall deren Vertreter) abgenommen wird.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Kosten des gesamten Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde hat weitgehend Erfolg. Die von dem Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen zu einer Änderung des angegriffenen Beschlusses. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vor, sodass die begehrte einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO mit den tenorierten Maßgaben zu erlassen ist.
Rechtsgrundlage für den Anordnungsanspruch des Antragstellers ist § 22 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Ausbildung und Prüfung von Lehrkräften im Vorbereitungsdienst (APVO-Lehr v. 13.7.2010, Nds. GVBl. S. 288, zuletzt geändert durch Verordnung v. 2.3.2017, Nds. GVBl. S. 57). Nach dieser Vorschrift kann die Staatsprüfung für das Lehramt an Grund-, Haupt- und Realschulen einmal wiederholen, wer sie nicht bestanden hat. Mit der Wiederholungsprüfung, der sich der Antragsteller am 24. August 2017 erfolglos unterzogen hat, ist dieser Anspruch nicht erschöpft. Denn die Prüfung ist mit einem Verfahrensfehler behaftet, weil der Antragsgegner die Zusammensetzung des Prüfungsausschusses zwischen dem ersten erfolglosen Prüfungsversuch und der Wiederholungsprüfung unberechtigt geändert hat.
Ein Prüfungsverfahren ist u.a. dann verfahrensfehlerhaft, wenn ein Prüfungsausschuss mit Prüfern besetzt ist, die nach der Prüfungsordnung an der Prüfung nicht mitwirken dürfen oder die wegen Befangenheit ausgeschlossen sind. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die vorschriftswidrige Besetzung eines Prüfungsausschusses einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt. Die vorschriftsmäßige Besetzung des Prüfungsausschusses ist von erheblicher Bedeutung, weil die Wertung der Leistung im Zusammenwirken der Prüfungsausschussmitglieder erfolgt, die sich in der Beratung gegenseitig beeinflussen und kontrollieren sollen. Einen unzulässigen Einfluss auf diese Wertungen nimmt derjenige vor, der dem Prüfungsausschuss nach den vorgegebenen Regelungen nicht angehören soll (Nds. OVG, Urt. v. 8.6.2011 - 8 LB 199/09 -, juris Rn. 36).
Der Prüfungsausschuss, der die Prüfung am 24. August 2017 abgenommen hat, war fehlerhaft zusammengesetzt. Nach Einleitung der Staatsprüfung bildet die Prüfungsbehörde für jeden Prüfling einen Prüfungsausschuss, vor dem die Prüfung abgelegt wird (§ 12 Abs. 1 Satz 1 APVO-Lehr). Die vier Mitglieder des Prüfungsausschusses sind die Ausbildenden des Prüflings - hier die Leiterin des pädagogischen Seminars sowie die Fachseminarleiter Mathematik und Sport - und der Schulleiter der Schule, an der der Prüfling den überwiegenden Teil seines Ausbildungsunterrichts erteilt hat (§ 12 Abs. 2 Satz 1 und 2 APVO-Lehr). Der so zusammengesetzte Prüfungsausschuss bleibt für die Dauer des gesamten Prüfungsverfahrens unverändert, sofern nicht ein Mitglied verhindert ist und deshalb der Vertretungsfall eintritt (§ 12 Abs. 3 APVO-Lehr).
Davon ausgehend war der Antragsgegner nicht befugt, die den Vorgaben des § 12 Abs. 2 Satz 1 und 2 APVO-Lehr entsprechende Zusammensetzung des Prüfungsausschusses, der den ersten erfolglosen Prüfungsversuch am 29. Mai 2017 abgenommen hatte, zu verändern und für die Wiederholungsprüfung am 24. August 2017 unter Austausch von drei der vier Mitglieder einen neuen Ausschuss zu bilden. Denn aus § 22 Abs. 2 Satz 2 APVO-Lehr folgt, dass der erste erfolglose Prüfungsversuch und die Wiederholungsprüfung Teile eines einheitlichen Prüfungsverfahrens darstellen. Die Vorschrift ordnet ausdrücklich an, dass das Prüfungsverfahren im Wiederholungsfall eingeleitet bleibt. Damit bleiben auch die nach § 12 APVO-Lehr bestehenden Zuständigkeiten unverändert. Der Antragsgegner war nicht berechtigt, in diese einmal rechtmäßig begründeten Zuständigkeiten einzugreifen.
Das gilt mit Blick auf den Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG ungeachtet der Tatsache, dass der Austausch von zwei der vier Mitglieder auf den Antragsteller selbst zurückgeht. Denn dieser hat mit Schreiben vom 13. Juni 2017 den Wechsel der Fachseminare in Mathematik und Sport und damit - der Sache nach - auch den Austausch der jeweiligen Fachseminarleiter im Prüfungsausschuss beantragt. Diesem Antrag hätte der Antragsgegner nach Maßgabe der Regelungen der APVO-Lehr jedoch nicht Folge leisten dürfen; die Vorschriften stehen nicht zur seiner Disposition.
Dem Antragsteller ist es nach Maßgabe des auch im Prüfungsrecht geltenden Grundsatzes von Treu und Glauben im Ergebnis auch nicht verwehrt, sich auf die fehlerhafte Zusammensetzung des Prüfungsausschusses zu berufen. Treu und Glauben stehen seinem Anspruch zwar möglicherweise - dies lässt der Senat offen - insoweit entgegen, als er den Austausch der beiden Fachseminarleiter Mathematik und Sport nicht rügen kann. Das gilt aber nicht für den Austausch der Leiterin des pädagogischen Seminars. Deren Austausch hat der Antragsteller nicht beantragt. Im Gegenteil hat er den Austausch umgehend nach Mitteilung der Prüfer in der Ladung zur Prüfung sowohl gegenüber der Leiterin des pädagogischen Seminars, die die erste Prüfung abgenommen hatte, als auch gegenüber der Leiterin, die die Wiederholungsprüfung abnehmen sollte, gerügt. Damit hat der Antragsteller zugleich seiner prüfungsrechtlichen Rügepflicht (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 8.6.2011 - 8 LB 199/09 -, juris Rn. 36; allgemein zur Rügepflicht Senatsbeschl. v. 6.8.2014 - 2 LA 451/13 -, juris Rn. 7) genügt.
Ist die Wiederholungsprüfung damit von einem fehlerhaft zusammengesetzten Prüfungsausschuss abgenommen worden, hat der Antragsteller einen Anspruch auf erneute Wiederholung der Prüfung. Dieser Anspruch besteht allerdings nur mit einschränkenden Maßgaben, sodass die weitergehende Beschwerde zurückzuweisen ist. Da sich der Fehler auf alle Prüfungsteile erstreckt, ist die Prüfung insgesamt und nicht bloß - wie beantragt - in Bezug auf den Prüfungsunterricht I (Mathematik) und die mündliche Prüfung zu wiederholen. Einen Anspruch, fehlerhafte Prüfungsteile, die ihrerseits nur rechtlich unselbstständige Teile einer einheitlichen Prüfung sind, zu erhalten, hat der Antragsteller nicht. Die Prüfung ist zudem von dem Prüfungsausschuss in der ursprünglichen Besetzung des ersten Prüfungsversuchs und nicht in der vom Antragsteller gewünschten Konstellation abzunehmen. Nur wenn ein Verhinderungsfall eintreten sollte, dürfen die Vertreter gemäß § 12 Abs. 3 APVO-Lehr an Stelle der ursprünglichen Mitglieder mitwirken.
Auch ein Anordnungsgrund liegt vor. Die Sache ist mit Blick darauf, dass die berufliche Zukunft des Antragstellers von dem Ergebnis der Wiederholungsprüfung abhängt, eilbedürftig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat berücksichtigt bei seiner Kostenentscheidung, dass die ablehnende Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Bezug auf den Hauptantrag rechtskräftig geworden ist und der Senat nur noch über den Hilfsantrag zu befinden hat. Der Senat berücksichtigt weiter, dass die einstweilige Anordnung nicht im begehrten Umfang, sondern nur mit einschränkenden Maßgaben erlassen werden konnte. In der Gesamtschau ist daher eine hälftige Teilung der Kosten angemessen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nr. 36.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).