Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.03.2019, Az.: 1 KN 49/17
Abwägung; offensichtlicher Abwägungsfehler; Einzelhandel; Einzelhandel; Einzelhandelskonzept; Vertrauensschutz; Ausschluss
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.03.2019
- Aktenzeichen
- 1 KN 49/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 70119
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs 3 S 1 BauGB
- § 1 Abs 6 Nr 10 BauGB
- § 1 Abs 7 BauGB
- § 214 Abs 3 S 2 BauGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Alter von 8 Jahren macht ein Einzelhandelskonzept nicht per se unverwertbar für die Bauleitplanung.
Lediglich knappe und allgemein gehaltene Ausführungen in der Planbegründung stellen keinen offenkundigen Abwägungsmangel dar, wenn die planende Gemeinde die abwägungsleitenden Erwägungen im gerichtlichen Verfahren überzeugend schildert und diese in der Planbegründung immerhin angedeutet sind.
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragstellerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vorläufig vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Antragstellerin wendet sich gegen die 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. E. „F. Straße / G. -Allee“ der Antragsgegnerin. Sie sieht sich durch die darin festgesetzten Sortimentsbeschränkungen für Einzelhandelsbetriebe übermäßig in den Ausnutzungsmöglichkeiten ihrer im Plangebiet gelegenen Gewerbegrundstücke beeinträchtigt.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin der im Plangebiet gelegenen Flurstücke H. und I. der Flur J., Gemarkung K.. Beide liegen, von diesem durch die G. -Allee getrennt, südlich des sog. L. -Centers, einem in den frühen 2000er Jahren planmäßig entstandenen Einzelhandelsstandort mit unter anderem einem Lidl- und einem Netto-Markt sowie weiteren nicht großflächigen Anbietern nahversorgungs- und zentrentypischer Sortimente, die um zentrale Stellplätze herum angeordnet sind. Die Grundstücke der Antragstellerin wie die des L. - Centers gehörten ursprünglich zum Gelände der M., das um 2000 an eine Projektentwicklungsgesellschaft veräußert wurde. Für beide Flächen stellte die Antragsgegnerin den am 25.1.2001 bekannt gemachten Bebauungsplan Nr. E. auf. Die Flächen des L. -Centers sind darin teils als Misch-, teils als sonstiges Sondergebiet „Einzelhandel“ festgesetzt, die Grundstücke der Antragstellerin als eingeschränktes Gewerbegebiet GEE1 ohne Beschränkungen der Einzelhandelsnutzung. Im vom Rat der Antragsgegnerin am 28.2.2008 beschlossenen, 2006/2007 vom Planungsbüro N. erarbeiteten Einzelhandelskonzept ist das L. -Center, im Süden begrenzt durch die G. -Straße, d.h. unter Ausschluss der Flächen der Antragstellerin, als Nahversorgungszentrum vorgesehen. 2011 erteilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Baugenehmigung zur Errichtung eines ALDI-Lebensmitteldiscounters auf dem südlich des Flurstücks H. gelegenen Flurstück I., der in der Folge verwirklicht wurde.
Im April 2016 beantragte die Antragstellerin die Erteilung einer Baugenehmigung für einen Non-food-Discounter („Action“- Markt) auf dem Flurstück H.. Dort sollen bei einer Gesamtverkaufsfläche von 799,29 m² auf 9-12% der Verkaufsfläche Dekorationsartikel, auf 7-10% Büro- und Schreibwaren, auf 10-13% Haushaltsgegenstände und Elektroartikel, auf 8-12% Heimwerkerbedarf, auf 9-12% Textilien und Lederwaren, auf 8-10% Spielzeug, auf 10-15% Kosmetik, auf 3-5% Putz- und Reinigungsmittel, auf 3-5% Heimtextilien und Bettwäsche, auf 8-10% Gartenartikel, auf 5-6% Lebensmittel, auf 2-3% Tier- und auf 2-3% Multimediaartikel vertrieben werden.
Am 11.8.2016 beschloss der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin die Aufstellung der angegriffenen 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. E. im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB. Eine frühzeitige Behördenbeteiligung fand im September/Oktober 2016 statt, eine öffentliche Auslegung der Planunterlagen und gleichzeitige Beteiligung der Träger öffentlicher Belange vom 30.11.2016 bis einschließlich 6.1.2017. Die Antragstellerin erhob mit Schreiben vom 5.1.2017 fristgerecht Einwendungen. In seiner Sitzung vom 28.2.2017 entschied der Rat der Antragsgegnerin über die eingegangenen Stellungnahmen und beschloss den Änderungsbebauungsplan als Satzung. Nach Ausfertigung durch den Oberbürgermeister am 2.3.2017 machte die Antragsgegnerin den Satzungsbeschluss am 15.3.2017 im Delmenhorster Kreisblatt bekannt.
Der Plan erfasst die Grundstücke der Antragstellerin sowie zwei südlich bzw. östlich davon gelegene Grundstücke. Er ergänzt den Bebauungsplan Nr. E. für seinen Geltungsbereich durch folgende textliche Festsetzung:
1. Im Geltungsbereich dieses Bebauungsplanes sind im eingeschränkten Gewerbegebiet GEE1 Einzelhandelsbetriebe mit nahversorgungsrelevanten und zentrenrelevanten Haupt- und Nebensortimenten unzulässig.
[Es folgt eine Liste der im Einzelhandelskonzept von 2008 als nahversorgungs- und zentrenrelevant ermittelten Sortimente; diese erfasst den Großteil der im von der Antragstellern beantragten Non-food-Discounter angebotenen Sortimente, ebenso wie im bestehenden Aldi-Markt angebotene Sortimente, z.B. Lebensmittel]
Am 22.3.2017 hat die Antragstellerin den vorliegenden Normenkontrollantrag gestellt. Zur Begründung macht sie geltend, die Planänderung sei rechtswidrig. Sie sei eine reine Negativplanung, da sie nur der Verhinderung des Action-Marktes diene. Das positive Planungsziel der Umsetzung des Einzelhandelskonzepts von 2008 könne nicht verfolgt werden, da dieses Konzept veraltet sei. Die Antragsgegnerin habe selbst 2016 eine Überarbeitung des Konzepts durch die O. GmbH in Auftrag gegeben. Spätestens durch Errichtung des Aldi-Marktes habe sich das Nahversorgungszentrum faktisch bis zu diesem nach Süden ausgedehnt, was auch auf S. 72/73 der Fortschreibung des Einzelhandelskonzepts von 2017 zum Ausdruck komme. Durch Zulassung des Action-Marktes im Zwischenraum werde der Standort gestärkt, nicht geschwächt. Diese Gesichtspunkte begründeten auch Abwägungsfehler. Mit der Genehmigung des ALDI-Marktes habe sich die Antragsgegnerin im Übrigen selbst bereits von ihrem Einzelhandelskonzept gelöst. Ob der geplante Action-Markt der Innenstadt schade, sei unerheblich, da sich die Antragsgegnerin in ihrer Abwägung lediglich auf den Schutz des L. -Centers gestützt habe. Es liege ein Abwägungsausfall vor, da die Antragsgegnerin davon ausgegangen sei, das Einzelhandelskonzept sei für ihre Bauleitplanung in jedem Fall verbindlich. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass sie Vertrauensschutz beanspruchen könne. Nach Genehmigung des ALDI-Marktes habe sie darauf vertrauen können, dass das Einzelhandelskonzept auch weiter unangewendet bleibe. Auch deshalb habe sie beide Flurstücke erworben. Die Antragsgegnerin habe schließlich den öffentlichen Belang der zivilen Anschlussnutzung von Militärliegenschaften nicht berücksichtigt.
Die Antragstellerin beantragt,
die vom Rat der Antragsgegnerin am 28.2.2017 als Satzung beschlossene 3. Änderung des Bebauungsplans Nummer E. „F. Straße/ G. -Allee“ für unwirksam zu erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie meint, aus ihrem Einzelhandelskonzept ergebe sich die städtebauliche Rechtfertigung, den Einzelhandel im Plangebiet zu beschränken. Das Einzelhandelskonzept sei nicht veraltet. Städtebauliche Entwicklungskonzepte seien naturgemäß auf eine Verwirklichung über längere Zeiträume ausgelegt. Entscheidende Änderungen der städtebaulichen Rahmenbedingungen hätten sich seit Erstellung des Einzelhandelskonzeptes nicht ergeben; das bestätige die Fortschreibung des Konzeptes von 2017. Namentlich an der Abgrenzung des Nahversorgungszentrums L. -Center werde darin festgehalten. Der ALDI-Markt stelle sich weder optisch als Bestandteil dieses Nahversorgungszentrums dar, noch gehöre er funktional dazu. Er teile nicht dessen Stellplatzanlage, sondern sei separat anfahrbar. Zwischen den Stellplatzanlagen des Marktes und des L. -Centers seien Kfz-Bewegungen feststellbar. Die G. -Allee habe trennende Wirkung. Die Flächen der Antragstellerin seien bewusst nicht in die Grenzen des Nahversorgungszentrums aufgenommen worden; dieses sei bereits so überdurchschnittlich groß. Den Ausführungen auf S. 72/73 der Fortschreibung bilde lediglich die bestehenden Nahversorgungsstrukturen ab. In der Abwägung seien alle von Einwendern, auch der Antragstellerin, vorgebrachten Belange berücksichtigt worden. Die Genehmigung des ALDI-Marktes habe eine Fehlentwicklung eingeleitet, die es zu stoppen gelte. Dass das Einzelhandelskonzept der planerischen Abwägung zugänglich sei, habe sie beachtet. Besonders schutzwürdiges Vertrauen auf einen Fortbestand der ihr günstigen planungsrechtlichen Situation habe die Antragstellerin angesichts des 2008 beschlossenen Einzelhandelskonzepts nicht hegen dürfen. Auch den Belang der zivilen Anschlussnutzung von Militärliegenschaften habe sie gesehen; dieser schließe aber eine Einzelhandelsbeschränkung nicht aus.
Am 26.4.2017 hat der Rat der Antragsgegnerin die Fortschreibung des Einzelhandelskonzeptes von 2008 beschlossen. Auf den Inhalt der Fortschreibung (Anlage zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 20.7.2017) wird Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der zulässige Antrag ist unbegründet. Der angegriffene Änderungsbebauungsplan ist rechtmäßig.
I.
Der Bebauungsplan ist erforderlich i.S.d. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Ein Fall der Negativplanung liegt nicht vor. Dies ist nur dann der Fall, wenn die planende Gemeinde keinerlei positive Planungsziele verfolgt, diese vielmehr nur vorgeschoben werden, um ein bestimmtes Vorhaben zu verhindern. Dagegen ist unschädlich, wenn die Gemeinde bestimmte mit ihren positiven Planungsabsichten unvereinbare Nutzungen zu verhindern trachtet. So liegt der Fall hier. Die Antragsgegnerin verfolgt erkennbar über die Umsetzung ihres Einzelhandelskonzeptes das Ziel, verbraucherfreundliche Versorgungsstrukturen durch Stärkung ihrer Innenstadt und der im Einzelhandelskonzept definierten Nahversorgungszentren zu fördern. Ob ihr das in jeder Hinsicht gelungen ist, ist keine Frage der Erforderlichkeit, sondern der Abwägung; die Erforderlichkeit bildet insoweit nur ein grobmaschiges Netz, das nur offenkundige planerische Fehlgriffe erfasst. Davon kann hier keine Rede sein.
II.
Beachtliche Abwägungsfehler sind der Antragsgegnerin nicht unterlaufen. Das in § 1 Abs. 7 BauGB verankerte Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt wird oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist das Abwägungsgebot nicht verletzt, wenn sich die Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet (BVerwG, Urt. v. 12.12.1969 - IV C 105.66 -, BVerwGE 34, 301 = JURIS-Rdnr. 29). Zur Unwirksamkeit des Plans führen nur Abwägungsfehler, die offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§ 214 Abs. 3 Satz 2, 2. Hs. BauGB).
1.
Ein Abwägungsausfall dergestalt, dass die Antragsgegnerin sich verpflichtet gesehen hätte, das Einzelhandelskonzept strikt umzusetzen statt dieses nur nach § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB bei der Abwägung zu berücksichtigen, liegt nicht vor. Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass sich in der Planbegründung Passagen finden lassen, die bei isoliertem Lesen darauf hindeuten, der Rat der Antragsgegnerin habe die ihm bei Umsetzung des Einzelhandelskonzepts zukommenden Entscheidungsfreiräume unterschätzt. So heißt es auf S. 19, Abs. 2: „Es wurde beschlossen, dass das Einzelhandelskonzept für planungsrechtliche Entscheidungen… verbindlich ist“ und Abs. 3: „… da sich der Rat der Stadt Delmenhorst noch immer an diese informelle städtebauliche Planung gebunden hat“; vergleichbare Aussagen finden sich auch anderenorts. Bei Gesamtwürdigung der Planbegründung und der Abwägung der im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung eingegangenen Stellungnahmen kommt der Senat aber zu dem Schluss, dass der Rat diese Verbindlichkeit zum einen als eine „Verbindlichkeit im Grundsatz“, vorbehaltlich der Einzelfallbetrachtung, angesehen hat, zum anderen als eine Verbindlichkeit, die hier im Ergebnis zum Tragen kommt, weil die Besonderheiten des Einzelfalls eine Abweichung nicht rechtfertigten. Ausdrücklich betont die Antragsgegnerin an anderer Stelle auf derselben Seite der Planbegründung, dass das Einzelhandelskonzept „als öffentlicher Belang zu beachten“ (Abs. 1) bzw. „zu berücksichtigen“ (Abs. 3) sei. Auf S. 15, 2. Abs., letzter Satz, stellt sie sogar ausdrücklich klar, dass sie unter ihrer Bindung an das Einzelhandelskonzept dessen Berücksichtigung als „gewichtigen Belang“ versteht. Weiter betont sie in diesem Absatz, dass sie das Einzelhandelskonzept hier (nicht rechtssatzartig, gleichsam als Selbstzweck, sondern), weil „die konkrete Planungssituation und die konkreten örtlichen Gegebenheiten“ die Umsetzung erforderten, verfolge. Auch aus dem Gesamtkontext der Ausführungen lässt sich noch hinreichend erkennen, dass die Antragsgegnerin es nicht rundheraus unter Berufung auf die Verbindlichkeit des Einzelhandelskonzeptes abgelehnt hat, der Umsetzung des Einzelhandelskonzepts widerstreitende Belange oder solche, die das Gewicht seiner Ziele mindern könnte, an sich herankommen zu lassen. Vielmehr ist sie auf diese Gesichtspunkte, etwa Eigentumsbelange der Antragstellerin oder ein etwaiges Erfordernis, das Nahversorgungszentrum L. -Center neu abzugrenzen, auch inhaltlich eingegangen und hat diese mit einzelfallbezogenen Argumenten zurückgestellt (s.u.). Dass sie im Ergebnis an ihrem Entschluss, das Einzelhandelskonzept umzusetzen, festgehalten hat, begründet für sich genommen keinen Abwägungsausfall.
2.
Ergebnisrelevante Fehler bei der Ermittlung und Gewichtung der abwägungserheblichen Belange sind der Antragsgegnerin nicht unterlaufen.
Die Tatsache allein, dass das Einzelhandelskonzept bei Satzungsbeschluss rund 8 Jahre alt war, führt nicht dazu, dass dem Ziel seiner Umsetzung in der Abwägung kein Gewicht mehr beigemessen werden dürfte. Zutreffend ist, dass angesichts der unstreitigen und auch von der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung betonten Tatsache, dass der Einzelhandel einem steten und bisweilen recht schnellen Veränderungsprozess unterworfen ist, mit fortschreitendem Zeitablauf Anlass bestehen kann, die Aktualität der Zielsetzungen eines einmal beschlossenen Einzelhandelskonzepts, dessen planerische Umsetzung ansteht, zu überprüfen. Dementsprechend wird in der Fachliteratur eine Fortschreibung von Einzelhandelskonzepten alle 5-7 Jahre empfohlen (Kuschnerus/Bischopink/Wirth, Der standortgerechte Einzelhandel, 2. Aufl. 2018 Rn. 528; Bunzel u.a., Erhaltung und Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche, 2009, S. 247). Eine, wie hier, geringfügige Überschreitung dieses Zeitraums allein indiziert indes nicht, dass die Erkenntnisse des Konzepts nicht mehr zutreffend, seine Empfehlungen nicht mehr sachgerecht wären. Für eine solche Annahme bedürfte es vielmehr konkreter Anhaltspunkte, dass gerade auf die für die jeweils in Rede stehende Bauleitplanung bezogene Prämissen des Konzepts nicht mehr gelten könnten. Bestehen solche Anhaltspunkte, so erfordert es allerdings das Abwägungsgebot, dass der Rat die gegenüber den Prämissen des Einzelhandelskonzepts veränderten Umstände in einer für seine Entscheidungsfindung ausreichenden Weise ermittelt und sich Gedanken darüber macht, ob sie es nicht rechtfertigen, vom Handlungsprogramm des Einzelhandelskonzepts abzuweichen.
Der einzige Gesichtspunkt, dessen mögliche Eignung, die Aktualität des Einzelhandelskonzepts in Frage zu stellen, im Verlaufe des Planaufstellungsverfahrens und auch im gerichtlichen Verfahren vorgetragen worden, ist die Genehmigung und nachfolgende Errichtung des Aldi-Marktes auf dem Grundstück der Antragstellerin im Jahr 2011. Eine abwägungsfehlerhafte Behandlung dieses Gesichtspunktes hält der Senat nicht – wie es für eine Antragsstattgabe nötig wäre – für offenkundig i.S.d. § 214 Abs. 3 Satz 2, 2. Hs. BauGB.
Eine der Auseinandersetzung in der Abwägung bedürftige Veränderung ist das Hinzutreten des Aldi-Marktes zwar. Zum einen sind die Nahversorgungszentren im Einzelhandelskonzept der Antragsgegnerin bei dessen Erstellung in den Jahren 2006/2007, wo möglich, anhand vorhandener örtlicher Ballungen nahversorgungsrelevanter Einzelhandelsbetriebe festgelegt worden. Einer solchen faktischen Ballungszone gehört inzwischen auch der Aldi-Markt an; dies verdeutlicht nicht zuletzt die nach Satzungsbeschluss durch die P. im Entwurf fertiggestellte Fortschreibung des Einzelhandelskonzepts der Antragsgegnerin von 2017, in der auf S. 72 Aldi-, Lidl- und Netto-Markt gleichermaßen als Teil des Nahversorgungsstandorts L. beschrieben werden. Zum anderen bestand der Aldi-Markt zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses rund fünf Jahre, ohne dass die konkrete Gefahr einer Betriebsaufgabe der zwei älteren Lebensmittelmärkte am Standort L. -Center erkennbar geworden wäre; jedenfalls ist eine solche weder in der Planbegründung noch von der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung dargelegt worden.
In der Antragserwiderung und vor allem durch den Vortrag ihres Fachdienstleiters Stadtplanung in der mündlichen Verhandlung hat die Antragsgegnerin indes schlüssige Gründe dafür dargelegt, gleichwohl an der Empfehlung des Einzelhandelskonzeptes 2008 festzuhalten, eine Erweiterung des L. -Centers nach Süden durch bauleitplanerischen Ausschluss von nahversorgungs- und zentrenrelevantem Einzelhandel dort zu verhindern. Zum einen sei dies von der Erwägung getragen, dass eine wesentliche Vergrößerung eines Nahversorgungszentrums bei einem weitgehend bedienten städtischen Gesamtnachfragevolumen – Nachfragereserven sind kaum vorhanden (Einzelhandelskonzept 2008 S. 79) – zwangsläufig Kaufkraftabflüsse aus anderen Nahversorgungszentren oder aus der Innenstadt und damit die latente Gefahr von Leerständen dort mit sich bringe. Dies hat sie durch den Umstand plausibilisiert, dass der 2011 auf dem Grundstück der Antragstellerin genehmigte Aldi-Markt aus dem benachbarten Nahversorgungszentrum Q. Straße abgewandert sei. Zwar habe dessen ursprünglicher Standort später durch einen lokalen Vollsortimenter belegt werden können. Derartige Effekte seien aber nur dann zu erwarten, wenn ansiedlungswillige Betriebe auf die künftige konsequente Umsetzung des Einzelhandelskonzepts vertrauen könnten. Zwei große Kaufland-Märkte übten weiteren Druck auf die bestehenden kleineren Nahversorgungszentren aus. Zum anderen sei zu berücksichtigen gewesen, dass ein Ausgreifen über die G. -Allee hinaus auch den Standort L. -Center selbst schwächen könne. Das ursprüngliche Nahversorgungszentrum sei kompakt um einen Parkplatz herum angelegt, so dass alle Geschäfte voneinander aus leicht erreichbar seien. Das mache es auch im Falle eines planerisch stets mit in den Blick zu nehmenden künftigen Leerstandes wahrscheinlich, dass sich Nachfolgenutzungen finden würden, da diese in besonderem Maße von der Kundschaft der anderen Geschäfte profitieren könnten. Verteilten sich die Geschäfte aufgrund einer Einbeziehung des Plangebiets in das Nahversorgungszentrum auf eine größere, weniger kohärente Fläche, so gehe dieser Vorteil verloren. Bereits jetzt seien Fahrzeugbewegungen zwischen dem L. -Center i.e.S. und dem Aldi-Markt feststellbar. Auf S. 99 des Einzelhandelskonzepts 2008 hatte das insoweit über hinreichendes Erfahrungswissen verfügende Büro R. die angestrebte Ausstattung eines Nahversorgungszentrums bereits mit „1-2 Lebensmittelanbieter, wenige ergänzende kleinteilige Betriebe“ umrissen. Die Antragsgegnerin hat in der Klageerwiderung dargelegt, dass das „L. -Center“ bereits ohne den Aldi-Markt und etwaige weitere Ansiedlungen im Plangebiet seiner Verkaufsfläche gesamt wie seiner Verkaufsfläche für den überwiegend kurzfristigen Bedarf nach das zweitgrößte der zehn Nahversorgungszentren der Stadt ist. Der Senat hält diese Argumentation für schlüssig. Zwar steht das erste Szenario, das von einer erhöhten Anziehungskraft des Standorts ausgeht, in einem gewissen Widerspruch zum zweiten, das einen Bedeutungsverlust skizziert. Indes ist jedes der beiden Szenarien städtebaulich nachteilig, so dass die Antragsgegnerin berechtigt ist, beiden – alternativen oder einander zeitlich ablösenden – Szenarien vorzubeugen.
Diese Erwägungen haben zwar in der Planbegründung nur in Ansätzen Niederschlag gefunden. So wird – mit Blick auf die erstgenannte Erwägung (Schwächung des Nahversorgungszentrums Q. Straße und anderer zentraler Versorgungsbereiche) – auf S. 6 der Planbegründung die Nähe des Plangebiets auch zum Nahversorgungszentrum Q. Straße angesprochen. Auf S. 7 und 9 ist nicht von Auswirkungen nur auf das L. -Center, sondern auf „die Entwicklung der bestehenden zentralen Versorgungsbereiche“ die Rede. Neben einem Verlust des L. -Centers an Konzentrations- und Sogwirkung wird auf S. 7 auch eine mögliche Gefährdung anderer Nahversorgungszentren erwähnt. Mit Blick auf die zweite Erwägung (Schwächung des L. -Centers) heißt es auf S. 6 der Planbegründung, die Flächen südlich der G. -Allee seien bewusst nicht mit in das Einzelhandelskonzept aufgenommen worden, da das festgelegte und konkret abgegrenzte Nahversorgungszentrum ausreichend groß bemessen und somit in der Lage sei, die Nahversorgungsfunktion für die Bevölkerung zu übernehmen. Auf S. 7 heißt es, durch Ansiedelung von Einzelhandelsbetrieben mit nahversorgungs- und zentrenrelevanten Sortimenten im Plangebiet könnte das L. -Center die ihm zugedachte Konzentrations- und Sogwirkung verlieren. Ferner wird auf S. 10 auf die Beschlussvorlage 16/51/019/BV-R verwiesen, in der die Schaffung eines Sondergebiets für großflächigen Einzelhandel für den Aldi-Markt abgelehnt wurde. In dieser Beschlussvorlage wurden Gefahren für die Attraktivität und Stabilität des bestehenden Nahversorgungszentrums L., für die Erhaltung anderer kleinerer Nahversorgungsstandorte z.B. an der Q. Straße sowie eine mögliche Vorbildwirkung für die benachbarten Flächen angenommen. Die in der Antragserwiderung und in der mündlichen Verhandlung dargelegten Erwägungen kommen in diesen Passagen nur ansatzweise zum Ausdruck.
Diese Dürftigkeit der Planbegründung gestattet dem Senat indes nicht die Aufhebung des Plans wegen Abwägungsmängeln. Nach § 214 Abs. 3 Satz 2, 2. Hs. BauGB sind nur solche Fehler im Abwägungsvorgang erheblich, die offenkundig sind. Das bedeutet zwar, dass Abwägungsfehler, die sich nicht aus der Planbegründung oder sonstigen Unterlagen ergeben, sondern inneres Motiv einzelner Entscheidungsträger geblieben sind, unberücksichtigt bleiben müssen. Das heißt aber nicht im Umkehrschluss, dass Lücken in den Aufstellungsvorgängen stets ein Abwägungsdefizit indizieren; vielmehr besteht die Möglichkeit, dass die betroffenen Umstände auch ohne ausdrückliche Dokumentation berücksichtigt worden sein können (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 214 Rn. 143). Zwar kann das Schweigen der Planbegründung und der sonstigen Planaufstellungsvorgänge zu Umständen, zu denen nach Lage der Dinge Aussagen zu erwarten gewesen wären, durchaus einen offenkundigen Abwägungsfehler begründen. Ein Fall des völligen Schweigens liegt hier aber nicht vor. Vielmehr sind die Aussagen der Planbegründung zu den für die Planung sprechenden Belangen lediglich sehr knapp und allgemein gehalten. Es lässt sich aber nach Lage der Dinge nicht hinreichend sicher feststellen, dass die Ratsmitglieder, die des öfteren mit der Einzelhandelssituation in ihrer Stadt befasst sind, diese Aussagen nicht im Sinne des gerichtlichen Vortrags der Antragsgegnerin verstanden hätten.
Die Tatsache, dass die Antragsgegnerin nicht – etwa durch eine ergänzende Studie – konkret ermittelt hat, ob die Ansiedelung des von der Antragstellerin beantragten Action-Marktes dem Nahversorgungszentrum oder der Innenstadt schaden würde, begründet keinen Abwägungsmangel in Gestalt eines Ermittlungsdefizits. Es liegt auch ohne weitere Ermittlungen auf der Hand, dass jeder Betrieb, der nahversorgungs- oder zentrenrelevante Sortimente außerhalb der zentralen Versorgungsbereiche anbietet, Kaufkraft bindet, die sonst diesen zugutekäme. Dadurch werden die zentralen Versorgungsbereiche jedenfalls potentiell in ihrer Funktionsfähigkeit geschwächt. Des Nachweises einer konkreten Funktionsgefährdung wie im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB bedarf es nicht; planerisch kann die Gemeinde auch Vorsorge gegenüber einer Entwicklung betreiben, die erst bei Hinzukommen weiterer Umstände eintreten würde; sie kann sogar auf die Stärkung zentraler Versorgungsbereiche hinwirken (BVerwG, Urt. v. 26.3.2009 - 4 C 21.07 -, BVerwGE 133, 310 = juris Rn. 19).
Ohne Erfolg macht die Antragstellerin geltend, der Action-Markt trete nicht in Konkurrenz zum Nahversorgungszentrum L. -Center, da er überwiegend zentrenrelevante Sortimente anbiete. Dieser Einwand mag abstrakter dahingehend zu fassen sein, der Ausschluss zentrenrelevanter Sortimente könne nicht abwägungsfehlerfrei mit der Stärkung des Nahversorgungszentrums begründet werden, da dieses seinerseits nach dem Einzelhandelskonzept der Antragsgegnerin keine zentrenrelevanten Hauptsortimente anbieten solle (Grundsatz 1, EHK S. 101); diese sollten auf die Innenstadt konzentriert werden. Das ist zwar richtig. Anders als die Antragstellerin meint, hat die Antragsgegnerin ihre Abwägung aber auch auf den Schutz der Innenstadt abgestellt – sie betont selbst, mit der Planung auch den Grundsatz 1 des Einzelhandelskonzepts umsetzen zu wollen (u.a. Planbegründung S. 6, S. 9 Mitte) und spricht wiederholt vom Schutz „der zentralen Versorgungsbereiche“ als Ziel, ohne dies auf den Schutz des Nahversorgungszentrums L. -Center zu beschränken. Zutreffend ist lediglich, dass sie dieses Ziel nicht in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellt hat und mehrfach auch explizit auf den Schutz des L. -Centers eingeht. Das mag aber auch damit zusammenhängen, dass die fehlende Erforderlichkeit des letzteren Ziels im Mittelpunkt der Einwendungen stand.
Zu Recht ist die Antragsgegnerin in ihrer Abwägung davon ausgegangen, dass die Genehmigung des ALDI-Marktes im Jahr 2011 kein das allgemeine Interesse an der Aufrechterhaltung einer günstigen Planungslage verstärkendes schutzwürdiges Vertrauen der Antragstellerin darauf begründete, auch die Ansiedelung weiterer Einzelhandelsbetriebe mit zentren- oder nahversorgungsrelevanten Sortimenten werde von der Antragsgegnerin hingenommen werden. Die Erteilung dieser Baugenehmigung stand nicht im freien Ermessen der Antragsgegnerin; vielmehr begründete die 2011 geltende Planungslage einen Anspruch auf diese. Richtig ist, dass die Antragsgegnerin, wie gerade das hier strittige Planaufstellungsverfahren zeigt, effektive Schritte hätte ergreifen können, die Planungslage vor Erteilung der Genehmigung zu ändern und so den ALDI-Markt aktiv zu verhindern. Dass sie dies nicht getan hat, kann aber verschiedenste Gründe gehabt haben: Unaufmerksamkeit der Verwaltung, schwierige Mehrheitsverhältnisse im Rat u.ä.. Berechtigtes Vertrauen, die Antragsgegnerin werde auch in Zukunft eine Ausdehnung des nahversorgungs-/zentrenrelevanten Einzelhandels von der im Einzelhandelskonzept vorgesehenen Südgrenze an der G. -Straße aus nach Süden dulden, hätte die Antragstellerin aber nur bei Vorliegen weiterer Indizien, etwa ausdrücklicher dahingehender Erklärungen des für die Bauleitplanung zuständigen Gremiums der Antragsgegnerin, d.h. des Rates (vgl. Senatsbeschl. v. 22.11.2016 – 1 MN 101/16 -, NordÖR 2017, 126 = juris Rn. 19), bedurft. Ob sie ein entsprechendes Vertrauen tatsächlich gehegt und das Flurstück H. nur deshalb erworben hat, kann daher dahinstehen.
Dem öffentlichen Belang der zivilen Nachnutzung militärischer Liegenschaften (§ 1 Abs. 6 Nr. 10 BauGB) hat die Antragsgegnerin mit der Erwägung, es verblieben den Eigentümern von Grundstücken im Plangebiet noch hinreichende auskömmliche Optionen für eine Verwendung ihrer Grundstücke ausreichend Rechnung getragen. Die Abwägungserheblichkeit des genannten Belangs zwingt eine Gemeinde nicht, für ehemals militärische Liegenschaften eine dem Erwerber besonders lukrative Nutzungsmöglichkeit vorzusehen. Substantiierte Argumente, weshalb andere Nutzungen als zentrenrelevanter Einzelhandel im Plangebiet wirtschaftlich nicht darstellbar wären, hat die Antragstellerin weder im Planaufstellungs- noch im gerichtlichen Verfahren vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.