Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.03.2019, Az.: 11 LA 295/18
Betreuungsvertrag; Tierarzt; Tierarztpraxis; Tierheim; tierheimähnliche Einrichtung; Untersagung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 28.03.2019
- Aktenzeichen
- 11 LA 295/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69684
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 05.04.2018 - AZ: 6 A 22/17
Rechtsgrundlagen
- § 4 Abs 2 GOT
- § 11 Abs 1 S 1 Nr 2 TierSchG
- § 2 TierSchG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Ein Tierheim ist eine Einrichtung, deren wesentliche Aufgabe die Aufnahme, pflegliche Unterbringung und ggf. Weitervermittlung von Fund- und Abgabetieren ist. Tierheimähnliche Einrichtungen sind solche Einrichtungen, bei denen die wesentlichen Merkmale eines Tierheims vorliegen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2008 - 7 C 9/08 -, juris, Rn. 16).
2. Dass die Räumlichkeiten (auch) zu anderen Zwecken genutzt werden (hier: Tierarztpraxis), steht der Annahme einer tierheimähnlichen Einrichtung nicht entgegen.
3. Die eigene Aufnahme, Unterbringung und Vermittlung von Fundtieren stellt keine tierärztliche Leistung dar.
Tenor:
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 5. April 2018 wird abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
Die Klägerin ist Tierärztin und betreibt in der C. Straße in D. eine tierärztliche Praxis. In den der Tierarztpraxis angegliederten Räumlichkeiten nahm die Klägerin außerdem Fundtiere aus verschiedenen Kommunen auf, die sie auf der Grundlage von mit den Kommunen geschlossenen Verträgen bis zu ihrer Abholung betreute und tierärztlich versorgte. Weiter betrieb sie dort eine Tierpension. Am 3. Mai 2016 überprüfte der Veterinärdienst des Beklagten die Räumlichkeiten der Klägerin und stellte diverse Mängel bei der Unterbringung der Tiere fest. Am 23. August 2016 fand eine Begehung der Räumlichkeiten durch Vertreterinnen des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) im Beisein des Veterinärdienstes des Beklagten statt. Auch hierbei wurde festgestellt, dass die Unterbringung der Tiere nicht den Anforderungen an eine Fundtierhaltung entspreche. Nach Anhörung der Klägerin untersagte der Beklagte dieser mit Bescheid vom 30. November 2016 den Betrieb der tierheimähnlichen Einrichtung (Fundtierstelle) (Ziffer 1) und forderte die Klägerin auf, die sich ab dem 1. März 2017 noch bei ihr befindlichen Fundtiere innerhalb von 14 Tagen zu vermitteln und nach Ablauf dieser Zeit an eine andere geeignete Stelle, z.B. das Tierheim E., abzugeben (Ziffer 2). Zudem untersagte er der Klägerin ab sofort den Betrieb der Tierpension in den Räumlichkeiten C. Straße sowie im F. in D. (Ziffer 3). Der Beklagte ordnete die sofortige Vollziehung der Anordnungen zu Ziffern 1 bis 3 an. Die Klägerin hat gegen diesen Bescheid am 30. Januar 2017 Klage erhoben. Den am 23. Februar 2017 gestellten Antrag der Klägerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. März 2017 (6 B 16/17) abgelehnt. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die von der Klägerin erhobene Klage abgewiesen.
Die von der Klägerin gegen das Urteil geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 und Nr. 5 VwGO liegen nicht vor bzw. sind nicht hinreichend dargelegt.
1. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO greift nicht durch.
Rechtsgrundlage für die Untersagung des Betriebs einer tierheimähnlichen Einrichtung ist § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG. Danach soll die zuständige Behörde demjenigen die Ausübung der Tätigkeit untersagen, der die dafür erforderliche Erlaubnis nicht hat. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TierSchG bedarf derjenige, der Tiere in einem Tierheim oder einer tierheimähnlichen Einrichtung halten will, der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Mit der Ausübung der Tätigkeit darf nach § 11 Abs. 5 Satz 1 TierSchG erst nach Erteilung der Erlaubnis begonnen werden. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, weil die Klägerin im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Untersagungsverfügung eine tierheimähnliche Einrichtung betrieben hat, ohne im Besitz der erforderlichen Erlaubnis zu sein.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihres Zulassungsantrages vor, dass es sich bei ihrer Tierarztpraxis nicht um eine tierheimähnliche Einrichtung handele. Sie betreibe eine tierärztliche Praxis mit stationärer Aufnahme. Dass die Aufnahme und Weitervermittlung von Fund- und Abgabetieren keine wesentliche Aufgabe ihrer Einrichtung sei, belegten schon die Behandlungszahlen. Darüber hinaus handele es sich bei der Annahme und tierärztlichen Behandlung von Fundtieren um eine rein tierärztliche Tätigkeit. So stelle bereits das Ablesen des Microchips eines aufgefundenen Tieres nach Nr. 505d des Gebührenverzeichnisses für tierärztliche Leistungen (Anlage zu den §§ 1 und 2 der Gebührenordnung für Tierärzte - GOT -) eine tierärztliche Leistung dar. Jedes von ihr aufgenommene Fundtier werde tierärztlich untersucht und behandelt. Der überwiegende Zweck der Unterbringung sei die tierärztliche Behandlung. Tierärztliche Praxen oder Kliniken seien vom Gesetzgeber ausdrücklich keiner Erlaubnispflicht unterworfen worden, obwohl dort auch eine stationäre Unterbringung von Tieren erfolge. Nach dem Gesamtbild, auf das abzustellen sei, liege der Schwerpunkt ihrer Einrichtung in der tierärztlichen Tätigkeit. Die Geschäftsbereiche seien im Übrigen zu keinem Zeitpunkt getrennt gewesen. Mit diesem Vorbringen dringt die Klägerin nicht durch.
Ein Tierheim ist eine Einrichtung, deren wesentliche Aufgabe die Aufnahme, pflegliche Unterbringung und ggf. Weitervermittlung von Fund- und Abgabetieren ist (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, 3. Aufl., § 11 TierSchG, Rn. 6). Tierheimähnliche Einrichtungen sind solche Einrichtungen, bei denen die wesentlichen Merkmale eines Tierheims vorliegen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2008 - 7 C 9/08 -, NVwZ-RR 2009, 102, juris, Rn. 16).
Die Klägerin hat dadurch, dass sie über mehrere Jahre in erheblicher Anzahl Fundtiere unterschiedlicher Arten in ihren Räumlichkeiten aufgenommen, gepflegt und weitervermittelt hat, wesentliche Aufgaben eines Tierheims wahrgenommen. So hat sie nach ihren eigenen Angaben im Jahr 2015 insgesamt 263 Fundtiere und im Jahr 2016 insgesamt 225 Fundtiere unterschiedlicher Arten aufgenommen. Grundlage dafür waren mit mehreren Kommunen geschlossene Verträge, in denen sich die Klägerin verpflichtete, herrenlos aufgefundene Tiere aus den jeweiligen Gemeindegebieten in ihrer Praxis anzunehmen, bis zu deren Abholung stationär unterzubringen und ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend tierärztlich zu überwachen und zu versorgen. Sinn und Zweck der durch § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TierSchG begründeten Erlaubnispflicht sprechen ebenfalls dafür, dass die Klägerin Tiere in einer tierheimähnlichen Einrichtung gehalten hat. Denn die Klägerin hat die von ihr aufgenommenen Fundtiere wie in einem Tierheim in einer größeren Anzahl in Zwingern und ähnlichen Räumlichkeiten untergebracht, so dass Anlass zu der Prüfung bestand, ob diese Räume eine den Anforderungen des § 2 TierSchG entsprechende Ernährung, Pflege und Unterbringung der Tiere ermöglichen.
Das Vorbringen der Klägerin, der Schwerpunkt der Tätigkeit in ihrer Praxis liege in der tierärztlichen Tätigkeit, in der 2016 ca. 6.000 Patienten nicht der Fundtieraufnahme zuzuordnen gewesen seien und die Zahl der stationär behandelten Tiere anderer Klienten deutlich über der Zahl der stationär behandelten Fundtiere gelegen habe, so dass nicht von einer tierheimähnlichen Einrichtung ausgegangen werden könne, greift nicht durch. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kommt es nicht darauf an, ob eine - von den Fallzahlen her umfangreichere - Tierarztpraxis räumlich angeschlossen ist. Entscheidend für das Vorliegen einer tierheimähnlichen Einrichtung ist vielmehr, dass in der Einrichtung - wie hier - wesentliche Aufgaben eines Tierheims wahrgenommen worden sind. Dass die Räumlichkeiten bzw. angeschlossene Räumlichkeiten im Zeitpunkt der Untersagungsverfügung (auch) zu anderen Zwecken genutzt worden sind (hier: Tierarztpraxis und Tierpension), steht der Annahme einer tierheimähnlichen Einrichtung nicht entgegen.
Dass die Klägerin eine Tierarztpraxis betreibt und die aufgenommenen Fundtiere bei der Aufnahme, wie sie vorgetragen hat, alle tierärztlich untersucht sowie tierärztliche Leistungen wie das Auslesen von Microchips und tierärztliche Behandlungen vorgenommen hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Insbesondere folgt daraus nicht, dass es sich bei der Aufnahme und Unterbringung der Fundtiere um eine tierärztliche Tätigkeit gehandelt hat. Vielmehr hat die Klägerin neben der Aufnahme, Pflege und Vermittlung der Fundtiere auch tierärztliche Leistungen erbracht. Die von der Klägerin im Zeitpunkt der Untersagungsverfügung mit den Kommunen geschlossenen Verträge führen zu keiner anderen Beurteilung. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich dabei nicht um Betreuungsverträge im Sinne von § 4 Abs. 2 GOT, die sich nur auf die langfristige Betreuung geschlossener Tierbestände mit regelmäßigen Untersuchungen erstrecken und daher gerade nicht die hier vereinbarte eigene Aufnahme und Vermittlung von Tieren umfassen.
Der Annahme einer tierheimähnlichen Einrichtung steht ebenfalls nicht entgegen, dass die Klägerin in ihrer Tierarztpraxis Tiere auch stationär behandelt. Dass die tierärztliche Behandlung von Tieren einschließlich der stationären Unterbringung von behandlungsbedürftigen Tieren nicht zu den erlaubnispflichtigen Tätigkeiten nach § 11 Abs. 1 Satz 1 TierSchG gehört, ist unstreitig. Die Klägerin hat im Jahr 2016 nach eigenen Angaben 225 Fundtiere aufgenommen, von denen 87 Tiere einer stationären tierärztlichen Behandlung bedurften. Dies zeigt, dass nur ein Teil der aufgenommenen Fundtiere behandlungsbedürftig war.
2. Die Berufung kann auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen werden. Wie sich aus den Ausführungen zu 1. ergibt, weist die Rechtssache keine tatsächlichen oder rechtlichen Fragen auf, die sich nur unter besonderen, d.h. überdurchschnittlichen Schwierigkeiten beantworten lassen.
3. Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO scheidet ebenfalls aus.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen der grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 124, Rn. 10). An der Darlegung einer solchen Rechtsfrage fehlt es hier.
Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen,
1. inwieweit der Schwerpunkt der Tätigkeit eine entscheidende Rolle für die Annahme einer tierheimähnlichen Einrichtung spielt, und
2. inwieweit § 4 Abs. 2 GOT mit den dort genannten Kriterien zu einer anderen Beurteilung der Rechtssache führt,
können nicht zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache führen. Die Fragen sind schon nach ihrer Formulierung ersichtlich auf den vorliegenden Einzelfall bezogen und einer fallübergreifenden Klärung daher nicht zugänglich. Wie sich aus den Ausführungen unter 1. ergibt, hängt die Beantwortung der Frage, ob eine tierheimähnliche Einrichtung im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 TierSchG vorliegt, von einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ab.
4. Die Berufung ist auch nicht aufgrund eines Verfahrensfehlers wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, das (entscheidungserhebliche) tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Es ist dabei aber nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auseinanderzusetzen. Nur wenn sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass ein Gericht seiner Pflicht zur Kenntnisnahme und Erwägung entscheidungserheblichen Tatsachenstoffs nicht nachgekommen ist, kann ein Gehörsverstoß vorliegen (BVerfG, Beschl. v. 26.11.2008 - 1 BvR 670/08 -, NJW 2009, 1584, juris,
Rn. 14). Danach liegt ein Gehörsverstoß hier nicht vor.
Ausweislich der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils hat das Verwaltungsgericht das Vorbringen der Klägerin zu der Vorschrift des § 4 Abs. 2 GOT zur Kenntnis genommen und erwogen (1. Absatz auf S. 7 des UA). Dass das Verwaltungsgericht der von der Klägerin vertretenen Auffassung, bei den mit den Kommunen geschlossenen Verträgen handele es sich um Betreuungsverträge im Sinne von § 4 Abs. 2 GOT, nicht gefolgt ist, vermag einen Gehörsverstoß nicht zu begründen.
5. Soweit das Verwaltungsgericht die Anordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides des Beklagten, die sich ab dem 1. März 2017 noch bei der Klägerin befindlichen Fundtiere innerhalb von 14 Tagen zu vermitteln und nach Ablauf dieser Zeit an eine andere geeignete Stelle, z.B. das Tierheim E., abzugeben, als rechtmäßig angesehen hat, hat die Klägerin Zulassungsgründe nicht geltend gemacht. Auch bezüglich der in Ziffer 3 verfügten Untersagung des Betriebs der Tierpension in den Räumlichkeiten C. Straße sowie im F. in D., die das Verwaltungsgericht ebenfalls als rechtmäßig erachtet hat, fehlt es an der Darlegung von Zulassungsgründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).