Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.03.2019, Az.: 10 ME 48/19

Anspruch; antisemitisch; Darlegungs- und Beweislast; Einrichtung, öffentliche; Einwohner; Gemeinde; Grundordnung, freiheitlich-domokratische; Kommune; Nutzung; Recht, höherrangiges; Widmungszweck; Zweck

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.03.2019
Aktenzeichen
10 ME 48/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 69670
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 21.03.2019 - AZ: 3 B 709/19

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 3. Kammer - vom 21. März 2019 geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für zwei Veranstaltungen, und zwar
für einen Vortrag von Professor C. mit dem Titel „Apartheid, Siedlerkolonialismus und Meinungsfreiheit“ und anschließender Diskussion sowie der Vorstellung der D. -Initiative Oldenburg (60 Plätze) am Mittwoch, den 27. März 2019, von 17:00 Uhr bis 21:00 Uhr,
und für einen weiteren Vortrag von A. mit dem Titel „Menschenrechtsarbeit in Oldenburg in Gefahr?“ und anschließender Diskussion sowie mit der Vorstellung der D. -Initiative Oldenburg (60 Plätze) am Freitag, den 29. März 2019, von 18.00 Uhr bis 22.00 Uhr,

städtische Räume gemäß den Allgemeinen Geschäfts- und Benutzungsbedingungen zur Nutzung von Räumen in Gebäuden der Stadt Oldenburg vom 15. August 2017 zur Verfügung zu stellen.

Im Übrigen wird der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Der Antragsteller trägt 1/3 und die Antragsgegnerin trägt 2/3 der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat teilweise Erfolg.

Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Überlassung einer der Räumlichkeiten der Antragsgegnerin zur Durchführung der geplanten Veranstaltungen gemäß § 30 NKomVG. Insoweit hat er einen Anordnungsanspruch nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht.

Nach § 30 Abs. 1 NKomVG sind die Einwohnerinnen und Einwohner im Rahmen der bestehenden Vorschriften berechtigt, die öffentlichen Einrichtungen der Kommune zu benutzen, und verpflichtet, die Lasten der Kommune zu tragen. Dieser Anspruch besteht - wie schon die Einschränkung „im Rahmen der bestehenden Vorschriften“ zeigt -, nicht schrankenlos. Eine Begrenzung des Zulassungsanspruchs ergibt sich vor allem aus dem Zweck der Einrichtung, wie er in der Widmung zum Ausdruck kommt (Wefelmeier in Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, Kommentar, Stand: Dezember 2018, § 30 Rn. 14).

Nach der Satzung der Antragsgegnerin für die Nutzung von Räumen in Gebäuden der Stadt Oldenburg vom 19. Juni 2017 haben die Einwohnerinnen und Einwohner grundsätzlich Zugang zu den öffentlichen Räumlichkeiten der Stadt (§ 1 Abs. 1 der Satzung). Eine Einschränkung des Widmungszwecks findet sich jedoch in § 2 Abs. 3 der Satzung, wonach eine Überlassung der Räumlichkeiten an Einwohnerinnen und Einwohner sowie an juristische Personen, die aufgrund ihrer Satzung oder ihrer Ziele nicht für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen, nicht erfolgt. In einem solchen Fall kann auch ein Verstoß gegen höherrangiges Recht - etwa ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG, sofern die geplante Veranstaltung beispielsweise rassistische Inhalte hat - vorliegen, das den Nutzungsanspruch nach § 30 Abs. 1 NKomVG ebenfalls einschränkt (Wefelmeier in Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz, Kommentar, Stand: Dezember 2018, § 30 Rn. 14).

Das Verwaltungsgericht hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass bei einer einstweiligen Anordnung, die - wie hier - die Hauptsache vorwegnimmt, strenge Anforderungen an die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens zu stellen sind. Es verkennt jedoch die Verteilung der Darlegungs- und Beweislasten, soweit es meint, dass es dem Antragsteller nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, dass er bzw. die BDS-Initiative für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehe.

Der Antragsteller hat dargelegt, dass er Einwohner der Stadt Oldenburg und damit gemäß § 30 NKomVG anspruchsberechtigt ist. Der Antragsteller ist - wie ausgeführt - auch nach der genannten Nutzungssatzung der Antragsgegnerin grundsätzlich berechtigt, städtische Räume für die von ihm geplanten Veranstaltungen in Anspruch zu nehmen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts stehen die von ihm begehrten Räume zu den vom Antragsteller begehrten Terminen auch tatsächlich zur Verfügung (Seite 12 oben des Beschlussabdrucks).

Für die anspruchsvernichtende Feststellung, dass der Antragsteller bzw. die BDS-Initiative und die an den Veranstaltungen voraussichtlich teilnehmenden Personen (sofern § 2 Abs. 3 der Satzung auch auf diesen Personenkreis bezogen sein sollte) nicht für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einstehen, ist jedoch nicht der Antragsteller, sondern die Antragsgegnerin nach allgemeinen Beweislastregeln darlegungs- und beweislastpflichtig. Es würde zudem eine nicht hinzunehmende Erschwernis der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsäußerungsfreiheit darstellen, wenn demjenigen, der seine Meinung im Rahmen einer Veranstaltung in städtischen Räumen kundtun will, auferlegt würde, zuvor den - eventuell auch gar nicht möglichen - Nachweis zu erbringen, dass er für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einsteht. Das Gegenteil hat vielmehr im vorliegenden Fall die Antragsgegnerin darzutun, indem sie geeignete Indizien vorträgt, die die Annahme nachhaltig erschüttern, dass der Antragsteller für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einsteht.

Das Verwaltungsgericht hat diese Frage letztlich als offen angesehen. Es hat hierzu ausgeführt, dass nicht in ausreichendem Maße festgestellt werden könne, dass das Konzept der D. -Kampagne und ihre Ziele nicht antisemitisch sind und damit nicht gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen und der Antragsteller als Veranstalter für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einsteht. Nach den vom Verwaltungsgericht herangezogenen Stellungnahmen der Landesregierung und der Bundesregierung spricht allerdings Einiges für die gegenteilige Annahme, weil danach die D. -Kampagne wegen ihrer Heterogenität nicht pauschal als antisemitisch bezeichnet werden kann und keine Erkenntnisse vorliegen, die eine Beobachtung dieser Kampagne durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ermöglichten (Seiten 16 und 17 des Beschlussabdrucks).

Jedenfalls kann nach der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller bzw. die D. -Kampagne und die an den Veranstaltungen teilnehmenden Personen nicht für die freiheitlich demokratische Grundordnung einstehen. Damit greift die Einschränkung des § 2 Abs. 3 der Nutzungssatzung der Antragsgegnerin vom 19. Juni 2017 hier nicht und hat der Antragsteller folglich einen Anspruch auf Durchführung der von ihm geplanten Veranstaltungen in städtischen Räumen.

Der Antragsteller hat jedoch keinen Anspruch auf Durchführung der Veranstaltungen im städtischen Kulturzentrum E.. Insoweit ist sein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels Anordnungsanspruch abzulehnen.

Denn nach § 2 Abs. 5 Satz 1 der genannten Nutzungssatzung der Antragsgegnerin kann das städtische Kulturzentrum PFL zur Durchführung von Veranstaltungen nur überlassen werden, wenn die Veranstaltung eine kulturelle, soziale, gemeinnützige oder bildungspolitische Zweckbestimmung aufweist. Diesem - zulässigerweise - eingeschränkten Widmungszweck entsprechen die vom Antragsteller geplanten Veranstaltungen nicht. Denn nach ihren Inhalten handelt es sich um politische Veranstaltungen, die vom Widmungszweck nicht umfasst sind (vergleiche auch § 2 Abs. 5 Satz 3 der Satzung). Sofern in der Vergangenheit im Kulturzentrum Buchbesprechungen stattgefunden haben (Seiten 18 und 19 des Beschlussabdrucks), hat es sich um kulturelle Veranstaltungen gehandelt, auch wenn die Bücher politischen Inhalt gehabt haben, so dass der Antragsteller auch keinen Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit einer von der Nutzungsatzung möglicherweise abweichenden Überlassungspraxis hat.

Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren und das Beschwerdeverfahren beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG, wobei eine Reduzierung des Auffangwerts gemäß § 52 Abs. 2 GKG nicht stattfindet, weil die begehrte einstweilige Anordnung die Hauptsache vorwegnimmt bzw. vorweggenommen hätte.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).