Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.03.2017, Az.: 2 LA 241/16

Schülerbeförderung; besonders gefährlich; Schülerfahrkosten; Übergriffe

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.03.2017
Aktenzeichen
2 LA 241/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 54212
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 25.10.2016 - AZ: 4 A 230/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Übernahme von Schülerbeförderungskosten bei ländlich geprägter Umgebung ohne durchgängige Straßenbeleuchtung.

Tenor:

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Einzelrichterin der 4. Kammer - vom 25. Oktober 2016 wird abgelehnt.

Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Zulassungsverfahren wird auf 459,36 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses es abgelehnt hat, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Juni 2015 zu verpflichten, den Klägern die Kosten für eine Schülersammelzeitkarte zu erstatten (vgl. im Einzelnen zum Sachverhalt VG Lüneburg, Urt. v. 25.10.2016 - 4 A 230/15 -, juris), ist unbegründet.

Die Kläger haben nicht im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, dass die Voraussetzungen eines Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 VwGO vorliegen. Die für die Prüfung des Senats allein maßgeblichen Ausführungen in der Antragsbegründung führen weder auf ernstliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch zeigen die Kläger die Voraussetzungen einer darüber hinaus allein noch geltend gemachten Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) auf.

1. Die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt nicht in Betracht. Ernstliche Zweifel im Sinne dieser Regelung liegen nicht erst vor, wenn der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als sein Misserfolg, sondern bereits dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 -, NVwZ 2010, 634, Beschl. d. 2. K. v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 -, NVwZ 2011, 546, vgl. Gaier, NVwZ 2011, 385, 388 ff.). Das ist den Klägern nicht gelungen.

Die Kläger führen in ihrer Antragsbegründung aus, das Verwaltungsgericht habe bei der Beurteilung, ob ein „begründeter Ausnahmefall“ im Sinne des § 1 Abs. 5 der Satzung über die Schülerbeförderung im Landkreis Harburg vorliege, weil der Schulweg ihrer Tochter als besonders gefährlich einzustufen sei, wesentliche - in der Antragsbegründung näher aufgeführte - Entscheidungskriterien nicht beachtet, die sich aus der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts (Urt. v. 19.6.1996 - 13 L 5072/94 - u. v. 4.4.2008 - 2 LB 7/07 -, beide in juris) ergäben. Das trifft jedoch nicht zu. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr unter rechtsfehlerfreier Berücksichtigung dieser Urteile und der weiteren in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Grundsätze (vgl. hierzu etwa Urt. v. 5.1.2011 - 2 LB 318/09 -, v. 11.9.2013 - 2 LB 165/12 - u.v. 19.8.2015 - 2 LB 317/14 -, sämtl. in juris) ausgeführt und im Einzelnen begründet, dass und warum der Schulweg der Tochter der Kläger nicht besonders gefährlich ist. Der Senat macht sich die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu Eigen und verweist auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Im Hinblick auf die Zulassungsbegründung, in deren Zentrum die von den Klägern befürchtete Gefahr krimineller Übergriffe auf ihre Tochter steht, sei wiederholend und ergänzend auf Folgendes hingewiesen:

a) Die Kläger meinen, das Verwaltungsgericht habe die Fluchtmöglichkeiten, welche ihre Tochter im Fall eines gewaltsamen Übergriffs habe, nicht hinreichend geprüft. Ebenso habe es nicht berücksichtigt, ob auf dem Schulweg Anlieger erreichbar seien, die in einem solchen Fall Hilfe leisten könnten. Auch sei der Umstand, dass keine Straßenbeleuchtung vorhanden sei, nicht unter dem Aspekt der Begünstigung krimineller Übergriffe berücksichtigt worden. Damit stellen die Kläger die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Schulweg sei nicht besonders gefährlich, nicht durchgreifend in Frage. Dabei ist zunächst hervorzuheben, dass die Würdigung der besonderen Gefährlichkeit eines Schulwegs ungeachtet der vom Senat in seiner Rechtsprechung herangezogenen einzelnen Kriterien eine Gesamtbetrachtung erfordert, die sich nicht in der Einschätzung eines einzelnen Aspekts erschöpfen darf. Die vorgenannten Kriterien können (und müssen ggf.) im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden. Erforderlich für die Annahme der besonderen Gefährlichkeit ist eine Abweichung des Sachverhalts, die die zu beurteilende Situation von gewöhnlichen oder normalen Gegebenheiten erkennbar unterscheidet (Sen., Urt. v. 11.9.2013 - 2 LB 165/12 -, u. v. 19.8.2015 - 2 LB 317/14 -, juris, mwN.). Das Verwaltungsgericht hat den Schulweg der Tochter der Kläger aufgrund einer Gesamtwürdigung der Örtlichkeiten nicht so eingestuft, dass diese sich dort in einer schutzlosen Situation befinde. Es hat dabei vor allem hervorgehoben und näher begründet (Seite 9 f. des amtl. Entscheidungsabdrucks), dass schon die Gestaltung der Örtlichkeiten keinerlei Besonderheiten biete, die potentiellen Straftätern vermehrt Anlass bzw. Möglichkeiten zu kriminellen Übergriffen geben könnten. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Aspekte der Fluchtmöglichkeiten oder der Erreichbarkeit von Hilfe durch Dritte nicht in der von den Klägern gewünschten Weise noch weiter vertieft hat. In diesem Zusammenhang ist insbesondere nichts gegen die Argumentation des Verwaltungsgerichts zu erinnern, die Tochter der Kläger bewege sich im Beobachtungsfeld vorbeifahrender Kraftfahrer (vgl. hierzu Sen., Urt. v. 5.1.2011 - 2 LB 318/09 -, v. 11.9.2013 - 2 LB 165/12 - u.v. 19.8.2015 - 2 LB 317/14 -, sämtl. in juris); dass die Kreisstraße entgegen der Auffassung des Verwaltungsgericht nicht „keineswegs selten befahren“ ist, legen die Kläger in ihrer Antragsbegründung nicht im Sinne des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO dar. Ihre bloße Kritik an dem Rückschluss des Verwaltungsgerichts von der Klassifizierung als Kreisstraße auf die Verkehrsfrequenz reicht in diesem Zusammenhang nicht aus. Ebenso ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den Schulweg der Tochter der Kläger im Hinblick auf kriminelle Übergriffe angesichts der örtlichen Beschaffenheit auch angesichts der fehlenden Beleuchtung nicht für besonders gefährlich gehalten hat (vgl. hierzu Sen., Urt. vom 19.8.2015 - 2 LB 317/14 -, juris). Gleiches gilt für den von den Klägern in ihrer Antragsbegründung benannten Gesichtspunkt, dass die nahegelegene Autobahn Fluchtmöglichkeiten für potentielle Täter biete; auch diesem Umstand muss nicht zwangsläufig ein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen werden. Weitere (neue) Gesichtspunkte haben die Kläger in ihrer Antragsbegründung nicht erwähnt.

b) Entgegen der Auffassung der Kläger hat das Verwaltungsgericht sehr wohl berücksichtigt, dass die Tochter der Kläger im streitigen Schuljahr (noch) zu einem Personenkreis zählte, der dem gesteigerten Risiko krimineller Übergriffe ausgesetzt war (Seite 9 des amtl. Entscheidungsabdrucks).

c) Das Verwaltungsgericht hat auf Seite 11 des amtlichen Entscheidungsabdrucks in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats ausgeführt:

„Der Schulweg der Tochter der Kläger weist im Vergleich mit anderen Schulwegen keine Besonderheiten auf, die über das normale Maß von Wegegefahren in ländlichen Bereichen hinausgehen. Entgegen der Ansicht der Kläger begründet allein die ländliche Prägung des Gebiets bzw. die dünne Besiedlung in Verbindung mit der auf einem längeren Streckenabschnitt fehlenden Straßenbeleuchtung die Annahme einer besonderen Gefährlichkeit noch nicht. Wäre dies anders, hätte der Beklagte als Träger der Schülerbeförderung gegenüber einer Vielzahl von jüngeren Schülern, die außerhalb einer geschlossenen Bebauung in dünn besiedelten Regionen leben, stets eine wohnortunabhängige Schülerbeförderungspflicht, die angesichts des erkennbaren Ausnahmecharakters des § 1 Abs. 5 Schülerbeförderungssatzung indes nicht begründet sein kann (vgl. auch Nds. OVG, Urteil vom 19.8.2015 - 2 LB 317/14 - und Urteil vom 5.1.2011 - 2 LB 318/09 -, zitiert jeweils nach juris).“

Hierauf gehen die Kläger in ihrer Antragsbegründung nicht ein. Wenn sie zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs darauf hinweisen, der Schulweg sei für ihre Tochter unvermeidbar und zu bestimmten Zeiten zu absolvieren, insbesondere auch bei Dunkelheit, fehlt ihnen offenbar auch das Bewusstsein dafür, dass im Grundsatz sie als Erziehungsberechtigte zuvorderst die Verantwortung für einen sicheren Schulweg tragen und verpflichtet sind, die damit verbundenen Kosten zu übernehmen. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 2. Dezember 2014 - 2 LB 353/12 -, NdsVBl 2015, 158, ausgeführt:

„Es gibt keine weitergehenden verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Ansprüche auf eine allgemeine kostenlose Beförderung zur Schule, im Gegenteil besteht noch nicht einmal eine gesetzliche oder verfassungsrechtliche Verpflichtung des Landesgesetzgebers, überhaupt eine generelle kostenlose Beförderung sicherzustellen. Die nach Maßgabe des Landesrechts für die Schülerbeförderung gewährte Leistung ist - verfassungsrechtlich gesehen - eine freiwillige Leistung der öffentlichen Hand, ohne dass die staatliche Verpflichtung zum besonderen Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG), das durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Elternrecht, das Grundrecht des Schülers auf Bildung (Art. 2 Abs. 1 GG) sowie das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip einen (verfassungsrechtlichen) Anspruch darauf begründen, dass die öffentliche Hand die Kosten der Schülerbeförderung übernimmt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.6.2013 - 6 B 22.13 -, juris, Senat, Urt. v. 8.1.2014 - 2 LB 364/12 -, NdsVBl 2014, 196, Beschl. v. 16.11.2012 - 2 ME 359/12 -, NVwZ-RR 2013, 148, v. 12.5.2010 - 2 ME 180/10 -, juris; Urt. v. 24.5.2007 - 2 LC 9/07 -, NdsVBl. 2007, 336; v. 20.12.1995 - 13 L 7880/94 -, NVwZ-RR 1996, 656), OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 23.7.2013 - 2 A 10634/13 -, NVwZ-RR 2013, 921, und Urt. v. 18.12.2014 - 2 A 10506/14 -, Bayerischer VGH, Beschl. v. 3.12.2010 - 7 ZB 10.2368 -, juris).“

2. Die Voraussetzungen einer Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) sind ebenfalls nicht dargelegt. Eine Divergenz in diesem Sinne liegt vor, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift von einem in der Rechtsprechung der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen Rechts- oder Tatsachensatz abweicht. Die Darlegung einer Divergenzrüge erfordert danach die klare Bezeichnung, welche inhaltlich bestimmten, divergierenden abstrakten Rechts- oder Tatsachensätze die angefochtene Entscheidung einerseits, die Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts, von dem abgewichen worden sein soll, andererseits aufgestellt haben und inwiefern die angefochtene Entscheidung auf dem abweichenden Rechts- oder Tatsachensatz beruht (Senatsbeschl. v. 17.11.2011 - 2 LA 333/10 -, juris, m.w.N.).

Die Kläger haben bereits keinen konkreten entscheidungserheblichen Rechts- oder Tatsachensatz formuliert, mit dem das Verwaltungsgericht von den Urteilen des beschließenden Gerichts (Urt. v. 19.6.1996 - 13 L 5072/94 - u. v. 4.4.2008 - 2 LB 7/07 -, beide in juris) abgewichen sein soll. Indem sie geltend machen, das Verwaltungsgericht habe die Grundsätze aus den genannten Urteilen nicht zutreffend auf den hier zu entscheidenden Fall übertragen, rügen die Kläger im Kern auch keine Divergenz, sondern eine - hier, wie dargelegt, nicht vorliegende - unzutreffende Rechtsanwendung. Eine unzutreffende Rechtsanwendung im Einzelfall stellt aber noch keine Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 4 VwGO dar (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.6.2016 - 4 B 52.15 -, u. v. 27.7.2015 - 9 B 33/15 -, Nds. OVG, Beschl. v. 20.10.2008 - 10 LA 101/07 -, Bay. VGH, Beschl. v. 7.1.2015 - 9 ZB 14.2679 -, sämtl. in juris).

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).