Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.01.2013, Az.: 8 LA 226/12

Ermessensentscheidung einer Ausländerbehörde bei Familiennachzug eines volljährigen Kindes zu seinen in Deutschland lebenden Familienangehörigen im Falle einer psychischen Erkrankung des Kindes

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.01.2013
Aktenzeichen
8 LA 226/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 10558
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0123.8LA226.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 08.11.2012 - AZ: 12 A 2604/11

Redaktioneller Leitsatz

1.

Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG steht im Ermessen der Ausländerbehörde, wobei die Ausübung des Ermessens eröffnet ist, wenn die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind und eine außergewöhnliche Härte festgestellt ist.

2.

Ein Familiennachzug volljähriger Kinder zu ihren in Deutschland lebenden Familienangehörigen kann nur dann eine außergewöhnliche Härte darstellen, wenn der Betreffende ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist und diese Hilfe in zumutbarer Weise nur im Bundesgebiet erbracht werden kann.

3.

Im Hinblick auf Beistandsgemeinschaften zwischen volljährigen Familienmitgliedern fordert Art. 6 Abs. 1 GG auch die Berücksichtigung der Vorschläge der betroffenen Grundrechtsträger zur aufenthaltsrechtlichen Gestaltung der familiären Bestandsgemeinschaft. Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob die von einem Familienmitglied erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte.

Gründe

1

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 1. Juni 2011 verpflichtet worden ist, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen, bleibt ohne Erfolg.

2

Die Beklagte hat ihren Antrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützt. Dieser Zulassungsgrund ist zum Teil schon nicht hinreichend dargelegt worden und liegt im Übrigen nicht vor.

3

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne der genannten Bestimmung sind zu bejahen, wenn aufgrund der Begründung des Zulassungsantrags und der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts gewichtige, gegen die Richtigkeit der Entscheidung sprechende Gründe zutage treten (vgl. Senatsbeschl. v. 11.2.2011 - 8 LA 259/10 -, [...] Rn. 3). Die Richtigkeitszweifel müssen sich dabei auch auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, 542, 543).

4

Die Beklagte wendet gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ein, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht eine nach Art. 6 GG schutzwürdige Beistandsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seiner im Bundesgebiet lebenden Mutter angenommen. Der 27jährige Kläger sei erst im Juni 2010 in das Bundesgebiet eingereist und habe bis dahin in seinem Heimatland Serbien gelebt. Eine erforderliche Hilfe sei dort von seinem Vater geleistet worden. Gründe, warum diese Hilfe nun nicht mehr von diesem erbracht werden könne, sondern von der im Bundesgebiet lebenden Mutter erbracht werden müsse, seien nicht nachgewiesen. Die von der Mutter des Klägers in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, der erwerbstätige Vater könne sich nicht um seinen Sohn kümmern, sei durch nichts belegt. Auch die Mutter gehe einer Erwerbstätigkeit im Schichtdienst nach und sehe den Kläger teilweise tagelang nicht. Nicht nachzuvollziehen sei, wie sie unter diesen Umständen die Medikamenteneinnahme des Klägers überwache. Ein Betreuungserfordernis gerade durch die Mutter des Klägers bestehe daher nicht. Im Übrigen könne eine etwa erforderliche Betreuung nicht nur im Bundesgebiet geleistet werden. Die Mutter des Klägers sei erst 2001 im Alter von 36 Jahren in das Bundesgebiet eingereist. Inwieweit allein daraus, dass sie inzwischen eine Niederlassungserlaubnis innehabe, die deutsche Sprache beherrsche und möglicherweise ihren Lebensunterhalt sichere, auf die Unzumutbarkeit einer Rückkehr nach Serbien geschlossen werden könne, sei nicht nachvollziehbar.

5

Aus diesen Einwänden ergeben sich nach dem eingangs dargestellten Maßstab ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Feststellung des Verwaltungsgerichts, dem Kläger sei zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte eine Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen, nicht.

6

Das Verwaltungsgericht hat seiner Entscheidung einen zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt. Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers zum Familiennachzug eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dieser Bestimmung steht im Ermessen der Ausländerbehörde. Die Ermessensausübung ist eröffnet, wenn die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen erfüllt sind und eine außergewöhnliche Härte festgestellt ist (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 2.11.2006 - 11 ME 197/06 -, InfAuslR 2007, 67, 68; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2012, AufenthG, § 36 Rn. 12 f.). Ausgehend von dem Grundsatz, dass die Regelungen zum Aufenthalt aus familiären Gründen einen Familiennachzug von volljährigen Kindern zu ihren in Deutschland lebenden Familienangehörigen nicht erlauben (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), BT-Drs. 15/420, S. 84; GK-AufenthG, Stand: Oktober 2012, § 27 Rn. 14 f.), kann eine solche außergewöhnliche Härte nur dann angenommen werden, wenn im konkreten Einzelfall gewichtige Umstände vorliegen, die unter Berücksichtigung des Schutzgebots des Art. 6 GG und im Vergleich zu den übrigen geregelten Fällen des Familiennachzugs ausnahmsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gebieten. Die mit der Versagung der Aufenthaltserlaubnis eintretenden Schwierigkeiten für den Erhalt der Familiengemeinschaft müssen nach ihrer Art und Schwere so ungewöhnlich und groß sein, dass die Versagung der Aufenthaltserlaubnis als schlechthin unvertretbar anzusehen ist. Dies setzt grundsätzlich voraus, dass der im Bundesgebiet oder der im Ausland lebende Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur im Bundesgebiet erbracht werden kann (vgl. Senatsbeschl. v. 1.12.2010 - 8 ME 292/10 -, [...] Rn. 10; v. 19.05.2010 - 8 ME 88/10 -, [...] Rn. 3; Bayerischer VGH, Beschl. v. 7.10.2008 - 19 C 08.2654 -, [...] Rn. 5 f.; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 2.11.2006, a.a.O.; Beschl. v. 23.5.2006 - 5 ME 35/06 -, [...] Rn. 21; OVG Berlin, Urt. v. 31.1.2003 - OVG 3 B 4.02 -, InfAuslR 2003, 275, 276; Hailbronner, a.a.O., § 36 Rn. 13; und zur inhaltsgleichen Vorgängerreglung in § 22 AuslG: BVerwG, Beschl. v. 25.6.1997 - 1 B 236.96 -, Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4).

7

Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, eine solche Situation liege unter Berücksichtigung der Beistandsgemeinschaft zwischen dem Kläger und seiner im Bundesgebiet lebenden Mutter hier tatsächlich vor, ist nach dem Zulassungsvorbringen des Klägers ernstlichen Richtigkeitszweifeln nicht ausgesetzt.

8

Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind zwar auch dann anzunehmen, wenn erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten so in Frage gestellt werden, dass der Ausgang des Berufungsverfahrens als ungewiss erscheint (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NdsVBl. 2000, 244, 245). Bezieht sich, wie hier, das diesbezügliche Vorbringen aber auf die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Tatsachen- und Beweiswürdigung, kommt eine Zulassung der Berufung nicht schon dann in Betracht, wenn der erkennende Senat die vom Verwaltungsgericht nach zutreffenden Maßstäben gewürdigte Sachlage nach einer eigenen Beweisaufnahme möglicherweise anders beurteilen könnte als das Verwaltungsgericht. Denn sonst wäre die Berufung gegen Urteile, die auf Grund einer Beweisaufnahme ergangen sind, regelmäßig nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, was mit Sinn und Zweck der Zulassungsbeschränkung nicht vereinbar wäre (vgl. Sächsisches OVG, Beschl. v. 8.1.2010 - 3 B 197/07 -, [...] Rn. 2; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 18.1.2001 - 4 L 2401/00 -, [...] Rn. 4). Eine Tatsachen- oder Beweiswürdigung kann deshalb nur mit Erfolg angegriffen werden bei Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder wenn sie offensichtlich sachwidrig und damit willkürlich ist (vgl. Senatsbeschl. v. 17.11.2011 - 8 LA 54/11 -, [...] Rn. 9; Bayerischer VGH, Beschl. v. 29.7.2009 - 11 ZB 07.1043 -, [...] Rn. 9).

9

Solche Fehler der Tatsachen- oder Beweiswürdigung ergeben sich aus dem dargestellten Zulassungsvorbringen der Beklagten nicht.

10

Das Verwaltungsgericht hat zunächst festgestellt, dass der Kläger ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe angewiesen ist. Der Kläger leide ausweislich der von ihm vorgelegten ärztlichen Berichte an einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung in Form einer Psychose. Auch nach der Mitteilung des Amtsarztes der Beklagten vom 27. Januar 2011 führe die Erkrankung zu paranodien Denkinhalten, Zerfahrenheit und Angstzuständen und bedinge die Unfähigkeit zu planmäßigem Denken und eine depressive Symptomatik. Nehme der Kläger zur Behandlung erforderliche Medikamente nicht ein, trete eine psychische Dekompensation ein, die in der Vergangenheit bereits zur erheblichen Eigen- und Fremdgefährdungen geführt und eine geschlossene Unterbringung erforderlich gemacht habe. Da der Kläger eine Krankheits- und Behandlungseinsicht nicht zeige, sondern Ärzte und auch Medikamente ablehne, benötige er kontinuierlich Hilfe und Überwachung im Hinblick auf die Medikamenteneinnahme und den Besuch bei Ärzten. Aufgrund der ärztlichen Berichte, der Schilderungen der Mutter des Klägers und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung habe das Verwaltungsgericht die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage sei, seinen Alltag durchgehend allein zu bewältigen. Ohne die stetige Lebenshilfe von Familienmitgliedern drohe der Kläger zu verwahrlosen oder dauerhaft in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht zu werden. Diese tatsächlichen Feststellungen hat die Beklagte mit ihrem Zulassungsvorbringen nicht angegriffen.

11

Das Verwaltungsgericht hat weiter festgestellt, dass die erforderliche Lebenshilfe derzeit von der Mutter des Klägers tatsächlich geleistet wird. Der Kläger lebe in der Wohnung seiner Mutter. Dort sorge sie für ihn, überwache die Medikamenteneinnahme und habe einen Weg gefunden, den Widerstand des Klägers bei der Medikamenteneinnahme zu überwinden. Sie bemühe sich um eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes, um dem Kläger schrittweise ein selbständiges Leben und auch eine Arbeitsaufnahme zu ermöglichen. Soweit die Beklagte hiergegen mit ihrem Zulassungsvorbringen einwendet, die Mutter des Klägers gehe einer Erwerbstätigkeit im Schichtdienst nach und sehe den Kläger teilweise tagelang nicht, so dass nicht nachvollzogen werden könne, wie sie unter diesen Umständen die Medikamenteneinnahme des Klägers überwache, ergeben sich hieraus ernstliche Richtigkeitszweifel an den tatsächlichen Feststellungen nicht. Zum einen hat die Beklagte mit diesem Vorbringen schon keine Fehler der Tatsachen- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts aufgezeigt, die nach dem eingangs dargestellten Maßstab bei der Beurteilung des Vorliegens des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Relevanz erlangen könnten. Sie hat ausschließlich ihre eigene Sachverhaltswürdigung an die Stelle der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Würdigung gesetzt. Zum anderen hat schon das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass es nicht darauf ankommt, ob die familiäre Hilfeleistung umfassend und in jeder Hinsicht ausreichend erfolgt, es vielmehr genügt, dass der Betroffene mit Hilfe seiner Familienangehörigen seinen Alltag bewältigen kann, also bei der Führung eines eigenständigen Lebens maßgeblich unterstützt wird. Dass die von der Mutter des Klägers geleistete Lebenshilfe diesen Anforderungen genügt, ist nach dem Zulassungsvorbringen der Beklagten ernstlichen Richtigkeitszweifeln nicht ausgesetzt, zumal der Kläger seit nunmehr anderthalb Jahren nicht mehr in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden musste.

12

Das Verwaltungsgericht hat weiter festgestellt, dass die notwendige Lebenshilfe nicht von dem Vater des Klägers geleistet wird. Nach der Zeugenaussage der Mutter des Klägers in der mündlichen Verhandlung sei der Vater weder bereit noch in der Lage, sich (weiter) um seinen Sohn zu kümmern. Wenn die Beklagte hiergegen einwendet, die Aussage der Mutter sei durch nichts belegt, zeigt sie wiederum keine für eine Zulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO relevanten Fehler der Tatsachen- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts auf. Unabhängig davon - hierauf hat schon das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen - verkennt die Beklagte auch die sich aus Art. 6 Abs. 1 GG nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Schutzwirkungen im Hinblick auf Beistandsgemeinschaften zwischen volljährigen Familienmitgliedern. Danach fordert Art. 6 Abs. 1 GG eben nicht nur, dass bei entsprechendem Bedarf überhaupt eine familiäre Betreuung ermöglicht wird (so noch Senatsbeschl. v. 6.1.2010 - 8 ME 217/09 -; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 9.2.2004 - 11 S 1131/03 -, [...], Rn. 8 m.w.N.). Darüber hinaus sind auch die Vorschläge der betroffenen Grundrechtsträger zur aufenthaltsrechtlichen Gestaltung der familiären Bestandsgemeinschaft zu berücksichtigen (so ausdrücklich BVerfG, Beschl. v. 27.8.2010 - 2 BvR 130/10 -, [...] Rn. 44), und zwar grundsätzlich, ohne dass es im Falle einer Beistandsgemeinschaft unter volljährigen Familienmitgliedern für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG darauf ankommt, ob die von einem Familienmitglied erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden könnte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.5.2011 - 2 BvR 2625/10 -, [...] Rn. 15; v. 12.12.1989 - 2 BvR 377/88 -, NJW 1990, 895, 896; Senatsbeschl. v. 21.2.2012 - 8 ME 39/12 -; v. 26.8.2011 - 8 LA 129/11 -; v. 11.4.2011 - 8 ME 65/11 -; v. 5.4.2011 - 8 LA 322/10 -; v. 16.11.2010 - 8 LA 224/10 -). Ausnahmen können zwar dann geboten sein, wenn eine missbräuchliche aufenthaltsrechtliche Gestaltung von den betroffenen Grundrechtsträgern vorgeschlagen wird, etwa dann, wenn mehrere Personen versuchen, sich durch Aufteilung der Beistandsleistungen ein Aufenthaltsrecht zu verschaffen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.8.2010, a.a.O.). Anhaltspunkte für eine solche missbräuchliche Gestaltung bestehen hier nach dem Zulassungsvorbringen der Beklagten indes nicht. Sie sind für den Senat auch nicht offensichtlich.

13

Das Verwaltungsgericht hat schließlich festgestellt, dass die Lebenshilfe durch die Mutter des Klägers in zumutbarer Weise nur im Bundesgebiet erbracht werden kann (vgl. zur Zumutbarkeit abhängig vom aufenthaltsrechtlichen Status eines beteiligten Familienmitglieds: Senatsbeschl. v. 2.2.2011 - 8 ME 305/10 -, AuAS 2011, 53 f. m.w.N.). Die Mutter des Klägers lebe seit mehr als zehn Jahren in Deutschland, beherrsche die deutsche Sprache überzeugend, sichere ihren Lebensunterhalt und verfüge über eine Niederlassungserlaubnis. Auch insoweit hat die Beklagte ernstliche Richtigkeitszweifel schon nicht hinreichend dargelegt. Erforderlich wären insoweit qualifizierte, ins Einzelne gehende und aus sich heraus verständliche Ausführungen, die sich mit der angefochtenen Entscheidung auf der Grundlage einer eigenständigen Sichtung und Durchdringung des Prozessstoffes auseinandersetzen. Dem genügt das Zulassungsvorbringen der Beklagten nicht, wenn sie lediglich darauf hinweist, die Würdigung des Verwaltungsgerichts sei - für sie - "nicht nachvollziehbar" (Schriftsatz v. 15.1.2013, dort S. 3).