Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.01.2013, Az.: 12 ME 289/12

Anordnung eines Gutachtens einer Begutachtungsstelle für Fahreignung bei Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis bei ärztlicher Verschreibung des Medikaments "Dronabinol"

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.01.2013
Aktenzeichen
12 ME 289/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 10420
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0111.12ME289.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 01.11.2012 - AZ: 9 B 5246/12

Fundstellen

  • DAR 2013, 288-290
  • NZV 2013, 6
  • NZV 2013, 263-264
  • zfs 2013, 238-239

Redaktioneller Leitsatz

Die regelmäßige Einnahme des cannabishaltigen Medikaments Dronabinol zu Therapiezwecken kann trotz regelmäßigem Cannabiskonsum zu einer positiven Beurteilung der Fahreignung führen. Dieses setzt dann allerdings zwingend ein Trennungsvermögen des Betroffenen hinsichtlich Konsum und Fahren voraus.

Gründe

1

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die unter Anordnung der sofortigen Vollziehung verfügte Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

2

Die Antragsgegnerin forderte ihn unter dem 30. März 2012 wegen Bedenken gegen seine Fahreignung zur Vorlage eines Gutachtens einer Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines Rechtsmedizinischen Instituts auf. Dem lag zugrunde, dass eine dem Antragsteller am 17. Februar 2012 entnommene Blutprobe den Nachweis von 2,0 ng/ml THC und 14,1 ng/ml THC-COOH im Serum erbracht hatte und die Antragsgegnerin annahm, der Antragsteller habe an diesem Tag ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis geführt. Wegen dieses Sachverhalts wurde im Folgenden auch ein Bußgeldbescheid gegen den Antragsteller verhängt, der rechtskräftig geworden ist.

3

Im Rahmen der ärztlichen Untersuchung am 5. April 2012 bei dem Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) gab der Antragsteller an, lediglich einmalig Ende Januar 2012 Cannabis konsumiert zu haben. Bei der Urinuntersuchung wurde ein THC-COOH-Wert von 5,6 ng/ml festgestellt und das Gutachten kam zu dem Schluss, dass die Angaben des Antragstellers bei der Befragung unter Berücksichtigung der Befunde der damaligen Blutuntersuchung nicht plausibel seien.

4

Mit Bescheid vom 13. August 2012 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller nach dessen Anhörung die Fahrerlaubnis und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme an. Der Antragsteller sei als gelegentlicher Cannabiskonsument einzustufen und zeige fehlendes Trennungsvermögen bezüglich Konsum und Führen eines Kraftfahrzeuges. Die im Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen über die Verordnung des Cannabiswirkstoffs Dronabinol (THC) änderten daran nichts.

5

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, ihm vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss abgelehnt, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird.

6

II.

Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts erhobene Beschwerde hat keinen Erfolg.

7

Der Senat geht mit dem Verwaltungsgericht jedenfalls im vorliegenden gerichtlichen Eilverfahren, das auf eine nur summarische Prüfung des Sachverhalts angelegt ist, davon aus, dass der Antragsteller gelegentlicher Konsument von Cannabis und aufgrund der fehlenden Trennung von Konsum und Fahren ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist (vgl. Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV).

8

Der Antragsteller räumt (mittlerweile) ein, gelegentlich Cannabis zu konsumieren: Er macht geltend, bei ihm liege jedoch entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kein Drogenproblem, sondern ein medizinisches Problem vor. Cannabis werde bei ihm zu Therapiezwecken bezüglich der Folgen der Hepatitis C und der Interferonbehandlung eingesetzt. Er verweist insoweit weiter auf die Stellungnahmen des Dr. D. vom 23. August 2012 und des Dr. E. vom 18. Juni 2012. Darüber hinaus sei keineswegs abschließend festgestellt, dass er unter Drogeneinfluss einen Pkw geführt habe.

9

Diese zur Begründung des Rechtsmittels dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben keinen Anlass, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern.

10

Zur Frage des fehlenden Trennungsvermögens hat das Verwaltungsgericht ausgeführt:

"Derzeit spricht ebenfalls Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller nicht zwischen Konsum und Fahren trennt, da er am 17.02.2012 mit seinem Pkw unter dem Einfluss von Cannabis gefahren sein dürfte. Sein diesbezüglicher Vortrag, nicht er selbst, sondern eine Bekannte sei gefahren, erscheint dem Gericht unglaubwürdig. So gab der Antragsteller zunächst noch den beiden Polizisten gegenüber an, er sei mit dem Auto zur Schule gekommen und habe den Wagen ordnungsgemäß verschlossen geparkt. Auch nach dem Drogenfund in seiner Wohnung und dem positiven Drogenvortest gab der Antragsteller noch nicht an, nicht selbst gefahren zu sein. Diesen Umstand trug er erstmals auf der Polizeiwache vor. Die mangelnde Bereitschaft, nähere Angaben zu seiner Bekannten "Ilona" zu machen, begründen weitere Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieses Vortrags. Diese Zweifel müssen ggf. im Hauptsacheverfahren aufgeklärt werden. Bisher war und ist eine solche Aufklärung nicht möglich, da der Antragsteller auch im gerichtlichen Verfahren bisher lediglich den Vornamen seiner Bekannten mitgeteilt hat, nicht jedoch deren Nachnamen und Anschrift. Auch von der Möglichkeit, eine eidesstattliche Versicherung dieser Bekannten vorzulegen, hat der Antragsteller keinen Gebrauch gemacht, sodass das Gericht zurzeit ebenso wie die Antragsgegnerin davon ausgeht, dass es sich bei dem Vortrag des Antragstellers um eine reine Schutzbehauptung handelt und er am 17.02.2012 selbst mit seinem Wagen zur Schule gefahren ist. Diese Einschätzung wird schließlich gestützt durch den rechtskräftigen Bußgeldbescheid und den Umstand, dass der Antragsteller auch das geforderte ärztliche Gutachten erbracht hat."

11

Allein der Umstand, dass der Antragsteller - weiterhin ohne nähere Substantiierung - darauf verweist, seine Bekannte F. sei gefahren, ist nicht geeignet, diese überzeugenden Darlegungen des Verwaltungsgerichts in Zweifel zu ziehen. Mithin ist von fehlendem Trennungsvermögen auszugehen.

12

Der Hinweis des Antragstellers auf seine Erkrankungen überzeugt nicht. Allein der Umstand, dass dem Antragsteller offenbar nach der Fahrt und dem ärztlichen Gutachten der MHH der Cannabiswirkstoff Dronabinol (THC) ärztlich verschrieben worden ist, reicht nicht aus, die zuvor offenbar ohne ärztliche Kontrolle und damit missbräuchliche Einnahme von Cannabis zu "legalisieren".

13

Selbst wenn man zu Gunsten des Antragstellers annähme, die Bescheinigungen beträfen auch den damaligen Zeitraum, ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Nr. 9.2 der Anlage 4 zur FeV differenziert bei der Einnahme von Cannabis zwischen der regelmäßigen und der gelegentlichen Einnahme. Im erstgenannten Falle fehlt es regelmäßig an der Fahreignung (Nr. 9.2.1), während es im zweiten Fall darauf ankommt, ob der Betreffende Konsum und Fahren trennen kann und zudem kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen, keine Störung der Persönlichkeit und kein Kontrollverlust vorliegen (Nr. 9.2.2). Bei psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen ist von einer fehlenden Fahreignung dagegen nur auszugehen, wenn diese missbräuchlich, d.h. regelmäßig und übermäßig, eingenommen werden (Nr. 9.4). Im Gegenschluss ist davon auszugehen, dass nach der einschlägigen gesetzlichen Regelung in Nr. 9.2 der Anlage zur FeV eine tatsächliche Einnahme des Betäubungsmittels genügt, nicht dagegen eine rechtsmissbräuchliche Einnahme erforderlich ist.

14

Zwar spricht einiges dafür, dass die regelmäßige Einnahme des cannabishaltigen Medikaments Dronabinol zu Therapiezwecken ähnlich wie etwa die Methadonsubstitution (vgl. etwa Beschl. d. Sen. v. 19.10.2010 - 12 ME 179/10 -) in Ausnahmefällen eine Sonderbehandlung rechtfertigen kann und mithin ggf. trotz regelmäßigem Cannabiskonsum eine positive Beurteilung der Fahreignung im Einzelfall möglich ist. Es kann auch dahinstehen, ob es sich insoweit um eine Ausnahme von der im Regelfall anzunehmenden Ungeeignetheit nach Nr. 9.2 der Anlage 4 handelt oder man - wie etwa der Bayerische VGH - insoweit nicht Nr. 9.1 und 9.2, sondern Nr. 9.4 und 9.6 der Anlage 4 für einschlägig hält (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 10.10.2005 - 11 CS 05.1560 -; v. 18.4.2011 - 11 C 10.3167 u.a. -, [...]).

15

Eine Fahreignung setzt in diesen Fällen, da der Cannabiswirkstoff Dronabinol (THC) dosisabhängig die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen kann, jedenfalls voraus, dass hinreichend sichergestellt ist, dass nicht etwa fehlendes Trennungsvermögen hinzukommt. Ein Fahrerlaubnisinhaber, bei dem - wie hier - THC in der entnommenen Blutprobe in einer Konzentration von mindestens 2,0 ng/ml bei einer Fahrt mit dem Kraftfahrzeug festgestellt wird, hat ein Fahrzeug geführt, obwohl er sich nicht sicher sein konnte, dass in seinem Blut THC nicht mehr in relevantem Umfang vorhanden ist und eine Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit ausgeschlossen war. Eine Wiederholung eines solchen, die übrigen Verkehrsteilnehmer gefährdenden Verhaltens ist aber nach dem auf eine wirksame Gefahrenabwehr zielenden Fahrerlaubnisrecht zu unterbinden und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen der Betreffende Cannabis konsumiert hat. Darüber hinaus geben die vom Antragsteller vorgelegten Stellungnahmen seiner Ärzte keinen Aufschluss über das tatsächliche Konsumverhalten des Antragstellers. Insbesondere ist dadurch nicht dargelegt, dass er nicht - wie zuvor - nunmehr neben der Einnahme von Dronabinol in der verordneten Menge weiterhin Cannabis konsumiert.