Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.01.2013, Az.: 12 ME 272/12

Zumutbare und angemessene Maßnahmen zur Ermittlung eines Fahrzeugführers im Falle des Gebrauchmachens des Geschäftsführers des Fahrzeughalters von seinem Zeugnisverweigerungsrecht; Feststellung eines verantwortlichen Fahrzeugführers bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch ein Firmenfahrzeug

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.01.2013
Aktenzeichen
12 ME 272/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 10528
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2013:0124.12ME272.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 17.10.2012 - AZ: 5 B 4955/12

Fundstellen

  • DAR 2013, 294
  • DÖV 2013, 323
  • FStBW 2013, 722-724
  • FStHe 2013, 584-586
  • FStNds 2013, 394-395
  • NZV 2013, 8
  • NZV 2013, 256-257

Amtlicher Leitsatz

Macht der Geschäftsführer der Fahrzeughalterin von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und bleiben Befragungen am Sitz der Firma erfolglos, gehört es ohne konkrete Ermittlungsansätze nicht zu den zumutbaren und angemessenen Maßnahmen zur Ermittlung des Fahrzeugführers, nach potentiell bestellten weiteren Geschäftsführern zu forschen und diese gegebenenfalls persönlich zu befragen.

Gründe

1

I.

Mit dem auf die Antragstellerin zugelassenen Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen D. wurde am 17. April 2012 auf der B 5 bei E. die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 70 km/h um (nach Toleranzabzug) 37 km/h überschritten. Mit Verfügung vom 27. Juli 2012 ordnete der Antragsgegner nach Anhörung der Antragstellerin für das genannte Fahrzeug oder ein Ersatzfahrzeug das Führen eines Fahrtenbuchs für die Dauer von zwölf Monaten und zugleich die sofortige Vollziehung dieser Maßnahme an, weil der verantwortliche Fahrzeugführer bei dem Verkehrsverstoß nicht habe ermittelt werden können.

2

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, abgelehnt.

3

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen diesen Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

4

Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Soweit sich die Antragstellerin zur Begründung der Beschwerde pauschal "vollinhaltlich auf die Ausführungen in (ihrem) Schriftsatz vom 23.08.2012" und damit auf ihren erstinstanzlichen Vortrag bezieht, genügt dies den beschriebenen Anforderungen nicht. Die nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO geforderte Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung kann regelmäßig nicht in der Weise stattfinden, dass eine Argumentation im Kern unverändert zum Gegenstand des Beschwerdevorbringens gemacht wird, die noch vor dem Erlass des angegriffenen Beschlusses und damit notwendig in Unkenntnis seiner Begründung vorgetragen worden ist. Ob ausnahmsweise anderes gilt, wenn sich - wie die Antragstellerin behauptet - der angegriffene Beschluss weitestgehend in der Wiedergabe von Textbausteinen ohne die erforderliche konkrete Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Fall erschöpft, kann hier dahinstehen. So verhält es sich hier nicht. Vielmehr hat sich das Verwaltungsgericht zu den konkreten Umständen des Falles und insbesondere dazu geäußert, dass sich die Geschäftsführerin der Antragstellerin auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen habe, durchgeführte Aufklärungsschritte, wie das Aufsuchen der Firma und die Nachfrage bei den anwesenden Mitarbeitern, ergebnislos geblieben und weitere Ermittlungsbemühungen unter diesen Umständen nicht mehr zumutbar gewesen seien.

5

Unabhängig davon und im Übrigen geben die dargelegten, vom Senat allein zu prüfenden Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) keinen Anlass, den erstinstanzlichen Beschluss zu ändern. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass unter den hier gegebenen Umständen weitere Bemühungen der Ordnungswidrigkeitenbehörde zur Feststellung des Fahrzeugführers nicht mehr erforderlich gewesen sind, um zu der Feststellung zu gelangen, die Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers sei unmöglich im Sinne des § 31a StVZO. Auf den an den Geschäftsführer der Antragstellerin übersandten Zeugenanhörungsbogen vom 10. Mai 2012 hatte für die Antragstellerin Frau F., offenkundig in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin, unter dem 4. Juni 2012 erklärt, sie mache von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Die zuständige Bußgeldstelle hatte daraufhin die Polizeiinspektion G. um Fahrzeugführerermittlung gebeten. Ausweislich eines darüber gefertigten Vermerks vom 28. Juni 2012 suchte ein Polizeibeamter die Firmenanschrift auf, traf Frau H. aber nicht an. Ferner heißt es in dem Vermerk, Mitarbeiter hätten keine Auskunft über die Person auf dem Foto geben wollen bzw. können. Der von Frau H. erbetene Rückruf sei nicht erfolgt. Ermittlungen im Umfeld seien negativ verlaufen. Damit hatte die zuständige Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen veranlasst, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht wurden und erfahrungsgemäß Erfolg versprachen. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde können sich an dem Verhalten und der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters daran, den Fahrzeugführer zu bezeichnen, fehlt es regelmäßig bereits dann, wenn Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer nicht gemacht werden. Hier bot auch die Angabe der Geschäftsführerin der Antragstellerin, sie mache von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, keine hinreichenden Anknüpfungspunkte für konkrete Ermittlungsansätze, denn mit dieser Aussage war der Kreis der Fahrzeugbenutzer nicht näher beschrieben worden. Die Berufung der Geschäftsführerin auf ein Zeugnisverweigerungsrecht und damit auf ein nahes Angehörigenverhältnis musste nicht etwa den Verdacht begründen, dass der Fahrzeugführer nur im Kreis der Geschäftsführer oder sonstiger Firmenangehöriger zu suchen sei. Vielmehr konnte es sich insoweit auch um Angehörige im rein privaten Umfeld der Geschäftsführerin handeln. Anders als die Antragstellerin meint, musste sich der Behörde auch sonst keineswegs aufdrängen, dass einer der übrigen Geschäftsführer der Antragstellerin der Fahrer gewesen sein konnte. Jedenfalls war sie zu Ermittlungen in dieser Richtung ohne weitere Hinweise nicht verpflichtet. Solche Hinweise hatten sich aus der Befragung in der Firma aber nicht ergeben. Die von der zuständigen Behörde veranlassten Ermittlungen waren auch nicht ungeeignet, denn bei einem Firmenfahrzeug spricht zunächst viel für die Möglichkeit, dass der Fahrer des Fahrzeugs von Firmenangehörigen auf einem Lichtbild erkannt wird. Da die Geschäftsführerin Frau F. in dieser Funktion mit dem Zeugenfragebogen geantwortet hatte, war diese Reaktion auch ohne weiteres der Antragstellerin zuzurechnen und gehörte es nicht zu den zumutbaren und angemessenen Maßnahmen, nach potentiell bestellten weiteren Geschäftsführern zu suchen und diese gegebenenfalls etwa alle persönlich zu befragen. Im Übrigen ist es bei Firmenfahrzeugen Sache der Betriebsleitung, die notwendigen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass der verantwortliche Fahrzeugführer festgestellt werden kann. Dokumentiert ein Geschäftsbetrieb, der dem Vorgang nähersteht als die Behörde, nicht, welche Personen ein Geschäftsfahrzeug in einem bestimmten Zeitraum benutzt haben, so ist es der Behörde im Ordnungswidrigkeitenverfahren schon deshalb regelmäßig nicht zuzumuten, aufwendige und zeitraubende Aufklärungsmaßnahmen zu ergreifen (vgl. dazu nur Senat, Beschl. v. 12.12.2007, 12 LA 267/07 -, zfs 2008, 356 m. w. N.; v. 27.4.2011 - 12 LA 137/10 -).

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Nur ergänzend sei bemerkt, dass die im erstinstanzlichen Verfahren vorgebrachten Zweifel an der Verlässlichkeit und Verwertbarkeit des Messergebnisses die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verfügung nicht zu erschüttern vermögen. Wer den begangenen Verkehrsverstoß als solchen bestreiten will, muss substantiierte Angaben machen, die seine Schilderung und Einwände plausibel erscheinen lassen. Dazu reicht die pauschale Bezugnahme auf eine Literaturstelle, die sich mit dem Thema "Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren" befassen soll, und einen konkreten Bezug zu den spezifischen Umständen des vorliegenden Falls nicht aufzeigt, nicht aus. Im Übrigen leitete die Antragstellerin daraus auch lediglich die Einschätzung ab, es sei nicht auszuschließen, dass das Messergebnis standort-/installations-/gerätebedingt fehlerhaft ermittelt worden sei. Damit wird aber nicht mehr als eine hypothetische Annahme oder Vermutung geäußert, mit der das Vorliegen der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung nicht fundiert in Zweifel gezogen wird.