Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.01.2013, Az.: 9 OB 173/12
Grundsätze zur Aussetzung eines verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens gegen einen Vergnügungsteuerbescheid bis zur Entscheidung des zuständigen Finanzgerichts
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 30.01.2013
- Aktenzeichen
- 9 OB 173/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 32187
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:0130.9OB173.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Göttingen - 28.11.2012 - AZ: 2 A 39/11
Rechtsgrundlagen
- § 94 VwGO
- § 146 Abs. 1 VwGO
Fundstelle
- ZfWG 2013, 227
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine Aussetzung des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens gegen einen Vergnügungsteuerbescheid bis zur Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg - 3 K 104/11 - ist nicht entsprechend § 94 VwGO gerechtfertigt, da die Entscheidung dieses Gerichts die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Umsatzsteuerbescheides betrifft und diese Entscheidung weder für den Ausgang des beim Verwaltungsgericht anhängigen Klageverfahrens entscheidungserheblich ist, noch eine Bindungswirkung der finanzgerichtlichen Entscheidung für das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren besteht.
- 2.
Ob eine Aussetzung analog § 94 VwGO bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die ihm vorgelegte Frage nach der Vereinbarkeit der kumulativen Erhebung von Mehrwert- und Vergnügungsteuer mit Gemeinschaftsrecht ermessensfehlerfrei wäre, hat der Senat im Beschwerdeverfahren mangels einer entsprechenden Aussetzungsentscheidung des Verwaltungsgerichts nicht zu entscheiden.
Gründe
Die nicht gemäß § 146 Abs. 2 VwGO ausgeschlossene und daher gemäß § 146 Abs. 1 VwGO zulässige Beschwerde des Beklagten ist begründet. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Klageverfahrens gegen den angegriffenen Vergnügungsteuerbescheid entsprechend § 94 VwGO liegen nicht vor.
Gemäß § 94 VwGO kann das Gericht das Verfahren aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet. Diese Voraussetzungen liegen - wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht angeschlossen hat, ist § 94 VwGO aber u. a. entsprechend anwendbar, wenn gemeinschaftsrechtliche Fragen, die in einem Verfahren entscheidungserheblich sind, bereits Gegenstand eines beim Gerichtshof der Europäischen Union anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens sind. Eine neuerliche Anrufung des Gerichtshofes würde diesen nämlich zusätzlich belasten, ohne dass davon ein Erkenntnisgewinn zu erwarten wäre. Unter diesen Umständen steht der der Vorschrift des § 94 VwGO zugrunde liegende Grundsatz der Prozessökonomie einer weiteren Vorlage entgegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.11.2000 - 3 C 3.00 - BVerwGE 112, 66; NdsOVG, Beschluss vom 29.09.2008 - 11 LC 281/06 -). Bejaht das Verwaltungsgericht die Entscheidungserheblichkeit und Vorgreiflichkeit der zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfrage und setzt das bei ihm anhängige Verfahren aus, ist das Beschwerdegericht auf die Prüfung beschränkt, ob die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 94 VwGO vorliegen und das Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung die Grenzen des ihm gemäß § 94 VwGO eröffneten Ermessens eingehalten hat (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.09.2011 - 1 O 135/11 - DÖV 2012, 206; HessVGH, Beschluss vom 02.01.2013 - 5 E 2244/12 -).
Die Voraussetzungen für die vom Verwaltungsgericht beschlossene Aussetzung in entsprechender Anwendung des § 94 VwGO sind nicht gegeben. Das Verwaltungsgericht hat mit seinem Beschluss "die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Finanzgericht Hamburg - 3 K 104/11 -" ausgesetzt und dies darauf gestützt, dass in dem bezeichneten Verfahren des Finanzgerichts Hamburg über eine wesentliche, im verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren zu klärende Frage zu entscheiden sei. Zwar sei das Verwaltungsgericht nicht an die Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg gebunden, es habe aber die verbindliche Auslegung europarechtlicher Normen durch den Gerichtshof der Europäischen Union zu beachten. Eine Aussetzung des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens bis zur Entscheidung des Finanzgerichts Hamburg ist jedoch nicht entsprechend § 94 VwGO gerechtfertigt, da die Entscheidung dieses Gerichts die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Umsatzsteuerbescheides betrifft und diese Entscheidung weder für den Ausgang des beim Verwaltungsgericht anhängigen Klageverfahrens gegen einen Vergnügungsteuerbescheid entscheidungserheblich ist noch - wie das Verwaltungsgericht selbst ausgeführt hat - eine Bindungswirkung der finanzgerichtlichen Entscheidung für das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren besteht, die Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 94 VwGO wäre (vgl. in diesem Sinne auch OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.09.2011 - 1 O 135/11 - a. a. O. zur fehlenden Vorgreiflichkeit eines sozialgerichtlichen Verfahrens im Sinne von § 94 VwGO; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Auflage 2011, § 94, Rn. 4a).
Entscheidungserheblich und vorgreiflich für die Entscheidung des verwaltungsgerichtlichen Klageverfahrens könnte allenfalls die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die ihm vom Finanzgericht Hamburg mit Beschluss vom 21. September 2012 - 3 K 104/11 - u. a. vorgelegten Fragen sein, ob Art. 401 (in Verbindung mit Art. 135 Abs. 1 Buchst. i) der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem dahingehend auszulegen sei, dass Mehrwertsteuer und nationale Sonderabgabe auf Glückspiele nur alternativ und nicht kumulativ erhoben werden dürften und ob - bejahendenfalls - die Erhebung sowohl der Mehrwertsteuer als auch einer Sonderabgabe nach nationalen Vorschriften bei Glückspielen zur Nichterhebung der Mehrwertsteuer oder der Sonderabgabe führt oder ob sich die Entscheidung, welche von beiden Abgaben nicht erhoben werden darf, nach nationalem Recht richtet. In diesem Sinne haben inzwischen einzelne Gerichte (VG Frankfurt a. M., Beschluss vom 19.11.2012 - 6 K 3709/11.F -; BFH, Beschluss vom 09.01.2013 - II R 27/11 -) ihre anhängigen Verfahren bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die ihm vorgelegte Frage nach der Vereinbarkeit der kumulativen Erhebung von Mehrwert- und Vergnügungsteuer mit Gemeinschaftsrecht ausgesetzt. Ob eine solche Aussetzung analog § 94 VwGO ermessensfehlerfrei wäre, hat der Senat im Beschwerdeverfahren mangels einer entsprechenden Aussetzungsentscheidung des Verwaltungsgerichts nicht zu entscheiden. Er weist jedoch vorsorglich darauf hin, dass andere Verwaltungsgerichte eine Aussetzung unter Verweis darauf abgelehnt haben, dass sich die Vorlagefrage bereits durch die maßgebliche Richtlinie und bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe beantworten lasse (vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 10.01.2013 - 25 K 8427/12 - zitiert nach [...]; VG Gießen, Beschluss vom 19.11.2012 - 8 K 1323/12.GI -, bestätigt durch HessVGH, Beschluss vom 02.01.2013 - 5 E 2244/12 -; hierzu auch Meier, KStZ 2013, 9 ff.). In diesem Sinne hat der Senat mit Beschlüssen vom heutigen Tage mehrere Beschwerden gegen die Versagung der Gewährung vorläufigen Rechtschutzes gegen Vergnügungsteuerforderungen zurückgewiesen, weil sich aus dem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Hamburg keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des jeweils angefochtenen Vergnügungsteuerbescheides ergeben (Senatsbeschlüsse vom 30.01.2013 - 9 ME 160 und 161/12 - unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 25.05.2011 - 9 B 34.11 - ZKF 2012, 90; OVG NW, Beschlüsse vom 27.11.2012 - 14 A 2351/12 - a. a. O., vom 07.11.2012 - 14 A 2350/12 - und vom 10.05.2012 - 14 A 885/12 - jeweils zitiert nach [...]; VGH BW, Urteil vom 13.12.2012 - 2 S 1010/12 - zitiert nach [...]).
Einer Kostenentscheidung bedarf es für das erfolgreiche Beschwerdeverfahren nicht, da die Kosten dieses nichtstreitigen Zwischenverfahrens, in dem sich die Beteiligten nicht als Gegner gegenüberstehen, von den Kosten des Rechtsstreits in der Hauptsache umfasst werden und Gerichtskosten nur im Falle der Verwerfung bzw. Zurückweisung der Beschwerde entstehen (vgl. Ziffer 5502 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG; hierzu OVG NW, Beschluss vom 06.06.2012 - 2 E 482/12 - zitiert nach [...]; VGH BW, Beschluss vom 19.09.2001 - 9 S 1464/01 - ESVGH 52, 123; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.09.2011 - 1 O 135/11 - a. a. O.). Daher ist auch eine Streitwertfestsetzung entbehrlich.