Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.08.2012, Az.: 2 ME 343/12
Anführen sachlicher Gründe oder Hinweis auf reine Unbequemlichkeiten als ausreichend für die Annahme einer unzumutbaren Härte und pädagogischer Gründe im Sinne des § 63 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 und 2 NSchG
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.08.2012
- Aktenzeichen
- 2 ME 343/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 22211
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:0820.2ME343.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 17.07.2012 - AZ: 1 B 35/12
Rechtsgrundlage
Fundstelle
- NordÖR 2012, 565
Amtlicher Leitsatz
Die Annahme einer unzumutbaren Härte und pädagogischer Gründe im Sinne des § 63 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 und 2 NSchG verlangt mehr als das Anführen sachlicher Gründe oder den Hinweis auf reine Unbequemlichkeiten, die sich mit dem Besuch der zuständigen Schule ergeben.
Gründe
Die Beschwerde der (in E. und damit im Gebiet der Samtgemeinde F. wohnenden) Antragstellerin - die bis zum Ende des letzten Schuljahres 2011/2012 die Grundschule in E. besuchte und nunmehr zu Beginn des neuen Schuljahres 2012/2013 in die Sekundarstufe I wechselt - gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 17. Juli 2012, mit dem es ihren Antrag, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr ab dem kommenden Schuljahr vorläufig den Besuch der G. in H. (einer Oberschule) statt der - im Gebiet der Samtgemeinde F. als Schulträgerin einzigen - Oberschule in I. zu gestatten, abgelehnt hat, hat im Ergebnis keinen Erfolg.
Die Antragstellerin hat den gemäß §§ 123 Abs. 3 VwGO, 920 Abs. 2, 294 ZPO erforderlichen Anordnungsanspruch für den von ihr begehrten Schulbesuch auch im zweiten Rechtszug nicht glaubhaft machen können.
Zunächst ist indes darauf hinzuweisen, dass ausweislich der Antrags- und Beschwerdeerwiderung der Antragsgegnerin die Samtgemeinde F. keine satzungsmäßige Festlegung eines Schulbezirks für die (vormalige Haupt- und Realschule und nunmehrige) Oberschule in I. getroffen hat. Da es infolgedessen für die Antragstellerin eine zuständige Oberschule im Sinne des § 63 Abs. 3 NSchG nicht gibt, kann der gewünschte Besuch der Oberschule in H. nicht direkt über eine Genehmigung unmittelbar nach § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG erwirkt werden. Einschlägig ist vielmehr die Vorschrift des § 105 Abs. 1 NSchG. Hiernach sind Schülerinnen und Schüler des Sekundarbereichs I, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt - wie die Antragstellerin - nicht im Gebiet des Schulträgers der gewünschten Schule haben, die also auswärtige Schülerinnen und Schüler sind, in die (gewünschte) Schule aufzunehmen, wenn sie entweder im Schulbezirk der Schule wohnen (Nr. 1), die Möglichkeit des Schulbesuchs nach § 63 Abs. 4 Nrn. 1, 4 und 5 NSchG wählen (Nr. 2) oder die Schule nach §§ 61 Abs. 3 Nr. 4, 63 Abs. 3 Satz 4 oder 137, 138 Abs. 5 NSchG besuchen dürfen (Nr. 3). Im Ergebnis ist im Fall der Antragstellerin indes keiner dieser Alternativtatbestände erfüllt.
Da es eine (schulträgerübergreifende) Schulbezirkseinteilung nicht gibt, scheidet Nr. 1 des § 105 Abs. 1 NSchG aus. Die Tatbestände des § 63 Abs. 4 Nrn. 1, 4 und 5 NSchG sind ebenfalls nicht gegeben, da sowohl die zuständige als auch die gewünschte Schule (erstere ab dem 1. August 2012) Oberschulen sind; mithin scheidet § 105 Abs. 1 Nr. 2 NSchG ebenfalls aus. Gleiches gilt für die einzelnen Alternativen der Nr. 3 des § 105 Abs. 1 NSchG. Die hier angesprochenen §§ 137, 138 Abs. 5 NSchG betreffen lediglich Bekenntnisschulen und bestimmte Grundschulen im Bereich des ehemaligen Landes J.. Eine Ordnungsmaßnahme gemäß § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG, wonach die Antragstellerin berechtigt oder verpflichtet wäre, die Oberschule in H. zu besuchen, ist gegen diese nicht verhängt worden.
Im Ergebnis kommt auch eine entsprechende Anwendung des § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG nicht in Betracht, sodass auch die zweite Alternative der Nr. 3 des § 105 Abs. 1 NSchG ausscheidet. Der Besuch einer anderen Schule - hier: durch auswärtige Schülerinnen und Schüler im Sinne des § 105 Abs. 1 NSchG, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Gebiet des Schulträgers der gewünschten Schule haben - kann nach § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG dann gestattet werden, wenn der Besuch der zuständigen Schule für die betreffenden Schülerinnen und Schüler oder deren Familien eine unzumutbare Härte darstellen würde (Nr. 1) oder der Besuch einer anderen Schule aus pädagogischen Gründen geboten erscheint (Nr. 2). Diese Voraussetzungen liegen nach der im vorliegenden Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung nicht vor.
Unabhängig von der Frage, unter welche Tatbestandsalternativen des § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG das Vorbringen der Antragstellerin zu subsumieren ist, erfüllt dieses weder den Tatbestand einer unzumutbaren Härte noch den der pädagogischen Gründe. Die Darlegung einer unzumutbaren Härte und von pädagogischen Gründen verlangt mehr als das Anführen sachlicher Gründe oder den Hinweis auf reine Unbequemlichkeiten, die sich mit dem Besuch der zuständigen Schule ergeben könnten; eine solche Härte ist erst dann anzunehmen, wenn die Nachteile, die eine Schülerin bei dem Besuch der zuständigen Pflichtschule zu erleiden hätte, ungleich schwerer sind als das öffentliche Interesse an einer sinnvollen Verteilung der Schüler auf die von dem aufgrund des Wohnsitzes zuständigen Schulträger angebotenen Schulen (Senat, Beschl. v. 11.6.2012 - 2 ME 188/12 -; Beschl. v. 12.8.2010 - 2 ME 245/10 -; Niehues/Rux, Schulrecht, 4. Aufl., Rdnr. 613 m. w. N.). Die Annahme einer unzumutbaren Härte und pädagogischer Gründe muss sich aus der besonderen Situation des Einzelfalls ergeben, der es schließlich rechtfertigt, der sich hierauf berufenden Schülerin ausnahmsweise eine Sonderstellung einzuräumen.
Anders als die Antragstellerin meint, erfüllt ihr Einzelfall die Voraussetzungen des Tatbestandes des § 63 Abs. 3 Satz 4 NSchG nicht. Denn dieser unterscheidet sich nicht in einer derartigen Weise von den Fällen anderer Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I, dass der Besuch der für sie aufgrund ihres Wohnsitzes und ihres gewöhnlichen Aufenthalts zuständigen Oberschule in I. als unzumutbar bezeichnet werden müsste.
Zwar können pädagogisch-psychologische und soziale Gründe und des Weiteren Schwierigkeiten einer Schülerin in ihrer Klassengemeinschaft oder erheblich gestörte Beziehungen zwischen der Schülerin und/oder ihrer Erziehungsberechtigten auf der einen und den Lehrkräften auf der anderen Seite in besonders gelagerten Einzelfällen unter Umständen als pädagogische Gründe im Sinne des § 63 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 NSchG in Betracht kommen (Senat, Beschl. v. 19.8.2010 - 2 ME 276/10 -; Brockmann, in: Brockmann/Littmann/ Schippmann, NSchG, Stand: April 2012, § 63 Anm. 5.2.2 m. w. N.). Im Fall der Antragstellerin sind derartig gewichtige Gründe jedoch weder substantiiert vorgetragen noch insbesondere glaubhaft gemacht worden. Soweit die Antragstellerin auf - im Übrigen indes nicht näher bezeichnete und auch nicht glaubhaft gemachte - Schwierigkeiten hinweist, denen ihre älteren Geschwister an der damaligen Haupt- und Realschule in I. ausgesetzt gewesen seien, rechtfertigt dies keine andere Entscheidung, zumal ihre Schwester K. an der Schule in I. den Erweiterten Sekundarabschluss I erworben und ihr Bruder D. diese Schule bereits vor dem Jahr 2007 und damit vor mittlerweile fünf Jahren verlassen haben. Eine durchgreifende Voreingenommenheit der jetzigen Lehrkräfte gerade gegenüber der Antragstellerin kann demnach allein hieraus nicht hergeleitet werden.
Die von der Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift allgemein angesprochenen "ganz enorme(n) Strömungen der Schülerwege" im Landkreis L. rechtfertigen ebenfalls keine andere Entscheidung, da - wie ausgeführt - die enumerativ aufgeführten Tatbestände des § 105 Abs. 1 NSchG nicht erfüllt sind. Die von der Antragstellerin angeführten Schulbesuche anderer Schülerinnen und Schüler sind zum einen bereits mit ihrem Fall nicht vergleichbar, da in diesen Fällen vielfach eine Ausnahmevorschrift einschlägig sein wird, und zum anderen selbst in einem vergleichbaren Fall ein Anspruch auf Fehlerwiederholung nicht besteht. Dass ihr älterer Bruder M. die Oberschule in H. besucht, ist ausweislich der in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin befindlichen Stellungnahme der Schulleiterin der seinerzeitigen Haupt- und Realschule F. in I. vom 28. Juni 2012 dem Umstand geschuldet, dass zum Zeitpunkt seines Wechsels in die Sekundarstufe I lediglich in H. eine Oberschule existierte, während die Schule in I. noch in der bisherigen Form der Haupt- und Realschule organisiert war und die Schulleiter dieser beiden Schulen - wohl in Verkennung der Möglichkeiten der §§ 105 Abs. 1 Nr. 2, 63 Abs. 4 Nrn. 1, 4 und 5 NSchG, wonach die hier allein einschlägig gewesene Nr. 3 des § 63 Abs. 4 NSchG nicht mit umfasst ist - meinten, ihm eine Wahlmöglichkeit lassen zu müssen. Allein der Hinweis auf den Schulalltag erleichternde Umstände im Fall des Besuchs derselben Schule durch Geschwisterkinder vermag einen Ausnahmefall ebenfalls nicht zu rechtfertigen.
Der Umstand, dass die Antragstellerin nach ihren Angaben aufgrund ihrer Wohnlage direkt an der Bundesstraße am Ende von E. in Richtung H. die Schule in H. verkehrsgünstiger erreichen könne als diejenige in I., rechtfertigt ebenfalls nicht den gewünschten Schulbesuch. Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass der Schulbesuch der Antragstellerin in I. nicht unter zumutbaren Bedingungen im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 2 NSchG erfolgen kann und wird.