Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.06.2011, Az.: 13 Verg 3/11

Ausschluss eines Angebots bei Fehlen von Nachweisen und Erklärungen für eine Ausschreibung des "6-streifigen Ausbaus der BAB A 7 im Bereich des Autobahnkreuzes Hannover-Ost-Großräumige Verkehrslenkung"

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
16.06.2011
Aktenzeichen
13 Verg 3/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 31940
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0616.13VERG3.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VK Lüneburg - 17.05.2011 - AZ: VgK-10/2011

Fundstellen

  • BauR 2012, 696
  • IBR 2012, 95
  • VS 2012, 3-4
  • VergabeR 2012, 237-242
  • ZfBR 2012, 176-179
Zusammenfassung

1.

Mit einer EU-Bekanntmachung war ein VOB-Verfahren im Bereich eines Autobahnkreuzes als Offenes Verfahren ausgeschrieben worden. Gegenstand der Ausschreibung durch die Antragsgegnerin war die Installation, Vorhaltung, Unterhaltung und Demontage einer für die Bauzeit stationären, teilautomatischen Routinganlage. Einziges Zuschlagskriterium war der niedrigste Preis. In den Teilnahmebedingungen war festgelegt, dass von den Bietern bestimmte Nachweise und Bescheinigungen beizubringen seien.

2.

Die Antragstellerin hatte das zweitgünstigste Gebot abgegeben. Das günstigste Angebot war das der Beigeladenen. Beide Unternehmen hatten die Auflagen der Ausschreibung teilweise nicht oder nur verspätet erfüllt, wodurch es zu Auseinandersetzungen kam. Schließlich stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Niedersachsen mit dem Ziel, der Antragsgegnerin den anderweitigen Zuschlag zu untersagen und ihr aufzugeben, die Angebotswertung zu wiederholen. Die Vergabekammer hat dann der Antragsgegnerin aufgegeben, erneut in die Angebotswertung einzutreten, jedoch die Antragstellerin sowie auch die Beigeladene als deren Konkurrentin auszuschließen. Dagegen wenden sich die Antragstellerin und die Beigeladene mit ihren sofortigen Beschwerden.

4.

Die Antragstellerin beantragt vorab, die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über diese zu verlängern. Die Beigeladene beantragt vorab, der Vergabestelle zu gestatten, ihr den Zuschlag auf ihr Angebot der Beigeladenen zu erteilen.

5.

Das OLG hat beide Anträge abgelehnt und bei den Beschwerdeführerinnen angefragt, ob und - wenn ja - mit welchem Antrag das Beschwerdeverfahren fortgeführt werden solle. Zur Begründung ist ausgeführt worden, beide vorab gestellten Anträge seien unbegründet. Die Rechtsmittel hätten keine begründete Aussicht auf Erfolg. Die Entscheidung der Vergabekammer sei nicht zu beanstanden. Insbesondere habe sie der Antragsgegnerin mit Recht aufgegeben, beide Beschwerdeführerinnen bei der erneuten Angebotswertung auszuschließen. Bei der Antragstellerin enthielte das Angebot unstreitig nicht alle nach § 16 I Nr. 3, § 13 I Nr. 4 VOB/A Ausgabe 2009 geforderten Erklärungen und Nachweise. Auch das Angebot der Beigeladenen sei auszuschließen. Auch sie habe angeforderte Einzelnachweise unstreitig nicht vollständig vorgelegt.

6.

Das OLG legt dann noch im Einzelnen ausführlich dar, dass und mit welcher Begründung die umfangreichen Einwände der Antragstellerin und der Beigeladenen letztlich nicht zu einer anderen Beurteilung führen können.

In dem Vergabenachprüfungsverfahren G. W. S. GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer H. R., G. Straße 46, F., Antragstellerin und Beschwerdeführerin, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte K. D. & Partner, C. 26-30, K., Geschäftszeichen: B.A.S. V. AG R. Nord, vertreten durch den Vorstand W. S., S. R. und R. G., C. -P. -Straße 55, B., Beigeladene und Beschwerdeführerin, Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte K. P., L. 9, L., Geschäftszeichen: gegen N. L. für Straßenbau und Verkehr, Geschäftsbereich H., D. 17 - 19, H., Antragsgegnerin, hat der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. K., die Richterin am Oberlandesgericht Z. und den Richter am Landgericht T. am 16. Juni 2011 beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Lüneburg - vom 17. Mai 2011 (VgK 10/2011) wird abgelehnt.

  2. 2.

    Der Antrag der Beigeladenen, es der Vergabestelle zu gestatten, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen gemäß § 121 Abs. 1 GWB vorab zu erteilen, wird abgelehnt.

  3. 3.

    Der Antragstellerin und der Beigeladenen wird aufgegeben, bis zum 7. Juli 2011 mitzuteilen, ob und - wenn ja - mit welchem Antrag das Beschwerdeverfahren fortgeführt werden soll.

  4. 4.

    Termin zur mündlichen Verhandlung: Dienstag, den. 6. September 2011, 13:00 Uhr, SS 153.

Gründe

1

I.

Mit EU-Bekanntmachung vom 27. Oktober 2010 hat die Antragsgegnerin das VOB-Verfahren "6-streifiger Ausbau der BAB A 7 im Bereich des Autobahnkreuzes Hannover-Ost-Großräumige Verkehrslenkung" als Offenes Verfahren ausgeschrieben. Gegenstand der Ausschreibung ist die Installation, Vorhaltung, Unterhaltung und Demontage einer für die Bauzeit stationären, teilautomatischen Routinganlage. Einziges Zuschlagskriterium ist der niedrigste Preis (vgl. Ziffer IV Nr. 2.1 der EU-Bekanntmachung). In den Teilnahmebedingungen (Ziffer III Nr. 2.1) ist festgelegt, dass von der Vergabestelle für den Bieter und seine Nachunternehmer ein Auszug aus dem Gewerbezentralregister oder eine gleichwertige Bescheinigung des Herkunftslandes beim Bundeszentralregister angefordert werde, der nicht älter als drei Monate sein dürfe. Ziffer 5 der EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe enthält weitere Festlegungen zur Vorlage von Nachweisen, Angaben und Unterlagen. So bestimmt Ziffer 5.1, dass präqualifizierte Unternehmen in ihrem Angebot die Nummer ihrer Eintragung im Präqualifizierungsverzeichnis anzugeben, nicht präqualifizierte Unternehmen den Vordruck "Eigenerklärung Eignung" vorzulegen haben. Gemäß Ziffer 5.2 war das Verzeichnis der Nachunternehmerleistungen vorzulegen. In Ziffer 5.3 benannte die Antragsgegnerin Angaben und Nachweise, die auf gesondertes Verlangen vorzulegen seien. Ziffer 3.3 der EU-Bewerbungsbedingungen sieht vor, dass Unterlagen, die von der Vergabestelle nach Angebotsabgabe verlangt werden, zu dem von der Vergabestelle bestimmten Zeitpunkt einzureichen sind und das Angebot ausgeschlossen wird, wenn die Unterlagen nicht vollständig fristgerecht vorgelegt werden. Ziffer 3.1 verlangt die Abfassung des Angebots in deutscher Sprache.

2

Ausweislich der Dokumentation der Antragsgegnerin über die Angebotseröffnung vom 23. November 2010 sind vier Angebote fristgerecht eingegangen, von denen das der Beigeladenen das preislich günstigste, das der Antragstellerin das zweitgünstigste war.

3

Mit Schreiben vom 26. November 2010 forderte die Antragsgegnerin die Beigeladene zur Vorlage verschiedener aktueller Nachweise gemäß Nr. 5.3 der Aufforderung zur Angebotsabgabe bis zum 07. Dezember 2010 auf. Unter dem 07. Dezember 2010 forderte die Antragsgegnerin die Beigeladene zur Vorlage des Originals der Verpflichtungserklärung von Leistungen anderer Unternehmer auf. Mit Schreiben vom 09. Dezember 2010 (eingegangen bei der Antragsgegnerin am 13. Dezember 2010) reichte die Beigeladene unter Bezugnahme auf die Aufforderung der Antragsgegnerin vom 07. Dezember 2010 zwei Verpflichtungserklärungen für ihre Nachunternehmer nach; eine dritte Bescheinigung reichte sie mit Schreiben vom 13. Dezember 2010 Bezug nehmend auf eine Aufforderung der Antragsgegnerin vom 08. Dezember 2010 nach.

4

Am 08. Dezember 2010 wies die Antragstellerin die Antragsgegnerin darauf hin, dass die Beigeladene u.a. die Anforderungen an die LED-Technik nicht erfülle. Die Beigeladene legte hierzu ein in englischer Sprache verfasstes Prüfzertifikat einer akkreditierten EU-Prüfstelle vor, dem die Antragsgegnerin entnahm, dass das Angebot der Beigeladene die technischen Anforderungen erfülle.

5

Unter dem 10. Dezember 2010 stellte die Antragsgegnerin auf dem Formblatt "Eignungsprüfung" unter Vermerk der Eintragung der Beigeladenen im PQ-Verzeichnis deren Eignung fest. Die dort ursprünglich unter Ziffer 1.2 eingetragene Bejahung der Eignung auf der Grundlage von Einzelnachweisen hatte sie insofern am 10. Dezember 2010 gestrichen. Einer Zusammenstellung der von der Beigeladenen vorgelegten Einzelnachweise ist zu entnehmen, dass diese z.T. Nachweise vorgelegt hatte, die älter als sechs Monate waren.

6

Ein von der Antragstellerin beantragtes Nachprüfungsverfahren endete am 01. März 2011 mit dem Beschluss der Vergabekammer, dass die Antragsgegnerin erneut in die Angebotswertung einzutreten habe und sie keine Unterlagen berücksichtigen dürfe, die nicht in deutscher Sprache abgefasst seien.

7

Die Antragstellerin wurde sodann von der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 07. März 2011 zur Vorlage aktueller Einzelnachweise, auch für ihre Nachunternehmer, bis zum 15. März 2011 aufgefordert, anderenfalls das Angebot ausgeschlossen werde. Einen Teil der geforderten Nachweise reichte die Antragstellerin fristgemäß ein. Einen Nachweis zu ihrer Nachunternehmerin K. GmbH reichte sie nicht ein. Mit weiteren Schreiben vom 29. und 31. März 2011 legte die Antragstellerin drei der noch ausstehenden vier Eignungsnachweise vor und erklärte, sie habe die Bieterverständigung vom 22. März 2011 als Nachforderung i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ausgelegt und dementsprechend ihr Angebot vervollständigt.

8

Die Antragsgegnerin schloss das Angebot der Antragstellerin daraufhin gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A aus. Sie informierte die Antragstellerin mit Schreiben vom 23. März 2011 zugleich über den beabsichtigten Zuschlag an die Beigeladene.

9

Mit Schreiben vom 25. März 2011 rügte dies die Antragstellerin u.a. mit der Begründung, die Antragsgegnerin habe ihr hinsichtlich der unvollständig vorgelegten Einzelnachweise unzulässigerweise keine Nachfrist gesetzt.

10

Da die Antragsgegnerin den Rügen nicht abhalf, stellte die Antragstellerin unter dem 30. März 2011 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Niedersachsen. Hierin vertrat sie zudem die Auffassung, dass die Auftraggeberin im Hinblick auf die fehlende Ankündigung einer möglichen Nachforderung von Eignungsnachweisen in der EU-Bekanntmachung nicht zur Nachforderung berechtigt gewesen sei. Zudem werde sie gegenüber der Beigeladenen, deren Angebot in technischer Hinsicht nicht den Ausschreibungsvorgaben entspreche, benachteiligt.

11

Mit Beschluss vom 17. Mai 2011 hat die Vergabekammer Niedersachsen den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen, mit dem die Antragstellerin vor allem begehrt hatte, der Antragsgegnerin den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu untersagen sowie ihr aufzugeben, die Angebotswertung zu wiederholen.

12

In ihrer Entscheidung hat die Vergabekammer ausgeführt, dass die Antragstellerin zwar in ihren Rechten verletzt sei und die Antragsgegnerin erneut in die Angebotswertung einzutreten habe. Jedoch seien dabei sowohl das Angebot der Beigeladenen als auch das der Antragstellerin auszuschließen. Die Antragstellerin könne sich auf einen etwaigen Widerspruch zwischen der EU-Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen im Hinblick auf die Nachforderung von Unterlagen nicht berufen, da sie mit dieser Rüge nach § 107 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB präkludiert sei. Auch soweit die Antragstellerin die Auffassung vertreten habe, der gemäß Ziffer 3.3 der Bewerbungsbedingungen vorgesehene zwingende Ausschluss bei nicht rechtzeitiger Vorlage nachträglich verlangter Unterlagen verstoße gegen § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, sei dieser mutmaßliche Verstoß aus den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen, so dass die erst nach Ablauf der in der Bekanntmachung gesetzten Frist zur Angebotsabgabe erfolgte Rüge nach § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert sei. Nicht zuletzt habe die Antragstellerin einige nachgeforderte Erklärungen auch nach ihren eigenen Maßstäben verspätet und zum Teil überhaupt nicht eingereicht. Die Beigeladene sei mit ihrem Angebot ebenfalls auszuschließen, weil sie nachgeforderte Nachweise nicht in der geforderten Aktualität bzw. erst in einer ihr gewährten Nachfrist, die der Antragstellerin nicht gewährt worden sei, vorgelegt habe. Der im Hinblick auf die Präqualifizierung der Beigeladenen erfolgte Abbruch der Prüfung der Einzelnachweise am 10. Dezember 2010 sei unzulässig gewesen, weil er zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, in dem bereits Mängel der Einzelnachweise erkennbar geworden seien.

13

Gegen diese Entscheidung der Vergabekammer wenden sich sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene mit ihren am 31. Mai 2011 beim Oberlandesgericht Celle eingegangenen sofortigen Beschwerden. Beide Beschwerdeführerinnen wiederholen und vertiefen ihren bisherigen Vortrag.

14

Die Antragstellerin macht insbesondere geltend, sie habe die Diskrepanz zwischen der Bekanntmachung und der Aufforderung zur Angebotsabgabe betreffend die Nachforderung von Unterlagen in ihrer rechtlichen Bedeutung nicht erkennen können. Die Nachweisforderung durch die Antragsgegnerin sei vergaberechtswidrig erfolgt. Ihre, der Antragstellerin, Eignung habe nach dem 08. Dezember 2010 nicht nochmals geprüft werden dürfen.

15

Die Beigeladene hält ihren Ausschluss für unrechtmäßig, weil ihre Eignung aufgrund ihrer Präqualifizierung feststehe.

16

Die Antragstellerin beantragt vorab,

die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über diese zu verlängern.

17

Die Beigeladene beantragt vorab,

der Vergabestelle zu gestatten, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen gemäß § 121 Abs. 1 GWB zu erteilen.

18

Für den Sachstand im Übrigen und die weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt einschließlich der Akten der Vergabestelle und der Vergabekammer Bezug genommen.

19

II.

Der gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB statthafte und zulässige Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde zu verlängern, war abzulehnen. Das zulässige Rechtsmittel der Antragstellerin hat keine begründete Aussicht auf Erfolg (§ 118 Abs. 2 Satz 3 1. Alt. GWB).

20

Auch der Antrag der Beigeladenen auf Vorabgestattung des Zuschlags gemäß § 121 Abs. 1 GWB ist statthaft und zulässig, in der Sache aber ohne Erfolg. Ihrem Rechtsmittel fehlt es ebenfalls an der hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 121 Abs. 1 Satz 3 1. Alt. GWB).

21

Im Einzelnen:

22

1. Die Vergabekammer hat zu Recht festgestellt, dass das Angebot der Antragstellerin auszuschließen war. Es enthielt unstreitig nicht alle nach § 16 Abs. 1 Nr. 3, § 13 Abs. 1 Nr. 4 VOB/A Ausgabe 2009 geforderten Erklärungen und Nachweise.

23

a) Für - wie hier - nach dem 10. Juni 2010 begonnene Vergabeverfahren gilt die VOB/A Ausgabe 2009 i.d.F. vom 31. Juli 2009 (BAnz. Nr. 155 a vom 15. Oktober 2009; Umsetzung für Niedersachsen gemäß RdErl. MW vom 11. Juni 2010 [24-32573, 32574, Nds.MBl. vom 16. Juni 2010, 564]).

24

b) § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ist auf Eignungserklärungen und -nachweise im Rahmen der formalen Eignungsprüfung jedenfalls analog anzuwenden (vgl. Dittmann in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOB/A, § 16 Rn. 165; Summa in: jurisPK-VergR, 3. Aufl. 2011, § 16 VOB/A 2009, Rn. 168).

25

aa) Danach ist der Antragstellerin zwar zuzugeben, dass sich die Antragsgegnerin insofern nicht vergaberechtskonform verhalten hat, als sie angesichts fehlender angeforderter Nachweise keine Nachforderung an die Antragstellerin i.S.d. § 16 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 VOB/A gestellt hat.

26

bb) Auf diesen Vergaberechtsverstoß kann sich die Antragstellerin indes nicht berufen. Die Vergabekammer hat zu Recht festgestellt, dass die Antragstellerin mit dem Einwand ausgeschlossen ist, der gemäß Ziffer 3.3 der Bewerbungsbedingungen vorgesehene (und praktizierte) zwingende Ausschluss bei nicht rechtzeitiger Vorlage nachträglich verlangter Unterlagen verstoße gegen die Nachforderungspflicht der Vergabestelle gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A.

27

Der Vergaberechtsverstoß der Antragsgegnerin, nämlich ihre Nachforderungspflicht zu negieren und sogleich den Angebotsausschluss vorzusehen, war bereits aus den Vergabeunterlagen erkennbar (Ziffer 3.3 der Bewerbungsbedingungen). Prüfungsmaßstab für die Erkennbarkeit ist die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen Antragstellers. Erkennbar sind somit Vergaberechtsverstöße, die von einem Durchschnittsbieter bei üblicher Sorgfalt und den üblichen Kenntnissen erkannt werden (Summa in: jurisPK-VergR, a.a.O., § 107 GWB, Rn. 215 f.). Dabei ist zu erwarten, dass Unternehmer bzw. für ein Unternehmen tätige Personen, die bei Ausschreibungen mit hohen Auftragswerten für die Angebote verantwortlich sind, zumindest über einen aktuellen Text der einschlägigen Vergabeordnung verfügen und auch wissen, welchen Mindestanforderungen die Vergabeunterlagen genügen müssen. Ein Vergaberechtsverstoß, der sich durch bloßes Lesen der einschlägigen Normen und einen Vergleich mit dem Text der Vergabeunterlagen ohne Weiteres feststellen lässt, ist für jeden erkennbar, der über die intellektuellen Fähigkeiten verfügt, die notwendig sind, um ein Angebot zu erstellen oder gar ein Unternehmen zu leiten (Summa in: jurisPK-VerkR, a.a.O., Rn. 224; vgl. auchOLG Koblenz, Beschluss vom 07.11.2007, 1 Verg. 6/07, zitiert nach [...], Rn. 39).

28

So liegt der Fall indes hier. Die Antragstellerin hätte durch Lektüre des § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ohne Weiteres feststellen können, dass der von der Antragsgegnerin in den Vergabeunterlagen vorgesehene "sofortige" Ausschluss vergaberechtswidrig war. Dass sie Ziffer 3.3 der Bewerbungsbedingungen nicht in der Weise verstehen konnte, wie ihn die Antragsgegnerin gemeint und praktiziert hat, behauptet sie selbst nicht. Nach den genannten Maßstäben lag somit Erkennbarkeit vor.

29

Da die Antragstellerin die in Ziffer 3.3 angekündigte Verfahrensweise jedoch nicht bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist zur Angebotsangabe gerügt hat, ist sie im Nachprüfungsverfahren mit der Berufung auf einen Anspruch auf Nachfristsetzung präkludiert (§ 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB). Diese Präklusion liefe ins Leere, wenn ihr Angebotsausschluss mit der Begründung aufzuheben wäre, die Antragsgegnerin hätte von ihr zunächst die fehlenden Nachweise nachfordern müssen.

30

cc) Auch mit ihrer Rüge, die Antragsgegnerin habe von ihr gar keine Eignungseinzelnachweise anfordern dürfen, weil dies in der EU-Bekanntmachung nicht angekündigt worden sei, kann die Antragstellerin nicht durchdringen. Sie ist mit dieser Rüge ebenfalls, wie die Vergabekammer richtig festgestellt hat, präkludiert (§ 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB).

31

Mit Erhalt der Vergabeunterlagen hatte die Antragstellerin Kenntnis davon, dass sich die Antragsgegnerin die Nachforderung von nicht in der EU-Bekanntmachung genannten Einzelnachweisen vorbehielt. Für jeden verständigen Leser war ersichtlich, dass die in den Vergabeunterlagen bezeichneten Einzelnachweise zusätzliche Anforderungen definierten und keine Konkretisierung des in der EU-Bekanntmachung genannten Gewerbezentralregisterauszuges darstellten. Zu diesem Zeitpunkt war die Diskrepanz zwischen der der EU-Bekanntmachung, in der die Auftraggeberin lediglich mitgeteilt hatte, einen höchstens drei Monate alten Auszug aus dem Gewerbezentralregister oder eine gleichwertige Bescheinigung des Herkunftslandes beim Bundeszentralregister anfordern zu wollen, und den Vergabeunterlagen für sie - nach den unter bb) genannten Maßstäben - daher ohne Weiteres erkennbar. Der Wortlaut beider Verlautbarungen ist unmissverständlich. Etwas anderes behauptet die Antragstellerin selbst nicht. Entgegen ihrer Auffassung bedurfte es im Hinblick auf die rechtliche Relevanz dieser Diskrepanz auch keiner vertieften Kenntnis und Prüfung der Rechtsprechung. Dass ein Auftraggeber bereits in der Bekanntmachung anzugeben hat, welche Eigungsnachweise die Bieter vorzulegen haben und dass er insofern in den Vergabeunterlagen nicht nachträglich höhere Anforderungen stellen darf, ist in Rechtsprechung und Literatur nicht streitig und eindeutig festgestellt (vgl. z.B. Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 24.09.2010, 1 Verg 2/10, zitiert n. [...], Rn. 51 f m.w.N.;OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.06.2008, VII-Verg 21/08, zitiert n. [...], Rn. 43; Hausmann in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a.a.O., § 6, Rn. 203 a.E.). Auch insofern bestehen gegen die Annahme einer Erkennbarkeit des Vergaberechtsverstoßes der Antragsgegnerin mithin keine Bedenken. Die erst im Nachprüfungsverfahren erhobene Rüge ist daher verspätet erfolgt.

32

c) Nur der Vollständigkeit halber merkt der Senat in Übereinstimmung mit der Vergabekammer an, dass die Antragstellerin - unbeschadet der Ausführungen zu b) - auch nach ihren eigenen Maßstäben innerhalb der zu setzenden Fristen kein vollständiges Angebot eingereicht hat. Soweit sie selbst erklärt hat, die Bieterverständigung vom 22. März 2011 als Nachforderung i.S.d.§ 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A ausgelegt zu haben, hat sie ihr Angebot dennoch nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen 6-Tage-Frist komplettiert. Insbesondere wurde die Erklärung zur S. -Bau für die Nachunternehmerin K. GmbH - soweit ersichtlich - überhaupt nicht vorgelegt.

33

d) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin hatte die Antragsgegnerin die Angebotswertung nach dem Tenor des unangefochtenen Beschlusses der Vergabekammer vom 01. März 2011 auch "vollständig erneut durchzuführen". Davon war die Prüfung der Eignung der Antragstellerin erfasst.

34

Im Übrigen hatte die Antragsgegnerin am 08. Dezember 2010, dem Zeitpunkt, den die Antragstellerin als Ende der ursprünglichen Eignungsprüfung reklamiert, noch nicht einmal Eignungsnachweise der Antragstellerin angefordert. Dies geschah erstmals mit Schreiben vom 07. März 2011, so dass die Eignung der Antragstellerin auch nicht bereits am 08. Dezember 2010 feststehen konnte.

35

2. Die Vergabekammer hat ebenfalls zu Recht festgestellt, dass auch das Angebot der Beigeladenen auszuschließen ist.

36

a) Mit dem Einwand, dem Auftraggeber stehe kein Wahlrecht (Ermessen) zu, ob er der Eignungsprüfung eine angegebene Präqualifikation oder die Einzelnachweise zugrunde lege, die Antragsgegnerin sei daher gleichsam "gezwungen" gewesen, die Feststellung ihrer, der Beigeladenen, Eignung auf die Präqualifizierung zu stützen, ist die Beigeladene ausgeschlossen (§ 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB). Bereits mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe hat sie davon Kenntnis erlangt, dass die Antragsgegnerin sich vorbehielt, auch von Unternehmen, die im Präqualifizierungsverzeichnis eingetragen sind, "weitere Nachweise, Angaben und Unterlagen", diese in Form des "Verzeichnisses der Nachunternehmerleistungen" (Ziffer 5.2 der EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe) zu verlangen sowie "auf gesondertes Verlangen" eine Anzahl weiterer Einzelnachweise (Ziffer 5.3 der EU-Aufforderung zur Angebotsabgabe) einzufordern. Durch diese Mitteilung der Antragsgegnerin war für die Beigeladene im o.g. Sinn ohne Weiteres erkennbar, dass die Antragsgegnerin von einem Ermessen hinsichtlich der Anforderung von Einzelnachweisen ausging. Dies hat die Beigeladene nicht bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist zur Angebotsabgabe gerügt, so dass sie auch im jetzigen Verfahren mit dieser Einlassung ausgeschlossen ist (§ 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB). Die Rügeobliegenheit aus § 107 Abs. 3 Nr. 3 GWB gilt im Übrigen selbst dann, wenn im Zeitpunkt der Rüge noch unklar ist, ob der betreffende mutmaßliche Vergaberechtsverstoß die Zuschlagschancen des späteren Angebots des Bieters beeinträchtigen wird. Gegebenenfalls muss die Rüge präventiv erhoben werden (vgl. Wiese in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Aufl., § 107, Rn. 91). Ob der Antragsgegnerin im Übrigen ein Ermessen zur Nutzung des Präqualifikationsverzeichnisses zustand, kann daher dahinstehen (bejahend: Hausmann in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a.a.O., § 6 Rn. 131).

37

b) Soweit die Antragsgegnerin mithin zunächst mit Schreiben vom 26. November 2010 unter Fristsetzung zum 07. Dezember 2010 von der Beigeladenen Einzelnachweise angefordert hat, hat die Beigeladene diese unstreitig nicht vollständig vorgelegt. So stammte der von ihr beigebrachte Nachweis "Negativattest zur S. -Bau der Firma V. R. " aus dem Jahr 2007 und war damit - entgegen den Vergabeanforderungen - älter als sechs Monate. Ihr Angebot ist somit auszuschließen (Ziffer 3.3 der EU-Bewerbungsbedingungen).

38

c) Entgegen der Auffassung der Beigeladenen stand der Antragsgegnerin jedoch jedenfalls am 10. Dezember 2010 kein Ermessen mehr dahingehend zu, von der Prüfung der Einzelnachweise abzugehen und die Eignung der Beigeladenen anhand der Eintragung ins Präqualifizierungsverzeichnis anzunehmen. Die Antragsgegnerin durfte die aus der zu diesem Zeitpunkt bereits gewonnenen Erkenntnisse aus der Einzelnachweisprüfung nicht ignorieren und - wie geschehen - die Prüfung der Einzelnachweise mit Blick auf die Präqualifizierung der Beigeladenen abbrechen. Mit einem geforderten Eignungsnachweis definiert der Auftraggeber nämlich regelmäßig zugleich eine Mindestanforderung an die Eignung. Damit engt er - oft ohne Not - den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum ein, denn er bringt zum Ausdruck, dass er einen Bewerber/Bieter, der den Nachweis nicht erbringt, nicht als geeignet ansehen kann. Daran ist er dann aber auch gebunden (vgl. Summa in: jurisPK-VergR, § 97 GWB, Rn. 138). Dem Auftraggeber steht daher wegen der sonst eröffneten Manipulationsmöglichkeiten kein Ermessen zu, auf einmal verlangte Unterlagen im Nachhinein zu verzichten (vgl. Ditt-mann in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, a.a.O., § 16, Rn. 158; vgl. auch Beschluss der VgK bei der Bezirksregierung Düsseldorf vom 02. März 2007, VK 5/2007-L, zitiert nach [...], Rn. 93). Dies muss umso mehr gelten, wenn - auch hierauf hat die Vergabekammer zu Recht hingewiesen - zum Zeitpunkt des Verzichts Anhaltspunkte für nicht hinreichende Nachweise erkennbar sind. Zum Zeitpunkt des "Umschwenkens" der Antragsgegnerin in der Eignungsprüfung von der Einzelnachweisprüfung auf die Prüfung der Präqualifizierung am 10. Dezember 2010 waren die Mängel in der Einzelnachweisführung durch die Beigeladene indes bereits offenbar. Am 07. Dezember 2010, dem ursprünglichen Fristende, hatte sie nur unvollständige und zum Teil nicht hinreichend aktuelle Nachweisunterlagen vorgelegt. Nach den Ausschreibungsbedingungen der Antragsgegnerin (Ziffer 3.3 der Bewerbungsbedingungen) hätte dies - wie ausgeführt - bereits zum Ausschluss des Angebots der Beigeladenen führen müssen.

39

d) Die Vergabekammer hat im Übrigen auch zu Recht festgestellt, dass der Beigeladenen offenbar - anders als der Antragstellerin - die Möglichkeit zur Nachreichung fehlender Unterlagen gewährt worden ist. Dies geschah - soweit ersichtlich - sogar zweimal, nämlich durch Nachforderungen vom 07. und 08. Dezember 2010. Diese im Vergleich zur Antragstellerin erfolgte Bevorzugung verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot aus § 97 Abs. 2 GWB. Sie verstieß zudem gegen Ziffer 3.3 der Bewerbungsbedingungen und war daher ausschreibungswidrig.

40

e) Ob die Antragsgegnerin das Angebot der Beigeladenen zutreffend als die technischen Anforderungen der Ausschreibung erfüllend gewertet hat, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.

41

III.

Eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB und gemäß § 121 Abs. 1 GWB ist nicht veranlasst; diese ergeht zusammen mit der Hauptsacheentscheidung.

Dr. K
T.
Z.