Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.02.2018, Az.: 13 PA 454/17

Anordnung der aufschiebenden Wirkung; einstweilige Anordnung; Aufenthaltserlaubnis; Duldungsgrund; Fortbestandsfiktion; Statthaftigkeit; Vorrang

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
09.02.2018
Aktenzeichen
13 PA 454/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74095
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 06.12.2017 - AZ: 11 B 8509/17

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagende Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 11. Kammer - vom 6. Dezember 2017 teilweise geändert und wie folgt gefasst:

Der Antragstellerin wird für das erstinstanzliche Eilverfahren 11 B 8509/17 Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit sie darin die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung begehrt hat, vorläufig von ihrer Abschiebung abzusehen und ihr eine Duldung zu erteilen. Im Umfang der Bewilligung wird der Antragstellerin Rechtsanwalt B. aus B-Stadt zu den Bedingungen eines im Bezirk des Verwaltungsgerichts Oldenburg niedergelassenen Rechtsanwalts beigeordnet. Im Übrigen wird der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung abgelehnt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Für das Beschwerdeverfahren werden Gerichtsgebühren nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

I. Die Beschwerde hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat eine für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) des erstinstanzlich verfolgten Eilrechtsschutzbegehrens der Antragstellerin zu Unrecht vollständig verneint.

1. Ein Erfolg des Eilantrages kommt bei der am Zweck der Prozesskostenhilfebewilligung orientierten summarischen Prüfung (vgl. zu im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. mit weiteren Nachweisen) zumindest hinsichtlich der vorläufig begehrten Untersagung der Abschiebung und Verpflichtung des Antragsgegners zur Aussetzung der Abschiebung (Duldung) der Antragstellerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO in Betracht.

Der Statthaftigkeit eines derartigen Antrags dürfte in der vorliegenden Konstellation - entgegen der auf Seite 5 des angefochtenen Beschlusses geäußerten Ansicht des Verwaltungsgerichts - nicht entgegengestanden haben, dass im Hinblick auf die Versagung von Aufenthaltstiteln durch Ziffern 1. und 2. des Bescheides des Antragsgegners vom 23. August 2017 (Bl. 6 ff. der GA) wegen der durch den Bescheid beseitigten Fortbestandsfiktion aus § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG vorläufiger Rechtsschutz in erster Linie nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO mit dem Ziel einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 11 A 7530/17 gegen die Versagung von Aufenthaltstiteln gesucht werden konnte und musste. Einen derartigen Eilantrag hat die Antragstellerin erstinstanzlich nicht gestellt (vgl. zu dieser Auslegung den Senatsbeschluss vom heutigen Tage - 13 ME 453/17 -, Seite 3 des Beschlussabdrucks, der den Beteiligten bekannt ist), hätte ihn aber zulässigerweise stellen können. Er hätte das Ziel verfolgt, bereits die Vollziehbarkeit (§§ 58 Abs. 2 Satz 2, 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) der durch den Ablehnungsbescheid gemäß §§ 50 Abs. 1, 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erzeugten Ausreisepflicht der Antragstellerin auszuschließen (zu suspendieren). Der aus § 123 Abs. 5 VwGO resultierende Vorrang dieser Eilrechtsschutzform hat die Antragstellerin aller Voraussicht nach aber nicht daran gehindert, solche „überschießenden“ Gründe für die Aussetzung ihrer Abschiebung (Duldungsgründe) im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG mit einem - eventual oder kumulativ gehäuften - Eilrechtsschutzbegehren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO geltend zu machen, die unabhängig von einem Anspruch auf Erteilung von Aufenthaltstiteln oder auf Neubescheidung eines darauf gerichteten Antrags bestanden und die zu einem Erfolg des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO in der Sache nicht führen konnten, weil sie allein - etwa im Rahmen des § 25 Abs. 5 AufenthG wegen des Fehlens besonderer Erteilungsvoraussetzungen z.B. aus § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG oder allgemeiner Erteilungsvoraussetzungen aus § 5 AufenthG - nicht zur Bejahung derartiger im Rahmen der Interessenabwägung zwischen privatem Aussetzungs- und öffentlichem Vollzugsinteresse summarisch zu prüfenden Ansprüche ausgereicht haben.

Auf das Eingreifen eines derartigen Duldungsgrundes nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG im vorliegenden Fall deutet bereits das Verhalten des Antragsgegners selbst hin, der am 21. Dezember 2017 (Bl. 450 ff. der BA 004 Band III) der Antragstellerin eine Duldung bis zum 5. März 2018 wegen deren bekanntermaßen seit dem 24. Januar 2017 bestehender Passlosigkeit erteilt hat (vgl. Bl. 449 der BA 004 Band III und Seite 2 des Bescheides vom 23. August 2017, Bl. 7 der GA). Entgegen der auf Seite 5 des angefochtenen Beschlusses geäußerten Ansicht des Verwaltungsgerichts ist nicht erkennbar, dass dieser Grund - ebenso wie etwaige andere „reine“ Duldungsgründe - im Rahmen eines gedachten Eilantrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO bezogen auf die Versagung von Aufenthaltstiteln zu einer Suspendierung der Ausreisepflicht geführt hätte. Desgleichen konnte der Duldungsgrund „Passlosigkeit“ auch keinen Erfolg des - in erster Instanz allein gestellten - Eilantrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO bezüglich der nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 70 Abs. 1 NVwVG, § 64 Abs. 4 Nds. SOG sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung bewirken (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG; hierzu Senatsbeschl. v. 3.11.2017 - 13 ME 227/17 -, V.n.b., S. 3 des Beschlussabdrucks).

In dieser Situation spricht viel dafür, dass dem Begehren der Antragstellerin, nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO Eilrechtsschutz unter Geltendmachung von Gründen zumindest für die Aussetzung ihrer Abschiebung zu suchen, hinreichende Erfolgsaussicht zukam. In diesem Umfang war der Antragstellerin daher für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die darauf bezogene beschränkte Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 121 Abs. 3 und Abs. 1 ZPO.

2. Hingegen hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss hinreichende Erfolgsaussichten hinsichtlich des weiteren erstinstanzlichen Eilrechtsschutzbegehrens der Antragstellerin, das lediglich auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 11 A 7530/17 gegen die in Ziffer 4. des Bescheides des Antragsgegners vom 23. August 2017 (Bl. 6 ff. der GA) enthaltene Abschiebungsandrohung gerichtet war, zu Recht verneint. Der Senat macht sich hierzu die zutreffenden Erwägungen auf Seiten 3 f. des angefochtenen Beschlusses zu Eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus Nr. 5502 Absatz 2 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG (Kostenverzeichnis) sowie aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.