Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.02.2018, Az.: 13 OB 22/18
Aufenthaltsrecht; Ausweisung; Beiladung; einfache Beiladung; notwendige Beiladung; Beschwerde; Ehegatte; Familienangehörige; rechtliches Interesse
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.02.2018
- Aktenzeichen
- 13 OB 22/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74439
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 08.01.2018 - AZ: 11 A 1119/17
Rechtsgrundlagen
- Art 6 GG
- § 65 Abs 2 VwGO
- § 65 Abs 1 VwGO
- § 65 Abs 4 S 3 VwGO
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 11. Kammer - vom 8. Januar 2018 wird zurückgewiesen
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses seinen Antrag auf Beiladung seiner Ehefrau und seiner minderjährigen Kinder zum Klageverfahren gegen den Bescheid des Beklagten vom 16. Januar 2017 über seine Ausweisung abgelehnt hat, bleibt ohne Erfolg. Die Beschwerde ist statthaft (argumentum e contrario § 65 Abs. 4 Satz 3 VwGO; vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., § 65 Rn. 38 m.w.N.) und auch sonst zulässig, aber unbegründet.
1. Die Ehefrau und die minderjährigen Kinder des Klägers sind nicht nach § 65 Abs. 2 VwGO notwendig zum Verfahren beizuladen.
Notwendig ist die Beiladung eines Dritten nach dieser Bestimmung nur dann, wenn dieser an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, dass die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies setzt voraus, dass die vom Hauptbeteiligten begehrte gerichtliche Sachentscheidung nicht getroffen werden kann, ohne dass dadurch gleichzeitig unmittelbar Rechte des Dritten gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden, oder anders gewendet, wenn die gerichtliche Sachentscheidung gleichzeitig unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen Dritter gestalten soll, sie aber ohne deren Beteiligung am Verfahren in Ermangelung einer Rechtskrafterstreckung nach § 121 VwGO nicht wirksam gestalten kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.7.2013 - BVerwG 4 C 1.13 -, juris Rn. 7; Beschl. v. 12.8.1981 - BVerwG 7 B 195.80 -, Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 60; Eyermann, VwGO, 14. Aufl., § 65 Rn. 16 f. jeweils m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Der Ehegatte oder Familienangehörige eines ausgewiesenen Ausländers ist an dem einem Anfechtungsprozess gegen die Ausweisungsverfügung zugrundeliegenden streitigen Rechtsverhältnis nicht derart beteiligt, dass die gerichtliche Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.8.1996 - BVerwG 1 C 8.94 -, BVerwGE 102, 12, 15 f.; Urt. v. 25.10.1977 - BVerwG I C 31.74 -, BVerwGE 55, 8, 11). Denn bei der Entscheidung über die Klage eines Ausländers gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen wird über die Rechte seines Ehegatten oder seiner Familienangehörigen nicht zugleich mitentschieden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.7.2008 - BVerwG 1 B 8.08 (1 PKH 6.08) -, Buchholz 310 § 113 Abs. 5 VwGO Nr. 8); diese sind nicht gehindert, ihre eigenen Rechte selbständig zu verfolgen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 45; Beschl. v. 18.7.1979 - 1 BvR 650/77 -, BVerfGE 51, 386, 396 ff.; BVerwG, Urt. v. 3.5.1973 - BVerwG 1 C 20.70 -, BVerwGE 42, 141, 142).
2. Auch für eine einfache Beiladung nach § 65 Abs. 1 VwGO der Ehefrau und der minderjährigen Kinder des Klägers besteht im vorliegenden Fall keine Veranlassung.
Eine einfache Beiladung setzt voraus, dass rechtliche Interessen Dritter durch die Entscheidung berührt werden können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 19.11.1998 - BVerwG 11 A 50.97 -, Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 130; Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 65 Rn. 12 (Stand: April 2006)). Dies erfordert, dass der Dritte in einer solchen Beziehung zu einem Hauptbeteiligten des Verfahrens oder zu dem Streitgegenstand steht, dass das Unterliegen eines der Hauptbeteiligten seine Rechtsposition verbessern oder verschlechtern könnte, wenn also eine in der Sache ergehende Entscheidung für den Dritten ohne Vornahme der Beiladung zwar keine Rechtswirkungen (vgl. § 121 Nr. 1 VwGO) hätte, sich aber auf die Rechtsstellung des Dritten jedenfalls faktisch auswirken würde. Es genügt hingegen nicht, wenn bloße ideelle, soziale oder wirtschaftliche Interessen des Dritten betroffen sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.3.2005 - BVerwG 4 VR 1001/04 -, juris Rn. 2; Beschl. v. 20.6.1995 - BVerwG 8 B 68.95 -, Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 119; Bader u.a., VwGO, 6. Aufl., § 65 Rn. 10; Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 65 Rn. 11 (Stand: April 2006) jeweils m.w.N.).
Sind diese tatbestandlichen Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 VwGO erfüllt, entscheidet das Gericht nach seinem eigenen Ermessen über die Beiladung. Gleiches gilt für das Beschwerdegericht bei der Entscheidung über die Beschwerde; das Beschwerdegericht trifft seine Entscheidung ebenfalls nach eigenem Ermessen, ohne auf die Nachprüfung des Ermessens der Vorinstanz beschränkt zu sein (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 1.12.2017 - 13 E 479/17 -, juris Rn. 22 f.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 2.11.2017 - 9 C 17.1804 -, juris Rn. 4).
Hier sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 VwGO durchaus erfüllt. Rechtliche Interessen nicht verfahrensbeteiligter Dritter können in aufenthaltsrechtlichen Verfahren nicht nur dann berührt sein, wenn die aufenthaltsrechtliche Rechtsstellung des Dritten von dem im gerichtlichen Verfahren streitgegenständlichen Aufenthaltsrecht des Hauptbeteiligten abhängig ist (vgl. bspw. §§ 25a Abs. 2, 25b Abs. 4, 29 f., 32 ff. AufenthG), mithin das Unterliegen des Hauptbeteiligten negative Auswirkungen auf den Fortbestand des Aufenthaltsrechts des Dritten haben kann. Auch der verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und das hieraus abzuleitende Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12.5.1987 - 2 BvR 1226/83 u.a. -, BVerfGE 76, 1, 42; Niedersächsisches OVG, Urt. v. 19.3.2012 - 8 LB 5/11 -, juris Rn. 47) können ein rechtliches Interesse vermitteln. Dieses rechtliche Interesse kann berührt sein, wenn die vom Hauptbeteiligten angefochtene aufenthaltsbeendende Maßnahme auch Ehegatten oder Familienangehörige betrifft, die im Bundesgebiet bleibeberechtigt sind, und ihnen zumutet, die eheliche oder familiäre Lebensgemeinschaft jedenfalls für eine nicht unerhebliche Dauer zu unterbrechen. So verhält es sich hier. Die Ehefrau und die minderjährigen Kinder des Klägers sind deutsche Staatsangehörige. Durch die mit der angefochtenen Ausweisung gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG verbundene Beendigung des rechtmäßigen Aufenthalts (und die daran anknüpfende freiwillige oder erzwungene Ausreise) des Klägers wird es ihnen jedenfalls für die Dauer von fünf Jahren (vgl. die Befristung der Wirkungen der Ausweisung in Nr. 3 des Bescheides v. 16.1.2017) unmöglich gemacht, im Bundesgebiet eine eheliche und familiäre Lebensgemeinschaft zu führen.
Obgleich damit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 VwGO vorliegen, übt der Senat sein Ermessen dahin aus, von einer Beiladung abzusehen. Eine Beiladung bezweckt nicht, die Verfahrensposition der Hauptbeteiligten zu stärken oder in deren Interesse die Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung zu erweitern (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.9.2009 - BVerwG 8 B 75.09 -, NVwZ-RR 2010, 37; Urt. v. 7.2.1986 - BVerwG 4 C 30.84 -, BVerwGE 74, 19, 22 f.). Zweck einer einfachen Beiladung ist es vielmehr, Dritte, die nicht zum Kreis der Hauptbeteiligten gehören, deren rechtliche Interessen aber durch die gerichtliche Entscheidung unmittelbar berührt werden können, am Verfahren zu beteiligen, damit sie die Möglichkeit erhalten, sich mit ihrem Rechtsstandpunkt Gehör zu verschaffen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.3.2005, a.a.O., juris Rn. 2). Dieser Zweck kann im vorliegenden Verfahren ohne eine Beiladung erreicht werden. Bereits das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung zutreffend herausgestellt, dass die Ehefrau und die minderjährigen Kinder sich über den Kläger und dessen Prozessbevollmächtigten hinreichend Gehör verschaffen können. Dass ihnen dies ausnahmsweise unmöglich oder auch nur unzumutbar sein könnte, ergibt sich auch aus dem Beschwerdevorbringen nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Festsetzung eines Streitwertes bedarf es wegen der streitwertunabhängigen Gerichtsgebühr nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses gemäß Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nicht.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).