Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.02.2018, Az.: 13 ME 56/18
Aufenthalt, ununterbrochener; Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden; Aussetzung der Abschiebung; Beschwerde; Härtefallkommission; Verfahrensduldung; vorläufiger Rechtsschutz
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.02.2018
- Aktenzeichen
- 13 ME 56/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74434
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 29.01.2018 - AZ: 11 B 458/18
Rechtsgrundlagen
- § 25a Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthG
- § 60a Abs 2 S 1 AufenthG
- AufenthGHFKomV ND
- § 123 VwGO
- § 146 Abs 4 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Erlaubte kurzfristige Unterbrechungen des nach § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG erforderlichen Aufenthalts, die erkennbar nicht auf die Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts oder Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet gerichtet sind, können ausnahmsweise unschädlich sein.
Tenor:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 11. Kammer - vom 29. Januar 2018 wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung der Abschiebung und zur Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis zu verpflichten, zu Recht abgelehnt. Die hiergegen vom Antragsteller mit der Beschwerde geltend gemachten Gründe, auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren zu beschränken hat, gebieten eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht.
Der Antragsteller macht mit seiner Beschwerde geltend, das Verwaltungsgericht habe das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Abs. 1 AufenthG zu Unrecht verneint. Die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet sei hinreichend. Die nur kurzzeitige und nicht auf seinem freien Willensentschluss beruhende Unterbrechung seines Aufenthalts sei unbeachtlich. Die Firma C. Gebäudetechnik beabsichtige seit Jahren, ihn auszubilden. Es bestehe eine günstige Integrationsprognose.
Diese Einwände greifen nicht durch.
Dem Antragsteller steht ein - im Verfahren nach § 123 VwGO in Verbindung mit § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise sicherungsfähiger (vgl. zu den Voraussetzungen: Senatsbeschl. v. 22.8.2017 - 13 ME 213/17 -, juris Rn. 3) - Anspruch auf eine Aufenthaltsgewährung bei gut integrierten Jugendlichen und Heranwachsenden nach § 25a Abs. 1 AufenthG nicht zu.
Der Antragsteller erfüllt die Erteilungsvoraussetzung des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht. Danach darf die Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer sich seit vier Jahren ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufhält. Der Antragsteller ist indes am 22. Februar 2016 aus dem Bundesgebiet abgeschoben worden. Seit der Wiedereinreise im März/April 2016 sind offensichtlich noch keine vier Jahre vergangen. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die nur kurzzeitige Unterbrechung seines Aufenthalts im Bundesgebiet hier auch nicht unbeachtlich. Nach dem Wortlaut des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ("ununterbrochen") erfüllt dessen Voraussetzungen ein Ausländer grundsätzlich schon dann nicht, wenn er in dem genannten Zeitraum - gleich aus welchen Gründen - das Bundesgebiet auch nur kurzzeitig verlassen hat (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 3.4.2008 - 10 ZB 08.34 -, juris Rn. 2 (zu § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG)). Nach Sinn und Zweck der Bestimmung können aber ausnahmsweise erlaubte kurzfristige Unterbrechungen des Aufenthalts, die erkennbar nicht auf die Aufgabe des gewöhnlichen Aufenthalts oder Lebensmittelpunktes im Bundesgebiet gerichtet sind, unschädlich sein (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 29.3.2012 - 8 LA 26/12 -, juris Rn. 8; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 9.12.2009 - 13 S 2092/09 -, juris Rn. 25; Hailbronner, Ausländerrecht, AufenthG, § 25a Rn. 5 (Stand: Oktober 2015)). Von vorneherein unerheblich ist insoweit, ob der Ausländer die Unterbrechung des Aufenthalts zu vertreten hat. Maßgeblich ist allein, ob sich der Ausländer tatsächlich ununterbrochen erlaubt, geduldet oder mit einer Aufenthaltsgestattung im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 29.3.2012, a.a.O., Rn. 9). Da die hier erfolgte Abschiebung gerade auf die Beendigung des gewöhnlichen Aufenthalts des Antragstellers im Bundesgebiet gerichtet gewesen war, ist die durch sie herbeigeführte Unterbrechung des Aufenthalts beachtlich und steht der Annahme eines ununterbrochenen Aufenthalts im Sinne des § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG entgegen.
Damit bedarf es hier keiner Entscheidung mehr darüber, ob der Antragsteller auch die übrigen Voraussetzungen des § 25a Abs. 1 AufenthG erfüllt, insbesondere ob ihm eine positive Integrationsprognose nach § 25a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG gestellt werden kann.
Der Antragsteller macht mit seiner Beschwerde weiter geltend, er habe eine Eingabe an die Härtefallkommission gerichtet. Diese werde aufgrund der günstigen Integrationsprognose voraussichtlich zunächst die Aussetzung der Abschiebung und sodann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis empfehlen.
Auch dieser Einwand greift nicht durch.
Eine Eingabe an die Niedersächsische Härtefallkommission begründet einen (Anordnungs-)Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nicht. Denn selbst beim Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Eingabe zur Beratung durch die Niedersächsische Härtefallkommission ergäbe sich hieraus eine Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht; die Bestimmungen des § 23a AufenthG und der Niedersächsischen Härtefallkommissionsverordnung begründen keine subjektiven Rechte des Antragstellers (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 25.9.2012 - 8 ME 181/12 -, juris Rn. 5 m.w.N.).
Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde schließlich einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör geltend macht, ergibt sich hieraus eine zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führende Rechtsverletzung nicht. Denn ein solcher Verstoß wäre spätestens dadurch geheilt, dass der Antragsteller jedenfalls im nachfolgenden Beschwerdeverfahren ausreichend Gelegenheit hatte, sich zu dem Schriftsatz des Antragsgegners vom 25. Januar 2018 zu äußern, der ihm erst mit dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts zur Kenntnis gebracht worden war (vgl. zur Möglichkeit der Heilung von Verstößen gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Instanzenzug: BVerfG, Beschl. v. 25.5.1956 - 1 BvR 128/56 -, NJW 1956, 1026; BVerwG, Urt. v. 31.7.2002 - BVerwG 8 C 37.01 -, NVwZ 2003, 224, 225; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., § 138 Rn. 18 m.w.N.).
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen. Der Beschwerde kommt auch nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362) unter Berücksichtigung des Zwecks der Prozesskostenhilfebewilligung die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht zu (vgl. zu im Hauptsacheverfahren einerseits und im Prozesskostenhilfeverfahren andererseits anzulegenden unterschiedlichen Maßstäben: BVerfG, Beschl. v. 8.7.2016 - 2 BvR 2231/13 -, juris Rn. 10 ff. m.w.N.).
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens ergibt sich aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG und Nrn. 8.3 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).