Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.02.2018, Az.: 2 LA 1784/17
Anknüpfungsmerkmal; Flüchtlingseigenschaft; Kriegsdienst; Kriegsverbrechen; Syrien; Verfolgungsgrund; Verknüpfung; Wehrpflicht
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.02.2018
- Aktenzeichen
- 2 LA 1784/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74420
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 11.12.2017 - AZ: 4 A 489/16
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs 1 AsylVfG
- § 3a Abs 2 Nr 5 AsylVfG
- § 3a Abs 3 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Bei dem Personenkreis der wehrpflichtigen Männer aus Syrien liegt in der Regel eine flüchtlingsrelevante Verfolgung i.S.d. §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG weiterhin nicht vor (Bestätigung der ständigen Senatsrspr.).
Tenor:
Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - Einzelrichter der 4. Kammer - vom 11. Dezember 2017 und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren werden abgelehnt.
Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Prozesskostenhilfeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Der Antrag der Kläger – soweit ersichtlich ein Ehepaar mit drei minderjährigen Kindern syrischer Staatsangehörigkeit sowie arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit, die am 16. Dezember 2015 in das Bundesgebiet eingereist sind – auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die von ihnen beabsichtigte Rechtsverfolgung aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Der Antrag der Kläger - denen subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist - auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses ihre Klage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt hat, bleibt ohne Erfolg.
Die auf § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gestützte Grundsatzrüge der Kläger greift nicht durch.
Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne der vorgenannten Vorschrift grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (Berlit, in: GK-AsylG, § 78, Rdnr. 88 ff., m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, § 78 AsylG, Rdnr. 140 ff., m.w.N.; Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 78 AsylG, Rdnr. 11). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG dargelegt, wenn eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte. Geht es um eine Tatsachenfrage müssen die Erkenntnismittel benannt werden, die eine anderslautende Entscheidung nahelegen. Es ist insoweit Aufgabe des Klägers, durch Benennung bestimmter begründeter Informationen, Auskünfte, Presseberichte oder sonstiger Erkenntnisquellen zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür darzulegen, dass nicht die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts, sondern seine gegenteiligen Bewertungen zutreffend sind, so dass es zur Klärung der sich insoweit stellenden Fragen der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf Die neuen Tatsachen sind im Zulassungsantrag im Einzelnen zu bezeichnen und die neuen Erkenntnismittel vorzulegen. Für die Darlegung reicht es nicht aus, für bestimmte Tatsachen auf noch zu erhebende Beweise zu verweisen (vgl. Berlit, in: GK-AsylG, § 78, Rdnr. 591 ff., 611).
Nach diesen Kriterien haben die von den Klägern aufgeworfenen „(Haupt-)Fragen“ (verknüpft mit diversen „Unterfragen“), nämlich
„die Tatsachenfrage, … ob das syrische Regime rückkehrende Männer im wehrpflichtigen Alter grundsätzlich als Oppositionelle ansieht und bestraft“, und
„die Rechtsfrage, ob bei Verweigerung des Kriegsdienstes bei der Kriegsverbrechen begehenden syrischen Armee ein Anknüpfungsmerkmal/Verfolgungsgrund gem. § 3b Abs. 1 AsylG bzw. Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 erfüllt sein muss“, und „wenn ja,
die Tatsachenfrage, ob eines erfüllt ist“,
keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.
Die von den Klägern aufgeworfenen Fragen sind in der Rechtsprechung des Senats und des Bundesverwaltungsgerichtes geklärt.
Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris, und seitdem ständige Rechtsprechung) droht aus Syrien stammenden Personen bei einer Rückkehr in ihr Heimatland im Allgemeinen weder wegen ihrer illegalen Ausreise in Verbindung mit einem Asylantrag und dem Verbleib im westlichen Ausland noch wegen ihrer Religionszugehörigkeit oder wegen des Herkunftsortes eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG (juris, Rdnr. 43 ff.). Dies gilt auch für die Personenkreise der geflohenen Wehrdienstpflichtigen und der Reservisten, die eine Einberufung erhalten haben oder denen eine solche konkret bevorstand (juris, Rdnr. 72 ff.). Entgegen der Ansicht der Kläger liegt eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne der §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 a Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AsylG bei diesem Personenkreis daher (weiterhin) nicht vor.
Die von den Klägern in der Begründung ihres Zulassungsantrages angeführte Meldung in SPIEGEL online vom 11. September mit der Überschrift „Assads Top-General droht Flüchtlingen“ gibt keinen Anlass zu einer anderen Bewertung (vgl. Senatsbeschl. v. 27.10.2017 - 2 LB 588/17 -, v. 12.9.2017 - 2 LB 750/17 -, juris). Der General Issam Zahreddine wird in SPIEGEL online als einer der bisher wichtigsten Militärs von Diktator Baschar al-Assad beschrieben. In der Durchführungsverordnung (EU) 2017/1751 des Rates (v. 25.9.2017) zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 wird er als hochrangiger Offizier (Brigadegeneral) bezeichnet, der u.a. für die gewaltsame Unterdrückung der Zivilbevölkerung während der Belagerung von Baba Amr 2012 verantwortlich war. Nach aktuellen Zeitungsmeldungen (vgl. etwa The Telegraph v. 18.10.2017, zitiert nach www.telgraph.co.uk/news/2017/10/18/top-syrian-general-killed-isil-landmine; wikipedia:, „Issam Zahredinne“) wurde er am 18. Oktober 2017 im Gefecht gegen den sogenannten Islamischen Staat getötet. Eine unterschiedslose Unterdrückung der Zivilbevölkerung führt jedoch - wie oben dargelegt - nicht ohne weiteres auf die Annahme politischer Verfolgung. Zudem fehlen zureichende Anhaltspunkte dafür, dass er repräsentativ für das syrische Regime gesprochen hat. So hat Präsident Assad Ende 2015 in einem TV-Interview Gegenteiliges erklärt (vgl. hierzu OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.12.2016 - 1 A 10922/16 -, juris, Rdnr. 50; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 21.2.2017 - 14 A 2316/16.A -, juris,Rdnr. 66). Überdies hatte selbst der genannte General ausweislich der Meldung im „Telegraph“ seine gegen im Ausland befindliche Flüchtlinge aus Syrien gerichtete Aussage dadurch relativiert, dass er sich für diese Äußerungen entschuldige, und darauf hingewiesen, dass sie ausschließlich gegen diejenigen gerichtet gewesen seien, die syrische Truppenangehörige getötet hätten.
Der Senat ist in seinem genannten Urteil auch ausführlich auf die Frage eingegangen, ob sich ein Betroffener auf § 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG berufen kann, und hat diese Frage unter Anführung der rechtlichen Vorgaben und tatsächlichen Verhältnisse unter Auseinandersetzung mit der hierzu ergangenen Rechtsprechung im Einzelnen geprüft und im Ergebnis verneint (juris, Rdnr. 90 ff.). Daher trägt im Allgemeinen – und so auch hier – der von der Beklagten zuerkannte subsidiäre Schutz gemäß § 4 AsylG der in Syrien herrschenden Bürgerkriegssituation hinreichend Rechnung.
Das Vorbringen der Kläger in der Begründung ihres Zulassungsantrages gibt dem Senat keinen Anlass zu der Annahme, dass die genannten Fragen gleichwohl weiter klärungsbedürftig sind oder wieder klärungsbedürftig geworden sind. Dass diverse, von den Klägern beispielhaft genannten Verwaltungsgerichte sowie der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und der Hessische Verwaltungsgerichtshof diese Fragen anders beantworten als der Senat und andere Oberverwaltungsgerichte, rechtfertigt kein anderes Ergebnis.
Dies gilt zum einen für die von den Klägern aufgeworfene (Unter-)Frage, ob syrische Männer im wehrpflichtigen Alter, die nicht aus dem aktiven Militärdienst heraus fliehen, den Militärdienst im Sinne des § 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG “verweigern“. Der Senat hat diese Frage in seinem oben genannten Urteil offengelassen, weil für die Anwendung dieser Vorschrift nicht ausreichend ist, dass das „Militär“ als solches Verbrechen im Sinne der Vorschrift begeht. Vielmehr muss der um Flüchtlingsschutz Nachsuchende mit hinreichender Plausibilität darlegen, dass gerade seine Militäreinheit unter Umständen Einsätze durchgeführt hat oder durchführen wird, die unter die Ausschlussklausel des § 3 Abs. 2 AsylG fallen und dass er sich bei der Ausübung seiner Funktionen in hinreichend unmittelbarer Weise an solchen Handlungen beteiligen müsste, wobei logistische und sonstige Unterstützertätigkeiten ausreichend wären (juris, Rdnr. 102 ff.). Soweit die Kläger auf die diese Problematik anders beurteilende Rechtsprechung der oben angeführten Obergerichte verweisen, folgt daraus nichts anderes. Denn der Senat hat sich in seinem genannten Grundsatzurteil bereits mit den Ausführungen dieser Obergerichte auseinandergesetzt (juris, Rdnr. 110). Gleiches gilt für die von den Klägern angeführte Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union – EuGH – in seinem Urteil vom 26. Februar 2015 - C-472/13 -, Shepherd, juris).
Zum anderen sieht das Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob es zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch in den Fällen des § 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG einer Verknüpfung zu den in § 3 Abs. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründen im Sinne des § 3 a Abs. 3 AsylG bedarf und entgegen der Ansicht der Kläger eine „teleologische Reduktion“ des § 3 a Abs. 3 AsylG im Hinblick auf § 3 a Abs. 2 Nr. 5 AsylG nicht vorzunehmen ist, als nicht weiter klärungsbedürftig an. Aus der gesetzlichen Bestimmung des § 3 a Abs. 3 AsylG, der insoweit Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU (Anerkennungsrichtlinie) umsetzt, ergibt sich danach, dass die Qualifizierung einer Handlung als Verfolgung im Sinne von § 3 a Abs. 2 Nr. 1 bis 6 AsylG noch nicht ausreicht, um eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahme zu begründen. Hinzukommen muss vielmehr eine „Verknüpfung“ zwischen Handlung und Verfolgungsgrund, d.h. die Verfolgung muss gerade „wegen“ bestimmter Verfolgungsgründe drohen (BVerwG, Beschl. v. 5.12.2017 - BVerwG 1 B 131.17 -, juris, Rdnr. 10). Unter diesen Umständen ist auch der Senat zur Klärung der genannten Frage nicht gehalten, schon weil es in einem anzunehmenden Revisionsverfahren darauf nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht ankommen würde. Überdies ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die Frage nach einem Verfolgungsgrund nicht weiterführt. Denn es spricht Überwiegendes dafür, dass einer Maßnahme des syrischen Regimes die Absicht zugrunde liegen würde, Wehrdienstentziehungen im Interesse der Aufrechterhaltung der militärischen Streitmacht umgehend und deutlich zu bekämpfen. Die Umsetzung dieser Absicht durch die syrischen Sicherheitskräfte erfolgt indes ohne Anknüpfung an einen Verfolgungsgrund, sondern in willkürlicher und wahlloser Weise (Senatsurt. v. 27.6.2017 - 2 LB 91/17 -, juris, Rdrn. 88).
Im Übrigen stellt der Zulassungsantrag zwar die unterschiedlichen Ansatzpunkte der Rechtsprechung umfänglich dar und geht dabei auch partiell auf das Senatsurteil vom 27. Juni 2017 ein. Er müsste sich aber - um Erfolg zu haben - vorrangig mit der Argumentation des Senats selbst in der genannten Grundsatzentscheidung auseinandersetzen und aufzeigen, weshalb der Senat zu einer neuen Prüfung anzusetzen hätte. Dafür reicht es nicht aus, auf Entscheidungen und Literaturmeinungen zu verweisen, die ihrerseits die Grundsatzentscheidung des Senats noch nicht in den Blick genommen hatten und lediglich in der Sache eine andere Position vertreten haben, ohne sich gerade mit den tragenden Argumenten des Senats oder deren Äquivalenten in der übrigen Rechtsprechung auseinandergesetzt haben. Allein der Umstand, dass bestimmte Obergerichte zum gleichen Ergebnis gelangt sind wie der Senat, lässt nicht den Schluss darauf zu, dass die rechtlichen und tatsächlichen Bewertungen dieser anderen Obergerichte mit denen des Senats im Wesentlichen übereinstimmen und daher ein Angriff auf sie zugleich die vom Senat eingenommene Position erschüttert.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylG sowie auf den §§ 166 VwGO, 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).