Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.02.2018, Az.: 7 ME 1/18
Duldungsverfügung; Gewerbeuntersagung; Rechtsmittelbelehrung; Versiegelung; Zwangsmaßnahme
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 19.02.2018
- Aktenzeichen
- 7 ME 1/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74432
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 15.12.2017 - AZ: 1 B 111/17
Rechtsgrundlagen
- § 35 Abs 1 GewO
- § 35 Abs 7a GewO
- § 21 InsO
- § 146 Abs 4 VwGO
- § 55a VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine Rechtsmittelbelehrung, in der wegen der elektronischen Form der Einlegung und Begründung des Rechtsmittels auf die Niedersächsische Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz verwiesen wird, entspricht nicht mehr der ab dem 01. Januar 2018 geltenden Rechtslage.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 1. Kammer - vom 15. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine mit einer sofortigen Vollziehung versehene Verfügung des Antragsgegners, mit der ihr aufgegeben wurde, die Versiegelung von Betriebsräumen auf einem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück zu dulden.
Gemäß einer Gewerbeanmeldung bei der Samtgemeinde Neuenhaus vom 23. August 2012 zeigte die G. GmbH einen Gewerbebetrieb mit der Bezeichnung „Groß- und Einzelhandel und Vertrieb mit Produktion von Lebensmitteln, insbesondere Fleisch- und Wurstwaren sowie sonstige Feinkostartikel aller Art (Schwerpunkt)“ an. Betriebssitz und Hauptniederlassung des Unternehmens wurden unter der postalischen Anschrift E., F., angegeben. Die dortigen Betriebsflächen, welche mit aufstehenden Gebäuden bebaut sind, stehen nach einem Auszug aus dem Liegenschaftskataster zum Teil im Eigentum der H. mbH (Flurstück I., Flur J., Gemarkung F.) und zu einem weiteren Teil (Flurstück K.) im Eigentum der L. GmbH. Die H. mbH firmiert inzwischen unter dem Namen der in Liquidation befindlichen Antragstellerin und die L. GmbH unter dem Namen D. GmbH. Für diese handelt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Beigeladene als Insolvenzverwalter. Mit Bescheid vom 07. September 2017 untersagte der Antragsgegner der G. GmbH gemäß § 35 Abs. 1 Gewerbeordnung (GewO) die Ausübung ihres Gewerbes auf Dauer wegen Unzuverlässigkeit. Des Weiteren untersagte der Antragsgegner der GmbH die Ausübung aller Gewerbe im Geltungsbereich der Gewerbeordnung (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GewO) und forderte sie auf, die Gewerbeausübung spätestens 14 Tage nach Vollziehbarkeit dieser Ordnungsverfügung einzustellen. Die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung wurde angeordnet. Mit gesondertem Bescheid vom 07. September 2017 untersagte der Antragsgegner dem Geschäftsführer der G. GmbH, Herrn M., gemäß § 35 Abs. 7a i. V. m. § 35 Abs. 1 GewO die Tätigkeit als Geschäftsführer dieser GmbH sowie jegliche Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines anderen Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person auf Dauer wegen Unzuverlässigkeit. Ihm wurde des Weiteren die Ausübung aller Gewerbe im Geltungsbereich der Gewerbeordnung untersagt (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GewO) und er wurde aufgefordert, die Geschäftsführertätigkeit spätestens 14 Tage nach Vollziehbarkeit dieser Ordnungsverfügung einzustellen. Zugleich ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung auch dieser Untersagungsverfügung an. Nachdem der Antragsgegner festgestellt hatte, dass das Gewerbe der G. GmbH nicht abgemeldet wurde und auf den oben genannten Betriebsflächen weiterhin gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt wurden, leitete er Zwangsmaßnahmen - zunächst in der Gestalt von Zwangsgeldfestsetzungen unter Androhung unmittelbaren Zwangs - zur Durchsetzung der Bescheide vom 07. September 2017 ein. Mit Bescheid vom 23. November 2017 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass beabsichtigt sei, die Betriebsräume E., F., am Mittwoch, dem 29. November 2017, zu versiegeln, und verpflichtete die Antragstellerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung zur Duldung dieser Maßnahme. Die Antragstellerin hat dagegen beim Verwaltungsgericht Osnabrück Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (Az. 1 A 908/17). Ihren Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss vom 15. Dezember 2017, auf dessen Begründung Bezug genommen wird, abgelehnt. Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 20. Dezember 2017 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 22. Dezember 2017 beim Verwaltungsgericht eingelegten und mit Schriftsatz vom 29. Januar 2018 begründeten Beschwerde.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
1. Der Senat kann offenlassen, ob die Beschwerde bereits wegen Versäumung der Begründungsfrist nach § 146 Abs. 4 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als unzulässig zu verwerfen ist. Dies erscheint eher zweifelhaft. Die Antragstellerin hat die Beschwerde zwar erst mit Schriftsatz vom 29. Januar 2018, d. h. nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung begründet. Es ist aber zu berücksichtigen, dass die dem Beschluss des Verwaltungsgerichts beigefügte Rechtsmittelbelehrung mit einem Hinweis zur Form der Einlegung und Begründung der Beschwerde versehen ist, der wie folgt lautet:
„Bei der Verwendung der elektronischen Form sind besondere Voraussetzungen zu beachten (Nds. Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in der Justiz).“
Der Klammerzusatz entspricht nicht mehr der ab dem 01. Januar 2018 geltenden Rechtslage (vgl. dazu § 55a VwGO in der seit dem 01.01.2018 geltenden Fassung sowie die Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach vom 24.11.2017, BGBl. I S. 3803). Der Mangel könnte bewirkt haben, dass für die Begründung der Beschwerde die in § 58 Abs. 2 VwGO bezeichnete Einjahresfrist gilt und folglich die mit Schriftsatz der Antragstellerin vom 29. Januar 2018 vorgelegte Begründung des Rechtsmittels nicht als verfristet angesehen werden kann. Der Senat sieht von einer abschließenden Beurteilung dieser Frage ab, denn es kommt auf deren Beantwortung nicht entscheidungserheblich an. Die zur Begründung des Rechtsmittels dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es jedenfalls in der Sache nicht, die erstinstanzliche Entscheidung zu ändern.
2. Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Begründung die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Eine ordnungsgemäße Begründung liegt mithin nur dann vor, wenn sich aus den Darlegungen des Beschwerdeführers die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung und die Notwendigkeit seiner Abänderung oder Aufhebung ergeben (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.05.2008 - 2 M 72/08 -, NVwZ-RR 2008, 747; OVG Hamburg, Beschluss vom 12.12.2013 - 4 Bs 333/13 -, NVwZ-RR 2014, 494). Diesen Anforderungen wird der Beschwerdevortrag der Antragstellerin nicht gerecht.
Die Antragstellerin beanstandet, dass ihr mit einer Frist von lediglich sechs Tagen mitgeteilt worden sei, dass ihre Immobilie versiegelt werde. Man müsse sich vergegenwärtigen, dass ihr selbst irgendein Fehlverhalten nicht vorgeworfen worden sei. Die mit der Versiegelung verbundene Ausschließung von der Nutzung ihrer Immobilie sei rechtswidrig. Auch ein etwaiges Fehlverhalten ihrer Mieterin, der G. GmbH, könne ein derartig rigides Vorgehen der Behörde nicht rechtfertigen.
Mit diesem Vortrag genügt die Antragstellerin dem Darlegungserfordernis nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ersichtlich nicht. Denn sie wiederholt im Wesentlichen nur ihren erstinstanzlichen Vortrag, mit dem das Verwaltungsgericht sich auseinandergesetzt hat. Das Verwaltungsgericht hat näher ausgeführt, dass die Antragstellerin durch die streitige Versiegelungsanordnung nicht erheblich in ihrem Eigentum beeinträchtigt werde. Auf die diesbezügliche Begründung des angefochtenen Beschlusses wird Bezug genommen (vgl. S. 8 f. des Beschlussabdrucks). Die Beschwerde verhält sich zu dieser Begründung nicht und setzt sich mit ihr nicht auseinander. So bleibt nach der Beschwerde - wie schon im erstinstanzlichen Verfahren - unklar, aus welchen Gründen ein kurzfristiger Zutritt der Antragstellerin zu den versiegelten Räumlichkeiten, soweit sie in ihrem Eigentum stehen, erforderlich sein soll. Ein nachvollziehbares eigenes Nutzungsinteresse hat die Antragstellerin nicht dargetan.
Die Antragstellerin macht weiterhin geltend, erschwerend komme hinzu, dass die G. GmbH inzwischen in ein Insolvenzeröffnungsverfahren verwickelt sei. Es sei die vorläufige Verwaltung ihres Vermögens durch einen vorläufigen Insolvenzverwalter angeordnet worden. Die Gefahr von Rechtsverstößen im Falle einer Entsiegelung ihrer Immobilie bestehe danach nicht mehr.
Auch mit diesem Vortrag dringt die Antragstellerin nicht durch. Zum einen ist unklar geblieben, welche Rechte sie aus dem Umstand, dass das Amtsgericht Nordhorn (Insolvenzgericht) mit Beschluss vom 11. Dezember 2017 die vorläufige Verwaltung des Vermögens der G. GmbH angeordnet und gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Insolvenzordnung (InsO) einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt hat, für sich herleiten will. Sofern die Antragstellerin damit - sinngemäß - die Erforderlichkeit der streitigen Duldungsverfügung infrage stellen möchte, überzeugt ihr Vortrag bereits deshalb nicht, weil die Versiegelung von Betriebsräumen nicht lediglich die Durchsetzung der gegenüber der G. GmbH verfügten Gewerbeuntersagung bezweckt, sondern auch die Verhinderung der weiteren gewerblichen Tätigkeit des Herrn N., gegen den der Antragsgegner mit Bescheid vom 07. September 2017 auf der Grundlage des § 35 Abs. 7a i. V. m. § 35 Abs. 1 GewO eingeschritten ist. Nach den erstinstanzlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts, denen die Antragstellerin nicht weiter entgegengetreten ist, ist davon auszugehen, dass sich Herr N. von den Untersagungsbescheiden offensichtlich unbeeindruckt gezeigt hat und das Gewerbe selbst nach der durchgeführten Versiegelung und nach einer - den Umständen nach nicht näher geklärten - Entfernung der Siegel und von Teilen der beschlagnahmten Fleischwaren in beiden Hallen des Betriebsgeländes, d. h. auch in dem im Eigentum der Antragstellerin stehenden Betriebsteil, ausgeübt hat.
Der Vortrag der Antragstellerin, das Insolvenzgericht habe Zwangsmaßnahmen gegen die G. GmbH für unwirksam erklärt, trifft - jedenfalls in dieser Pauschalität - nicht zu und ist im Übrigen unerheblich. In dem genannten Beschluss hat das Amtsgericht Nordhorn (Insolvenzgericht) unter 4. angeordnet:
„Maßnahmen der Zwangsvollstreckung werden gem. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 InsO untersagt, bereits eingeleitete Maßnahmen werden einstweilen eingestellt - soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind.“
Das unbewegliche Vermögen der Schuldnerin bleibt danach dem Zugriff in der Vollstreckung ausgesetzt. Die gerichtliche Anordnung entspricht insoweit § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO, in dem ausdrücklich geregelt ist, dass das Gericht Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner untersagen oder einstweilen einstellen kann, soweit nicht unbewegliche Gegenstände betroffen sind. Unter diesen Umständen können die weiteren Fragen, ob die streitigen Betriebsräume dem Vermögen der G. GmbH, die nicht Eigentümerin des Betriebsgrundstücks ist, zugeordnet werden können, und ob eine Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO überhaupt einer Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung zur Durchsetzung einer Gewerbeuntersagung entgegenstehen kann, dahinstehen. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass Anordnungen über die Untersagung zukünftiger Vollstreckungsmaßnahmen und die einstweilige Einstellung laufender Vollstreckungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO die Wirksamkeit bereits durchgeführter Vollstreckungsmaßnahmen unberührt lassen (vgl. Vallender in: Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 14. Aufl., § 21 Rn. 26). Auch aus diesem Grunde spricht Erhebliches dafür, dass die Anordnung des Amtsgerichts Nordhorn (Insolvenzgericht) in seinem Beschluss vom 11. Dezember 2017 (unter 4.) keine Rechtswirkungen in Bezug auf die in Rede stehende Versiegelung der Betriebsräume, welche bereits am 29. November 2017 durchgeführt wurde, entfaltet hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen beruht die Entscheidung auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil er sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und sich mangels Antragstellung einem eigenen Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat (vgl. dazu § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).