Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.10.2012, Az.: 11 ME 275/12

Ausschluss der Fiktionswirkung nach § 104a Abs. 5 S. 5 AufenthG bei Beantragung der nochmaligen Verlängerung einer nach § 23 Abs. 1 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis "auf Probe"

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
31.10.2012
Aktenzeichen
11 ME 275/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 25977
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:1031.11ME275.12.0A

Fundstellen

  • DÖV 2013, 123
  • InfAuslR 2013, 104-105

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der Ausschluss der Fiktionswirkung nach § 104a Abs. 5 Satz 5 AufenthG umfasst auch den Fall, in dem die nochmalige Verlängerung einer nach § 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m. dem Erlass des niedersächsischen Innenministeriums vom 11. Dezember 2009 (Bleiberechtsregelung 2009) - 42.12 -12230.1 - 8 (§ 23) - erteilten Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" beantragt wird (wie Senatsbeschl. v. 30.3.2012 - 11 ME 74/12 -).

  2. 2.

    Schon aus systematischen Gründen kann einem Ausländer, der die Voraussetzungen für eine nochmalige Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe nicht erfüllt, regelmäßig keine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK erteilt werden.

Gründe

1

Dem Antragsteller kann für das Beschwerdeverfahren keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden, weil seine Beschwerde aus den folgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S.d. § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO hat und er zudem die nach § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 117 ZPO erforderliche Erklärung zu seinen aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen nebst Anlagen nicht vollständig vorgelegt hat (vgl. insoweit bereits Senatsbeschl. v. 23.10.2012 - 11 PA 276/12 -).

2

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem es u.a. abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 3. Januar 2012 "anzuordnen bzw. wiederherzustellen", hat keinen Erfolg.

3

Es mangelt schon an der nach § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO erforderlichen Darlegung, warum die angegriffene Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist. Dazu reichen Ausführungen dazu, warum der Antragsteller integriert sei, nicht aus; vielmehr wäre ergänzend darzulegen, dass er auch die weiteren Voraussetzungen des sinngemäß in Anspruch genommenen§ 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK sowie die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG erfülle bzw. hiervon abzusehen sei und inwieweit zur Sicherung dieses Anspruches vorläufiger Rechtsschutz nach§ 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren sei.

4

Im Übrigen lässt sich dem Beschwerdevorbringen des Antragstellers auch in der Sache ein solcher Anspruch nicht entnehmen. Zwar ist vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Ablehnung der Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zu gewähren, wenn sich der Ausländer zuvor, d.h. bis zur Entscheidung über seinen Antrag durch die Ausländerbehörde, gemäß § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG erlaubt im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. Senatsbeschl. v. 4.8.2010 - 11 ME 279/10 -, [...], Rn. 2, m.w.N.). Die vorliegend allenfalls in Betracht kommende Fiktion des erlaubten Aufenthaltes nach § 81 Abs. 4 AufenthG tritt nach § 104a Abs. 5 Satz 5 AufenthG aber nicht ein, wenn der Ausländer zuvor nur im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" war. Zu einer solchen Aufenthaltserlaubnis "auf Probe" i.S.d. § 104a Abs. 5 Satz 5 AufenthG gehört auch eine Aufenthaltserlaubnis, die auf der Grundlage des Erlasses des Nds. Innenministeriums vom 11. Dezember 2009 (- Az.: 42.12-12230.1-8 (§ 23) - Bleiberechtsregelung 2009) nochmals als "verlängerte Aufenthaltserlaubnis auf Probe" erteilt worden ist (vgl. Senatsbeschl. v. 30.3.2012 - 11 ME 74/12 -, [...], Rn. 4). Nur über eine solche mit Wirkung bis zum Oktober 2011 verfügte der Antragsteller jedoch zuletzt. Sein daran anschließender, hier streitiger Verlängerungsantrag vom September 2011 löste daher keine Fiktionswirkung aus; dass der Antragsgegner ihm gleichwohl Fiktionsbescheinigungen ausgestellt hatte, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.1.2010 - 1 B 17/09 -, [...], Rn. 7, m.w.N.). Hinsichtlich der Ablehnung einer Verlängerung bzw. Neuerteilung einer Aufenthaltserlaubnis kommt daher vorläufiger Rechtsschutz nach§ 80 Abs. 5 VwGO nicht in Betracht.

5

Dass dem Antragsteller im Übrigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren sei, d.h. etwa hinsichtlich der Abschiebungsandrohung oder der Bestimmung der Türkei als Zielstaat der Abschiebungsandrohung, macht er im Beschwerdeverfahren weder ausdrücklich noch sinngemäß geltend. Insbesondere wird nicht ansatzweise dargelegt, welche Rechte der Antragsteller konkret nach dem ARB 1/80 erworben und nicht wieder verloren haben soll und inwieweit sie in diesem Verfahren erheblich sein sollen.

6

Schließlich kann dem Antragsteller ohnehin nicht in der Annahme gefolgt werden, er könne sich zur Begründung eines weiteren Aufenthaltsrechts nach § 25 Abs. 5 AufenthG erfolgreich auf den Schutz seines Privatlebens i.S.d. Art. 8 EMRK berufen. Einem so begründeten Anspruch dürfte grundsätzlich schon die Systematik des Aufenthaltsgesetzes entgegenstehen. Der Gesetzgeber hat sich der Situation der im Bundesgebiet aufgewachsenen Ausländer ohne gesicherten Aufenthaltsstatus ausdrücklich angenommen und zunächst in den §§ 104a, 104b AufenthG und nachfolgend mit Wirkung ab dem 1. Juli 2011 (BGBl. I S. 1266) ergänzend in§ 25a AufenthG Bedingungen genannt, unter denen dem betroffenen Personenkreis aus humanitären Gründen ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gewährt werden soll/kann. Durch Erlasse des Niedersächsischen Innenministeriums vom 11. Dezember 2009 (s. o) und vom 19. Dezember 2011 (42.12-12230.1-8 (§ 23)) sind die Möglichkeiten der "Bewährung" nach § 104a AufenthG nochmals erweitert worden. Es wäre mit diesen gesetzlichen Voraussetzungen schwerlich vereinbar, einem Ausländer, der - wie der Antragsteller - die (Grund-)Voraussetzungen des § 104a AufenthG erfüllt, also zum betroffenen Personenkreis gehört, aber trotz nochmaliger Verlängerung der ihm erteilten Aufenthaltserlaubnis auf Probe nicht die weiterhin erforderliche Zukunftsperspektive bietet, sich insbesondere nicht hinreichend um eine Sicherung seines Lebensunterhaltes bemüht hat, unter Rückgriff auf das in Art. 8 EMRK ganz allgemein verbürgte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gleichwohl ein Aufenthaltsrecht zu gewähren.

7

Selbst wenn jedoch der Anwendungsbereich des § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK insoweit nicht bereits systematisch verschlossen ist, so mangelt es dem Antragsteller bei dieser Ausgangslage doch zumindest an dem erforderlichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.4.2009 - 1 C 3/08 -, [...], Rn. 20, u. Urt. v. 26.10.2010 - 1 C 18/09 -, [...], Rn. 14; Senatsbeschl. v. 19.3.2012 - 11 LA 27/12 -) Vertrauen auf den Fortbestand eines rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet. Denn anlässlich der Verlängerung seiner letzten Aufenthaltserlaubnis ist ihm am 7. Januar 2010 eindeutig erklärt worden, dass eine erneute Verlängerung nur in Betracht kommt, wenn weiterhin eine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit vorliegt und auch der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozialleistungen gesichert ist. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

8

Nähme man auch noch von dem Erfordernis des schutzwürdigen Vertrauens Abstand, erfüllte der Antragsteller aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen nicht die weiteren Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht zum Schutz seines Privatlebens. Erforderlich ist insoweit im Alter des Antragstellers von 27 Jahren und bei einer Einreise im Alter von fünf Jahren eine weitgehend abgeschlossene Integration in die hiesigen Verhältnisse, insbesondere auch hinsichtlich der Schul- und Berufsausbildung, ohne dass es insoweit auf ein "Verschulden" ankommt (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 24.3.2009 - 10 LA 377/08 -, [...], Rn. 19, m.w.N.). Hieran mangelt es vorliegend nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichts aber, denen der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht entgegentritt. Sein Versuch, dies mit fehlender bzw. unzureichender Unterstützung durch Dritte zu erklären, ist - wie dargelegt - unerheblich und trifft auch in der Sache nicht zu. Mehrere berufliche Eingliederungsmaßnahmen, wie der letzte Umschulungsversuch im Jahr 2011, sind vielmehr an der fehlenden Mitwirkung des Antragstellers gescheitert. Auch im Übrigen ist eine besondere soziale Verwurzelung des Antragstellers im Bundesgebiet nicht zu erkennen. Er hat eine ebenfalls ausreisepflichtige nahe Verwandte geheiratet und ist bei einer Rückkehr in die Türkei auch nicht auf sich allein gestellt, da sich dort bereits eine 2010 mit ihrer Familie zurückgekehrte Schwester aufhält und schließlich auch seine Eltern und ein Bruder ebenfalls vollziehbar ausreisepflichtig sind. Inwieweit ihm noch seine als Jugendlicher begangenen Straftaten entgegengehalten werden können, kann deshalb offen bleiben.