Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 02.02.2012, Az.: S 13 R 248/08

Versicherungspflicht eines Rechtsanwalts in der Rentenversicherung

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
02.02.2012
Aktenzeichen
S 13 R 248/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 36340
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2012:0202.S13R248.08.0A

Tenor:

  1. 1.

    Der Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2008 wird aufgehoben.

  2. 2.

    Es wird festgestellt, dass der Befreiungsbescheid vom 24. Mai 2006 zu einer durchgehenden Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung seit dem 4. April 2006 geführt hat. 3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um das Bestehen der Versicherungspflicht des Klägers in der Rentenversicherung.

Der Kläger ist von Beruf Rechtsanwalt. Er war im Jahr 2006 als solcher bei H., die kein anwaltlicher Arbeitgeber war, in Hannover beschäftigt. Hierfür beantragte er die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 SGB VI, da er Pflichtmitglied der Rechtsanwalts-kammer und deren Versorgungseinrichtung war. Mit Bescheid vom 24. Mai 2006 gewähr-te die Beklagte die Befreiung ab dem 4. April 2006.

Die Tätigkeit für die H. endete am 30. April 2007; unmittelbar im Anschluss am 1. Mai 2007 begann der Kläger eine Beschäftigung als Rechtsanwalt bei der Rechtsanwalts-kanzlei I ...

Mit Antrag vom 23. November 2007 beantragte der Kläger (weiterhin) die Befreiung von der Versicherungspflicht bei der Beklagten ab 1. Mai 2007. Die Beklagte gab diesem An-trag mit Bescheid vom 26. Februar 2008 statt und befreite den Kläger von der Versicherungspflicht, allerdings erst ab Antragstellung im November 2007.

Der Kläger legte Widerspruch ein mit der Begründung, die Befreiung vom 24. Mai 2006 gelte auch für seine Tätigkeit für die Kanzlei I. fort, da er nach wie vor und ununterbrochen als Rechtsanwalt tätig und Mitglied der Rechtsanwaltskammer sei. Es seien für ihn die entsprechenden Versorgungsbeiträge geleistet worden. Da der Bescheid vom 24. Mai 2006 nicht aufgehoben worden sei, bestünde er fort bis zur Erteilung der Befreiung im Bescheid vom 26. Februar 2008.

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zu-rück, mit der Begründung die Befreiung habe sich ausdrücklich auf die Tätigkeit als Rechtsanwalt bei der J. bezogen. Die Befreiung sei nicht personen-, sondern tätigkeits-bezogen. Mit der im Bescheid vom 24. Mai 2006 erfassten Beschäftigung ende die Befreiung und müsse für eine weitere Beschäftigung neu beantragt und ausgesprochen werden. Der Befreiungsbeginn sei gesetzlich geregelt und ergebe sich aus § 6 Abs. 4 SGB VI, wonach die Befreiung vom Vorliegen der Voraussetzungen an wirkt, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird; ansonsten vom Antragseingang an. Der Befreiungsantrag des Klägers hinsichtlich seiner Tätigkeit bei I. sei erst am 23. November eingegangen, also mehr als drei Monate nach Beschäftigungsbeginn.

Hiergegen erhob der Kläger beim Sozialgericht Lüneburg.

Er trägt vor, zwar sei die Befreiung tätigkeitsbezogen, jedoch beziehe sich dies auf die berufsspezifische Tätigkeit als Rechtsanwalt. Im Bescheid vom 24. Mai 2006 habe sich die Befreiung ausdrücklich auf "ihre Tätigkeit als Rechtsanwalt" bezogen. Danach sei im Text zwar der Arbeitgeber genannt worden, die Befreiung sei jedoch aufgrund seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt erfolgt. Aus der Tätigkeitsbezogenheit der Befreiung lasse sich daher nicht schlussfolgern, dass ein Arbeitgeberwechsel ein Tätigkeitswechsel ist und damit in jedem Fall zu einem Wegfall der Befreiung führe. Vielmehr sei entscheidend, dass sowohl vor als auch nach dem Arbeitgeberwechsel eine Tätigkeit als Rechtsanwalt ausgeübt worden sei. Nicht entscheidend sei, für wen diese Tätigkeit verrichtet werde. Gestützt werde diese Auffassung auch durch den Befreiungsbescheid vom 26. Februar 2008, in dem die Person des Arbeitgebers nicht mehr zum Gegenstand des Bescheides gemacht werde. Soweit die Beklagte darauf verweise, dass ein Befreiungsbescheid für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber so auszusprechen sei, dass der Arbeitgeber konkret genannt werde, bei einem anwaltlichen Arbeitgeber hingegen nicht, werde von dieser Differenzierung der den Kläger betreffende Sachverhalt gar nicht erfasst, denn er sei von einem nichtanwaltlichen zu einem anwaltlichen Arbeitgeber gewechselt. In den Fällen, in denen zu einem anwaltlichen Arbeitgeber gewechselt werde, sei kein neues Befreiungs-verfahren notwendig. Dies sei nur dann der Fall, wenn der Kläger zu einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber wechselt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 2008 aufzuheben und festzustellen, dass der Befreiungsbescheid vom 24. Mai 2006 zu einer durchgehenden Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht seit dem 4. April 2006 geführt hat.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und trägt weiter vor, es sei zu unterscheiden, ob die Befreiung für einen anwaltlichen oder nichtanwaltlichen Arbeitgeber ausgesprochen werde. Im letzteren Fall werde die Befrei-ung ausdrücklich für die konkrete Befreiung bei dem jeweiligen nichtanwaltlichen Arbeit-geber erteilt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Gerichtsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch begründet.

Gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI werden von der Versicherungspflicht Beschäftigte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufständischen Kammer sind. Im vorliegenden Fall ist der Kläger aufgrund seiner anwaltlichen Tätigkeit sowohl für die H. als auch als Rechtsanwalt in der Kanzlei I. Mitglied der Rechtsanwaltsversorgung Niedersachen (Niedersächsisches Versorgungswerk der Rechtsanwälte) sowie Mitglied der Rechtsanwaltskammer.

Gem. 6 Abs. 4 SGB VI wirkt die Befreiung vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrages an.

Der Kläger beantragte erstmalig im Jahr 2006 die Befreiung nach dieser Vorschrift für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt bei der H ...

Die Versicherungspflicht ist nach den einzelnen abgrenzbaren Sachverhalten tätigkeits-bezogen zu ermitteln und erfasst nicht in derselben Person weitere Beschäftigungen oder Tätigkeiten, für die nicht die Befreiung von der Versicherungspflicht ausgesprochen ist oder auf die sich die ausgesprochene Befreiung nicht erstreckt (Gürtner in: Kasseler Kommentar, Rn. 3 zu § 6).

Im vorliegenden Fall wurde im Bescheid der Beklagten vom 24. Mai 2006 eine Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt ausgesprochen. Zwar wurde in dem Bescheid auch der Arbeitgeber benannt, dies ist jedoch bei einem Wechsel von einem nichtanwaltlichen zu einem anwaltlichen Arbeitgeber nach Auffassung der Kammer unbeachtlich.

Da bei dem Wechsel zu einem anwaltlichen Arbeitgeber im Fall des Klägers ausschließlich eine anwaltliche Tätigkeit ausgeübt werden kann, ist davon auszugehen, dass die Befreiung für die Tätigkeit als Rechtsanwalt nach wie vor gilt. Die Nennung des Arbeitge-bers hat nur Bedeutung in den Fällen, in denen ein nichtanwaltlicher Arbeitgeber besteht. Wird ein ausgebildeter Jurist für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber tätig, so ist es durchaus möglich, dass er bei diesem Arbeitgeber auch nichtanwaltliche Tätigkeiten durchführt (z.B. in der Geschäftsführung oder im Bereich von Marketing, Computer-betreuung etc.). Die Kammer ist daher der Auffassung, dass die Nennung des Arbeitgebers nur dann und insoweit Bestandteil der Befreiung von der Versicherungspflicht ist, als ein nichtanwaltlicher Arbeitgeber der Arbeitgeber ist. Nur in diesen Fällen besteht über-haupt die Möglichkeit, dass der Betroffene eine nichtanwaltliche Tätigkeit durchführt und nur in derartigen Fällen ist eine spezielle Überprüfung durch die Beklagte notwendig. Bei einer Beschäftigung bei einem anwaltlichen Arbeitgeber versteht sich die anwaltliche Tätigkeit von selbst. So müsste z.B. bei einem Wechsel von einer Anwaltskanzlei zur anderen selbst nach Auffassung der Beklagten der Arbeitgeberwechsel nicht angezeigt wer-den. Hintergrund ist, dass eine anwaltliche Tätigkeit in jedem Fall vorliegt. Eine erneute Prüfung durch die Beklagte hätte dann selbst nach deren eigener Auffassung keinen Sinn. Anders ist es, wenn der Betroffene zu einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber wechselt, da dann möglicherweise auch eine nichtanwaltliche Tätigkeit ausgeübt werden könnte, was von der Beklagten im Einzelfall zu überprüfen ist. Gerade dieser Fall lag im vor-liegenden Fall jedoch nicht vor. Vielmehr ist der Kläger, der als Rechtsanwalt für einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber tätig war, ebenfalls als Rechtsanwalt in eine Anwaltskanzlei gewechselt. Unter diesen Umständen kann kein Zweifel bestehen am Fortführen einer anwaltlichen Tätigkeit. Eine erneute Prüfung der Beklagten - die Sinn und Zweck einer erneuten Antragstellung wäre - ist nicht notwendig und erübrigt sich dadurch.

Die Kammer hält auch den Befreiungsbescheid vom 26. Februar 2008 insoweit für wenig hilfreich, als dort lediglich die Tätigkeit als Rechtsanwalt aufgeführt wurde, ohne Bezug zu nehmen zu einer konkreten Anwaltskanzlei. Würde der Kläger von einer Anwaltskanzlei zu einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber wechseln, so müsste er dies nach den konkreten Regelungen in dem Bescheid vom 26. Februar 2008 nicht melden, da dies im Bescheid nicht enthalten ist. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI kann jedoch nur ein Wechsel zu einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber eine erneute Prüfung hinsichtlich der Befreiung von der Versicherungspflicht durch die Beklagte erforderlich machen.

Da der Kläger somit für seine Tätigkeit als Rechtsanwalt befreit wurde und die Tätigkeit als Rechtsanwalt unzweifelhaft auch nach dem Arbeitgeberwechsel fortgeführt wurde, was auch keiner weiteren Prüfung durch die Beklagte bedurfte, war der Klage statt-zugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieses Urteil kann mit der Berufung angefochten werden.