Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.01.2023, Az.: 5 Sa 213/22

Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nach Überlassen des Mitarbeiters auf Basis eines Überlassungsvertrages

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
12.01.2023
Aktenzeichen
5 Sa 213/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 13939
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2023:0112.5Sa213.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Emden - 12.01.2022 - AZ: 1 Sa 333/20

Amtlicher Leitsatz

Ob § 1 Abs. 3 AÜG europarechtswidrig ist, kann ausdrücklich auf sich beruhen. Jedenfalls kann diese Norm nicht europarechtskonform ausgelegt werden und ist anzuwenden.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts C-Stadt vom 12.01.2022 -1 Ca 333/20 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen mit Wirkung ab dem 01.08.2020, hilfsweise ab dem 13.08.2020 ein Arbeitsverhältnis besteht.

Der Kläger ist bei der V. und deren Rechtsvorgängerin aufgrund des Arbeitsvertrages vom 08.09.2014 ursprünglich befristet und mit Ablauf des 31.03.2015 unbefristet als Bereitsteller in dem Geschäftsfeld Logistik beschäftigt. Unter dem 31.01.2019 schlossen die V. und die Beklagte einen Vertrag, der die Überlassung des Klägers von der V. zu der Beklagten bis zum 31.07.2020 zum Gegenstand hat.

Beide Unternehmen sind Konzernunternehmen.

Die V. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 31.01.2019 den Einsatz bei der Beklagten mit.

Bis zum 26.07.2020 war der Kläger in dem Emder Betrieb der Beklagten tätig, vom 27.07. bis zum 14.08.2020 fand dort ein Werksurlaub statt.

Es existiert ein mit "Vertrag über die leihweise zur Verfügungstellung von Personal im Rahmen der Konzernleihe" überschriebenes Schriftstück, demzufolge der Einsatz des Klägers bei der Beklagten verlängert wird. Es heißt in diesem Schriftstück: "Dieser Vertrag wird mit dem 01.08.2020 wirksam und läuft bis zum 31.12.2020."

Der Vertrag ist auf den 30.06.2020 datiert, die Konzernunternehmen signierten ihn jedoch erst am 25.08./26.08./27.10.2020.

Ab dem 13.07.2020 war der Kläger im Emder Betrieb der Beklagten bis ca. Anfang November 2020 tätig.

Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, es bestehe ein Arbeitsverhältnis zu der Beklagten, beginnend ab dem 01.08., hilfsweise ab dem 13.08.2020. Er hat behauptet, am 23.06.2020 habe unter Mitwirkung des Vorgesetzten ein Gespräch mit dem Betriebsrat stattgefunden. In diesem Gespräch sei seinem Kollegen Herrn G. und ihm mitgeteilt worden, dass eine Übernahme durch die Beklagte nicht möglich sei, aber die zeitlich befristete Konzernleihe entfristet und neu aufgesetzt werde, da sein Kollege und er weiterhin als FTS-Anlagenführer gebraucht werden würden. Der Kläger hat ferner behauptet, er habe in dem Zeitraum vom 13.08. bis Anfang November 2020 genau dieselbe Arbeit verrichtet und genau zu denselben Arbeitsbedingungen gearbeitet, wie zuvor beginnend mit dem 01.02.2019.

Er hat die Auffassung vertreten, das Konzernprivileg des AÜG sei europarechtswidrig. Aus diesem Grunde bestehe ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten, da die Höchstüberlassungsgrenze überschritten worden sei.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (dort Bl. 2 bis 6 desselben, Bl. 135 bis 139 der Gerichtsakte) verwiesen.

Mit Urteil vom 12.01.2022 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils (dort Bl. 6 bis 14 desselben, Bl. 139 bis 147 der Gerichtsakte) verwiesen.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 21.02.2022 zugestellt worden. Mit einem am 18.03.2022 eingegangenen Schriftsatz hat er Berufung eingelegt und diese mit einem am 09.05.2022 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor das Berufungsgericht die Rechtsmittelbegründungsfrist mit Beschluss vom 07.04.2022 bis zum 23.05.2022 verlängert hatte.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger in vollem Umfang sein erstinstanzliches Klageziel weiter. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und vertritt die Auffassung, das Konzernprivileg sei europarechtswidrig, da die Leiharbeitsrichtlinie keine Ausnahme für Konzernunternehmen vorsehe. Es müsse alles, was überhaupt denkbar sei, getan werden, um dem Europarecht zur Geltung zu verhelfen.

Im Übrigen könne man auch Einzelfall bezogen unabhängig von der Problematik des Europarechts ein Arbeitsverhältnis zu der Beklagten aufgrund der unstreitig erfolgten Eingliederung nach Ablauf der ursprünglichen Vereinbarung begründen. Denn die ursprüngliche Arbeitgeberin sei nicht irgendeine Fremdfirma, sondern Teil der unternehmenseigenen Werksorganisation der Beklagten. Die ursprüngliche Eingliederung bei der Beklagten beginnend ab dem 01.02.2019 sei als Versetzung befristet gewesen, davon sei dann abgewichen worden. Die Weiterbeschäftigung des Klägers bei der Beklagten sei einem dauerhaften Einsatz bei ihr gleichgekommen. Im Übrigen könne zugunsten der Beklagten nicht das Konzernprivileg des AÜG streiten, weil es keinerlei wirksame Vereinbarung zwischen ihr und der V. gegeben habe.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts C-Stadt vom 12.01.2022, Aktenzeichen: 1 Ca 333/20, festzustellen, dass spätestens seit dem 01.08.2020, hilfsweise seit dem 13.08.2022 zwischen ihm und der Beklagten ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 03.05, 11.07. und 01.09.2022 verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO).

B.

Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das angefochtene Urteil die Klage des Klägers abgewiesen. Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht unter keinerlei rechtlichem Gesichtspunkt ein Arbeitsverhältnis.

I.

Zunächst einmal macht sich das Berufungsgericht die vorzüglichen erstinstanzlichen Entscheidungsgründe zu eigen, verweist auf diese und stellt dies fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

II.

Das Vorbringen der in der Berufung und der Sach- und Streitstand im Übrigen veranlassen folgende ergänzende Anmerkungen:

1.

Wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat, kann der Kläger sein Begehren nicht mit Erfolg auf § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG i. V. m. § 9 Abs. 1 AÜG stützen. Entscheidungsunerheblich ist, ob der Kläger länger als 18 Monate bei der Beklagten eingegliedert und damit die zulässige Überlassungshöchstdauer des § 1 Abs. 1 b AÜG überschritten worden ist. Denn zugunsten der Beklagten streitet das Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen.

a.

Insbesondere kann ausdrücklich auf sich beruhen, ob dieses Konzernprivileg europarechtswidrig ist. Denn die Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit findet keine unmittelbare Anwendung. Das Konzernprivileg des § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG ist vom Wortlaut und vom Sinn und Zweck, den der nationale Gesetzgeber mit dieser Vorschrift verbunden hat, klar und eindeutig, eine europarechtskonforme Auslegung, die dann eine Auslegung contra legem wäre, ist aus Rechtsgründen unzulässig.

Im Einzelnen:

aa.

Ein nationales Gericht, das bei der Anwendung des nationalen Rechts dieses Recht auszulegen hat, muss eine Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck einer einschlägigen Richtlinie ausrichten, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Artikel 238 Abs. 3 AEUV nachzukommen. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung verlangt der Grundsatz der unionskonformen Auslegung von den nationalen Behörden, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden, alles zu tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem Unionsrecht verfolgten Ziel in Einklang steht. Ermöglicht es das nationale Recht, durch Anwendung seiner Auslegungsmethoden eine innerstaatliche Bestimmung so auszulegen, dass eine Kollision mit einer anderen Norm innerstaatlichen Rechts vermieden wird, sind die nationalen Gerichte gehalten, die gleichen Methoden anzuwenden, um das von der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen. Allerdings unterliegt der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts Schranken. Die Pflicht zur Verwirklichung eines Richtlinienziels im Auslegungsweg findet ihre Grenzen an dem nach innerstaatlicher Rechtstradition methodisch Erlaubten. Sie darf nicht als Grundlage für eine Auslegung des nationalen Rechts contra legem dienen. Der Gehalt einer nach Wortlaut, Systematik und Sinn eindeutigen Regelung kann nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung in sein Gegenteil verkehrt werden (BAG 14.10.2020 -7 AZR 268/18 - Randnummer 67 m.w.N.).

bb.

Gemessen an diesen Vorgaben kann das Konzernprivileg gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG nicht aus Gründen der Europakonformität in sein Gegenteil verkehrt werden. Insbesondere darf die Formulierung "nicht zum Zwecke der Überlassung eingestellt und beschäftigt" in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG dahingehend ausgelegt werden, dass unabhängig von den Bedingungen der Einstellung jegliche Beschäftigung des in einem Konzern angehörigen Unternehmen eingestellten Arbeitnehmers als Leiharbeitnehmer in einem weiteren Konzern angehörigen Unternehmen eine Inanspruchnahme des Konzernprivilegs ausschließt. Wie bereits die Vorinstanz in ihrem überzeugungskräftigen Stil formuliert hat: Denn bei einer solchen Auslegung bliebe für § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG kein Raum, der Wille des nationalen Gesetzgebers würde völlig ignoriert werden.

Deswegen wird auch die Rechtsauffassung des Klägers, eine europarechtskonforme Auslegung ließe sich dadurch erreichen, dass das Wörtchen "und" durch ein "oder" ersetzt wird, nicht geteilt. Denn genau diese Formulierung führte zu dem Ergebnis, das jedwede Überlassung das Konzernprivileg leerlaufen ließe. Dies hat der nationale Gesetzgeber nicht gewollt. Im vorliegenden Streitfall ist die nationale Rechtsordnung stärker als das Europarecht.

b.

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Problematik einer evtl. nicht vorhandenen bzw. unwirksamen Vereinbarung der Überlassung zwischen der V. und der Beklagten, worauf der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2023 gesondert hingewiesen hat. Für die Annahme des Konzernprivilegs ist keine besondere vertragliche Vereinbarung Voraussetzung. Es genügt eine tatsächliche Übereinkunft zwischen den beteiligten Konzernunternehmen, die hier vorliegt. Anderenfalls hätte der Kläger bei der Beklagten beginnend ab dem 13.08.2020 - egal zu welchen Bedingungen auch immer - nicht tätig werden können.

2.

Auch das übrige Vorbringen der Berufung begründet kein Arbeitsverhältnis zu der Beklagten.

a.

Das Argument des Klägers, die V. sei nicht irgendeine Fremdfirma sondern Teil der unternehmenseigenen Werksorganisation ist unerheblich, sie ändert nichts an der formalen Zuordnung Vertragsarbeitgeber/Entleiher.

b.

Die Überschreitung der zunächst vorgesehenen Überlassungshöchstdauer führt nicht zu einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten, da es im Rahmen des Konzernprivilegs keine dem § 15 Abs. 5 TzBfG entsprechende Vorschrift gibt.

c.

Der Hinweis in der Berufung auf die Anlage K5 ist unbehelflich. Diese Anlage zeigt nur eine besonders intensive Form der Zusammenarbeit von selbständigen Unternehmen auf. Einen weitergehenden Erklärungswert hat sie nicht.

d.

Der tatsächliche Einsatz des Klägers beginnend mit dem 13.08.2020 in dem Emder Werk der Beklagten begründet nicht konkludent ein neues Arbeitsverhältnis zu ihr. Wenn auch allgemein anerkannt ist, das Arbeitsverhältnisse konkludent durch Arbeitsaufnahme begründet werden können, dann müssen bei vorliegender Konstellation besonders strenge Anforderungen an den Erklärungswert einer tatsächlichen Eingliederung gestellt werden: Zu Lasten des Klägers ist insbesondere zu berücksichtigen, dass er bereits zu seiner Vertragsarbeitgeberin, der V. in einem Arbeitsverhältnis stand und dass es dem erkennbaren Willen der beteiligten Konzernunternehmen widerspricht, konkludent ein bestehendes Arbeitsverhältnis ohne besondere Willenserklärungen zu beenden und ein neues Arbeitsverhältnis mit einem anderen Unternehmen zu begründen. Dies gilt deswegen ganz besonders, weil dem Kläger die Zusammenhänge aufgrund des von ihm vorgetragenen Gespräches vor der erneuten Eingliederung bei der Beklagten klargeworden sind. Der Kläger wusste, dass er im Wege einer Konzernleihe für die Beklagte tätig werden sollte. Die Annahme eines neu begründeten (konkludenten) Arbeitsverhältnisses ist reichlich fernliegend.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

C.

Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat der Kläger als unterlegene Partei die Kosten seiner erfolglosen Berufung zu tragen. Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen, insbesondere wegen der europarechtlichen Problematik des Konzernprivilegs.