Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.09.2023, Az.: 5 Ta 141/23
Verfahrensart; Vergütung eines Betriebsratsmitglieds; Maßgebend für die Betimmung der Verfahrensart ist der Streitgegenstand
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 07.09.2023
- Aktenzeichen
- 5 Ta 141/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 35160
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2023:0907.5Ta141.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 07.06.2023 - AZ: 3 BV 8/23
Rechtsgrundlagen
- ArbGG § 2
- ArbGG § 2a
- BetrVG § 78
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 07.06.2023 - 3 BV 8/23 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten im vorliegenden Beschwerdeverfahren über die zutreffende Verfahrensart (Beschluss- oder Urteilsverfahren).
Der Beschwerdeführer ist Arbeitnehmer der Beteiligten zu 2) und Mitglied des bei ihr gewählten Betriebsrates. Seit 2013 ist er vollumfänglich aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit freigestellt. Die Beteiligte zu 2) zahlte an ihn zunächst eine Vergütung nach Entgeltgruppe 15 des einschlägigen Tarifvertrages und informierte ihn mit Schreiben vom 30.01.2023 darüber, dass aufgrund des Urteils des BGH vom 10.01.2023 seine Entgeltgruppe vermutlich nach unten korrigiert werden müsse. Für die Monate Februar und März zahlte sie sein Gehalt um einen Betrag iHv. jeweils 1.159,50 € brutto gekürzt aus. Ferner kündigte sie an, Rückforderungsansprüche für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 beginnend ab Mai 2023 mit laufenden Vergütungsansprüchen aufzurechnen, sofern der Beschwerdeführer eine von ihr vorgelegte Sondervereinbarung nicht unterzeichnet. Gegen dieses Vorgehen der Beteiligten zu 2) wendet sich der Antragsteller mit dem vorliegenden Beschlussverfahren. Er ist der Ansicht, die Rückgruppierung stelle eine unzulässige Benachteiligung wegen seiner Betriebsratstätigkeit dar. Der Beschwerdeführer hat folgende Anträge angekündigt,
- 1.
der Beteiligten zu 2. aufzugeben, es zu unterlassen, den Beteiligten zu 1. dadurch i.S.d. § 78 S. 2 BetrVG zu benachteiligen, dass die Beteiligte zu 2.
- a.
den Beteiligten zu 1. nach Rückgruppierung seit dem 01.02.2023 nach ES 11 und nicht weiterhin mindestens nach ES 15 vergütet,
- b.
zur Ermittlung des Lohnausfalls des Beteiligten zu 1. eine Vergleichsgruppe aus Montagewerkern und nicht technischen Sachbearbeitern im Ideenmanagement (TB 615/TB 158), hilfsweise hierzu Personalsachbearbeitern (TB 611) zu Grunde legt,
- c.
aus der Vergleichsgruppe des Beteiligten zu 1. eine zwischenzeitlich verstorbene Person und acht mittlerweile dauerhaft leistungsgeminderte (unter ES 10 herabgruppierte) Personen nicht entfernt,
- d.
dem Beteiligten zu 1. keine auf Basis seiner Vergleichsgruppe ermittelte Schichtvergütung zahlt, sowie,
- e.
die hypothetische Dauermehrarbeit von 4,5 St./Woche sowie die unregelmäßige hypothetische Mehrarbeit des Beteiligten zu 1. nicht auf Basis der Vergleichsgruppe des Beteiligten zu 1., sondern pauschal über den Betrieb B-Stadt ermittelt und vergütet und
- f.
hierbei nicht die realen Abwesenheitszeiten (Urlaub und Krankheit) des Beteiligten zu 1., sondern die Abwesenheitszeiten aller Personen der Beschäftigtengruppe Leistungslohn (LL) kumulativ zu Grunde legt.
- 2.
der Beteiligten zu 2. aufzugeben, es zu unterlassen, den "Netto"-Differenzbetrag zwischen ES 15 und ES 11 in Höhe von 3.520,94 EUR rückwirkend für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 entsprechend der Rückgruppierung nach Ziff. 1 a) mit Vergütungsansprüchen des Beteiligten zu 1. aufzurechnen.
- 3.
der Beteiligten zu 2. für jeden Monat der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtungen nach Ziff. 1 a) - f) sowie für jeden Monat der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung nach Ziff. 2 jeweils ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, anzudrohen.
- 4.
die Beteiligte zu 2. zum Ersatz des Schadens aus der Verletzung des § 78 S. 2 BetrVG zu verpflichten an den Beteiligten zu 1. für die Monate Februar 2023 sowie März 2023 jeweils 1.159,50 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2023 auf 1.159,50 EUR und seit dem 01.04.2023 auf 1.159,50 EUR zu zahlen.
- 5.
der Beteiligten zu 2. aufzugeben, dem Beteiligten zu 1. monatlich Auskunft über die Berechnung seiner hypothetischen Mehrarbeit und seiner Schichtvergütung unter Mitteilung des konkreten Rechenwegs zu erteilen.
- 6.
der Beteiligten zu 2. zum Ersatz des Schadens aus der Verletzung des § 78 S. 2 BetrVG aufzugeben, die Vergütung des Beteiligten zu 1. für die Monate Dezember 2022 bis März 2022 benachteiligungsfrei zu ermitteln, Abrechnungen in Textform hierüber zu erteilen und sich hieraus ergebende Guthaben - unter Abzug der bereits abgerechneten und bezahlten Vergütung - zu zahlen.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 07.06.2023, dem Beschwerdeführer am 08.06.2023 zugestellt, die gewählte Verfahrensart des Beschlussverfahrens für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit in das Urteilsverfahren verwiesen. Mit einem am 15.06.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde eingelegt, verbunden mit dem Ziel, den Beschluss des Arbeitsgerichts B-Stadt aufzuheben und das Verfahren in die zulässige Verfahrensart des Beschlussverfahrens zurückzuverweisen.
Er meint, das Beschlussverfahren sei vorliegend die richtige Verfahrensart. Er begehre mit seinen Anträgen Unterlassung von Benachteiligungen iSd. § 78 Satz 2 BetrVG und Schadensersatz wegen Verletzung des Benachteiligungsverbotes sowie regelmäßige Auskunft zur Prüfung, ob weiterhin ihm gegenüber gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen werde. Hierbei handele es sich um Ansprüche, die aus seiner Amtstätigkeit herrührten. Das Arbeitsgericht habe in seinem Beschluss verkannt, dass der Streitgegenstand vom Beschwerdeführer und nicht vom Gericht bestimmt werde.
Mit Beschluss vom 12.07.2023 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
A.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, §§ 80 Abs. 3, 48 Abs. 1 ArbGG, § 567 ff. ZPO).
B.
Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend das Beschlussverfahren in das Urteilsverfahren übergeleitet.
1.
Die Verfahrensart, in der ein Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen zu entscheiden ist, bestimmt sich nach § 2 und § 2a ArbGG. Liegt ein in § 2 ArbGG geregelter Tatbestand vor, findet das Urteilsverfahren statt, bei einem in § 2a ArbGG genannten Tatbestand ist das Beschlussverfahren einschlägig. Dem arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren sind unter anderem bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG ausschließlich zugewiesen. Im Beschlussverfahren ist dagegen unter anderem nach § 2 a Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 2 ArbGG über Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz zu entscheiden, soweit es nicht um strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten nach den BetrVG geht, die ordentlichen Gerichten zugewiesen sind (BAG 22.10.2019 - 9 AZB 19/19 - Rn. 8 mwN).
Maßgebend für die Bestimmung der zutreffenden Verfahrensarten ist der Streitgegenstand. Für das Vorliegen einer betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeit ist entscheidend, ob der geltend gemachte Anspruch bzw. die begehrte Feststellung seine bzw. ihre Rechtsgrundlage in einem betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis hat. Das Verfahren muss sich auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner beziehen. Immer wenn die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung des Betriebs und die gegenseiteigen Rechte und Pflichten der Betriebspartner als Träger dieser Ordnung im Streit stehen, sollen darüber die Gerichte für Arbeitssachen im Beschlussverfahren als der dafür geschaffenen und besonders geeigneten Verfahrensart entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn es um Rechte betriebsverfassungsrechtlicher Organe geht. Diese müssen sich nicht unmittelbar aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergeben, sondern können ihre Grundlage in Tarifverträgen oder anderen Rechtsvorschriften haben (BAG a.a.O - Rn. 10 mwN).
Nachdem für den Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess einschließlich des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens geltenden sogenannten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Antrag eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Streitgegenstand erfasst alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Antragsteller zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht unterbreitet hat (vgl. BAG 26.06.2013 - 5 AZR 428/12 - Rn. 16 mwN).
2.
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist vorliegend das Urteilsverfahren die richtige Verfahrensart.
a.
Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist im Kern die Frage, nach welchen Entgeltstufe der Beschwerdeführer ohne Befreiung von der Arbeitsleistung wegen seines Betriebsratsamts zu vergüten wäre. Er sieht sich aufgrund der Rückgruppierung in Verbindung mit den weiteren Änderungen bzw. des Ansatzes von hypothetischer Mehrarbeit UA. in seinen Rechten nach § 78 Satz 2 BetrVG verletzt. Er sei wegen seiner Betriebsratstätigkeit benachteiligt worden. Die von ihm in den Vordergrund gestellt Benachteiligung nach § 78 Satz 2 BetrVG stellt indes eine Wertung dar, verändert den hier zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex jedoch nicht.
b.
Ausgehend von dem Tatsachenvortrag des Beschwerdeführers kommen als Anspruchsgrundlage kollektivrechtliche (§ 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 823 Abs. 2 BGB) oder individualrechtliche (§ 611 a Abs. 2 BGB iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG) in Betracht kommt.
Soweit der Beschwerdeführer meint, nicht das Gericht, sondern er selbst bestimme den Streitgegenstand, trifft diese Rechtsauffassung im Ausgangspunkt durchaus zu. Jedoch kann der Beschwerdeführer das Prüfprogramm des Gerichts nicht auf kollektivrechtliche Anspruchsgrundlagen beschränken. Der Streitgegenstand eines Zivilprozesses ist nicht der materiell rechtliche Anspruch iSd. § 194 BGB. Bekanntermaßen werden vom Streitgegenstand alle materiell rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen (BAG - 19.11.2019 - 3 AZR 281/18 - Rn. 46). Könnte der Beschwerdeführer das Prüfprogramm des Gerichts auf einzelne Anspruchsgrundlagen begrenzen und wäre das Gericht nach § 308 Abs. 1 ZPO verpflichtet, den Sachverhalt auf nur unter die zur Entscheidung gestellten Anspruchsgrundlagen zu prüfen, würde der Streitgegenstand auch nur teilweise - hinsichtlich der Anspruchsgrundlagen, über welche eine Entscheidung ergangen ist - in Rechtskraft erwachsen. Als weitere Konsequenz könnte der Beschwerdeführer mit den noch nicht in Rechtskraft erwachsenen Anspruchsgrundlagen sein Begehren trotz lediglich bestehender Anspruchsgrundlagenkonkurrenz in einem weiteren Urteilsverfahren verfolgen. Diese Konsequenz ist unbedingt zu vermeiden.
Der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit seinen Anträgen und / oder in der Anspruchsbegründung ausdrücklich (nur) einen aus § 78 Satz 2 BetrVG abgeleiteten betriebsverfassungsrechtlichen Leistungs- oder Schadensersatzanspruch geltend macht, führt nicht zu einer Bewertung der streitigen Angelegenheit als betriebsverfassungsrechtlicher Angelegenheit.
c.
Verfahren, die den Anspruch eines Betriebsratsmitglieds auf Zahlung von Arbeitsentgelt für die durch Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben ausgefallene berufliche Tätigkeit (§ 37 Abs. 2 BetrVG) bzw. einen Vergütungsanspruch eines gem. § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieds zum Gegenstand haben, sind bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG und gehören nicht zu den "Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz" gem. § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Sie sind im Urteilsverfahren zu entscheiden (BAG - 12.06.2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 10).
Im Vordergrund des vorliegenden Rechtsstreites steht die Problematik der zutreffenden Vergütung des Beschwerdeführers. In diesem Zusammenhang ist eine Prüfung vorzunehmen, welcher Entgeltstufe er nach § 37 Abs. 2 BetrVG iVm § 611 a Abs. 2 BGB ohne seine Freistellung zuzuordnen wäre. Abhängig vom Ergebnis dieser Prüfung kann oder muss sich die Prüfung anschließen, ob sich die Ansprüche des Beschwerdeführers (auch) aus einer Verletzung des Benachteiligungsverbotes nach § 78 Satz 2 BetrVG ergeben. Bei der vom Beschwerdeführer vordergründig angezogenen Anspruchsgrundlage, basierend auf § 78 Satz 2 BetrVG, handelt es sich nur um einen sekundären Anspruch, der auch für die Bestimmung der richtigen Verfahrensart sekundär heranzuziehen ist.
d.
Aus diesem Grund war die Beschwerde zurückzuweisen. Vorstehende Wertung betrifft sämtliche vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anträge, die allesamt dem Bereich der Arbeitsvergütung zuzuordnen sind und erkennbar nur als Unterstützungsanträge (ohne formal als Hilfsanträge formuliert zu sein) dem Beschwerdeführer zu einer aus seiner Sicht zutreffenden Arbeitsvergütung verhelfen wollen. Darüber hinaus gilt: Urteils- und Beschlussverfahren schließen sich gegenseitig aus. In welcher Verfahrensart eine in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fallende Streitigkeit zu entscheiden ist, ist von Amtswegen zu Prüfen und zu entscheiden. Welches Prozessrecht zu Anwendung gelangt, unterliegt nicht der Disposition der Parteien oder Beteiligten, sondern hängt vom jeweiligen Streitgegenstand ab (BAG - 12.06.2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 15).
C.
Der Beschwerdeführer hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 80 Abs. 3, 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG. Sie beruht auf einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.