Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.12.2023, Az.: 13 Sa 784/22

Arbeitsentgelt für die Dauer einer SARS-CoV-2-bedingten Absonderungsverpflichtung des Arbeitnehmers; Rechtliche Unmöglichkeit zur Erbringung der Arbeitsleistung gem. § 297 BGB wgen gesetzlicher Absonderungspflicht während der Corona-Pandemie; Entschädigungsansprüche nach § 56 IfSG gegen das jeweilige Bundesland

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
06.12.2023
Aktenzeichen
13 Sa 784/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 48172
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2023:1206.13Sa784.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hildesheim - 08.09.2022 - AZ: 3 Ca 149/22

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Einem Arbeitnehmer, der als sogen. Kontaktperson unmittelbar aufgrund § 2 Abs. 1 S. 1 Nds. SARS-CoV-2-AbsonderungsVO in den Fassungen vom 14.01. und 01.02.2022 verpflichtet war, sich in der eigenen Wohnung, am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes oder in einer anderen geeigneten Unterkunft abzusondern, weil er weder von der Quarantänepflicht gemäß § 2 Abs. 2 der Verordnung ausgenommen war noch eine ausdrückliche Zustimmung der zuständigen Behörde vorlag, aufgrund der er den Absonderungsort hätte verlassen dürfen, war für die Dauer dieser Verpflichtung die Erbringung der Arbeitsleistung gem. § 297 BGB rechtlich unmöglich.

  2. 2.

    Weder die SARS-CoV-2-Pandemie noch die Absonderungsverpflichtung aufgrund § 2 Abs. 1 S. 1 Nds. SARS-CoV-2-AbsonderungsVO in den Fassungen vom 14.01. und 01.02.2022 sind Gründe im Sinne von § 11.1.3 des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten in der niedersächsischen Metallindustrie vom 15.02.2018 (MTV), die den Arbeitgeber zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts verpflichten.

  3. 3.

    Die Befolgung der Absonderungsverpflichtung aufgrund § 2 Abs. 1 S. 1 Nds. SARS-CoV-2-AbsonderungsVO in den Fassungen vom 14.01. und 01.02.2022 stellt auch keine Arbeitsversäumnis im Sinne des § 11.2 MTV dar.

  4. 4.

    Neben § 11.2 MTV scheidet ein Rückgriff auf § 616 BGB als Anspruchsgrundlage aus, weil die Tarifvertragsparteien die Geltung der gesetzlichen Regelung für die vom Anwendungsbereich der Tarifnorm erfassten Arbeitnehmer abbedungen haben.

  5. 5.

    Aufgrund der einschränkungslos formulierten Regelung in § 66 Abs. 1 IfSG richten sich Entschädigungsansprüche nach § 56 IfSG gegen das jeweilige Bundesland, mithin auch solche aus § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG. Der Arbeitgeber ist für eine entsprechende Entschädigungsklage nicht passivlegitimiert (Anschluss an Thüringer LAG 08.08.2023 1 Sa 41/23 , Rn. 66 - 67, juris; LAG Düsseldorf 10.10.2022 - 3 Ta 278/22 juris, Rn. 31; LAG Baden-Württemberg 21.12.2022 19 Ta 13/22 , Rn. 16f, juris).

Tenor:

  1. 1.

    Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 08.09.2022 (3 Ca 149/22) wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Arbeitsentgelt für die Dauer einer SARS-CoV-2-bedingten Absonderungsverpflichtung des Klägers.

Der Kläger ist bei der Beklagten als Monteur beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit die Tarifverträge für die Beschäftigten in der niedersächsischen Metallindustrie Anwendung. Dort ist u.a. Folgendes geregelt:

§ 11

Arbeitsausfall/Arbeitsversäumnis

"Soweit dieser Manteltarifvertrag nicht anderes bestimmt, gelten von dem Grundsatz, dass nur geleistete Arbeit (einschl. Arbeitsbereitschaft) bezahlt wird, folgende Ausnahmen:

11.1 Arbeitsausfall

11.1.1 Muss die Arbeit aus Gründen ausgesetzt werden, die der Arbeitgeber zu vertreten hat, (...)

11.1.2 Muss die Arbeit aus Gründen ausgesetzt werden, die die Beschäftigten zu vertreten haben, (...)

11.1.3. Muss die Arbeit aus Gründen ausgesetzt werden, die weder Arbeitgeber noch Beschäftigte zu vertreten haben, z. B. Naturkatastrophen, außerbetriebliche Energiestörungen (Gas, Wasser, Strom), so ist das durchschnittliche Arbeitsentgelt gem. § 9 - soweit keine gesetzliche Regelung für deren Bezahlung vorliegt - weiter zu bezahlen. Die Beschäftigten sind verpflichtet, während der Dauer der Störung andere zumutbare Arbeit zu leisten.

11.1.4 Kann auf die ausgefallene Arbeitsleistung nicht verzichtet werden, so ist über das Nachholen und den Zeitpunkt des Nachholens eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat zu treffen. Diese Nachholarbeit ist keine Mehrarbeit.

11.2 Arbeitsversäumnis

11.2.1 Die Beschäftigten haben Anspruch auf Freizeit ohne Anrechnung auf den Urlaub und ohne Abzug vom Entgelt bei:

a) eigener Eheschließung* für 2 Tage

b) Niederkunft der Ehefrau" für 1 Tag

c) eigener silberner Hochzeit* für 1 Tag

d) Umzug, jedoch nur im Zeitabstand von 3 Jahren oder wenn der Arbeitgeber den Umzug verlangt für 1 Tag

e) 5-jährigem Dienstjubiläum für 1 Tag

f) Tod des Ehegatten***, der Eltern oder der Kinder für 2 Tage

11.2.2 Der Verdienstausfall für die tatsächlich notwendige Arbeitsversäumnis wird gezahlt bei:

a) Vorladung von Behörden, mit Ausnahme der Wahrnehmung behördlicher Termine als Antragsteller, Zeuge, Beschuldigter im Strafprozess, Partei im Parteienprozess;

b) Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten in öffentlichen Ehrenämtern, soweit kein Anspruch auf anderweitige Entschädigung besteht;

c) nachgewiesener Mitwirkung zur Löschung von Bränden und Verhütung von Hochwasserschäden;

d) Aufsuchen des Arztes infolge einer während der Arbeitszeit auftretenden ernsthaften Erkrankung, die ein sofortiges ärztliches Eingreifen erfordert, höchstens aber bis zur Dauer von 3 Arbeitsstunden;

e) notwendig ausgefallener Arbeitszeit für Arztbesuch und ärztlich verordnete Behandlung, die aufgrund ärztlichen Befundes unbedingt während der Arbeitszeit erfolgen musste.

(...)"

Der Kläger arbeitete am 20.01.2022 in einer Produktionslinie u.a. mit dem Mitarbeiter B., der mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert war. Am Folgetag schickte die Beklagte deshalb den seinerzeit nicht gegen diesen Virus geimpften Kläger unter Bezugnahme auf die Niedersächsische SARS-CoV-2-Absonderungsverordnung nach Hause.

Am 23.01.2022 bot der Kläger telefonisch gegenüber dem Meister und Produktionsteamleiter erfolglos seine Arbeitsleistung ab dem Folgetag an. Die Beklagte beschäftigte den Kläger vom 24. bis 27.01.2022 nicht und kürzte die Vergütung für Januar 2022 um insgesamt 664,13 € brutto. Der Kläger war an den besagten Tagen nicht aufgrund des SARS-CoV-2-Virus erkrankt.

Der Kläger arbeitete am 22.02.2022 in einer Produktionslinie u.a. mit dem Mitarbeiter D., der mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert war und nach Arbeitsende positiv getestet wurde. Am Folgetag hatte der Kläger unbezahlten Urlaub.

Am 24.02.2022 bot der damals weiterhin ungeimpfte Kläger telefonisch gegenüber seinem Meister und Produktionsteamleiter erfolglos seine Arbeitsleistung an. Die Beklagte beschäftigte den Kläger auch vom 24.02.2022 - 28.02.2022 nicht und kürzte die Vergütung für den betreffenden Monat um insgesamt 523,51 € brutto. Der Kläger war auch während dieses weiteren Zeitraums nicht aufgrund des SARS-CoV-2-Virus erkrankt.

Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat der Kläger sein Zahlungsbegehren mit der vorliegenden Klage weiterverfolgt.

Der Kläger hat vorgetragen, der Anspruch ergebe sich aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges. Die Niedersächsische SARS-CoV-2-Absonderungsvereinbarung habe die Beklagte nicht zur Ablehnung seines Arbeitsangebotes berechtigt, weil sie nur zwischen dem zuständigen Gesundheitsamt und ihm gelte.

Ein Anspruch auf die Vergütung bestehe zudem aufgrund unverschuldeter vorübergehender Arbeitsverhinderung.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.187,24 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, das Arbeitsangebot des Klägers sei unwirksam gewesen, weil er in der fraglichen Zeit nicht bei ihr habe erscheinen können, ohne gegen die Absonderungsverpflichtung zu verstoßen.

Ein gesetzlicher Anspruch auf Vergütung wegen unverschuldeter vorübergehender Arbeitsverhinderung sei durch § 11 MTV abbedungen. Die tariflichen Voraussetzungen für eine Weiterzahlung des Arbeitsentgelts bei unverschuldetem Arbeitsausfall oder Arbeitsversäumnis hätten nicht vorgelegen.

Das Arbeitsgericht hat mit einem dem Kläger am 29.09.2022 zugestellten Urteil vom 08.09.2022 (Bl. 94 - 97R d.A.), auf das wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie seiner Würdigung durch das Arbeitsgericht verwiesen wird, die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 25.10.2022 eingelegte und am 14.11.2022 innerhalb verlängerter Frist begründete Berufung des Klägers.

Der Kläger trägt vor, der Anspruch ergebe sich aus § 616 BGB, anderenfalls aus § 11.1.3 MTV. Weder er noch die Beklagte hätten die Corona-Pandemie oder die Niedersächsische SARS-CoV-2-Absonderungsverordnung und die sich aus ihr ergebenden Verpflichtungen zu vertreten. Bei der Corona-Pandemie handele es sich um eine Naturkatastrophe.

Letztlich ergebe sich der Anspruch auch aus § 56 IfSchG.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichtes B-Stadt vom 08.09.2022, Az. 3 Ca 149/22, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.187,24 € brutto nebst Zinsen In Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins gemäß § 247 BGB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen unter Verteidigung des angefochtenen Urteils und macht geltend, § 56 Abs. 1 IfSG begründe keinen originären Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber. Ungeachtet dessen habe der Kläger durch eine entsprechende Schutzimpfung sicherstellen können, dass er bei Kontakten zu infizierten Personen keiner Absonderungsverpflichtung unterliege.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung des Klägers ist gemäß § 8 Abs. 2 sowie § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt worden. Sie ist auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden.

1.

Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, denn der Kläger war nicht infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert. Unstreitig hatte er in den streitbefangenen Zeiträumen weder Krankheitssymptome noch war er mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert.

2.

Der Anspruch ist nicht unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges (§§ 611a Abs. 2, 615 Satz 1 BGB) begründet. Die Kammer lässt es dahinstehen, ob im Streitfall ein telefonisches Arbeitsangebot des Klägers gem. §§ 294, 295 BGB ausreichend war. Jedenfalls war der Kläger bei dessen Abgabe im Sinne des § 297 BGB außerstande, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

a)

Die Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit des Arbeitnehmers sind vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen müssen. Der Arbeitgeber hat darzulegen und zu beweisen, dass der Arbeitnehmer zur Leistung objektiv außer Stande oder subjektiv nicht bereit war (BAG 10.08.2022 - 5 AZR 154/22 -, Rn. 18, juris).

b)

Im Streitfall fehlt es an der Leistungsfähigkeit des Klägers.

aa)

Leistungsfähigkeit setzt voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich und rechtlich zur geschuldeten Arbeitsleistung in der Lage ist. Dies bestimmt sich nach objektiven Kriterien. Grundsätzlich unerheblich ist die Ursache für eine Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Das Unvermögen kann auf tatsächlichen Umständen (wie z.B. Arbeitsunfähigkeit) beruhen oder seine Ursache im Rechtlichen haben, etwa wenn ein gesetzliches Beschäftigungsverbot besteht (BAG 10.08.2022, a.a.O. Rn. 21f).

bb)

Danach war der Kläger während der beiden streitbefangenen Zeiträume rechtlich nicht in der Lage, seine Arbeitsleistung zu erbringen, weil er aufgrund verordnungsrechtlicher Vorgabe einer Absonderungspflicht (sog. Quarantäne) unterlag. Zutreffend hat das Arbeitsgericht aufgrund der unstreitigen Tatsachen ausgeführt, dass der Kläger als sogen. Kontaktperson unmittelbar aufgrund § 2 Abs. 1 S. 1 der Niedersächsischen SARS-CoV-2-Absonderungsverordnung in den Fassungen vom 14.01.2022 und 01.02.2022 verpflichtet war, sich während der beiden Streitzeiträume in der eigenen Wohnung, am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes oder in einer anderen geeigneten Unterkunft abzusondern, weil er weder von der Quarantänepflicht gemäß § 2 Abs. 2 der Absonderungsverordnung ausgenommen war noch eine ausdrückliche Zustimmung der zuständigen Behörde vorlag, aufgrund der er den Absonderungsort hätte verlassen dürfen. Hiergegen hat der Kläger mit seiner Berufung weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Rügen erhoben. Damit war ihm die Erbringung der Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten gem. § 297 BGB rechtlich unmöglich (vgl. BAG 10.08.2022, a.a.O., Rn. 32).

3.

Der Anspruch besteht auch nicht aus § 11.1.3 MTV. Weder die SARS-CoV-2-Pandemie noch die verordnungsrechtliche Absonderungsverpflichtung sind Gründe im Sinne dieser Vorschrift, die die Beklagte zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts verpflichten. Das ergibt die Auslegung der Tarifnorm.

a)

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (etwa BAG 16.11.2022 - 10 AZR 210/19 -, Rn. 13, juris).

b)

Danach erfasst § 11.1.3 MTV ausschließlich Fälle, in denen die betriebliche Grundlage der Arbeit gestört ist. Bereits daran fehlt es im Streitfall.

aa)

Welche Gründe den Arbeitgeber zur Entgeltzahlung verpflichten, die weder er noch Beschäftigte zu vertreten haben, haben die Tarifvertragsparteien nicht abschließend festgelegt. Sie haben diese jedoch durch Aufzählen von Beispielen charakterisiert. Der Wortlaut des Satzes 1 führt insoweit "außerbetriebliche Energiestörungen" und "Naturkatastrophen" auf. Diesen ist gemeinsam, dass es sich um von außen auf das Unternehmen einwirkende Umstände, wie Überschwemmungen, Blitzeinschlag, Erdrutsche etc. handelt, die typischerweise unmittelbar dazu führen, dass im Betrieb ganz oder teilweise nicht gearbeitet werden kann (vgl. BAG 13.11.2021 - 5 AZR 211/21 -, BAGE 176, 53-68 [BAG 13.10.2021 - 5 AZR 211/21], Rn. 21f, auch zu weiteren derartigen Beispielen). Ferner mögen vom Tarifwortlaut Fälle umfasst sein, in denen der Arbeitgeber aufgrund solcher äußerer Einflüsse entscheidet, den Betrieb vorübergehend stillzulegen oder einzuschränken (zu derartigen Beispielen: BAG 13.11.2021 a.a.O.). Bereits der Wortlaut spricht somit dafür, dass die Tarifvertragsparteien Fälle erfassen wollten, in denen der Grund für die Leistungsstörung auf der betrieblichen Seite eingetreten sein muss. Das bestätigt Satz 2 der Regelung, wonach Beschäftigte verpflichtet sind, während der Dauer der Störung andere zumutbare Arbeit zu leisten.

bb)

Für dieses Ergebnis spricht auch die Regelungssystematik des § 11 MTV. Nach dessen Einleitungssatz werden von dem Grundsatz, dass nur geleistete Arbeit vergütet wird, unter den nachfolgenden Überschriften "11.1Arbeitsausfall" und "11.2Arbeitsversäumnis" Ausnahmen geregelt. Nach allgemeinem Wortlautverständnis liegt nahe, dass bei einem Arbeitsausfall die Arbeit als solche ausfällt, während bei einer Arbeitsversäumnis die Arbeit zwar stattfindet, vom Arbeitnehmer aber nicht geleistet wird. Im arbeitsrechtlichen Sprachgebrauch (vgl. etwa die entsprechenden Begrifflichkeiten in § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG oder in § 4 BRTV-Bau) ist kein anderes Verständnis feststellbar, so dass anzunehmen ist, dass die Tarifvertragsparteien die Begriffe auch im Streitfall so verstanden haben wollten. Danach wird für den Sachverhalt des auf persönlichen Gründen beruhenden Fernbleibens von der Arbeit üblicherweise der Ausdruck "Arbeitsversäumnis" gebraucht, während vom Begriff "Arbeitsausfall" Zeiten erfasst werden, in denen die Arbeit betriebsbedingt nicht erbracht werden kann (vgl. bereits BAG 05.05.1976 - 5 AZR 330/75 -, Rn. 16, juris). Dieses Verständnis bestätigen die unter den Überschriften "Arbeitsausfall" und "Arbeitsversäumnis" aufgeführten einzelnen Fälle. Den in § 11.2 MTV aufgeführten Fällen der "Arbeitsversäumnis" ist im Gegensatz zu den unter § 11.1 MTV unter der Überschrift "Arbeitsausfall" aufgeführten Konstellationen gemein, dass sie ausschließlich Gründe in der Person oder im engsten Lebensumfeld des Beschäftigten erfassen. Daraus ist zu schließen, dass mit dem in § 11.1 MTV verwendeten Begriff "Arbeitsausfall" solche Fälle erfasst sein sollen, in denen die betriebliche Grundlage der Arbeit gestört ist.

c)

Dieses Auslegungsergebnis zugrunde gelegt, stellt weder die SARS-CoV-2-Pandemie als solche noch die Absonderungspflicht für nicht erkrankte Kontaktpersonen gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 der Niedersächsischen SARS-CoV-2-Absonderungsverordnung einen Fall des § 11.1.3 MTV dar.

Die Pandemie macht die Erbringung der Arbeitsleistung nicht aus betriebsbedingten Gründen zeitweise unmöglich. Diese wirkt vielmehr unmittelbar auf die von der Erkrankung betroffenen Personen ein. An dem daraus resultierenden Leistungshindernis im persönlichen Bereich des betroffenen Arbeitnehmers ändert sich nicht dadurch etwas, dass ggf. zeitgleich mehrere Arbeitnehmer des Betriebes erkranken. Ob und inwieweit etwas Anderes gilt, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer hohen Anzahl erkrankter Arbeitnehmer entscheidet, eine besonders stark betroffene Abteilung insgesamt oder gar den gesamten Betrieb vorübergehend zu schließen, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung.

Dementsprechend stellt auch die Absonderungspflicht nach der Niedersächsischen SARS-CoV-2-Absonderungsverordnung keinen Fall des § 11.1.3 MTV dar. Diese richtete sich unmittelbar an die vom Anwendungsbereich erfassten Personen, nämlich an "jede COVID-19 krankheitsverdächtige Person, jede positiv getestete Person, jede Verdachtsperson und jede Kontaktperson" im Sinne des § 1 Nr. 2 bis 5 der Absonderungsverordnung, nicht jedoch an den Betrieb. Bei der Verordnung handelt es sich um eine allgemeine Maßnahme staatlicher Stellen zur Pandemiebekämpfung, die - betriebsübergreifend - zum Schutz der Bevölkerung vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen infolge von SARS-CoV-2-Infektionen erfolgt ist. Lediglich bei solchen staatlichen Maßnahmen, die darauf abzielen, einem im Betrieb des Arbeitgebers angelegten besonderen Risiko zu begegnen, etwa, weil die vom Arbeitgeber gewählten Produktionsmethoden oder -bedingungen oder von ihm zu verantwortende Arbeitsbedingungen eine besonders hohe Ansteckungsgefahr innerhalb der Belegschaft in sich bergen, könnte etwas anderes erwogen werden (vgl. BAG 13.10.2021 - 5 AZR 211/21 -, BAGE 176, 53-68, Rn. 33).

4. Der Kläger kann den von ihm verfolgten Anspruch nicht mit Erfolg auf §§ 611a Abs. 2, 615 Satz 3 i. V. m. Satz 1 BGB stützen. Dabei kann dahinstehen, ob § 11.1.3 MTV die abdingbare Regelung des § 615 Satz 3 BGB vollständig verdrängt. Folgt man der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 13.10.2021, a.a.O., Rn. 20; zur Problematik Erman-Riesenhuber BGB, 17. Auflage 2023, § 615 BGB, Rn. 94, m.w.N.) und hielte § 615 Satz 3 BGB für eine Rechtsgrundverweisung, müssten die Verzugsvoraussetzungen vorliegen, was aufgrund des rechtlichen Unvermögens des Klägers (§ 297 BGB; s.o.) nicht der Fall ist. Anderenfalls scheiterte der Anspruch daran, dass die Beklagte nicht das Risiko der rechtlichen Unmöglichkeit der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung tragen würde. Insoweit gelten die Ausführungen im vorangegangenen Absatz entsprechend.

5.

Der geltend gemachte Anspruch besteht auch nicht aus § 11.2 MTV, weil die Befolgung der Absonderungsverpflichtung keine Arbeitsversäumnis im Sinne dieser Tarifnorm begründet. Zutreffend hat das Arbeitsgericht § 11 MTV aufgrund des Wortlauts seines Eingangssatzes und der verwendeten Regel-Ausnahme-Technik, nämlich dem in § 11 S. 1 MTV vorangestellten Grundsatz, nur geleistete Arbeit werde bezahlt, von dem - soweit manteltariflich nichts anderes bestimmt ist - "folgende Ausnahmen" gelten, dahingehend ausgelegt, dass der in Nr. 11.1 und 11.2 MTV aufgeführte Katalog abschließend ist. Zu den in § 11.2 MTV aufgeführten Gründen gehört die Befolgung einer Absonderungsverpflichtung nicht.

6.

Zutreffend hat das Arbeitsgericht ferner ausgeführt, dass im Streitfall ein Rückgriff auf § 616 BGB als Anspruchsgrundlage ausscheidet, weil § 11.2 MTV eine abschließende speziellere Regelung enthält.

a)

§ 616 Satz 1 BGB erfasst die Fälle schuldloser vorübergehender Arbeitsverhinderung aus einem in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund. Die Vorschrift kann durch Tarifvertrag abbedungen oder verändert werden (etwa BAG 20.06.1995 - 3 AZR 857/94 -, Rn. 13, juris; BAG 18.01.2001 - 6 AZR 492/99 -, Rn. 19f, juris).

b)

Von dieser Möglichkeit haben die Tarifvertragsparteien in § 11.2 MTV Gebrauch gemacht. Zwar nimmt § 11 MTV nicht ausdrücklich auf § 616 BGB Bezug und formuliert auch nicht, dass der Arbeitnehmer bezahlte Freistellung von der Arbeit "nur" in den nachfolgend aufgeführten Fällen beanspruchen kann. Gleichwohl ergibt sich dies - was ausreichend ist (vgl. etwa LAG Rheinland-Pfalz 13.03.2023 - 3 Sa 238/21 -, Rn. 44, juris) - hinreichend deutlich aus dem Eingangssatz sowie dem Gesamtzusammenhang der Regelung. Den in § 11.2 MTV aufgeführten Fällen der "Arbeitsversäumnis" ist gemein, dass sie - wie § 616 BGB - ausschließlich Gründe in der Person oder im engsten Lebensumfeld des Beschäftigten erfassen. Die Aufzählung in § 11.2 MTV ist abschließend (s.o. unter 5.). Daneben ist für eine Anwendung des von seinen Tatbestandsvoraussetzungen weiter gefassten § 616 BGB kein Raum.

7.

Schließlich hat der Kläger keinen Anspruch aus § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG gegen die Beklagte.

a)

Bei der erstmaligen Einführung des § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG im Rahmen des Berufungsverfahrens handelt es sich nicht um die Einführung eines neuen Streitgegenstandes, dessen Zulässigkeit sich nach §§ 533, 263 ZPO bestimmen würde und bezüglich dessen die Rechtswegzuständigkeit von der Berufungskammer trotz § 65 ArbGG ggf. gesondert zu prüfen wäre.

aa)

Den Streitgegenstand bestimmt ausschließlich die klagende Partei. Nach dem für das arbeitsgerichtliche Urteilsverfahren geltenden zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand durch den gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Streitgegenstand ändert sich, wenn entweder der gestellte Antrag oder der ihm zugrunde liegende Lebenssachverhalt ein anderer geworden ist (BAG 20.02 2014 - 2 AZR 864/12 -, Rn. 17, juris). Bei mehreren Streitgegenständen ist die Rechtswegzuständigkeit für jeden prozessualen Anspruch gesondert zu prüfen (BAG 24.04.1996 - 5 AZB 25/95 - juris Rn. 31).

bb)

Danach hat der Kläger mit seiner Berufung auf § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG im Rechtsmittelverfahren keinen neuen Streitgegenstand eingeführt. Er verfolgt weiterhin die gleiche Rechtsfolge - Zahlung eines bezifferten Geldbetrages - gegen dieselbe Beklagte. Diesen leitet er ebenso wie jedenfalls den aus § 616 BGB bzw. § 11.2 MTV verfolgten Anspruch aus demselben Lebenssachverhalt her (Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung aufgrund einer verordnungsrechtlich angeordneten Absonderung gegenüber einer gegen SARS-CoV-2 ungeimpften aber nicht infizierten Person wegen eines Kontakts mit einer SARS-CoV-2 infizierten Person). Dem steht nicht entgegen, dass ein Verdienstausfall im Sinne des § 56 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 IfSG nicht vorliegt, wenn der Anspruchsteller aus anderen Vorschriften einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung hat. Streitgegenstandseinheit liegt auch dann vor, wenn der aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt hergeleitete Antrag auf sich gegenseitig ausschließende materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird (Vollkommer in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2023, Einleitung, Rn. 71; zutr.: ArbG Iserlohn 03.05.2022 - 2 Ca 1848/21 -, Rn. 55, juris; im Ergebnis ebenso: Thüringer LAG 08.08.2023 - 1 Sa 41/23 -, juris Rn. 64; zweifelnd, aber insoweit nicht tragend: LAG Baden-Württemberg 21.12.2022 - 19 Ta 13/22 -, Rn. 22, juris).

b)

Eine Prüfung des § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG ist der Berufungskammer nicht deshalb verwehrt, weil für Streitigkeiten über Ansprüche nach dieser Vorschrift gem. § 68 IfSG der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Da es sich bei § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG nach dem Vorstehenden lediglich um eine von mehreren Anspruchsgrundlagen innerhalb eines einheitlichen prozessualen Anspruchs handelt, von denen jedenfalls eine (§ 616 BGB bzw. § 11.2 MTV) zweifelsfrei in die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fällt, sind gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 GVG auch rechtswegfremde Anspruchsgrundlagen zu prüfen.

c)

Ein Anspruch aus § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG besteht jedoch nicht gegen die Beklagte. Aufgrund der einschränkungslos formulierten Regelung in § 66 Abs. 1 IfSG richten sich Ansprüche nach § 56 gegen das jeweilige Bundesland, mithin auch solche aus § 56 Abs. 1, Abs. 5 IfSG. Der Arbeitgeber ist lediglich "Zahlstelle" und zahlt die Entschädigung gemäß § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG "für die zuständige Behörde" aus (Thüringer LAG 08.08.2023 - 1 Sa 41/23 -, Rn. 66 - 67, juris; LAG Düsseldorf 10.10.2022 - 3 Ta 278/22 - juris, Rn. 31; LAG Baden-Württemberg 21.12.2022 - 19 Ta 13/22 -, Rn. 16f, juris).

Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob ein Anspruch gem. § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG auch deshalb ausscheidet, weil der Kläger die Absonderung durch Inanspruchnahme einer empfohlenen Schutzimpfung hätte vermeiden können. Die Regelung normiert einen Ausschlussgrund, der dem Gedanken des Mitverschuldens entspringt. Hintergrund ist ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/15164, 58) der Grundsatz, dass derjenige, der das schädigende Ereignis (Tätigkeitsverbot/Absonderung) in vorwerfbarer Weise verursacht hat, nicht auf Kosten der Allgemeinheit Entschädigung erhalten soll, wenn er Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird. Wer für sich die Freiheit in Anspruch nehmen will, sich nicht zu schützen und deshalb einen Verdienstausfall erleidet, handelt in eigener Verantwortung und soll diese nicht auf die Gemeinschaft abwälzen können (vgl. Huster/Kingreen, InfektionsschutzR-HdB, Kap. 9 Öffentliches Entschädigungsrecht Rn. 119, beck-online).

8.

Ob sich der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer schadensersatzpflichtig macht, wenn er Pflichten gem. § 56 Abs. 5 S. 1 oder 2 IfSG verletzt, kann dahinstehen. Einen solchen Anspruch hat der Kläger nicht geltend gemacht.

II.

Der Kläger hat die Kosten seines erfolglos gebliebenen Rechtsmittels gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

III.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG), bestanden nicht. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) wird hingewiesen.