Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.09.2023, Az.: 5 Ta 143/23

Verfahrensart; Vergütung eines Betriebsratsmitglieds; Maßgeblich für die Bestimmung der Verfahrensart ist der Streitgegenstand

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
07.09.2023
Aktenzeichen
5 Ta 143/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 35161
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2023:0907.5Ta143.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Braunschweig - 06.06.2023 - AZ: 6 BV 3/23

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 06.06.2023 - 6 BV 3/23 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten im vorliegenden Beschwerdeverfahren über die zutreffende Verfahrensart (Beschluss- oder Urteilsverfahren).

Der Beschwerdeführer ist Arbeitnehmer der Beteiligten zu 2) und Mitglied des bei ihr gewählten Betriebsrates. Die Beteiligte zu 2) zahlte an ihn zunächst eine Vergütung nach Entgeltgruppe 12 des einschlägigen Tarifvertrages. Mit Schreiben vom 30.01.2023 teilte die Beteiligte zu 2) dem Beschwerdeführer mit, ab Januar 2023 erfolge die Auszahlung des Gehaltes unter Berücksichtigung eines Urteils des BGHs vom 10.01.2023 nur unter dem Vorbehalt der rückwirkenden Anpassung auf den Median der Vergleichsgruppe. Mit weiterem Schreiben vom 27.02.2023 teilte die Beteiligte zu 2) mit, die Höhe der Bruttovergütung richte sich zukünftig nach dem Median der Vergleichsgruppe in der Entgeltstufe 11 und belaufe sich auf 4.317,00 € monatlich.

Für die Monate Februar und März zahlte sie sein Gehalt um einen Betrag iHv. jeweils 1.159,50 € brutto gekürzt aus. Ferner kündigte sie an, Rückforderungsansprüche für die Monate ab Oktober 2022 beginnend ab März 2023 mit laufenden Vergütungsansprüchen aufzurechnen, sofern der Beschwerdeführer eine von ihr vorgelegte Sondervereinbarung nicht unterzeichne. Gegen dieses Vorgehen der Beteiligten zu 2) wendet sich der Antragsteller mit dem vorliegenden Beschlussverfahren. Er ist der Ansicht, die Rückgruppierung stelle eine unzulässige Benachteiligung wegen seiner Betriebsratstätigkeit dar.

Der Beschwerdeführer hat folgende Anträge angekündigt,

  1. 1.

    der Beteiligten zu 2. aufzugeben, es zu unterlassen, den Beteiligten zu 1. dadurch i.S.d. § 78 S. 2 BetrVG zu benachteiligen, dass die Beteiligte zu 2. den Beteiligten zu 1. nach Rückgruppierung seit dem 01.02.2023 nach EG 11 und nicht weiterhin mindestens nach EG 12 vergütet,

  2. 2.

    der Beteiligten zu 2. aufzugeben, es zu unterlassen, den "Netto"-Differenzbetrag zwischen ES 12 und ES 11 in Höhe von 552,04 EUR rückwirkend für die Monate Oktober 2022 bis Januar 2023 entsprechend der Rückgruppierung nach Ziff. 1 mit Vergütungsansprüchen des Beteiligten zu 1. aufzurechnen,

  3. 3.

    der Beteiligten zu 2. für jeden Monat der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung nach Ziff. 1 sowie für jeden Monat der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung nach Ziff. 2 jeweils ein Ordnungsgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, anzudrohen,

  4. 4.

    die Beteiligte zu 2. zum Ersatz des Schadens aus der Verletzung des § 78 S. 2 BetrVG zu verpflichten an den Beteiligten zu 1. für die Monate Februar 2023 bis April 2023 894,00 EUR brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2023 auf 298,00 EUR, seit dem 01.04.2023 auf 298,00 EUR und seit dem 01.05.2023 auf 298,00 EUR zu zahlen,

  5. 5.

    der Beteiligten zu 2. aufzugeben, für den Beteiligten zu 1. eine seiner Tätigkeit vor Amtsantritt (Sachbeistand) entsprechende Vergleichsgruppe zu bilden, ihm Auskunft nebst Klarnamen über die gebildete Vergleichsgruppe und das ihm zugeordnete Arbeitssystem zu geben sowie den Beteiligten zu 1. im aktuellen Median seiner Vergleichsgruppe einzugruppieren und zu vergüten,

  6. 6.

    der Beteiligten zu 2. aufzugeben, die dem Beteiligten zu 1. zustehende hypothetische Mehrarbeit auf Basis seiner Vergleichsgruppe und nicht pauschal zu berechnen,

  7. 7.

    der Beteiligten zu 2. aufzugeben, bei der Berechnung der hypothetischen Mehrarbeit nach Ziff. 6. die realen Abwesenheitszeiten (Urlaub und Krankheit) des Beteiligten zu 1. zu Grunde zu legen und die Abwesenheitszeiten der Vergleichsgruppenmitglieder rechnerisch unberücksichtigt zu lassen,

  8. 8.

    der Beteiligten zu 2. aufzugeben, dem Beteiligten zu 1. monatlich Auskunft über die Berechnung seiner hypothetischen Mehrarbeit unter Mitteilung des konkreten Rechenwegs zu erteilen,

  9. 9.

    wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Sprungrechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen,

  10. 10.

    der Beteiligten zu 2. zum Ersatz des Schadens aus der Verletzung des § 78 S. 2 BetrVG aufzugeben, die Vergütung des Beteiligten zu 1. für die Monate Oktober 2022 bis April 2023 sowie die hypothetische Mehrarbeit des Beteiligten zu 1. für die Monate November 2021 bis März 2023 benachteiligungsfrei zu ermitteln, Abrechnungen in Textform hierüber zu erteilen und sich hieraus ergebende Guthaben - unter Abzug der bereits abgerechneten und bezahlten Vergütung - zu zahlen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 06.06.2023, dem Beschwerdeführer am 09.06.2023 zugestellt, die gewählte Verfahrensart des Beschlussverfahrens für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit in das Urteilsverfahren verwiesen. Mit einem am 16.06.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde eingelegt, verbunden mit dem Ziel, den Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig aufzuheben und das Verfahren in die zulässige Verfahrensart des Beschlussverfahrens zurückzuverweisen.

Er meint, das Beschlussverfahren sei vorliegend die richtige Verfahrensart. Er begehre mit seinen Anträgen Unterlassung von Benachteiligungen iSd. § 78 Satz 2 BetrVG und Schadensersatz wegen Verletzung des Benachteiligungsverbotes sowie regelmäßige Auskunft zur Prüfung, ob weiterhin ihm gegenüber gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen werde. Hierbei handele es sich um Ansprüche, die aus seiner Amtstätigkeit herrührten. Das Arbeitsgericht habe in seinem Beschluss verkannt, dass der Streitgegenstand vom Beschwerdeführer und nicht vom Gericht bestimmt werde.

Mit Beschluss vom 11.07.2023 hat das Arbeitsgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

A.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG, §§ 80 Abs. 3, 48 Abs. 1 ArbGG, § 567 ff. ZPO).

B.

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend das Beschlussverfahren in das Urteilsverfahren übergeleitet.

1.

Die Verfahrensart, in der ein Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen zu entscheiden ist, bestimmt sich nach § 2 und § 2a ArbGG. Liegt ein in § 2 ArbGG geregelter Tatbestand vor, findet das Urteilsverfahren statt, bei einem in § 2a ArbGG genannten Tatbestand ist das Beschlussverfahren einschlägig. Dem arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren sind unter anderem bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG ausschließlich zugewiesen. Im Beschlussverfahren ist dagegen unter anderem nach § 2 a Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 2 ArbGG über Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz zu entscheiden, soweit es nicht um strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten nach den BetrVG geht, die ordentlichen Gerichten zugewiesen sind (BAG 22.10.2019 - 9 AZB 19/19 - Rn. 8 mwN).

Maßgebend für die Bestimmung der zutreffenden Verfahrensarten ist der Streitgegenstand. Für das Vorliegen einer betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeit ist entscheidend, ob der geltend gemachte Anspruch bzw. die begehrte Feststellung seine bzw. ihre Rechtsgrundlage in einem betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis hat. Das Verfahren muss sich auf das betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis der Betriebspartner beziehen. Immer wenn die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung des Betriebs und die gegenseiteigen Rechte und Pflichten der Betriebspartner als Träger dieser Ordnung im Streit stehen, sollen darüber die Gerichte für Arbeitssachen im Beschlussverfahren als der dafür geschaffenen und besonders geeigneten Verfahrensart entscheiden. Dies gilt auch dann, wenn es um Rechte betriebsverfassungsrechtlicher Organe geht. Diese müssen sich nicht unmittelbar aus dem Betriebsverfassungsgesetz ergeben, sondern können ihre Grundlage in Tarifverträgen oder anderen Rechtsvorschriften haben (BAG a.a.O - Rn. 10 mwN).

Nachdem für den Zivil- und Arbeitsgerichtsprozess einschließlich des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens geltenden sogenannten zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Antrag eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Streitgegenstand erfasst alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden, den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtungsweise zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Antragsteller zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht unterbreitet hat (vgl. BAG 26.06.2013 - 5 AZR 428/12 - Rn. 16 mwN).

2.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist das Urteilsverfahren die richtige Verfahrensart.

a.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist im Kern die Frage, nach welchen Entgeltstufe der Beschwerdeführer unter Berücksichtigung seines Betriebsratsamts zu vergüten wäre. Er sieht sich aufgrund der Rückgruppierung in Verbindung mit den weiteren Änderungen bzw. des Ansatzes von hypothetischer Mehrarbeit UA. in seinen Rechten nach § 78 Satz 2 BetrVG verletzt. Er sei wegen seiner Betriebsratstätigkeit benachteiligt worden. Die von ihm in den Vordergrund gestellt Benachteiligung nach § 78 Satz 2 BetrVG stellt indes eine Wertung dar, verändert den hier zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex jedoch nicht.

b.

Ausgehend von dem Tatsachenvortrag des Beschwerdeführers kommen als Anspruchsgrundlage kollektivrechtliche (§ 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 823 Abs. 2 BGB) oder individualrechtliche (§ 611 a Abs. 2 BGB iVm. § 37 Abs. 2 BetrVG) in Betracht kommt.

Soweit der Beschwerdeführer meint, nicht das Gericht, sondern er selbst bestimme den Streitgegenstand, trifft diese Rechtsauffassung im Ausgangspunkt durchaus zu. Jedoch kann der Beschwerdeführer das Prüfprogramm des Gerichts nicht auf kollektivrechtliche Anspruchsgrundlagen beschränken. Der Streitgegenstand eines Zivilprozesses ist nicht der materiell rechtliche Anspruch iSd. § 194 BGB. Bekanntermaßen werden vom Streitgegenstand alle materiell rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen (BAG - 19.11.2019 - 3 AZR 281/18 - Rn. 46). Könnte der Beschwerdeführer das Prüfprogramm des Gerichts auf einzelne Anspruchsgrundlagen begrenzen und wäre das Gericht nach § 308 Abs. 1 ZPO verpflichtet, den Sachverhalt auf nur unter den zur Entscheidung gestellten Anspruchsgrundlagen zu prüfen, würde der Streitgegenstand auf nur teilweise - hinsichtlich der Anspruchsgrundlagen, über welche eine Entscheidung ergangen ist - in Rechtskraft erwachsen. Als weitere Konsequenz könnte der Beschwerdeführer mit den noch nicht in Rechtskraft erwachsenen Anspruchsgrundlagen sein Begehren trotz lediglich bestehender Anspruchsgrundlagenkonkurrenz in einem weiteren Urteilsverfahren verfolgen. Diese Konsequenz ist unbedingt zu vermeiden.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit seinen Anträgen und / oder in der Anspruchsbegründung ausdrücklich (nur) einen aus § 78 Satz 2 BetrVG abgeleiteten betriebsverfassungsrechtlichen Leistungs- oder Schadensersatzanspruch geltend macht, führt nicht zu einer Bewertung der streitigen Angelegenheit als betriebsverfassungsrechtlicher Angelegenheit.

c.

Verfahren, die den Anspruch eines Betriebsratsmitglieds auf Zahlung von Arbeitsentgelt für die durch Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben ausgefallene berufliche Tätigkeit (§ 37 Abs. 2 BetrVG) bzw. einen Vergütungsanspruch eines gem. § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitglieds zum Gegenstand haben, sind bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis iSd. § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG und gehören nicht zu den "Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz" gem. § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Sie sind im Urteilsverfahren zu entscheiden (BAG - 12.06.2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 10).

Im Vordergrund des vorliegenden Rechtsstreites steht die Problematik der zutreffenden Vergütung des Beschwerdeführers. In diesem Zusammenhang ist eine Prüfung vorzunehmen, welcher Entgeltstufe er nach § 37 Abs. 2 BetrVG iVm § 611 a Abs. 2 BGB ohne seine Betriebsratstätigkeit zuzuordnen wäre. Abhängig vom Ergebnis dieser Prüfung kann oder muss sich die Prüfung anschließen, ob sich die Ansprüche des Beschwerdeführers (auch) aus einer Verletzung des Benachteiligungsverbotes nach § 78 Satz 2 BetrVG ergeben. Bei der vom Beschwerdeführer vordergründig angezogenen Anspruchsgrundlage, basierend auf § 78 Satz 2 BetrVG handelt es sich nur um einen sekundären Anspruch, der auch für die Bestimmung der richtigen Verfahrensart sekundär heranzuziehen ist Aus diesem Grund war die Beschwerde zurückzuweisen. Vorstehende Wertung betrifft sämtliche vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anträge, die allesamt dem Bereich der Arbeitsvergütung zuzuordnen sind und erkennbar nur als Unterstützungsanträge dem Beschwerdeführer zu einer aus seiner Sicht zutreffenden Arbeitsvergütung verhelfen wollen. Darüber hinaus gilt: Urteils- und Beschlussverfahren schließen sich gegenseitig aus. In welcher Verfahrensart eine in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen fallende Streitigkeit zu entscheiden ist, ist von Amts wegen zu prüfen und zu entscheiden. Welches Prozessrecht zu Anwendung gelangt, unterliegt nicht der Disposition der Parteien oder Beteiligten, sondern hängt vom jeweiligen Streitgegenstand ab (BAG - 12.06.2018 - 9 AZB 9/18 - Rn. 15).

C.

Der Beschwerdeführer hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 80 Abs. 3, 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17 a Abs. 4 Satz 5 GVG. Sie beruht auf einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.