Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.12.2023, Az.: 5 Sa 408/23
Anspruch auf Gewährung einer zusätzlichen, bezahlten Pause unter dem Gesichtspunkt einer betrieblichen Übung; Betriebsvereinbarungsoofene Gestaltung von vertraglichen Ansprüchen
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 07.12.2023
- Aktenzeichen
- 5 Sa 408/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 56206
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2023:1207.5Sa408.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 04.05.2023 - AZ: 2 Ca 409/22
Rechtsgrundlagen
- § 305c BGB
- § 611a Abs. 2 BGB
Fundstelle
- AuA 2024, 52
Amtlicher Leitsatz
Die Arbeitsvertragsparteien können ihre vertraglichen Ansprüche, auch solche aus betrieblicher Übung, betriebsvereinbarungsoffen gestalten.
URTEIL
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2023 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kubicki sowie den ehrenamtlichen Richter Herrn Dr. Meier und den ehrenamtlichen Richter Herrn Waldmann als Beisitzer für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 04.05.2023 - 2 Ca 409/22 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Gewährung einer zusätzlichen, bezahlten Pause unter dem Gesichtspunkt einer betrieblichen Übung.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Werkstattmeister beschäftigt. Der Arbeitsvertrag verweist auf die Betriebsvereinbarungen und Dienstanweisungen. Der maßgebliche Tarifvertrag, der aufgrund einzelvertraglicher in Bezugnahme auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, regelt unter anderem: "Nebenabreden sind nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart worden sind."
Die Beklagte gewährte langjährig eine bezahlte zusätzliche Frühstückspause von 15 Minuten im Werkstattbereich, weil die Beschäftigten dort schwere Arbeit verrichten. Im September 2018 stellte sie ihre Praxis vor dem Hintergrund einer neuen Betriebsvereinbarung ein, die unter anderem folgendes regelte: "Die bisher ausgeübte Praxis der Vergütung einer 15 minütigen Pause im Werkstattbereich wird dauerhaft mit sofortiger Wirkung eingestellt." Diese Betriebsvereinbarung endete zum 30.12.2019 ohne Nachwirkung.
Mit seiner Klage hat der Kläger die entsprechenden Pausenzeiten für die Jahre 2019 bis 2022 sowie für die Monate Februar und März 2023 als Arbeitszeitgutschriften für sein Arbeitszeitkonto geltend gemacht und sich auf betriebliche Übung berufen.
Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (dort Bl. 2 bis 4 desselben, Bl. 116 und 117 dA) verwiesen.
Mit Urteil vom 04.05.2023 hat das Arbeitsgericht die Klage unter Hinweis auf das tarifvertragliche Schriftformerfordernis abgewiesen.
Wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils (dort Bl. 5 und 6 desselben, Bl. 118 dA) verwiesen.
Dieses Urteil ist dem Kläger am 22.05.2023 zugestellt worden. Mit einem am a13.06.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat er Berufung eingelegt und diese mit einem am 28.08.2023 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 07.07.2023 die Rechtmittelbegründungsfrist bis zum 29.09.2023 verlängert hatte.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger in vollem Umfang sein erstinstanzliches Klageziel weiter und macht darüber hinaus abschließend sämtliche dem Arbeitszeitkonto für 2023 gutzuschreibenden Stunden geltend. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er ist der Auffassung, dass das tarifliche Schriftformerfordernis nicht für diese streitgegenständliche Pausenregelung gelte. Denn es handele sich um eine Hauptleistungsabrede, die die Arbeitsleistung und das Arbeitsentgelt unmittelbar betroffen habe. Er ist ferner der Auffassung, dass die Betriebsvereinbarung nicht die günstigere betriebliche Übung habe beseitigen können. Es komme auf einen kollektiven Günstigkeitsvergleich an. Außerdem verstoße die Betriebsvereinbarung gegen § 77 Abs. 3 BetrVG, da sie eine bezahlte Frühstückspause gänzlich abschaffe.
Der Kläger beantragt,
auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgericht Hannover vom 04.05.2023, Aktenzeichen 2 Ca 409/22 abgeändert und
- 1.
die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für das Jahr 2019 37 Stunden gutzuschreiben,
- 2.
die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für das Jahr 2020 46,75 Stunden gutzuschreiben,
- 3.
die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für das Jahr 2021 49,5 Stunden gutzuschreiben,
- 4.
die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für das Jahr 2022 42 Stunden gutzuschreiben,
- 5.
die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für das Jahr 2023 9,25 Stunden gutzuschreiben,
- 6.
es wird festgestellt, dass die Betriebsvereinbarung Nr. 44 vom 27.09.2018 mit dem Titel "Betriebsvereinbarung zur Restrukturierung und Konsolidierung" die bei der Beklagten bestehende betriebliche Übung zur arbeitstäglich bezahlten 15-minütigen Frühstückspause nicht wirksam beendet hat und der Anspruch über den 27.09.2018 hinaus fortbesteht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und argumentiert, der Arbeitsvertrag sei betriebsvereinbarungsoffen, weil er eine entsprechende Verweisung beinhalte.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 28.08.2023 und 20.09.2023 verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64,66 ArbGG und §§ 519, 520 ZPO).
B.
Die Berufung ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht die zulässige Klage als unbegründet abgewiesen.
I.
Soweit der Berufungsantrag in Ziff. 5 eine Änderung enthält, kann ausdrücklich auf sich beruhen, ob diese Änderung unter den Anwendungsbereich des § 264 ZPO fällt oder aber eine echte Klageänderung gem. § 263 ZPO ist. Selbst in dem zuletzt genannten Fall wäre sie gem. § 533 ZPO unproblematisch zulässig, weil sie sachdienlich ist und auf Tatsachen gestützt wird, die das Berufungsgericht ohnehin seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen hat. Es handelt sich in diesem Streitfall ausschließlich um unstreitige Tatsachen.
II.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer zusätzlichen bezahlten 15-minütigen Frühstückspause unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 611 a Abs. 2 BGB iVm. dem Rechtsinstitut der betrieblichen Übung. In diesem Zusammenhang kann ausdrücklich auf sich beruhen, ob dem wirksamen Entstehen einer betrieblichen Übung das tarifvertragliche Schriftformerfordernis mit der Rechtsfolge des § 125 Satz 1 BGB entgegensteht. Jedenfalls aber ist die möglicherweise rechtswirksam entstandene betriebliche Übung wirksam dauerhaft und endgültig durch die Bestimmung (2.1) des § 1 der Betriebsvereinbarung Nr. 44 beseitigt worden.
1.
Die Arbeitsvertragsparteien können ihre vertraglichen Ansprüche - zu denen auch Ansprüche aus betrieblicher Übung zählen - dahingehend gestalten, dass sie einer Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen. Eine solche betriebsvereinbarungsoffene Gestaltung kann ausdrücklich vereinbart werden oder bei entsprechenden Begleitumständen konkludent erfolgen und ist namentlich bei betrieblichen Einheitsregelungen und Gesamtzusagen möglich. Eine ausdrückliche Vereinbarung liegt insbesondere dann vor, wenn in der vertraglichen Absprache auf die jeweils geltende Betriebsvereinbarung Bezug genommen wird (BAG - 17.08.2021 - 1 AZR 50/20, Rn. 58 m.w.N.).
Wenn auch das Rechtsinstitut der sogenannten Betriebsvereinbarungsoffenheit von Arbeitsverträgen in Rechtsprechung und Literatur durchaus nicht unumstritten ist, so kann dies jedoch für die vorstehende Konstellation der ausdrücklichen Verweisung in einem Arbeitsvertrag nicht gelten. Bei einer ausdrücklichen Verweisung in einem Arbeitsvertrag auf die jeweils geltenden Betriebsvereinbarungen enthält dieser Arbeitsvertrag nach den allgemeinen Grundregeln des Arbeitsrechtes eine Öffnungsklausel, sodass auch verschlechternde höherrangige Gestaltungsfaktoren die günstigeren Regelungen des Arbeitsvertrages verdrängen. Eine derartige Öffnungsklausel benötigte man nicht für lediglich günstigere Regelungen, die bereits ohnedies aufgrund des allgemein geltenden Günstigkeitsprinzips gelten.
2.
Eine derartige ausreichende Bezugnahme in § 1 des Arbeitsvertrages (Änderung des Arbeitsvertrages vom 10.08.2000) ist vorliegend gegeben. Die Kritik des Klägers an der Wirksamkeit, insbesondere an der Transparenz einer derartigen arbeitsvertraglichen Verweisung vor dem Hintergrund der AGB-Kontrolle gem. §§ 305 c. Abs. 1, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, teilt die Berufungskammer nicht. Vorstehend im Arbeitsvertrag genannte Verweisungsklausel erfasst unproblematisch die jeweils geltenden Betriebsvereinbarungen. Dies ist aus der Sicht eines durchschnittlichen Regelungsempfängers klar und eindeutig erkennbar.
3.
Die Betriebsvereinbarung ist auch nicht vor dem Hintergrund der sogenannten Regelungssperre gem. § 77 Abs. 3 BetrVG rechtsunwirksam. Denn diese Regelung bezieht sich erkennbar nicht auf Regelungsgegenstände, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich ausdrücklich nur darauf, eine bisher bestehende betriebliche Übung, die nicht einmal ansatzweise eine entsprechende Regelung im Tarifvertrag hat, zu beseitigen. Damit führt die streitgegenständliche Regelung in der Betriebsvereinbarung sogar in vorzüglicher Weise dazu, den Regelungsgegenstand des Tarifvertrages zu sichern und zu flankieren.
4.
Der Hinweis des Klägers auf die Schlussbestimmung dieser Betriebsvereinbarung (befristete Laufzeit, Ende ohne Nachwirkung) ist unbehelflich. Denn durch § 1 (2.1) ist die betriebliche Übung bereits beseitigt worden. Nach Ablauf der Betriebsvereinbarung kann sie zwar neu entstehen, wenn die Voraussetzungen einer neu geschaffenen betrieblichen Übung vorliegen. Keinesfalls jedoch lebt sie automatisch wieder auf.
Nach alledem rechtfertigt sich das bereits dargestellte Ergebnis.
C.
Der Kläger hat als unterlegende Partei vollständig die Kosten des Rechtsstreits gem. § 91 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG), bestanden nicht.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) und der sofortigen Beschwerde (§ 72 b ArbGG) wird hingewiesen.