Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.06.2023, Az.: 10 Sa 762/22

Abmahnung; außerordentliche Kündigung; Ersatzmutterschaft; in-vitro-Fertilisation; Leihmutter; venire contra factum proprium; Kündigung Landeskirche beschäftigten Domkantors wegen Überlegungen zur Inanspruchnahme einer Leihmutterschaft in einem südamerikanischen Land; treuwidrige Kündigung nach vorausgegangenem Kündigungsverzicht

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
27.06.2023
Aktenzeichen
10 Sa 762/22
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 33065
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2023:0627.10Sa762.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Braunschweig - 15.09.2022 - AZ: 7 Ca 87/22

Fundstelle

  • FA 2023, 262

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der Kündigungsberechtigte kann sowohl bei einer außerordentlichen als auch bei einer ordentlichen Kündigung auf ein auf bestimmte Gründe gestütztes und konkret bestehendes Kündigungsrecht verzichten. Der Verzicht kann ausdrücklich oder konkludent durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung des Kündigungsberechtigten erfolgen.

  2. 2.

    Das Kündigungsrecht erlischt, wenn der Kündigungsberechtigte wegen des ihm bekannten Kündigungssachverhaltes eine Abmahnung ausspricht und sich die für die Kündigung maßgebenden Umstände nicht später geändert haben.

  3. 3.

    Bei einem Verzicht auf die Kündigung ändert sich die Rechtslage hinsichtlich eines vorhandenen Kündigungsgrundes nicht. Der Verzichtende legt sich aber gegenüber dem Vertragspartner fest, aus einer ihm günstigen Tatsachenlage keine Konsequenzen zu ziehen. Eine Kündigung trotz Verzichts ist ein Fall unzulässiger Rechtsausübung iSv. § 242 BGB in der Form des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens.

  4. 4.

    Zur Rechtfertigung einer späteren Kündigung kann der Arbeitgeber auf solche Gründe nur dann unterstützend zurückgreifen, wenn weitere kündigungsrechtlich erhebliche Umstände eintreten oder nachträglich bekannt werden.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 15. September 2022 - 7 Ca 87/22 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung und um Weiterbeschäftigung.

Die Parteien verbindet seit dem 15. September 1999 ein Arbeitsverhältnis. Der Dienstvertrag, wegen dessen genauen Inhalts auf Bl. 5 f. d.A. verwiesen wird, nimmt das Gemeinsame Mitarbeitergesetz und die Dienstvertragsordnung der Beklagten in der jeweils geltenden Fassung in Bezug. Der Kläger wurde als "Domkantor (A-Kirchenmusikerstelle)" eingestellt. Gemäß § 2 Abs. 2 des Dienstvertrages ist er an das Bekenntnis und Recht der Beklagten gebunden sowie "in seinem dienstlichen Handeln und in seiner Lebensführung dem Auftrag des Herrn verpflichtet, das Evangelium in Wort und Tat zu bezeugen". Zu den Tätigkeiten des Klägers gehörten die Leitung der kirchenmusikalischen Arbeit am Dom mit der Gesamtleitung der Domsingschule, die Leitung des Kantorats mit zwei weiteren hauptamtlichen Kirchenmusikern, die Gruppenleitung des Domchors, der Jugendkantorei, der Kurrenden und des Domsinfonieorchesters einschließlich der Durchführung von Proben, Konzerten und Freizeiten. Ferner war er zuständig für die Gremienarbeit und die Kooperation mit kirchlichen und kulturellen Einrichtungen, das Orgelspiel bei Gottesdiensten und Andachten und die Ausbildung von Orgelschülern.

Ende des Jahres 2020 teilte der Kläger mehreren Personen innerhalb der Gemeinschaft des Doms mit, dass er zusammen mit seinem Ehemann plane, sich seinen persönlichen Kinderwunsch im Wege einer Leihmutterschaft zu erfüllen. Im Mai 2021 ließ er im Anschluss an eine Abendandacht Herrn Pater M. wissen, dass er und sein Ehemann die Umsetzung ihres Kinderwunsches planten und in Kolumbien bereits Leihmütter in Aussicht hätten, und dass sie planten, im Herbst 2021 nach Kolumbien zu fliegen, um in einer bereits ausgesuchten Klinik diese Pläne anzugehen. Eine solche Reise erfolgte im Januar 2022, wobei der Kläger und sein Ehemann eine kolumbianische Klinik für Reproduktionsmedizin aufsuchten und Kontakt zu zwei Frauen aufnahmen, die sich eine sogenannte Ersatzmutterschaft vorstellen konnten. Ende Januar 2022 berichtete der Kläger dem Landesbischof der Beklagten von dieser Reise. Am 2. Februar 2022 erklärte die Leiterin der Personalabteilung, Frau OLKR B., dem Kläger in einem Personalgespräch, sein Kinderwunsch werde durch das Domkuratorium zwar missbilligt; jedoch würden keine dienstrechtlichen Konsequenzen gezogen. Mit Schreiben vom 17. Februar 2022 (Bl. 83 bis 87 d.A.) erklärte der Landesbischof der Beklagten dem Kläger rechtliche und ethische Bedenken gegen eine Ersatzmutterschaft. Das Schreiben enthält den Satz: "Das Kollegium hat zwar aus verschiedenen Gründen von einer außerordentlichen Kündigung abgesehen, hält jedoch die Glaubwürdigkeit Ihres Dienstes am Dom trotzdem für schwer beschädigt". Dem stellte der Kläger mit Schreiben vom 20. Februar 2022 (Bl. 88 f. d.A.) seinen Standpunkt gegenüber. Mit E-Mail vom 24. Februar 2022 (Bl. 91 d.A.) teilte der Kläger gegenüber dem Landesbischof, Frau OLKR B. und Frau G. mit, er habe den angesprochenen Prozess abgebrochen, weil er Schaden von seiner Person und seiner Kirche abwenden wolle. Am Folgetage teilte Frau G. ca. 500 oder 600 Adressaten aus dem Kreis der Domsingschule durch elektronische Post mit, der Kläger und sein Ehemann hätten in Kolumbien einen Vertrag mit einer Klinik abgeschlossen, bei dem es um zwei Kinder gehe, die durch In-vitro-Fertilisation gezeugt und von zwei Leihmüttern ausgetragen würden. Es handele sich bei der gewählten Leihmutterschaft um eine kommerzielle Form; sowohl die beteiligten Frauen als auch die Kinder würden zu Waren degradiert und dadurch in ihrer Menschenwürde beschädigt. Außerdem werde die schwache Position von Frauen in einem Schwellenland ausgenutzt; Frauenrechte würden untergraben. Der Vorstand der Domstiftung untersuche, inwieweit dieses Verhalten arbeitsrechtliche Konsequenzen zur Folge haben müsse. Mit Schreiben vom 8. März 2022 (Bl. 94 bis 98 d.A.) teilte der Kläger dem Landesbischof der Beklagten mit, der Rückzug aus dem Prozess der Ersatzmutterschaft sei in der Annahme erfolgt, dass der Landesbischof zeitnah die Veröffentlichungen des Privatlebens des Klägers stoppen werde; das habe er nicht getan, sondern es sei auch nach dem Rückzug die Familienplanung des Klägers in Rundmails öffentlich gemacht worden. Der Kläger fuhr fort: "Die vergangenen Tage meiner Freistellung haben in mir einen Denkprozess ausgelöst, der noch nicht abgeschlossen ist. Auf jeden Fall ziehe ich meinen angekündigten Rückzug aufgrund der vergangenen Ereignisse zurück. Vor Abschluss meiner Überlegungen sehe ich mich noch nicht imstande, zu entscheiden, ob ich den Prozess abbrechen oder vorsetzen [sic] werde". Im Folgenden führte der Kläger aus, nach welchen Richtlinien er vorgehen würde, sollte er sich für eine Vaterschaft mit Hilfe einer Ersatzmutter entscheiden. In einem Gespräch, das er am 10. März 2022 unter anderem mit dem Landesbischof der Beklagten und Frau OLKR B. führte, blieb der Kläger bei seinem in dem Schreiben eingenommenen Standpunkt. Die an dem Gespräch Beteiligten äußerten ihre grundsätzliche Bereitschaft, ein Mediationsverfahren durchzuführen. Am 14. März 2022 erklärte der Kläger in einer an dem Vorstand der Domstiftung gerichteten E-Mail, er habe in dem Gespräch nicht seinen "Rückzug vom Rückzug" erklärt, sondern sich dahin geäußert, dass er sich wegen einer massiven Schädigung seiner Persönlichkeitsrechte derzeit nicht in der Lage sehe, eine Entscheidung zu treffen. Am 16. März 2022 beteiligte die Beklagte ihre Mitarbeitervertretung zur außerordentlichen Kündigung, die fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist ausgesprochen werden sollte. Nachdem die Mitarbeitervertretung erklärt hatte, keine weitere Erörterung zu beantragen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 22. März 2022 fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zum 31. Oktober 2022.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe sich lediglich gegenüber engen Vertrauten bzw. gegenüber der Dompredigerin in einem seelsorgerischen Gespräch geäußert; die Vertraulichkeit sei jedoch nicht gewahrt worden. Die öffentliche Auseinandersetzung sei durch die Erklärung der Dompredigerin vom 25. Februar 2022 verursacht worden. In Rede stehe vorliegend keine kommerzielle, sondern eine altruistische Leihmutterschaft. Eine solche werde auch von der Beklagten nicht abgelehnt. Frau OLKR B. sei nicht zur Kündigung berechtigt gewesen. Die erforderliche Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur hilfsweise ausgesprochenen Kündigung mit sozialer Auslauffrist fehle.

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 22. März 2022 nicht aufgelöst wird;

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag zu 1. als Domkantor weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger habe das Vorhaben einer Leihmutterschaft seit Ende 2020 bis zum Beginn des Jahres 2022 offen gegenüber Mitgliedern der Domsingschule und anderen Personen kommuniziert, ohne auf Vertraulichkeit hinzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe durch seine Entscheidung, die Pläne zur Inanspruchnahme einer Leihmutterschaft in Kolumbien doch nicht aufzugeben, seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis in erheblicher Weise verletzt. Aus dem Mitarbeitergesetz der Beklagten sei er verpflichtet, in seinem Aufgabenbereich mit Verantwortung für die glaubwürdige Erfüllung kirchlicher Aufgaben einzutreten und sich loyal gegenüber der evangelischen Kirche zu verhalten. Eine Leihmutterschaft in einem Land wie Kolumbien führe zu einer Degradierung der Frauen zu einem Mittel zum Zweck und stehe im Widerspruch zum Ethos der Beklagten. Als Person des öffentlichen Lebens vertrete der Kläger als Domkantor die ethischen Grundsätze der evangelischen Kirche öffentlich und habe großen Anteil am Verkündigungs- und Bildungsauftrag der Kirche. Das Verhalten impliziere dem objektiven Beobachter, dem Kläger sei es wichtiger, Genugtuung für die von ihm als ungerecht wahrgenommene öffentliche Diskussion zu erhalten, als die ethisch-moralischen Probleme der Leihmutterschaft anzugehen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat ausgeführt: Weder im Verhalten noch in der Person des Klägers liege ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Die Beklagte habe nicht dargelegt, dass der Kläger konkrete Schritte zur Inanspruchnahme einer kommerziellen Leihmutterschaft unternommen und das Stadium der Überlegungen damit überschritten habe. Seine Reise nach Kolumbien, der Kontakt mit einer Klinik und Einzelheiten aus den vom Kläger mit dem Landesbischof und weiteren Personen geführten Gesprächen könnten lediglich einen Verdacht begründen, der jedoch nicht Gegenstand der Kündigung sei. Die Kommunikation der Überlegungen gegenüber der Beklagten verstoße nicht gegen eine aus ihren Ethos folgende wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung. Die Beklagte könne nicht verlangen, dass der Kläger bereits eine Auseinandersetzung mit der Entscheidung über eine Leihmutterschaft unterlasse. Konkretisiert habe der Kläger seine Pläne im Detail ausschließlich gegenüber Vertretern der Beklagten. Die Erwähnung von internationalen Richtlinien in seinem Schreiben vom 8. März 2022 lasse keine Gleichgültigkeit, sondern vielmehr eine konkrete Auseinandersetzung auf Argumentationsbasis erkennen. Dieser interne Diskurs sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Es liege auch keine provokatorische Meinungsäußerung vor. Selbst wenn man jedoch eine Pflichtverletzung annähme, so überwöge doch das Bestandsinteresse des Klägers. Dieser habe sich nicht eindeutig tendenzaggressiv geäußert, sich nicht gegenüber einer größeren Öffentlichkeit erklärt und die Beklagte nicht provoziert. Gespräche mit einzelnen Gemeindegliedern stünden nicht entgegen. Die Nachricht der Dompredigerin an einer Vielzahl ehemaliger und derzeitiger Chormitglieder habe maßgeblich zur Verschärfung und Ausweitung der Diskussion in der Öffentlichkeit beigetragen. In der darauffolgenden Erklärung des Klägers, sich den Gedankenprozess weiterhin offenzuhalten, liege kein schwerwiegender Verstoß gegen berechtigte Loyalitätsanforderungen. Zugunsten des Klägers seien das langdauernde, bisher nicht belastete Arbeitsverhältnis, die Aussage der Leiterin der Personalabteilung, dass die Pläne zwar missbilligt, jedoch keine dienstrechtlichen Konsequenzen gezogen würden, und die grundsätzlich erklärte Mediationsbereitschaft zu berücksichtigen. Auch aus personenbedingten Gründen sei die Kündigung nicht gerechtfertigt, denn ein Eignungsmangel liege nicht vor. Eine Erwartung, die Leihmutterschaft nicht einmal in Erwägung zu ziehen, stelle keine berechtigte Anforderung an die Eignung des Klägers dar. Er könne verlangen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiterbeschäftigt zu werden.

Gegen das ihr am 7. Oktober 2022 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 19. Oktober 2022 Berufung eingelegt und sie am 25. Januar 2023 innerhalb der verlängerten Frist begründet.

Die Berufung führt aus: Der Kläger habe bereits im November 2021 dem Zeugen Br. gesagt, dass er einen Vertrag über eine Leihmutterschaft geschlossen habe, dass ihm bewusst sei, dass er "Stadtgespräch" sei und dass es ihn möglicherweise den "Job kosten" würde. Auch dem Landesbischof habe er Ende Januar 2022 von einem Vertrag berichtet. Die ablehnende Position der Evangelischen Kirche in Deutschland zur Leihmutterschaft mache sich die Beklagte zu eigen. Aus dem Verbot der warenförmigen Instrumentalisierung von Menschen folge ein Verbot auch der sogenannten altruistischen Form der Leihmutterschaft. Derzeit gebe es keine Tendenzen, dass sich die Kirche für die Gegenauffassung öffnen könnte. Der wichtige Grund für die Kündigung liege in der bewussten Abkehr des Klägers von dem zuvor erklärten Verzicht. Anders als vom Arbeitsgericht angenommen habe der Kläger es nicht bei konturlosen Überlegungen belassen, sondern sei im Januar 2022 nach Kolumbien gereist, um Verträge mit der Klinik und mit Leihmüttern abzuschließen sowie sein Sperma und dasjenige seines Ehemannes einfrieren zu lassen. Somit habe er sämtliche Schritte eingeleitet, die seine Mitwirkung erfordert hätten. Eine externe Kommunikation des Klägers sei nicht Voraussetzung für die Annahme eines Loyalitätsverstoßes und habe im Übrigen auch stattgefunden. In einer Sendung des Deutschlandfunks habe er erklärt, er habe mit Freunden und Kollegen über seine Pläne gesprochen. Die öffentliche Diskussion habe bereits deutlich vor dem 24. Februar 2022 begonnen. Von einer altruistischen Leihmutterschaft könne angesichts der in Rede stehenden Zahlungen und der wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Frauen nicht die Rede sein. Die Verhältnismäßigkeit sei bei der Kündigung gewahrt; die Beklagte habe nur eine einzige Glaubwürdigkeit; dem Kläger jedoch stünden außerhalb des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten verschiedene Möglichkeiten offen, um seinen Wunsch zu verwirklichen. Die Interessenabwägung schlage zu Lasten des Klägers aus. Dieser habe durch sein Schreiben vom 8. März 2022, welches die Zweiwochenfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB in Lauf gesetzt habe, deutlich gemacht, dass ihm die Bemühungen und Informationen durch die Beklagte nicht ausreichten, um von seinen Plänen abzulassen. Aus dem Schreiben folge eine neue, deutlich tiefgreifendere Gleichgültigkeit des Klägers gegenüber dem Ethos der Beklagten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, er habe über seine Pläne nur mit wenigen vertrauten Personen gesprochen. Eine Vermittlung der Ersatzmütter durch die Klinik sei nicht erfolgt. Der Kontakt sei vielmehr allein durch persönliche Verbindungen entstanden. Bezahlte Vermittlungsleistungen gebe es nicht. Dem Landesbischof habe er nicht über Verträge berichtet, denn solche habe es seinerzeit nicht gegeben. Eine kommerzielle Ersatzmutterschaft liege nicht vor; die beteiligten Frauen hätten als Leihmütter viel Geld verdienen können, wollten dies jedoch nicht und seien hierauf auch nicht angewiesen. Auch am 8. März 2022 habe es keine Verträge mit Frauen über Ersatzmutterschaft gegeben. Durch die nichtöffentliche Erklärung, dass er sich seine Entscheidung offenhalte, könne der Kläger die Glaubwürdigkeit der Beklagten nicht beeinträchtigen. Er habe deutlich gemacht, inwieweit er bei einer Entscheidung für die Leihmutterschaft die differenzierende Betrachtung des Landesbischofs berücksichtigen würde. Mit dem Schreiben habe er den mit dem Landesbischof geführten internen Diskurs fortsetzen wollen. Weil er weder Prediger noch Sozialethiker oder Lehrer sei, könne ihm eine Auseinandersetzung mit ethischen Fragen nicht als Teil seiner Aufgaben abverlangt werden. Mangels Beteiligung der Mitarbeitervertretung könnten Vorbereitungshandlungen als Kündigungsgrund nicht herangezogen werden.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht waren.

Entscheidungsgründe

Die Berufung bleibt erfolglos.

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist von dieser fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1, 2 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1, 2 ZPO) und damit insgesamt zulässig.

II.

Die Berufung ist nicht begründet. Im Ergebnis und in Teilen der Begründung zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass der Beklagten ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht zur Seite steht.

1.

Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in zwei Stufen zu prüfen. Zunächst ist festzustellen, ob der Sachverhalt "an sich", d.h. typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Sodann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (für viele Kammer 9. Mai 2023 - 10 Sa 758/22; 11. Dezember 2018 - 10 Sa 204/18; BAG 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 21; 21. November 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15; 25. Oktober 2012 - 2 AZR 700/11 - Rn. 13).

2.

Der Kündigungsberechtigte kann sowohl bei einer außerordentlichen als auch bei einer ordentlichen Kündigung auf ein auf bestimmte Gründe gestütztes und konkret bestehendes Kündigungsrecht verzichten (BAG 6. März 2003 - 2 AZR 128/02 - Rn. 23 mwN; 9. März 1995 - 2 AZR 644/94 - Rn. 37; KR/Fischermeier 12. Aufl. § 626 Rn. 69; ErfK/Müller-Glöge 23. Aufl. 2023 § 620 BGB Rn. 30 f.). Der Verzicht kann ausdrücklich oder konkludent durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung des Kündigungsberechtigten erfolgen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erlischt das Kündigungsrecht durch Verzicht insgesamt, wenn der Kündigungsberechtigte wegen des ihm bekannten Kündigungssachverhaltes eine Abmahnung ausspricht und sich die für die Kündigung maßgebenden Umstände nicht später geändert haben (BAG 6. März 2003 - 2 AZR 128/02 - Rn. 23; 10. Dezember 1992 - 2 ABR 32/92 - Rn. 103).

Bei einem Verzicht auf die Kündigung ändert sich die Rechtslage hinsichtlich eines vorhandenen Kündigungsgrundes nicht. Der Verzichtende legt sich aber gegenüber dem Vertragspartner fest, aus einer ihm günstigen Tatsachenlage keine Konsequenzen zu ziehen. Eine Kündigung trotz Verzichts ist ein Fall unzulässiger Rechtsausübung iSv. § 242 BGB in der Form des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium, vgl. ErfK/Müller-Glöge 23. Aufl. 2023 § 620 BGB Rn. 30 mwN). Er kann deswegen zur Rechtfertigung einer späteren Kündigung auf solche Gründe nur dann unterstützend zurückgreifen, wenn weitere kündigungsrechtlich erhebliche Umstände eintreten oder nachträglich bekannt werden (BAG 10. Dezember 1992 - 2 ABR 32/92 - Rn. 103).

3.

Bei Anwendung dieser Grundsätze ist es der Beklagten verwehrt, eine Kündigung darauf zu stützen, dass der Kläger und sein Ehemann die Umsetzung ihres Kinderwunsches erwogen oder planten und deshalb eine Reise nach Kolumbien unternahmen, um eine Klinik für Reproduktionsmedizin aufzusuchen sowie Kontakt zu Frauen aufzunehmen, die sich eine Ersatzmutterschaft vorstellen konnten. Dabei kommt es vorliegend nicht darauf an, ob die Beklagte grundsätzlich berechtigt wäre, einem Arbeitnehmer zu kündigen, der sich die Inanspruchnahme einer Leihmutterschaft offenhält, ob und welche Vorbereitungshandlungen des Arbeitnehmers Voraussetzungen für die Kündigung wären sowie ob zwischen "kommerzieller" und "altruistischer" Leihmutterschaft zu unterscheiden wäre. Die Beklagte verzichtete nämlich wirksam darauf, den Sachverhalt für den Ausspruch einer Kündigung heranzuziehen.

a)

Nachdem der Kläger im Januar 2022 dem Landesbischof der Beklagten von der Reise nach Kolumbien berichtet hatte, teilte die Beklagte ihm in einem Personalgespräch vom 2. Februar 2022 mit, das Domkuratorium habe am Vortage beschlossen, seinen Kinderwunsch durch Leihmutterschaft zwar zu missbilligen, aber keine dienstrechtlichen Konsequenzen zu ziehen.

b)

Diese Erklärung durfte der Kläger so auffassen, dass sein Verhalten bzw. seine Einstellung zu einer möglichen Inanspruchnahme einer Leihmutterschaft zwar nicht gebilligt und möglicherweise auch als arbeitsrechtlich relevant angesehen wurde, jedoch ungeachtet dieser Wertung nicht mit Sanktionen belegt werden würde. Er konnte weiter davon ausgehen, dass dieser Kündigungsverzicht alle diejenigen Tatsachen umfasste, die der Beklagten in diesem Zusammenhang bekannt geworden waren, als das Personalgespräch stattfand. Ihren Verzicht auf dienstrechtliche Maßnahmen stellte die Beklagte auch nicht unter eine Bedingung etwa des Inhalts, dass der Kläger von seiner Position zur Leihmutterschaft Abstand nehmen müsse oder dass die Parteien ein Mediationsverfahren erfolgreich abschlössen.

c)

Die Beklagte war in der Erklärung des Kündigungsverzichts wirksam vertreten, nämlich durch die Leiterin der Personalabteilung ihres Landeskirchenamtes, die später auch die Kündigung aussprach.

4.

Die nach dem Personalgespräch vom 2. Februar 2022 hinzugetretenen Umstände sind schon an sich nicht geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung abzugeben.

a)

In Betracht kommen insoweit - auch aufgrund der zweiwöchigen Ausschlussfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB - nur das Schreiben des Klägers an den L. der Beklagten vom 8. März 2022 und das vom Kläger zwei Tage später mit Vertretern der Beklagten geführte Gespräch, in welchem er seinen in dem Schreiben eingenommenen Standpunkt bekräftigte.

b)

Dieses Verhalten des Klägers stellt bereits keinen "an sich" wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar.

aa)

Zwar kommt es bei Arbeitnehmern im kirchlichen Dienst grundsätzlich in Betracht, dass ihr außerdienstliches Verhalten kündigungsrelevant sein kann. Private Lebens- und Verhaltensweisen der Kirche angehörender Arbeitnehmer, die den tragenden Grundsätzen der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre widersprechen, sind geeignet, die Glaubwürdigkeit der Kirche zu beeinträchtigen und damit zu vereiteln, dass sie ihrem Verkündigungsauftrag gerecht werden kann (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BVR 1703/83 ua. - Rn. 63). Zum Schutz der Integrität der Dienstgemeinschaft und zur Wahrung der Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung in der Öffentlichkeit nehmen kirchliche Arbeitgeber für sich in Anspruch, arbeitsvertraglich gegenüber ihren Arbeitnehmern besondere Loyalitätserwartungen einzufordern, um die Beachtung der tragenden Grundsätze ihrer jeweiligen Glaubens- und Sittenlehre zu gewährleisten. Diese sogenannten Loyalitätsobliegenheiten begründen nicht vertragliche Nebenpflichten in Bezug auf die Erbringung der rechtsgeschäftlich zugesagten Dienstleistungen, sondern betreffen allgemein das - auch außerdienstliche - Verhalten des Arbeitnehmers. Ihnen fehlt regelmäßig die Qualität erzwingbarer Rechtspflichten. Ihre Missachtung durch den Arbeitnehmer führt jedoch unter Umständen dazu, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem illoyalen Mitarbeiter für den kirchlichen Arbeitgeber unzumutbar wird und ihn zur Kündigung berechtigt. Im Falle der Verletzung einer Loyalitätsobliegenheit kommt sowohl eine ordentliche als auch eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht (BVerfG 22. Oktober 2014 - 2 BVR 661/12 - Rn. 6 bis 8 mwN).

bb)

Durch sein an den Landesbischof der Beklagten gerichtetes Schreiben vom 8. März 2022 und durch seine in dieselbe Richtung gehenden Ausführungen im Gespräch vom 10. März 2022 verletzte der Kläger nicht seine Loyalitätsobliegenheit gegenüber der Beklagten.

(1)

Der Kläger äußerte schriftlich wie mündlich, er sehe sich derzeit nicht in der Lage, zur Inanspruchnahme einer Leihmutterschaft eine Entscheidung zu treffen, und halte sich die Entscheidung dazu offen. Dies entspricht der Haltung, wie sie der Kläger bereits eingenommen hatte, als er am 2. Februar 2022 das aus diesem Anlass anberaumte Personalgespräch führte. Wie ausgeführt, ist die Beklagte nach Treu und Glauben gehindert, diese Haltung des Klägers entgegen ihrer Zusage nunmehr als wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung zu verwenden. Sie setzt sich hierdurch zu ihrem vorangegangenen Verhalten in Widerspruch.

(2)

Das von der Beklagten als "Rückzug vom Rückzug" bezeichnete Verhalten des Klägers erfolgte nicht öffentlich. Das Schreiben vom 8. März 2022 war ausschließlich an den Landesbischof der Beklagten und damit an deren leitenden Geistlichen gerichtet. Die Teilnehmer des am 10. März 2022 geführten Gesprächs gehörten sämtlich zum engsten Leitungskreis der Beklagten und stellten ebenfalls keine Öffentlichkeit dar.

(3)

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte darauf, die Erklärungen des Klägers machten deutlich, dass ihm all ihre Bemühungen nicht ausreichten, um von seinen Plänen abzulassen, und zeugten von einer neuen, deutlich tiefgreifenderen Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Ethos. Nachdem sie vorbehaltlos erklärt hatte, Pläne bezüglich einer Leihmutterschaft nicht als Kündigungsgrund zu verwerten, muss gleiches auch für ihre enttäuschte Erwartung gelten, den Kläger doch noch auf Dauer umzustimmen. Anderenfalls hätte sie in dem Personalgespräch vom 2. Februar 2022 einen entsprechenden Vorbehalt deutlich artikulieren oder von vornherein davon absehen müssen, den Verzicht auf personalrechtliche Maßnahmen zu erklären.

(4)

Auch dass der Kläger von seiner am 24. Februar 2022 abgegebenen Erklärung abrückte, Pläne zu einer Leihmutterschaft nicht weiterzuverfolgen, stellt keinen eigenständigen Grund dar, der an sich geeignet wäre, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Dabei kann es das Berufungsgericht zwar nachvollziehen, dass der Meinungsumschwung des Klägers bei der Beklagten Unmut auslöste, zumal der Kläger ihn nicht ethisch-moralisch oder theologisch begründete, sondern auf die aus seiner Sicht gegebene Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte durch die Beklagte abstellte. Es bleibt jedoch dabei, dass die Beklagte ihren Verzicht darauf erklärt hatte, Überlegungen des Klägers zu einer Leihmutterschaft zum Kündigungsgrund zu machen. Das Schreiben des Klägers vom 8. März 2022 und seine zwei Tage später erfolgten Äußerungen gehen entgegen der Auffassung der Beklagten nicht über dasjenige hinaus, was er zuvor zu der Thematik kommuniziert hatte. Insbesondere erklärte er nicht, nunmehr entschlossen zu sein, eine Leihmutterschaft in Anspruch zu nehmen. Auch formulierte er seine Rückkehr zu dem bereits zuvor von ihm eingenommenen Standpunkt nicht in einer provokanten oder gegen die Tendenz bzw. das Ethos der Beklagten gerichteten Weise. Dass sein Schreiben nur oder vorwiegend dazu gedient hätte, sich für den Umgang der Beklagten mit seinen persönlichen Daten zu revanchieren, ist nicht ersichtlich. Zwar stellt es einen entsprechenden Zusammenhang her, doch lässt sich dieser auch so deuten, dass der Kläger das Ziel, das er mit dem Verzicht auf seine Pläne erreichen wollte, nämlich den Schutz beider Parteien dieses Rechtsstreits, durch das Verhalten der Dompredigerin als vereitelt ansah.

5.

Weitere, konkreter als zuvor auf die Inanspruchnahme einer Leihmutterschaft gerichtete Handlungen sind nicht Gegenstand der hier in Rede stehenden Kündigung. Ob solche Handlungen kündigungsgeeignet wären, ist hier folglich nicht zu entscheiden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPOLKR

IV.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Zugrundelegung der zitierten obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen.