Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.06.2023, Az.: 11 Sa 772/22

Vergütungsanspruch einer Pflegekraft bei Freistellung im Rahmen der Corona-Pandemie

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
06.06.2023
Aktenzeichen
11 Sa 772/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 43799
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2023:0606.11Sa772.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Braunschweig - 13.09.2022 - AZ: 2 Ca 104/22

Fundstelle

  • ArbR 2024, 46

Amtlicher Leitsatz

Vergütungsanspruch einer Pflegekraft bei Freistellung nach § 20a IfSG.

  1. 1.

    § 20a IfSG idF. vom 18.3.-16.09.2022 unterschied zwischen Bestands- und Neuarbeitnehmern. Für bereits vor dem 16.03.2022 beschäftigte Arbeitnehmer bestand kein gesetzliches Tätigkeitsverbot. Die Anordnung eines Tätigkeitsverbotes war dem Gesundheitsamt vorbehalten.

  2. 2.

    Ein fehlender Nachweis nach § 20a Abs. 1 IfSG stand einem wirksamen Angebot der Arbeitsleitung iSd. § 294 BGB durch den Arbeitnehmer nicht entgegen.

  3. 3.

    Eine Freistellung durch den Arbeitgeber kraft Direktionsrechtes bedarf jedenfalls einer Abwägung der beiderseitigen Interessen und damit einzelfallbezogenen Sachvortrags.

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 13.09.2022 - 2 Ca 104/22 - abgeändert.

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.028,11 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

    auf 1.271,05 € brutto seit dem 01.04.2022,

    auf 3.378,53 € brutto seit dem 01.05.2022,

    auf weitere 3.378,53 € brutto seit dem 01.06.2022

    abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit

    am 31.03.2021 gezahlter 713,28 € netto,

    am 30.04.2022 gezahlter 1.337,40 € netto,

    am 31.05.2022 gezahlter 1.337,40 € netto,

    am 30.06.2022 gezahlter 44,58 € netto

    zu zahlen.

    Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Vergütungszahlung für Zeiten einer vorrübergehenden Nichtbeschäftigung im Jahr 2022.

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Braunschweig hat mit Urteil vom 13.09.2022 die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der betragsmäßig höhere Klagantrag zu 2. sei bereits deswegen unzulässig gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil die Formulierung "abzüglich auf die Arbeitsagentur übergegangener Ansprüche" zu unbestimmt sei.

Die Klägerin habe aber auch keinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn ab dem 15.03.2022. Mangels von der Klägerin erbrachten Impf- oder Genesenen-Nachweises im Sinne von § 22a IfSG habe die Beklagte die Klägerin ab dem 16.03.2022 ohne Bezüge freistellen dürfen. Durch eine einseitig vom Arbeitgeber erklärte Freistellung der Arbeitnehmerin gerate der Arbeitgeber regelmäßig gemäß § 293 BGB in Annahmeverzug. Das gelte aber nicht, wenn die Arbeitnehmerin außerstande sei, die geschuldete Arbeitsleistung aus in ihrer Person liegenden Gründen zu bewirken. Hier sei die Klägerin im streitbefangenen Zeitraum von März bis Ende Mai 2022 mangels Nachweis im Sinne von § 22a IfSG nicht leistungsfähig gewesen. Unstreitig handele es sich bei dem Krankenhaus, in dem die Klägerin bis zum 15.03.2022 vertragsgemäß als Gesundheits- und Krankenpflegerin tätig war, um eine Einrichtung im Sinne von § 20a Abs. 1 Nr. 1a IfSG. Ebenfalls unstreitig habe die Klägerin nicht über einen Nachweis nach § 22a Abs. 1 oder Abs. 2 IfSG verfügt, ohne sich auf eine medizinische Kontraindikation im Sinne von § 20a Abs. 1 Satz 2 IfSG berufen zu können. Nach der gebotenen Auslegung der gesetzlichen Neuregelung des § 20a IfSG habe für die Klägerin seit dem 16.03.2022 bereits unmittelbar aus § 20a Abs. 1 IfSG ein gesetzliches Tätigkeitsverbot für ihre vertraglich geschuldete Tätigkeit bei der Beklagten bestanden. Zu einer anderen Auslegung bestehe weder aus der Entstehungsgeschichte noch aus der Systematik oder dem Zweck der gesetzlichen Regelung des § 20a IfSG Anlass. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/188 Seite 40) werde ausdrücklich benannt, dass aus § 20a IfSG eine gesetzliche Tätigkeitsvoraussetzung und damit eine rechtliche Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis folgen solle. In der Entstehungsgeschichte der Norm sei stets von einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht ab dem 15.03.2022 die Rede gewesen. Müsste erst ein behördliches Betretungs- bzw. Tätigkeitsverbot nach § 20a Abs. 5 IfSG abgewartet werden, wäre gerade in Anbetracht der erheblichen Belastung der Gesundheitsämter in der aktuellen Pandemie die Situation der Erlass eines solchen Verbotes regelmäßig nicht zeitnah zu erwarten und eine praktisch relevante einrichtungsbezogene Impfpflicht würde sich regelmäßig erst Monate später ergeben. Auch aus der teleologischen Auslegung des § 20a IfSG ergebe sich nichts Anderes. Ziel des Gesetzes sei die Förderung von zeitnahen Impfungen und damit die zeitnahe Erhöhung der Impfquote im Bereich des Pflegepersonals gewesen, um vulnerable Personen möglichst zeitnah besser zu schützen.

Darüberhinausgehend ergebe sich vorliegend selbst dann, wenn man der klägerseitig vertretenen abweichenden Auslegung des § 20a IfSG folgen würde, vorliegend kein Verzugslohnanspruch der Klägerin. Es stehe einem Arbeitgeber grundsätzlich frei, im Rahmen der Pandemiebekämpfung auch über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehend eigene Regelungen zu treffen, soweit sich diese bei der vorzunehmenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten als verhältnismäßig und interessengerecht erwiesen. Hiervon ausgehend stelle sich die Entscheidung der Beklagten, in ihrer Einrichtung ab dem 16.03.2022 nur noch immunisiertes Personal tätig werden zu lassen, als verhältnismäßig und interessengerecht dar. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits entschieden, dass die der gesetzlichen Bewertung des § 20a IfSG zugrundeliegenden Abwägungen des Gesetzgebers verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden seien.

Gegen dieses ihr am 27.09.2022 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21.10.2022 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist fristgemäß am 27.12.2022 begründet.

Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht sein Urteil auf die Unzulässigkeit der Klage gestützt. Die Vorschriften der § 139 Abs. 2 ZPO, § 46 Abs. 2 ArbGG seien unrichtig angewendet worden. Wenn der erforderliche gerichtliche Hinweis erteilt worden wäre, so hätte Klägerin die Beträge im Hinblick auf das erhaltene Arbeitslosengeld rechtzeitig beziffert. Die Klägerin beziffert in der Berufungsbegründung nunmehr das bezogene Arbeitslosengeld für 77 Tage auf 6.878,67 €. Mit weiterem Schriftsatz vom 17.05.2023 hat sie diesen Betrag korrigiert auf einen Auszahlungsbetrag von insgesamt 3.432,66 € netto.

Hinsichtlich der Begründetheit habe das Arbeitsgericht unzutreffend angenommen, dass die Klägerin mangels Vorlage eines Nachweises gemäß § 22a IfSG nicht leistungsfähig gewesen sei. Das Gericht gehe sogar von einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot aus. Dies erscheine aber äußerst fernliegend, da in diesem Fall nicht mehr zu erkennen sei, wozu das behördliche Ermessen des Gesundheitsamtes, das § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG vorgesehen sei, dienen solle. Ein Pflegenotstand könnte ggf. nicht mehr abgewendet werden.

Nach § 20a Abs. 1 IfSG "müssen" Personen, die in einer entsprechenden Einrichtung "tätig sind" über einen Nachweis verfügen. Von einem Beschäftigungsverbot sei im Wortlaut gerade keine Rede. Die Entscheidungsbegründung durch das Arbeitsgericht sei insoweit widersprüchlich. Einerseits werde das Gesetz als "eindeutig" andererseits aber auch als "unklar formuliert" bezeichnet. Richtigerweise sei aber ein gesetzliches Beschäftigungsverbot für die vor dem 16.03.2022 Beschäftigten nicht vorgesehen. Der Unterschied zwischen den vor und nach dem 15.03.2022 Beschäftigten sei aufgrund des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes naheliegend. Auch die Begründung des Bundesverfassungsgerichts in dem Beschluss 1 BvR 2649/21 lasse nicht erkennen, dass das Bundesverfassungsgericht von der Möglichkeit einer unbezahlten einseitigen Freistellung durch den Arbeitgeber ausgegangen sei.

Insbesondere in der "Handreichung zu Impfprävention in Bezug auf einrichtungsbezogene Tätigkeiten" des Bundesgesundheitsministeriums heiße es ausdrücklich:

"Die öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 20a IfSG begründet kein Recht des Arbeitgebers zur Freistellung."

Soweit das Arbeitsgericht aus der Gesetzbegründung zitierte, wonach eine "rechtliche Pflicht aus dem Arbeitsrecht" begründet werde, sei darauf hinzuweisen, dass sich die zitierte Passage ausschließlich mit dem Datenschutz befasse.

Bezüglich der "Langsamkeit" der Gesundheitsämter sei eine genaue Prüfung durch die Behörden gerade gewollt gewesen. Zur Vermeidung eines Pflegenotstandes sollte nicht von einem Tag auf den anderen ein gesetzliches Tätigkeitsverbot erfolgen.

Wenn das Arbeitsgericht schließlich darauf abstelle, dass in der Entstehungsgeschichte von einer "Impfpflicht" die Rede gewesen sei, so gebe es lediglich ein verbreitetes Missverständnis in der öffentlichen Kommunikation wieder.

Gegen eine Berechtigung zur einseitigen unbezahlten Freistellung durch den Arbeitgeber spreche auch die systematische Auslegung des Gesetzes.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts B-Stadt vom 13.09.2022 zum Aktenzeichen abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 8.028,11 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2022 auf 1.271,05 € brutto, sowie auf weitere 3.378,53 € brutto seit dem 01.05.2022 und auf weitere 3.378,53 € brutto seit dem 01.06.2022 abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 3.432,66 € netto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte schließt sich den Ausführungen des Arbeitsgerichts Braunschweig in dem angefochtenen Urteil an. Soweit die Klägerin auf Seite 24 der Berufungsbegründung vorsorglich bestreite, dass von ihr gegenüber einer geimpften Person ein erhöhtes Infektionsrisiko ausgehen würde, werde seitens der Beklagten behauptet, dass von ungeimpften Personen im Vergleich zu geimpften Personen ein erhöhtes Infektionsrisiko ausgeht. Die Klägerin sei im streitbefangenen Zeitraum mangels Nachweises im Sinne von § 22a IfSG nicht leistungsfähig gewesen. Die Beklagte teile die vorzugswürdige Auffassung, wonach § 20a Abs. 1 IfSG auch für Beschäftigte, die bereits vor dem 16.03.2022 in der Einrichtung tätig waren und keinen Nachweis im Sinne von § 20a Abs. 1, § 22a IfSG erbringen könnten, ein Beschäftigungsverbot bestehe. Es habe der Beklagten grundsätzlich freigestanden, im Rahmen der Pandemiebekämpfung auch über die gesetzlichen Vorgaben eventuell hinausgehende eigene Regelungen zu treffen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Protokollerklärungen der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig gemäß §§ 519, 520 ZPO, §§ 64, 66 ArbGG.

Sie ist auch - bis auf einen kleinen Teil des Zinsanspruches - begründet.

1.

Die Kammer ist mit dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 03.02.2023 Az: 7 Sa 67/22, NZA - RR 23, 180) wonach in § 20a IfSG in der Fassung vom 18.03.2022 für "Bestandsarbeitnehmern" kein gesetzliches Tätigkeitsverbot angeordnet ist und ein fehlender Nachweis über eine erfolgte Impfung auch nicht der Leistungsfähigkeit im Sinne des § 293, 294 BGB entgegensteht.

Das Arbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung die allgemein üblichen Kriterien der Gesetzesauslegung, nämlich Wortlaut, systematischer Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Regelung eingehend behandelt. Auch in der Berufung sind eventuelle übergangene oder zusätzliche wesentliche Aspekte nicht zu Tage getreten. Gleichwohl teilt die Kammer das vom Arbeitsgericht begründete Auslegungsergebnis nicht.

Hinsichtlich des Wortlautes ist zunächst herauszustellen, dass das Gesetz keine gesetzliche Impflicht formuliert, sondern lediglich die Pflicht zur Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises. Insoweit ist sorgfältig zwischen Begrifflichkeiten der politischen Debatte und der Gesetzessprache zu unterscheiden. Die gesetzliche Regelung bewirkt insoweit allenfalls eine mittelbare Impflicht, weil bereits durch die Möglichkeit eines Genesenennachweises sowie einer medizinischen Kontraindikation faktisch wirksame Ausnahmen von einer allgemeinen Impfnachweispflicht bestehen.

Für das Verständnis der weiteren differenzierten Regelungen des § 20a IfSG ist zunächst klarzustellen, dass diese allgemein für alle Personen gelten, die in den betroffenen Einrichtungen tätig werden sollen, unabhängig von der rechtlichen Grundlage dieses Tätigwerdens. Betroffen sind also insbesondere externe Dienstleister wie Physiotherapeuten, Friseure etc. Zwar stellt das Gesetz in § 20a Abs. 1 zunächst für alle genannten Personenkreise eine rechtliche Verpflichtung über die Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises auf ("müssen"). Die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Rechtspflicht sind in dem Gesetz jedoch nur unvollständig geregelt. Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass § 20a IfSG öffentlich-rechtlichen Charakter aufweist und insoweit auch nicht den Anspruch erhebt, sämtliche zivilrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Umsetzung dieser öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen zu regeln.

Ein ausdrückliches Verbot des Tätigwerdens nennt das Gesetz am zwei Stellen: Nach § 20a Abs. 3 Satz 1 und 5 dürfen Personen, die in den genannten Einrichtungen "ab dem 16.03.2022 tätig werden sollen" und keinen Nachweis nach Abs. 2 Satz 1 vorlegen, in den genannten Einrichtungen nicht tätig werden. Insoweit hat sich die Auslegung durchgesetzt, dass das Gesetz mit dieser Bezeichnung eines Stichtages zwischen Neubeschäftigten und Bestandsbeschäftigten unterscheidet. Es mag dahinstehen, wie dies in Bezug auf die Personengruppe freiberuflicher externer Dienstleister anzuwenden ist. Jedenfalls in Bezug auf die Beschäftigung eigener Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besteht im Ergebnis Übereinstimmung, dass bei Neueinstellungen ab dem 16.03.2022 die Vorlage eines Impfnachweises zwingende Voraussetzung eines tatsächlichen Tätigwerdens ist. Ebenso klar ergibt sich das aus § 20a Abs. 5 IfSG für den Fall, dass das Gesundheitsamt ausdrücklich ein Tätigkeitsverbot ausspricht. Ausdrücklich auf diesen Fall bezieht sich auch die Formulierung in der Gesetzesbegründung, wonach für diesen Personenkreis die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers entfällt.

Damit ergibt sich der Befund, dass für "Bestandsarbeitnehmer" ein unmittelbar geltendes gesetzliches Tätigkeits- und Beschäftigungsverbot dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmen ist. Denn tatsächlich hätte ein solches Verständnis der gesetzlichen Regelung zur Folge, worauf auch die Berufung hinweist, dass mit Wirkung vom 16.03.2022 ohne jegliche weitere Prüfung es sämtlichen einschlägigen Einrichtungen innerhalb der gesamten Bundesrepublik Deutschland verboten gewesen wäre, diesen Kreis der Beschäftigten tatsächlich weiter einzusetzen. Ein derartiger drastischer Schritt hätte allerdings ganz erhebliche Risiken für die Aufrechterhaltung des Pflegebetriebs in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen bedeutet. Zwar weist das Arbeitsgericht auch zutreffend auf den Aspekt hin, dass nach ganz überwiegender Einschätzung der Fachwissenschaften, denen auch das Bundesverfassungsgericht gefolgt ist, zur Eingrenzung der Pandemie zeitnahe Maßnahmen zur Erhöhung der Immunisierung, gerade bei der Betreuung vulnerabler Personengruppen, erreicht werden sollten. Andererseits hatte der Gesetzgeber aber im Auge zu halten, dass angesichts ohnehin bestehender Personalknappheit im Pflegebereich eine ausreichende Aufrechterhaltung der Patientenversorgung ebenfalls zu gewährleisten war. Das Gesetz hat sich daher für eine ortsbezogene Sachprüfung und Ermessensentscheidung im Einzelfall durch die örtlich zuständigen Gesundheitsämter entschieden. Dass angesichts der zum damaligen Zeitpunkt bereits öffentlich bekannt geworden erheblichen Belastungen der Gesundheitsämter insoweit ein zeitnahes Handeln nicht immer gewährleistet werden konnte, hat der Gesetzgeber insoweit in Kauf genommen. Ein generelles rechtliches Tätigkeitsverbot für Bestandsarbeitskräfte kann der Gesamtregelung des § 20a IfSG aber im Ergebnis nicht entnommen werden. Das bedeutet umgekehrt, dass auch der Beklagten ein weiterer Einsatz der Klägerin nicht rechtlich verboten war. Die Beklagte hat ihre öffentlich-rechtlichen Handlungspflichten vielmehr dadurch erfüllt, wenn sie nach § 20a Abs. 2 IfSG die entsprechende Person dem Gesundheitsamt gemeldet hat.

Diese Sichtweise wird im Übrigen auch von dem maßgeblich an dem Gesetz beteiligten Bundesministerium für Gesundheit in der Handreichung "Impfprävention im Bereich einrichtungsbezogener Tätigkeiten" (Bl. 113 ff.d.A.) bestätigt.

Hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Umsetzung dieser öffentlich-rechtlichen Vorgaben kann es dahinstehen, ob ein Fall der Unmöglichkeit oder des Annahmeverzuges vorliegt (vgl. dazu Gesetzesbegründung). Jedenfalls war die Leistungserbringung für die Klägerin weder objektiv noch subjektiv unmöglich im Sinne der §§ 293, 294 BGB. Sie hat damit ihre Arbeitsleistung ordnungsgemäß angeboten.

Infolgedessen kann sie die Zahlung des vertraglich vereinbarten Entgelts für den Zeitraum der einseitigen Freistellung, von der Arbeitsleistung verlangen.

2.

Eine über das Gesetz hinausgehende Befugnis der Arbeitgeberin zur Freistellung der Klägerin aus Gründen des Gesundheitsschutzes gegenüber Patienten und anderen Mitarbeitern kann hingegen nicht angenommen werden. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie im Grundsatz bereits bestätigt, dass der Arbeitgeber berechtigt sein kann, Maßnahmen des Gesundheitsschutzes über das gesetzlich verlangte Mindestmaß hinaus anzuordnen. Eine Rechtsgrundlage dafür kann sich aus § 618 Abs.1 BGB iVm. § 106 Satz 2 GewO ergeben.

Das Bundesarbeitsgericht hat dazu ausgeführt (Urteil vom 01.06.22 5 AZR 28/22, AP Nr. 170 zu § 615 BGB):

"Eine Bestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Einzelfalls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Erforderlich ist eine Abwägung nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb dieses Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Ob die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB. Hierbei kommt es nicht auf die vom Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen an, sondern darauf, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte."

Es ist in dem Freistellungsschreiben vom 16.03.2022 schon sprachlich nicht klar erkennbar, ob die Beklagte überhaupt eine über das Gesetz hinausgehende eigene Entscheidung treffen wollte oder vielmehr meinte, die gesetzliche Regelung schlicht konsequent umzusetzen. Selbst wenn man eine eigene Entscheidung der Beklagten annehmen wollte, wäre diese aber nicht als wirksam zu bewerten.

Bei der rechtlichen Beurteilung ist die unterschiedliche Qualität verschiedener Maßnahmen zu berücksichtigen. Zwar berühren auch die Verpflichtung zum Erbringen eines Tests (etwa LAG Mecklenburg-Vorpommern 14.09.22, 3 Sa 46/22, NZA-RR 23,12) oder zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Mitarbeiter. Mit der von der Beklagten erklärten Freistellung von der Arbeitsleistung ohne Entgeltfortzahlung wollte die Beklagte jedoch die Klägerin dazu bewegen, von ihrer erklärten Entscheidung, sich nicht impfen lassen zu wollen, abzurücken. Die Durchführung einer Impfung stellt aber einen intensiven Eingriff in die körperliche Integrität dar. Einem entsprechenden Verlangen des Arbeitgebers müssen deshalb erhöhte Anforderungen in Bezug auf die gebotene Güterabwägung gegenüberstehen (vgl. BAG 30.3.23, 2 AZR 309/22, juris). Da der Gesetzgeber erkennbar in § 20a IfSG bereits eine Güterabwägung getroffen hat, müssten besondere Umstände in der Einrichtung der Beklagten es erfordert oder zumindest gerechtfertigt haben, darüber hinaus zu gehen. Es ist entbehrlich, hierzu weitere inhaltliche Anforderungen zu entwickeln, denn es fehlt insoweit an konkretem Sachvortrag der Beklagten, der subsumtionsfähig wäre.

3.

Die Zinsentscheidung folgt aus § 288 Abs.1 BGB. Da die Anspruchsübergänge den Zinsanspruch reduzieren und die Zinsberechnung taggenau durchzuführen ist, konnte die Kammer nur auf die Kalenderdaten der vorgelegten Leistungsbescheide zurückgreifen. Wegen evtl. geringfügiger Differenzen ist die Berufung insoweit zurückgewiesen worden.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.