Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.10.1996, Az.: 14(11) Sa 1025/96
Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente nach dem Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT)
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 10.10.1996
- Aktenzeichen
- 14(11) Sa 1025/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 12007
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1996:1010.14.11SA1025.96.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hildesheim 14.05.1996 - 2 Ca 674/95
- nachfolgend
- BAG - 11.03.1998 - AZ: 7 AZR 101/97
Rechtsgrundlage
- § 59 BAT
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
Amtlicher Leitsatz
Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gem. § 59 I BAT tritt nicht ein, wenn der Angestellte den Rentenantrag innerhalb der Widerspruchsfrist gegen den Rentenbescheid zurücknimmt und den Arbeitgeber darüber ebenfalls vor dem Ablauf der Widerspruchsfrist unterrichtet. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Rücknahme des Rentenantrags darauf beruht, daß der Rentenversicherungsträger dem Antrag nicht voll entsprochen hat (hier: Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrenten auf einen Antrag auf Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente).
In dem Rechtsstreit
hat die 14. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 10.10.1996
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 14.05.1996 (Az. 2 Ca 674/95) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der am 16.07.1943 geborene Kläger ist bei dem beklagten Land seit dem 01.06.1977 als Pflegehelfer im Niedersächsischen Landeskrankenhaus in, ... beschäftigt gewesen.
Im Anstellungsvertrag ist die Geltung des Bundes-Angestelltentarifvertrags BAT vereinbart.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 01.03.1995 beim Versorgungsamt Hildesheim die Bewilligung einer Erwerbsunfähigkeitsrente.
Auf diesen Antrag hin bewilligte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte BfA dem Kläger mit Bescheid vom 13.10.1995 mit Wirkung ab 01.06.1995 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit und lehnte gleichzeitig eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab.
Dieser Bescheid ist dem Kläger am 21.10.1995 zugegangen, die entsprechende Mitteilung der BfA über diesen Bescheid dem beklagten Land am 23.10.1995.
Mit Schreiben vom 26.10.1995 erhob der Kläger gegenüber der BfA gegen die Ablehnung seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit Widerspruch. Mit einem weiteren Schreiben an die BfA vom 01.11.1995 hat der Kläger seinen Rentenantrag vom 01.03.1995 zurückgenommen.
Mit Schreiben vom 06.11.1995 hat das beklagte Land gegenüber dem Kläger die Auffassung vertreten, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund des Rentenbescheids der BfA vom 13.10.1995 mit Ablauf des 31.10.1995 beendet worden sei.
Mit Schreiben vom 18.12.1995 unterrichtete die BfA den Kläger darüber, daß sein Widerspruch voraussichtlich unbegründet sei und daß er sich wegen etwaiger Auswirkungen des"Verzichts auf Ansprüche auf Sozialleistung" im Schreiben vom 01.11.1995 auf das Arbeitsverhältnis an seinen Arbeitgeber wenden möge. Mit Bescheid vom 05.08.1996 hat die BfA die Gegenstandslosigkeit des Rentenbescheids vom 13.10.1995 wegen Antragsrücknahme im Schreiben des Klägers vom 01.11.1995 bestätigt.
Der Kläger hat mit der dem beklagten Land am 17.11.1995 zugestellten Klage geltend gemacht, daß sein Arbeitsverhältnis wegen der Rücknahme seines Rentenantrags vor der Bestandskraft des Rentenbescheids sowie auch deshalb nicht gemäß § 59 BAT beendet worden sei, da er - wie er in erster Instanz behauptet hat - anderweitig weiterbeschäftigt werden könne.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 31.10.1995 aufgelöst worden ist.
Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land hat geltend gemacht, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund des Rentenbescheids vom 13.10.1995 gemäß § 59 BAT mit Ablauf des 31.10.1995 beendet worden sei und daß seiner Behauptung nach eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit nicht bestehe.
Das Arbeitsgericht, auf dessen Urteil auch wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes verwiesen wird, wie er in erster Instanz zur Entscheidung vorgelegen hat, hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, daß die Voraussetzungen für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 59 I BAT nicht vorliegen würden, da der Rentenbescheid vom 13.10.1995 durch die
Rücknahme des Rentenantrags seitens des Klägers vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheids nichtig geworden sei.
Mit der Berufung macht das beklagte Land weiterhin geltend, daß das Arbeitsverhältnis gemäß § 59 I BAT aufgrund der Bewilligung der Berufsunfähigkeitsrente im Bescheid vom 13.10.1995 mit Ablauf des 31.10.1995 beendet worden sei und daß die Rücknahme des Rentenantrags seitens des Klägers hierauf keinen Einfluß habe, da § 59 I BAT keine Bestandskraft des Rentenbescheids voraussetze.
Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 14.05.1996 Az. 2 Ca 674/95 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und meint weiterhin, durch seine Rücknahme des Rentenantrags sei der Rentenbescheid vom 13.10.1995 nichtig geworden mit der Folge, daß die Voraussetzungen für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 59 I BAT rückwirkend entfallen seien.
Zur Frage einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit hat der Kläger in der Berufungsverhandlung erklärt, daß er nicht in der Lage sei, anderweitige Arbeitsplätze, auf denen er unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustandes weiterbeschäftigt werden könne, konkret zu benennen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nicht begründet.
Die gemäß § 256 ZPO zulässige Feststellungsklage ist begründet, da das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit Ablauf des 31.10.1995 beendet worden ist.
Die als Beendigungssachverhalt lediglich in Betracht kommende Regelung des aufgrund der Vereinbarung im Arbeitsvertrag als Vertragsrecht geltenden § 59 I BAT hat nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt.
Dies ergibt sich entgegen der vom Kläger geäußerten Ansicht allerdings nicht bereits daraus, daß es an einer Versorgung außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung fehlen würde, zu der der Arbeitgeber Mittel beigesteuert hat, da dem Kläger auch im Fall der Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitsrente ein Anspruch auf Versorgungsrente der VBL zusteht, §§ 36, 37, 39 I f. 41 III der Satzung der VBL.
Die Voraussetzungen für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 59 I 1 BAT liegen jedoch bereits deshalb nicht vor, weil es aufgrund der Rücknahme des Rentenantrags seitens des Klägers vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des Rentenbescheids der BfA vom 13.10.1995 an einem für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlichen wirksamen Rentenbescheid fehlt.
Zwar ergibt sich aus der Regelung des § 59 I 1 BAT, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats endet, in dem der Rentenbescheid zugestellt wird, daß es lediglich auf den Erlaß des Rentenbescheids und nicht auf den Eintritt seiner Bestandskraft ankommt, da zum Zeitpunkt des Ablaufs des Zustellungsmonats die Rechtsmittelfrist regelmäßig nicht abgelaufen ist.
Daraus läßt sich jedoch nicht ableiten, daß für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 59 I 1 BAT lediglich der formelle Vorgang des Erlasses eines Rentenbescheids ausreichend ist. Es ist vielmehr auch zu verlangen, daß dieser Bescheid jedenfalls zunächst wirksam und nicht nichtig ist, da ein nichtiger Rentenbescheid gemäß § 39 III SGB X (ebenso§ 43 III VwVfG) grundsätzlich keinerlei Rechtswirkungen entfaltet und damit auch nicht geeignet ist, unter den weiteren Voraussetzungen des § 59 I BAT im Wege einer entsprechenden auflösenden Bedingung oder Befristung (vgl. dazu BAG AP Nr. 5 bzw. Nr. 6 zu§ 59 BAT) zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu führen.
Der Rentenbescheid der BfA vom 13.10.1995 ist hier durch die Rücknahme des Rentenantrags seitens des Klägers vom 01.11.1995 nichtig geworden, da es sich bei der Bewilligung einer Rente um einen mitwirkungsbedürftigen Verwaltungsakt in dem Sinne handelt, daß eine Entscheidung materiell-rechtlich nur auf Antrag des Betroffenen ergehen darf und daß das ursprüngliche Fehlen wie die Rücknahme des Antrags vor der Bestandskraft des Bescheids zu dessen Nichtigkeit führt.
Die Gewährung einer Erwerbs- wie einer Berufsunfähigkeitsrente erfordert materiell-rechtlich einen entsprechenden Antrag, § 115 I SGB VI (SGB-SozVers-Geskomm-Schneider-Danwitz Anm. 26 b zu § 40 SGB X m. w. Nachw.), wobei der Antrag auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente auch den Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente mit umfaßt (Kasskomm-Niesel Rdn. 47 zu § 44 SGB VI).
Diesen Rentenantrag hat der Kläger auch nach dem Erlaß des Bescheids vom 13.10.1995 vor dem Ablauf der Widerspruchsfrist durch sein Schreiben vom 01.11.1995 wirksam zurückgenommen, da der Rentenbescheid gegenüber dem Versicherten erst mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit bindend wird und bis zu diesem Zeitpunkt seiner Disposition unterliegt (BSG Urteil vom 09.08.1995 Az. 13 RJ 43/94 = BSG E 76, 218 ff, SGB-SozVers-Geskomm-Schneider-Danwitz Anm. 5 b zu § 31 SGB X).
Dies gilt auch dann, wenn von der Antragsrücknahme weitere Auswirkungen des Rentenbescheids wie Erstattungsansprüche der Krankenkasse aus §§ 103 SGB X, 50 SGB V betroffen werden (BSG a.a.O.).
Mit der Rücknahme des Rentenantrags ist eine notwendige Tatbestandsvoraussetzung für den Rentenanspruch rückwirkend mit der Rechtsfolge entfallen, daß der ergangene Rentenbescheid als von Anfang an unwirksam anzusehen ist (SGB-SozVers-Geskomm-Schneider-Danwitz Anm. 16 zu § 40 SGB X m. w. Nachw.).
Eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers zum Ablauf des 31.10.1995 wäre auch dann nicht eingetreten, wenn man der Rücknahme des Rentenantrags vor dem Eintritt der Bestandskraft des Rentenbescheids nicht die Wirkung einer rückwirkenden Nichtigkeit des Rentenbescheids beimessen wollte.
Für diesen Fall ist die Regelung des § 59 I BAT ihrerseits dahin auszulegen, daß eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumindest in dem Sonderfall nicht eintritt, daß der Rentenantrag des Angestellten teilweise abgewiesen wird, er darauf den Rentenantrag vor dem Eintritt der Bestandskraft des Rentenbescheids zurücknimmt und er den Arbeitgeber hierüber ebenfalls noch vor dem Eintritt der Bestandskraft des Rentenbescheids unterrichtet.
Mit der bereits angesprochenen Regelung, daß die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 59 I BAT eine Bestandskraft des Rentenbescheids zeitlich gesehen nicht voraussetzt, ist noch keiner Entscheidung darüber verbunden, welche Auswirkungen es hat, wenn der Rentenbescheid nach dem weiteren Bescheid der BfA vom 05.08.1996 wegen Rücknahme des Rentenantrags "gegenstandslos" geworden ist.
Da § 59 I BAT insoweit keine ausdrückliche Regelung trifft und sich aus der Entstehungsgeschichte ebenfalls keine Anhaltspunkte ergeben (vgl. insoweit die Feststellungen des Urteils des LAG Hamm vom 23.10.1979 EzA § 59 BAT Nr. 2), ist diese Frage allein im Wege der Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Regelung und ihrer Systematik zu beantworten.
Die Regelung des § 59 I BAT dient einmal zum Schutz des Arbeitnehmers, der nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige Arbeit zu leisten, davor, sich durch eine Fortsetzung seiner Tätigkeit weitere gesundheitliche Schäden zuzuziehen. Für den Fall einer wirtschaftlichen Absicherung durch die zuerkannte Rente wird dem Arbeitnehmer in diesem Fall die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne den Schutz der kündigungsrechtlichen Vorschriften zugemutet, was in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Umgehung von Bestandsschutzregelungen für den Fall der Bewilligung lediglich einer Berufsunfähigkeitsrente dahin gehend eingeschränkt wird, daß es an einer anderweitigen zumutbaren Beschäftigungsmöglichkeit fehlt (BAG AP Nr. 6 zu § 59 BAT). Daneben soll es dem Arbeitgeber unter im Vergleich zum Kündigungsschutzrecht erleichterten Voraussetzungen ermöglicht werden, sich alsbald von einem Arbeitnehmer zu trennen, der nicht mehr in der Lage ist, seine bisherige Tätigkeit auszuüben, und den Arbeitsplatz alsbald neu besetzen zu können (vgl. BAG AP Nr. 3 zu§ 59 BAT, LAG Hamm EzA § 59 BAT Nr. 2, LAG Frankfurt EzA § 59 BAT Nr. 8).
Auf der Grundlage dieser Zielsetzungen des § 59 I BAT ist eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers nicht eingetreten. Die Rücknahme seines Rentenantrags hat darauf beruht, daß die BfA den Antrag auf eine Erwerbsunfähigkeitsrente teilweise abgewiesen und dem Kläger lediglich eine Berufsunfähigkeitsrente zugesprochen hat. Dadurch hat der Kläger den mit seiner Antragstellung erwarteten Grad an wirtschaftlicher Absicherung durch die Rente nicht erreicht. In dieser Situation besteht eine berechtigtes Interesse des Klägers an einem Verzicht auf die lediglich zuerkannte Berufsunfähigkeitsrente und einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Gewichtige Interessen des beklagten Landes sind bei einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht verletzt, da dem beklagten Land mit der Zustellung der Klagschrift am 17.11.1995 noch vor dem Ablauf der Widerspruchsfrist gegen den Rentenbescheid bekannt geworden ist, daß der Kläger eine Beendigung seines Arbeitsverhältnisses zum 31.10.1995 ablehnt und eine anderweitige Disposition des beklagten Landes hinsichtlich des Arbeitsplatzes des Klägers vor der Zustellung der Klagschrift nicht erkennbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 II Nr. 1 ArbGG.