Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.10.1996, Az.: 12 Sa 1007/95
Auslegung einer Versorgungsordnung bei Saisonarbeitsverhältnissen; Altersversorgung; Genossenschaft; Betriebsrente
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 29.10.1996
- Aktenzeichen
- 12 Sa 1007/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 10797
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1996:1029.12SA1007.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Emden - AZ: 1 Ca 379/94
Rechtsgrundlage
- § 1 I BetrAVG
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
Amtlicher Leitsatz
Zur Auslegung einer Versorgungsordnung ("zusammenhängende Dienstzeit") bei Saisonarbeitsverhältnissen.
In dem Rechtsstreit
hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die ... mündliche Verhandlung vom 30. Juli 1996
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ...
fürRecht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 30. März 1995 - 1 Ca 379/94 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Streitwert: unverändert.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger gegenüber der beklagten Genossenschaft einen Anspruch auf zusätzliche Altersversorgung erworben hat.
Der am 17. August 1932 geborene Kläger war in der Zeit vom 27. Juli 1953 bis 16. August 1991 bei der Beklagten als Arbeitnehmer in der Tiefbauabteilung tätig. Er wurde als Saisonarbeiter beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nicht. Wann und wielange das Arbeitsverhältnis im einzelnen unterbrochen gewesen ist, konnte nicht genau rekonstruiert werden. Seit dem 01. September 1993 bezieht der Kläger die gesetzliche Altersrente.
In einem Beschluß von Vorstand und Aufsichtsrat der Beklagten vom 30. Dezember 1957 (Fotokopie Bl. 25 d.A.) heißt es u. a.:
"Es wird einstimmig eine zusätzliche Altersversorgung ab 1957 beschlossen, die alle Arbeitskräfte mit siebenjähriger Betriebszugehörigkeit umfaßt."
Die ab 01. Januar 1958 inkraft getretene Versorgungsordnung der Beklagten (Fotokopien Bl. 26-30 d.A.) enthält folgenden Passus:
"2. Aufnahme in die Versorgung
Alle Betriebsangehörigen, die in Zukunft eine zusammenhängende Dienstzeit von 7 Jahren erreichen, treten jeweils mit dem folgenden 1. Januar in die Versorgung ein."
Eine am 10. Dezember 1978 abgeschlossene Betriebsvereinbarung für den Betrieb der Beklagten lautet
"Die für die betriebliche Altersversorgung zugrundeliegende Versorgungsordnung von 1958 wird wie folgt geändert:
3. Altersrente
Versorgungsberechtigte Betriebsangehörige, die nach Erreichen der flexiblen Altersgrenze aus den Diensten der Firma ausscheiden, erhalten eine lebenslängliche Altersrente. Die Altersgrenze bei männlichen Betriebsangehörigen ist mit Vollendung des 63. Lebensjahres, bei weiblichen Betriebsangehörigen mit Vollendung des 60. Lebensjahres erreicht.
Diese Änderung gilt ab 1. Januar 1979."
In einem sogenannten Protokoll vom 02. Juli 1991 wird bestimmt:
"Arbeitnehmer, die auf eigenen Wunsch aus unserer Firma ausgeschieden oder ausgeschieden sind, haben keinen Anspruch auf die betriebliche Altersversorgung."
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung einer monatlichen betrieblichen Altersrente ab 01. September 1993.
Er hat die Auffassung vertreten, ihm stehe trotz saisonaler Unterbrechungen eine Betriebsrente zu.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Betriebsrente aus der Versorgungsordnung vom 30.12.1957 bzw. aus der Betriebsvereinbarung vom 10.12.1979 zu gewähren.
sowie
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 7.339,16 netto nebst 4 % Zinsen ab Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage hinsichtlich beider Anträge abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, ein Anspruch auf Betriebsrente entfalle, weil der Kläger die siebenjährige Wartezeit nicht erfüllt habe. Das Arbeitsverhältnis habe jeweils geendet und sei neu begründet worden.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils (Bl. 122-127 d. A.) sowie den Inhalt der zu den Akten 1. Instanz gelangten Schriftsätze und Anlagen verwiesen.
Das Arbeitsgericht Emden hat durch das am 30. März 1995 verkündete hiermit in Bezug genommene Teilurteil (Bl. 121-130 d.A.) festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger auf der Grundlage der Versorgungsordnung vom 30.12.1957/Betriebsvereinbarung vom 10.12.1979 eine Betriebsrente zu gewähren. Die Kostenentscheidung hat es dem Schlußurteil vorbehalten und den Streitwert auf 4.320,00 DM festgesetzt.
Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe die Wartezeit von sieben Jahren erfüllt. Sowohl der Wortlaut als auch die Ausgestaltung der arbeitsvertraglichen Beziehungen und erstrecht die von der Beklagten praktizierte Handhabung in der Vergangenheit sprächen dafür im Falle des Klägers von einer"zusammenhängenden Wartezeit" auszugehen.
Gegen das ihr am 19. April 1995 zugestellte Teilurteil hat die Beklagte am 18. Mai 1995 Berufung eingelegt und diese am 02. Juni 1995 begründet.
Sie macht geltend, dem Kläger sei die betriebliche Altersversorgung zum einen bereits zu versagen, weil er vor Erreichen der Altersgrenze (Vollendung des 65. bzw. 63. Lebensjahres) bei ihr ausgeschieden sei und zum anderen, weil sein Ausscheiden freiwillig gewesen sei. Im übrigen habe der Kläger auch nicht eine"zusammenhängende" Dienstzeit von sieben Jahren geleistet. Die Betriebsrente habe sich allein auf das Stammpersonal der Beklagten beschränkt. Keinesfalls sollten von ihr auch die zahlreichen Saisonarbeiter erfaßt werden. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger sei vielfach durch Kündigung beendet worden und er habe danach Arbeitslosengeld erhalten. Ein Einstellungsanspruch für die folgende Saison habe nicht bestanden. Soweit in der vorgelegten Urkunde dem Kläger durch die Beklagte eine 25-jährige Betriebszugehörigkeit bestätigt werde, sei diese so zu verstehen, daß eine Zugehörigkeit zu dem Betrieb der Beklagten als Saisonarbeiter für den Zeitraum von 25 Jahren vorliege. Für das Vorliegen einer"zusammenhängenden" Dienstzeit lasse sich aus dieser Urkunde nichts entnehmen. Wenn sie Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung nach der Versorgungsordnung auch Saisonarbeitern gewähren, sei dies nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Eine Altersrente werde nach der Versorgungsordnung nicht für Saisonarbeiter gewährt.
Die Beklagte beantragt,
das Teilurteil des Arbeitsgerichts Emden vom 30. März 1995, Az.: 1 Ca 379/94, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 11. Juli 1996 (Bl. 148-153 d.A. nebst Anlagen Bl. 154-243 d.A.).
Wegen des weiteren Parteivorbringens 2. Instanz wird auf den Inhalt der vor dem Berufungsgericht gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschrift vom 30. Juli 1996 (Bl. 266, 267 d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach der Beschwer statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) form- sowie fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 ArbGG, 518, 519 ZPO) hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zurecht und mit zutreffender Begründung dem Feststellungsbegehren des Klägers stattgegeben. Das erkennende Gericht schließt sich gem. § 543 Abs. 1 ZPO den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts an und beschränkt sich im Hinblick auf die Angriffe der Berufung auf nachfolgende ergänzende Ausführungen:
Der Kläger hat Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung nach Maßgabe der Versorgungsordnung der Beklagten vom 30. Dezember 1957 (VO). Die Voraussetzung einer zusammenhängenden Dienstzeit von sieben Jahren (Nr. 2. VO) wird von ihm erfüllt obwohl er nicht ständig und durchgehend von 1953 bis 1991 von der Beklagten beschäftigt worden ist. Zutreffend weist der Kläger daraufhin, daß der Begriff "zusammenhängend" nicht mit "ununterbrochen" oder "durchgehend" gleichgesetzt werden kann. Versteht man - wie vom Kläger zitiert - unter"Zusammenhang" eine Verbindung einzelner Teile, eine "sinngemäße Beziehung", dann ist damit in der Tat die Verknüpfung von Teilen und nicht ein ungeteiltes einziges Ganzes zu verstehen. Berücksichtigt man nun die Betriebsstruktur der Beklagten, wo zwar das ganze Jahr über gearbeitet wird, die Beschäftigtenzahl jedoch saisonalen Schwankungen unterworfen ist, weil auf Grund periodischen Arbeitsanfalls die Beschäftigung gewisser Arbeitnehmer immer nur auf eine gewisse Zeitspanne begrenzt ist, dann hätte man, wenn nur dem sog. Stammpersonal die Versorgung gewährt werden sollte, nicht den Begriff"zusammenhängend" gewählt, sondern den Ausdruck"ununterbrochen" um die durchgehenden Kontinuität des Arbeitsverhältnisses zu betonen. Da aber im Saisonbetrieb der periodische Arbeitsanfall beinhaltet, daß die Beschäftigung mit Unterbrechungen immer wieder von neuem anfällt, spricht die Formulierung"zusammenhängend" dafür, daß auch die Saisonarbeitnehmer einbezogen werden sollten, sofern sie mindestens sieben Jahre - was beim Kläger unstreitig der Fall ist - mit den üblichen Unterbrechungen beschäftigt worden waren. Dem entspricht auch die Praxis der Beklagten, welche unstreitig Invaliden- und Hinterbliebenenrenten nach der VO an Saisonarbeitnehmer gewährt obwohl auch hier Anspruchsvoraussetzung eine "zusammenhängende Dienstzeit" ist.
Ob das Arbeitsverhältnis des Klägers jeweils durch Kündigung beendet worden ist, seit wann ein tariflicher Wiedereinstellungsanspruch besteht und wo die Arbeitspapiere des Klägers verblieben, kann dahinstehen, denn nach Auffassung der Kammer ist durch die ständige jahrelange Rückkehr des Klägers in den Betrieb die Voraussetzung "eine zusammenhängende Dienstzeit von sieben Jahren" erfüllt.
Soweit die Beklagte sich darauf beruft, der Kläger sei vorzeitig auf eigenen Wunsch ausgeschieden, steht dies dem Anspruch des Klägers nicht entgegen, denn er hat gem. § 1 Abs. 1 BetrAVG eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat. Im Hinblick darauf daß bei mehrfach aneinander gereihten Saisonarbeitsverhältnissen ein gewisser innerer Zusammenhang der einzelnen Arbeitsverhältnisse nicht geleugnet werden kann, bestehen Betriebszugehörigkeit und Zusagedauer im Sinne der davon abhängigen Unverfallbarkeitsfrist während der Nichtbeschäftigung weiter (vgl. Höfer, Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, Kommentar, Band I (Stand 30. Sept. 1995)§ 1 Rd.-Nr. 1525 ff).
Stehen nach alledem bereits bei Auslegung der VO dem Kläger grundsätzlich Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung zu, so bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob unter Umständen der klägerische Anspruch sich auch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz herleiten läßt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.