Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.04.1996, Az.: 3 Ta 79/95
Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren.; Beachtlichkeit des Hilfswertes bei der Streitwertfestsetzung; Maßgeblichkeit des Klageantrags für die Festsetzung des Streitwerts
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 26.04.1996
- Aktenzeichen
- 3 Ta 79/95
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1996, 10793
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1996:0426.3TA79.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Lüneburg - 31.10.1994 - AZ: 1 Bv 19/94
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs. 2 BRAGO
- § 308 Abs. 1 ZPO
Fundstelle
- DB 1996, 1632 (amtl. Leitsatz)
Prozessführer
...
...
Prozessgegner
...
Tenor:
wird auf die Beschwerde des früheren Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin der Beschluß des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 31.10.1994 - 1 Bv 19/94 - abgeändert.
Der Wert des Gegenstandes zum Zwecke der anwaltlichen Gebührenberechnung wird auf 15.000,00 DM festgesetzt.
Gegen diesen Beschluß findet ein Rechtsmittel nicht statt.
Gründe:
Die Beschwerde ist begründet.
Dies folgt aus § 8 Abs. 2 BRAGO. Diese Norm gilt auch für die Streitwertfestsetzung im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren. Sie enthält einen außerordentlich weit gezogenen Bewertungsrahmen.
Soweit sich der Gegenstandswert aus den dort in Bezug genommenen Vorschriften nicht ergibt und auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen. In Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung (1.) und bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen (2.) ist der Gegenstandswert seit in kraft treten des Kostenänderungsgesetzes vom 24.06.1994 auf einen Hilfswert von 8.000,00 DM und nach Lage des Falles (Bedeutung, Umfang und Schwierigkeitsgrad der Sache) niedriger oder höher, jedoch nicht über eine Million DM, anzunehmen.
Hieraus folgt, daß
- 1.
eine nähere Abgrenzung zwischen vermögensrechtlichen und nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Rahmen des § 8 Abs. 2 BRAGO nicht vorgenommen zu werden braucht, weil der weite Bewertungsrahmen in jedem Fall derselbe ist,
- 2.
dieser weite Bewertungsrahmen zu einer wesentlich differenzierteren Bewertung nötigt, als es der vorherrschenden Bewertungspraxis der Gerichte für Arbeitssachen entspricht.
Dabei wird man von vornherein in nicht vermögensrechtlichen Streitigkeiten meist einen höheren als den genannten Hilfsgegenstandswert anerkennen müssen (vgl. LAG Hamburg BB 1992 S. 1857 [LAG Hamburg 04.08.1992 - 2 Ta 6/92]). Denn üblicherweise überschreiten der Aufwand bei der Sachverhaltsaufklärung und die Schwierigkeit der Rechtsmaterie den "Routinefall" einer Kündigungsschutzklage, bei der sehr oft ein Gegenstandswert von mehr als 10.000,00 DM gegeben ist. Außerdem ist die sozialstaatliche und grundrechtliche Dimension des Betriebsverfassungsrechts zu berücksichtigen (LAG Schleswig-Holstein BB 1993 S. 1520). Bei einem Vergleich mit früheren Gegenstandswertbeispielen ist zu beachten, daß der Hilfswert des § 8 Abs. 2 BRAGO ab 15.09.1975 von 3.000,00 DM auf 4.000,00 DM und ab 01.01.1987 auf 6.000,00 DM erhöht worden ist. Gegenstandswerte, die jeweils vor diesem Zeitpunkt festgesetzt worden sind, müssen entsprechend erhöht werden. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, daß in der Zeit vor dem 15.09.1975 teilweise in der Rechtsprechung ein "aufgewerteter" Hilfswert von 5.000,00 DM angesetzt worden ist (vgl. Wenzel Der Betrieb 1977 S. 723).
So hat das Bundesarbeitsgericht in einem Beschluß vom 30.05.1978 - 6 ABR 10/78 -, zitiert nach Müller-Bauer, Der Anwalt vor den Arbeitsgerichten, (3. Aufl. 1991, S. 383) bei Geltendmachung der Wahlnichtigkeit in einem Zweigbetrieb und Feststellung, daß dieser Betriebsteil keinen selbständigen Betrieb darstelle, den einfachen Hilfswert angenommen. Die Landesarbeitsgerichte Rheinland-Pfalz (NZA 1992 S. 667 [LAG Rheinland-Pfalz 30.03.1992 - 9 Ta 40/92]) und Berlin (NZA 1992 S. 327 ff.) sind vom 1,5fachen Hilfswert für einen Betriebsrat mit einem Mitglied, für jedes weitere Betriebsratsmitglied 1.500,00 DM. ausgegangen. Schon dieser Ansatz geht im vorliegenden Fall über den gestellten Antrag hinaus. Das LAG Hamm (BB 1974 S. 1535) hat einer Betriebsratswahlanfechtung in einem Betrieb von 70 Arbeitnehmern, bei einfachem Sachverhalt und einfachen Rechtsfragen den 2- bis 3fachen Hilfswert, bei 200 Arbeitnehmern (vgl. Beschluß vom 29.03.1976 - 8 TaBV 39/75 -, zitiert nach Wenzel Der Betrieb 1977 S. 723) einen Gegenstandswert in Höhe des etwa 3,75- bis 5fachen Hilfswertes festgesetzt (bei Wenzel a.a.O. und Müller-Bauer a.a.O. übrigens weitere Beispiele).
In der Rechtsprechung finden sich auch Beispiele für die Annahme eines 1Ofachen (LAG Bremen LAGE § 8 BRAGO Nr. 5) oder gar eines etwa 15- bis 20fachen Hilfswertes (LAG Hamm Der Betrieb 1977 S. 357).
Die "Lage des Falles" im Sinne des § 8 Abs. 2 BRAGO gebietet im vorliegenden Beschlußverfahren die Festsetzung eines Gegenstandswertes zumindest in Höhe des beantragten Betrages (§ 308 ZPO). Gegenstand des Verfahrens bildete die Anfechtung der Wahl eines neunköpfigen Betriebsrates, wobei Abgrenzung des Betriebes, Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer sowie Größe des Betriebes (u.a.) strittig waren. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, daß für die Festsetzung des Gegenstandswertes dieser Streitigkeit deshalb durchaus auf den 5fachen Hilfswert des § 8 Abs. 2 BRAGO abgestellt werden kann, und damit deutlich mehr, als mit der Beschwerde überhaupt beantragt worden ist.