Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.06.1996, Az.: 10 Sa 2234/95; 6 AZR 441/95
Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall; Lohnfortzahlung und Entgeltfortzahlung; Berufsunfähigkeitsrente; Manteltarifvertrag für die Angestellten der Bundesanstalt für Arbeit (MTA)
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 13.06.1996
- Aktenzeichen
- 10 Sa 2234/95; 6 AZR 441/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 10780
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1996:0613.10SA2234.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hameln - 12.10.1995 - AZ: 1 Ca 441/95
Rechtsgrundlagen
- § 616 BGB
- § 37 MTA (Bundesanstalt für Arbeit) in der bis zum 30. Juni 1994 gültig gewesenen Fassung
Amtlicher Leitsatz
Der Anspruch auf Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall für die Dauer bis zu sechs Wochen konnte unter der Geltung des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB (d.h. bis zum 30. Juni 1994) durch Tarifvertrag jedenfalls dann ausgeschlossen werden, wenn für die Zeit der Krankheit ein Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente bestand, zu dessen Entstehung auch Beiträge des Arbeitgebers geleistet worden waren.
In dem Rechtsstreit
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juni 1996
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter
fürRecht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 12. Oktober 1995 - 1 Ca 441/95 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die am 25. März 1933 geborene Beklagte stand vom 8. August 1974 bis zum 28. Februar 1994 als Angestellte gemäß den Vorschriften des Manteltarifvertrages für die Angestellten der Bundesanstalt für Arbeit (MTA) in den Diensten der Klägerin.
Am 1. November 1993 stellte die Beklagte einen Antrag auf Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente. Für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 6. Dezember 1993 bis zum 4. Februar 1994 leistete die Klägerin die Entgeltsfortzahlung im Krankheitsfall. Nachdem die Beklagte den Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 31. Januar 1994 (Eu-Bescheid - Bl. 115 bis 120) über die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente mit Wirkung ab 1. Dezember 1993 erhalten hatte, nahm die Beklagte die Arbeit wieder auf. Von der VBL erhielt die Beklagte erst ab 1. März 1994 eine Versorgungsrente. Zum gleichen Zeitpunkt wandelte die BfA die Bu-Rente in eine Eu-Rente um.
Mit Schreiben vom 2. Mai 1994 machte die Klägerin gemäß § 37 MTA (Bl. 4) die Rückforderung der geleisteten Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall geltend. Unter Verrechnung der auf sie übergeleiteten und an sie ausgezahlten Beträge der Bu-Rente von monatlich ca. DM 1.022,- forderte die Klägerin die Rückforderung der nicht verrechneten Gehaltsfortzahlungsbeträge von DM 2.499,10. Dieser Betrag ist seiner rechnerischen Höhe nach nicht streitig.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und seiner Wertung durch das Arbeitsgericht wird auf das der Klage stattgebende Urteil vom 12. Oktober 1995 verwiesen (Bl. 60 bis 62). Das Arbeitsgericht hielt dafür, daß die Dauer der Entgeltfortzahlung aufgrund der noch bis zum 30. Juni 7994 gültig gewesenen Vorschrift des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB für den hier vorliegenden Sonderfall des Bezuges einer Bu-Rente durch § 37 MTA auf Null abgekürzt werden konnte.
Gegen dieses ihr am 27. November 1995 zugestellte Urteil legte die Beklagte am 4. Dezember 1995 Berufung ein und begründete diese Berufung nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 5. Februar 1996 am 18. Januar 1996.
Die Beklagte bestreitet nicht mehr die Richtigkeit des von der Klägerin bereits mit der Klagschrift eingereichten Textes des bis zum 30. Juni 1994 gültig gewesenen § 37 MTA. Sie vertritt aber weiterhin die Ansicht, daß auch in der Zeit bis 30. Juni 1994 für die allein unter die Vorschrift des § 616 Abs. 2 BGB fallenden Angestellten die Dauer der Entgeltsfortzahlung nicht auf weniger als 6 Wochen festgesetzt werden konnte.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 26. Februar 1996 (Bl. 88 bis 89). Sie weist darüber hinaus darauf hin, daß die Beklagte die Rückforderung hätte ausschließen können, wenn sie gegen den Bu-Bescheid vom 31.01.1995 Widerspruch eingelegt hätte.
Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Beklagten wird auf ihre Schriftsätze vom 17. Januar und 27. Februar 1996 insoweit Bezug genommen (Bl. 80 bis 82 und Bl. 90), als sich dieses Vorbringen nicht durch die Erklärung der Beklagten zum Protokoll vom 13. Juni 1996 erledigt hat (Bl. 140).
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nicht begründet.
Das Arbeitsgericht Hameln hat der Klage mit zutreffender Begründung stattgegeben. Gemäß § 543 ZPO macht sich das Berufungsgericht die Entscheidungsgründe zu eigen, um Wiederholungen zu vermeiden.
Die Berufung gibt Anlaß zu folgenden ergänzenden Bemerkungen.
Auszugehen ist von der bis zum 30. Juni 1994 gültig gewesenen Vorschrift des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB i. V. m. der Bestimmung des § 37 MTA in der bis zum 30. Juni 1994 gültig gewesenen Fassung. Der tarifvertragliche Text ist zwischen den Parteien unstreitig geworden und ergibt die Begründetheit der Klagforderung. Dies braucht zu§ 37 MTA nicht weiter ausgeführt zu werden, weil auch die Beklagte nach der Streitlosstellung des richtigen Textes hier keine andere Ansicht mehr vertritt.
Im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten verstieß § 37 MTA damaliger Fassung nicht gegen höherrangiges Recht.
Die Vorschrift des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB gab seinerzeit den Tarifvertragsparteien die Befugnis, den sonst regelmäßig für eine Dauer von 6 Wochen gegebenen Entgeltsfortzahlungsanspruch abzukürzen (so: BAG vom 07.11.1984 - 5 AZR 379/82 in NJW 85 1420; Neumann in Staudinger, BGB, Kommentar, 11. Aufl. § 616 Rdn. 17; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 7. Aufl.,§ 98 VIII 3 auf Seite 755), Das Gericht teilt die von Oetker in Staudinger, BGB, Kommentar, 12. Aufl., § 616 Rdn. 313 geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken jedenfalls für den hier vorliegenden Ausnahmefall der rückwirkenden Bewilligung einer auch auf den Beitragszahlungen des Arbeitgebers beruhenden Rente nicht. Richtig ist lediglich, daß auch schon vor dem 1. Juli 1994 die drei unterschiedlich geregelten Entgeltsfortzahlungsansprüche für Arbeiter, Angestellte nach HGB bzw. Gewerbeordnung und Angestellte nur nach BGB keine Überzeugungskraft mehr besassen. Oetker verläßt aber den Rahmen juristisch vertretbarer Auslegung, wenn er die Tarifvertragsparteien bei § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB lediglich dazu für befugt halten will, den genannten 6wöchigen Zeitraum zu verlängern. Bei einer derartigen Auslegung hätte der nach dem Komma stehende Teilsatz ("..., wenn nicht durch Tarifvertrag eine andere Dauer bestimmt ist.") keinen rechtlich relevanten Inhalt mehr gehabt. Längere Zeiträume konnten schon immer nicht nur durch Tarifvertrag, sondern auch durch Einzelarbeitsvertrag vorgesehen werden. Das Gericht versteht auch die Ausführungen von Hanau (Festschrift der rechtswissenschaftlichen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Universität zu Köln Seite 183 ff) trotz des von Hanau erhobenen Vorwurfs der Willkür (Seite 186) nicht dahin, daß Hanau die Bestimmung für verfassungswidrig hält.
Dies folgt daraus, daß Hanau lediglich für die Zukunft eine neue Regelung verlangt (a.a.O.).
Ersichtlich hatten die Tarifvertragsparteien die Vorschrift des § 94 Abs. 1 SGB VI berücksichtigen wollen. Danach werden Krankenbezüge grundsätzlich als Arbeitsentgelt auf die Rente angerechnet. Die Rente würde nicht gezahlt werden.
Tarifliche Regelungen haben unter anderem schon wegen der fehlenden wirtschaftlichen und/oder intellektuellen Unterlegenheit der Gewerkschaft als Vertreterin der Arbeitnehmerseite eine gewisse Vermutung der rechtlichen Zulässigkeit für sich (vgl. Hanau a.a.O. Seite 199).
Die Kammer übersieht nicht, daß das Ergebnis wirtschaftlich unbefriedigend ist. Die Beklagte verlor wegen der Geltung der genannten tarifvertraglichen Regelung ca. 2/3 ihres Nettoeinkommen für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Der Hinweis der Klägerin auf die eventuelle Möglichkeit des Einlegens eines Widerspruches gegen den Bu-Rentenbescheid ändert hieran nichts. Hätte die Beklagte den Widerspruch eingelegt und hätte er das für die Beklagte erwünschte Ergebnis eines Hinausschiebens des Rentenbeginnes auf einen Zeitpunkt nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeitszeit gehabt, so stünde die Beklagte ebenso klaglos dar wie sie es mit diesem Prozeß begehrt. Die BfA wäre für die strittige Zeit frei geworden. Die Klägerin hätte der Beklagten die Vergütung belassen müssen und die Beklagte hätte keinen Verlust hinnehmen müssen.
Gleichwohl sieht die Kammer keine Möglichkeit zur Korrektur des MTA. Haben die Tarifvertragsparteien seinerzeit die Macht gehabt in Anwendung des § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB den Zeitraum der Entgeltfortzahlung zu verkürzen, so muß dies jedenfalls im Falle eines Bezuges einer Rente auch für den Fall gelten, daß die Gehaltsfortzahlung gänzlich entfällt. Der Kammer war es schon mangels irgendwelcher brauchbarer Kriterien auch nicht möglich, einen unter 6 Wochen liegenden Fortzahlungszeitraum als gesetzlich zwingenden Mindeststandard festzulegen. Es muß daher bei dem vom Arbeitsgericht gefundenen Ergebnis verbleiben, daß der Zeitraum auch auf Null reduziert werden konnte.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 97 ZPO, weil ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Die Revision wird zugelassen.