Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.05.1996, Az.: 11 Sa 97/96

Beihilfe im Krankheitsfall für Angestellte im öffentlichen Dienst; Teilzeitanstellung; Zahnärztliche Behandlung; Beihilfeleistungen; Staffelung von Beihilfen

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
06.05.1996
Aktenzeichen
11 Sa 97/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 10767
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1996:0506.11SA97.96.0A

Verfahrensgang

vorgehend
BAG - 19.02.1995 - AZ: 6 AZR 460/96
ArbG Lingen 28.11.1995 - 1 Ca 1369/95

Prozessführer

...

Prozessgegner

...

Amtlicher Leitsatz

Gewährt ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes seinen Angestellten Beihilfe im Krankheitsfall, darf er Teilzeitangestellten nicht wegen der verminderten Arbeitszeit nur anteilige Beihilfe entsprechend dem Verhältnis ihrer Arbeitszeit zur Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Angestellten gewähren.

Der Teilzeitangestellte hat Anspruch auf die gleiche Beihilfe wie der vollzeitbeschäftigte Angestellte. Dieser Anspruch kann nicht durch Tarifvertrag (§ 40 Unterabsatz 2 BAT) nach Art. 1§ 6 Abs. 1 BeschFG eingeschränkt werden.

In dem Rechtsstreit
hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 06. Mai 1996
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ...
fürRecht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 28. November 1995 - 1 Ca 1369/95 - abgeändert.

Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 97,78 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 20. Dezember 1994 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat das beklagte Land zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um den Anspruch der halbtags beim ... beschäftigten Klägerin auf volle Beihilfe für Aufwendungen, die ihr aus Anlaß einer zahnärztlichen Behandlung entstanden sind.

2

Die Klägerin ist seit dem 01. November 1991 beim ... als Datentypistin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Tarifbindung der Bundesangestelltentarifvertrag Anwendung. Mit Schreiben vom 15. Dezember 1994 beantragte die Klägerin die Gewährung von Beihilfe zu Aufwendungen für zahnmedizinische Behandlungen. Mit Bescheid vom 19. Dezember 1994 errechnete das beklagte Land einen Beihilfebetrag in Höhe von 195,56 DM. den es gemäß § 40 BAT um 50 % auf 97,78 DM kürzte.

3

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr stehe nicht nur der hälftige, sondern der volle Beihilfeanspruch zu, da Vollbeschäftigte des beklagten Landes diesen im vollen Umfang erhielten. Die entgegenstehenden Vorschriften verstießen gegen Artikel 1§ 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 und Artikel 119 EWG-Vertrag.

4

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 97,78 DM nebst 4 % Zinsen auf den sich darauf ergebenden Nettobetrag seit dem 20. Dezember 1994 zu zahlen.

5

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Es hat die Regelung des § 40 zweiter Unterabsatz BAT für wirksam gehalten.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 97,78 DM festgesetzt. Die Berufung hat es zugelassen.

8

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Regelung des § 40 Unterabsatz 2 BAT, wonach nicht vollbeschäftigte Angestellte von der errechneten Beihilfe nur den Teil erhielten, der dem Verhältnis entspreche, in dem die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten zu der arbeitsvertraglich vereinbarten durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit stehe, verstoße nicht gegen § 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz. Das Gesetz verbiete nur die unterschiedliche Behandlung wegen der Teilzeitarbeit und nicht eine Differenzierung aus anderen sachlichen Gründen. Ein solcher sachlicher Grund sei bei § 40 Unterabsatz 2 BAT gegeben, denn diese Vorschrift stelle sicher, daß der Anteil der Beihilfeleistung zur Vergütung des Teilzeitbeschäftigten genau dem Verhältnis der Beihilfeleistungen beim Vollzeitbeschäftigten zur Vollzeitvergütung entspreche. Damit werde erreicht, daß die über die Krankenversicherung hinausgehenden Beihilfeleistungen nicht überproportional anstiegen. Dies entspreche auch dem Modell der Krankenversicherung. Auch dort zahle der Arbeitgeber für Teilzeitbeschäftigte anteilig weniger Beiträge zur Krankenversicherung. Der Anspruch ergebe sich auch nicht aus Artikel 119 Abs. 1 EWG-Vertrag, da auch diese Vorschrift eine Ungleichbehandlung aus sachlichen Gründen, die hier gegeben seien, rechtfertige.

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Gegen dieses ihr am 20. Dezember 1995 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 18. Januar 1996 Berufung eingelegt und diese am 13. Februar 1996 begründet.

10

Sie ist weiterhin der Auffassung, § 40 Unterabsatz 2 BAT verstoße gegen zwingende Vorschriften des Beschäftigungsförderungsgesetzes und des EG-Rechts.

11

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Lingen vom 28. November 1995 - 1 Ca 1369/95 - das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin 97,78 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 20. Dezember 1994 zu zahlen.

12

Das beklagte und berufungsbeklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Es verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 21. März 1996 (Bl. 44-47 d.A.), auf den Bezug genommen wird. Es ist der Auffassung, die Angestellten im Öffentlichen Dienst könnten nicht mit den Beamten und deren Beihilfeansprüchen, sondern nur mit Angestellten der privaten Wirtschaft verglichen werden. Sinn und Zweck der Sonderbeihilfe für Angestellte verbiete es nicht, sie nach Maßgabe der Arbeitsleistung zu bemessen. Der Arbeitgeber finanziere die Krankenversicherung durch seine Beiträge mit. Soweit darüber hinaus dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eröffnet werde, Beihilfe für Leistungen zu beanspruchen, die von der gesetzlichen Krankenkasse nicht erstattet würden, handele es sich um überobligationsmäßige Leistungen. Deswegen sei es in das Ermessen des Arbeitgebers gestellt, wie er diese Leistungen ausstatte. Die Art. und Weise, in der der öffentliche Arbeitgeber im Einvernehmen mit den Tarifpartnern nach § 40 BAT sein Ermessen ausgeübt habe, sei nicht zu beanstanden. Insoweit liege auch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechtes vor.

Entscheidungsgründe

14

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch insgesamt zulässige Berufung mußte Erfolg haben.

15

Die Klägerin hat einen Anspruch auf volle Beihilfeleistungen nach den Grundsätzen, die das beklagte Land auf vollzeitbeschäftigte Angestellte anwendet.

16

Dieser Anspruch ergibt sich zwar nicht aus § 40 BAT, denn nach dessen zweiten Unterabsatz erhalten nicht vollbeschäftigte Angestellte von der errechneten Beihilfe nur den Teil, der dem Verhältnis entspricht, in dem die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Angestellten zu der arbeitsvertraglich vereinbarten durchschnittlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit steht. Danach stand der Klägerin nur 50 % der vollen Beihilfe von 195,56 DM, mithin nur 97,78 DM netto, zu.

17

Der Anspruch der Klägerin folgt jedoch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und aus Artikel 1§ 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985.

18

Das beklagte Land darf die Klägerin nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedlich behandeln, denn Artikel 1 § 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 verbietet die unterschiedliche Behandlung "wegen der Teilzeitarbeit" und konkretisiert damit für den Bereich der Teilzeitarbeit den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Zulässig sind Differenzierungen nur dann, wenn sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung vorliegen (vgl. BAG in AP Nr. 14 zu§ 62 BAT).

19

Die Klägerin wird gegenüber Vollzeitbeschäftigten des beklagten Landes unterschiedlich behandelt, denn Vollzeitbeschäftigte erhalten den vollen Beihilfesatz, während die Klägerin als halbtagsbeschäftigte Angestellte nur 50 % der Beihilfe erhält. Die Ungleichbehandlung erfolgt auch wegen der Teilzeitarbeit, denn die Regelung des § 40 Unterabsatz 2 BAT knüpft für die Höhe des Anspruches allein an den Umfang der Arbeitsleistung an.

20

Sachliche Gründe, die die unterschiedliche Behandlung der unterhälftig teilzeitbeschäftigten Angestellten gegenüber den vollzeitbeschäftigten rechtfertigen, sind nicht gegeben, denn das unterschiedliche Arbeitspensum des teilzeitbeschäftigten und des vollzeitbeschäftigten Angestellten ist kein ausreichender sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung (BAG in AP Nr. 12 zu§ 2 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985). Andere sachliche Gründe sind aber nicht ersichtlich.

21

Die sachliche Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung muß den Leistungszweck mit demjenigen, was die beiden ansonsten wesentlich gleichen Arbeitnehmergruppen unterscheidet, sinnvoll verknüpfen, so daß die Unterscheidung nach dem Zweck der Leistung gerechtfertigt ist (vgl. BAG in NZA 1994, 125 [BAG 20.07.1993 - 3 AZR 52/93]). Bei Teilzeitbeschäftigten ist eine Differenzierung nach dem Umfang der Arbeitsleistung nur zulässig, wenn sich deren Rechtfertigung aus dem Verhältnis zwischen dem Leistungszweck und dem Umfang der Arbeitszeit ergibt (BAG in AP Nr. 11 zu§ 2 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985). Eine solche ist nicht erkennbar.

22

Die Krankheitskosten der Teilzeitbeschäftigten sind nicht grundsätzlich geringer als die der Vollzeitkräfte. Die Staffelung der Beihilfe nach dem Umfang der Arbeitsleistung benachteiligt deshalb Teilzeitkräfte. Der Zweck der Beihilfegewährung ist derjenige, daß die Angestellten ähnlich wie die Beamten in angemessenem, ihrer Lebensführung nicht beeinträchtigendem Umfang in Krankheitsfällen von den hierdurch bedingten Aufwendungen freigestellt werden (BAG in AP Nr. 3 zu § 40 BAT) und trägt damit dem Fürsorgegesichtspunkt Rechnung. Diese Fürsorgeverpflichtung des Arbeitsgebers ist aber nicht vom Umfang der Arbeitszeit abhängig. Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer unterliegen in gleicher Weise dem Direktionsrecht des Arbeitgebers und bedürfen daher auch dessen Fürsorge wie vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer (BAG in AP Nr. 95 zu § 1 Lohnfortzahlungsgesetz). Der unterschiedliche Umfang der Arbeitsleistung allein ist gerade für Sozialleistungen kein ausreichender Grund für eine unterschiedliche Behandlung (BAG in AP Nr. 1 zu§ 1 BetrAVG-Gleichbehandlung), denn Teilzeitbeschäftigte sind im gleichen Maße auf die Fürsorge durch den Arbeitgeber angewiesen wie Vollzeitbeschäftigte. Krankheitskosten fallen unabhängig vom Umfang der vereinbarten Arbeitsleistung an. Das verbietet es, die Sonderbeihilfe für Angestellte des Öffentlichen Dienstes nach dem Umfang der Arbeitsleistung zu bemessen.

23

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts liegt für die Ungleichbehandlung ein ausreichender sachlicher Grund nicht darin, daß durch § 40 Unterabsatz 2 BAT sichergestellt wird, daß dieüber die Krankenversicherung hinausgehenden Beihilfeleistungen nichtüberproportional steigen. Solche rein fiskalischen Gesichtspunkte allein können eine Ungleichbehandlung von Teilzeitkräften gegenüber Vollzeitkräften bei Beihilfeleistungen nicht rechtfertigen. Zwar ist auch bei den vom Arbeitgeber mitzutragenden Beiträgen zur Krankenversicherung die Höhe des Beitrags nach dem Einkommen gestaffelt. Jedoch werden die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nach der Beitragshöhe gestaffelt, so daß unabhängig von der Dauer der Arbeitszeit beide Gruppen gleich behandelt werden (vgl. Schüren in Anm. zu AP Nr. 32 zu § 12 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985).

24

Unerheblich ist, worauf auch das beklagte Land zutreffend hingewiesen hat, wie die Beihilfe bei Beamten geregelt ist, da die Angestellten mit den Beamten nicht vergleichbar sind (BAG in AP Nr. 18 zu§ 1 BetrAVG-Gleichbehandlung).

25

Der öffentliche Arbeitgeber hat entgegen der Auffassung des beklagten Landes auch kein Ermessensspielraum deswegen, weil es sich um überobligationsmäßige Leistungen handelt. Dies berechtigt zwar den öffentlichen Arbeitgeber möglicherweise, Beihilfeleistungen an Angestellte des Öffentlichen Dienstes ganz zu streichen, es berechtigt ihn aber nicht, Teilzeitbeschäftigte wegen der Teilzeitbeschäftigung ungleich zu behandeln.

26

Der Ausschluß der Klägerin von der Beihilfegewährung ist auch nicht deshalb wirksam, weil die unterschiedliche Behandlung in einem Tarifvertrag geregelt ist, der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet.

27

Artikel 1 § 6 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 gestattet es den Tarifvertragsparteien nicht, vom Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Artikel 1 § 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 konkretisiert und niedergelegt ist, abzuweichen (vgl. BAG in AP Nr. 32 zu § 2 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 m.w.N.).

28

Der Verstoß gegen Artikel 1 § 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 führt nach§ 134 BGB zur Nichtigkeit der die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte diskriminierende Maßnahme. Dies hat zur Folge, daß die Klägerin in Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes einen Anspruch auf die volle Beihilfe hat, die die Beklagte den Vollzeitbeschäftigten gewährt (BAG in AP Nr. 14 zu§ 62 BAT).

29

Auf die Berufung der Klägerin war daher der Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO stattzugeben.

30

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zuzulassen.

Streitwertbeschluss:

Streitwert: 97,78 DM