Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.04.2020, Az.: 13 MN 131/20

Infektionsschutzrecht; Normenkontrolleilantrag; Präsenzunterricht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.04.2020
Aktenzeichen
13 MN 131/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 72138
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert des Verfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gegen Regelungen der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus betreffend Ausnahmen von der Untersagung des Präsenzunterrichts für Schülerinnen und Schüler im 4. Schuljahrgang des Primarbereichs.

Die Antragstellerin besucht den 4. Schuljahrgang der in einer niedersächsischen Gemeinde belegenen Grundschule.

Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, handelnd durch die Ministerin, erließ am 17. April 2020 die Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus (Nds. GVBl. S. 74), mit unter anderem folgenden Regelungen:

§ 1a
(1) 1In allen Schulen ist der Präsenzunterricht untersagt. 2Ausgenommen von der Untersagung nach Satz 1 ist der Unterricht des Schuljahrgangs 13 in Schulen des Sekundarbereichs II und der Unterricht der Schuljahrgänge 9 und 10 in Abschlussklassen des Sekundarbereichs I, nicht jedoch der Unterricht im Fach Sport. 3Untersagt ist auch die Durchführung sonstiger schulischer Veranstaltungen einschließlich Schulfahrten und ähnlicher Schulveranstaltungen sowie nichtschulischer Veranstaltungen wie Sportveranstaltungen, Theateraufführungen, Vortragsveranstaltungen, Projektwochen, Konzerte und vergleichbare Veranstaltungen. 4Schulfahrten im Sinne des Satzes 3 sind Schulveranstaltungen, die mit Fahrtzielen außerhalb des Schulstandortes verbunden sind, mit denen definierte Bildungs- und Erziehungsziele verfolgt werden; dazu zählen auch Schüleraustauschfahrten und Schullandheimaufenthalte sowie unterrichtsbedingte Fahrten zu außerschulischen Lernorten.
(2) 1Ausgenommen von Absatz 1 Sätze 1 und 3 ist die Notbetreuung in kleinen Gruppen an Schulen für die Schuljahrgänge 1 bis 8 in der Zeit von 8.00 bis 13.00 Uhr. 2Über diesen Zeitraum hinaus kann eine zeitlich erweiterte Notbetreuung an Ganztagsschulen stattfinden. 3Die Notbetreuung ist auf das notwendige und epidemiologisch vertretbare Maß zu begrenzen. 4Die Notbetreuung dient dazu, Kinder aufzunehmen, bei denen mindestens eine Erziehungsberechtigte oder ein Erziehungsberechtigter in betriebsnotwendiger Stellung in einem Berufszweig von allgemeinem öffentlichem Interesse tätig ist. 5Ausgenommen ist auch die Betreuung in besonderen Härtefällen wie drohender Kündigung oder erheblichem Verdienstausfall.
(3) Schulen im Sinne der Absätze 1 und 2 sind alle öffentlichen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, Schulen in freier Trägerschaft einschließlich der Internate sowie die Schulen für andere als ärztliche Heilberufe und ähnliche Berufsausbildungsstätten, einschließlich der überbetrieblichen Bildungsstätten der Kammern, Tagesbildungsstätten und Landesbildungszentren.
(4) 1Der Betrieb von Kindertageseinrichtungen und Kinderhorten sowie nach § 43 Abs. 1 des Achten Buchs des Sozialgesetzbuchs erlaubnispflichtiger Kindertagespflege ist untersagt. 2Ausgenommen ist die Notbetreuung in kleinen Gruppen. 3Absatz 2 Sätze 3 bis 6 gilt entsprechend.

§ 13
1Diese Verordnung tritt am 20. April 2020 in Kraft und mit Ablauf des 6. Mai 2020 außer Kraft. 2Abweichend von Satz 1 treten die §§ 1a, 2a, 2b, 7a, 10 Abs. 3 und § 10a am 19. April 2020 in Kraft und § 1 Abs. 6 mit Ablauf des 31. August 2020 außer Kraft.

Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, handelnd durch die Ministerin, erließ am 24. April 2020 die Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus (Nds. GVBl. S. 84). Artikel 2 Nr. 1 dieser Änderungsverordnung lautet:

1. § 1 a Abs. 1 wird wie folgt geändert:
a) Satz 2 erhält folgende Fassung:
"2Ausgenommen von der Untersagung nach Satz 1 sind
1. der Präsenzunterricht im 4. Schuljahrgang in Schulen des Primarbereichs mit Ausnahme des Fachs Sport,
2. der Präsenzunterricht des Schuljahrgangs 13 in Schulen des Sekundarbereichs II sowie der Präsenzunterricht für die Schülerinnen und Schüler der Schuljahrgänge 9 und 10 des Sekundarbereichs I, die an den Abschlussprüfungen zum Erwerb der Abschlüsse nach den Schuljahrgängen 9 und 10 teilnehmen, jeweils mit Ausnahme des Fachs Sport,
3. der Präsenzunterricht in der Fachstufe 2 der Berufsschule, im Jahrgang 13 des Beruflichen Gymnasiums (nur Prüfungsvorbereitung) und der Klasse 13 der Berufsoberschule (nur Prüfungsvorbereitung), der Abschlussklasse der Fachschule (nur Prüfungsvorbereitung), der Klasse 1 der Pflegeschule für neu beginnende Schülerinnen und Schüler, die unmittelbare Prüfungsvorbereitung und Prüfung in den Schulen für andere als ärztliche Heilberufe sowie in den überbetrieblichen Bildungsstätten der Kammern und der von ihnen mit der Durchführung beauftragten Träger, jeweils mit Ausnahme des Fachs Sport."
b) In Satz 3 wird das Wort "nichtschulischer" durch das Wort "außerunterrichtlicher" ersetzt."

Die hiermit verbundene Änderung tritt gemäß Artikel 3 Satz 2 der Änderungsverordnung am 4. Mai 2020 in Kraft.

Die Antragstellerin hat am 30. April 2020 bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht einen Antrag auf Durchführung des Normenkontrollverfahrens (13 KN 130/20) und einen darauf bezogenen Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung (13 MN 131/20) gestellt. Sie macht geltend, die Wiederbegründung der für sie bisher weitgehend suspendierten allgemeinen Schulpflicht sei rechtswidrig und insbesondere nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar. Der Antragsgegner sei verpflichtet, Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Ausbreitung der Krankheit COVID-19 zu treffen und hierzu Gemeinschaftseinrichtungen, insbesondere Schulen, zu schließen. Das Infektionsgeschehen bestehe fort, die Zahl der Infizierten steige weiter und die sogenannte Reproduktionszahl des Coronavirus sei zuletzt wieder angestiegen. Der Antragsgegner habe auf dieses Geschehen reagiert und bestimmt, dass der überwiegende Teil der Schülerinnen und Schüler dem Unterricht und anderen schulischen Veranstaltungen fernbleiben müsse. Die nun getroffene Regelung, wonach Schülerinnen und Schüler der 4. Klasse ab dem 4. Mai 2020 wieder die Schule besuchen müssten, verletze den allgemeinen Gleichheitssatz. Es bestehe kein sachlicher Grund dafür, dass gerade diese Schülerinnen und Schüler wieder die Schule besuchen müssten. Sie befänden sich, anders als die in § 1a Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 3 der Verordnung genannten Schülerinnen und Schüler, nicht in einer Abschlussklasse und müssten im laufenden Schuljahr keine Abschlussprüfung ablegen. Die Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen seien zudem regelmäßig deutlich älter, vernünftiger und eher in der Lage, die Hygieneregeln einzuhalten. Auf Viertklässler treffe dieses nicht zu. Der Übertritt zu den weiterführenden Schulen erfolge auf der Grundlage der bereits erteilten Halbjahreszeugnisse. Abgesehen davon, seien auch die meisten Jahreszeugnisse vorsorglich bereits abgefasst. Für die Viertklässler ergebe der weitere Schulbesuch in den noch verbleibenden Wochen des Schulhalbjahres daher keinen tieferen Sinn, jedenfalls sei er für die weitere schulische Laufbahn unerheblich. Etwaige Lerndefizite könnten später aufgeholt werden. Der Übergang zu einer weiterführenden Schule sei auch nicht in anderen Fällen zum Anlass genommen worden, den Präsenzunterricht wiedereinzuführen. Die einstweilige Außervollzugsetzung der Verordnung sei geboten, da ihr anderenfalls unzumutbare Nachteile drohten. Das Robert-Koch-Institut habe darauf hingewiesen, dass Kinder bei asymptomatischen oder präsymptomatischen Übertragungen des Coronavirus eine wichtige Rolle spielten und gerade jüngere Kinder sich nicht in vollem Umfang an kontaktreduzierende und Hygienemaßnahmen hielten. Das hiermit verbundene erhöhte Infektionsrisiko könne sich für sie - die Antragstellerin - ohne eine einstweilige Außervollzugsetzung irreversibel realisieren. Sie habe während des Präsenzunterrichts über mehrere Stunden hinweg Kontakt zu potenziell infizierten Schülerinnen und Schülern, ohne dass die Einhaltung des Abstandsgebotes im Unterricht selbst und erst recht in den Pausen sichergestellt werden könne. Das danach hohe Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen sei angesichts des noch geringen Unterrichtsumfangs und etwaiger, zudem nachzuholender Bildungsdefizite nicht hinzunehmen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

§ 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert am 24. April 2020, vorläufig bis einschließlich zum 6. Mai 2020 außer Vollzug zu setzen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

II.

Der Normenkontrolleilantrag bleibt ohne Erfolg. Er ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

1. Der Normenkontrolleilantrag ist nach § 47 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 VwGOund § 75 NJG statthaft. Die Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020, ist eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 75 NJG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, NdsRpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 16 ff.).

Die Antragstellerin ist antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, da sie geltend machen kann, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Nach ihrem Vorbringen erscheint ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht von vorneherein ausgeschlossen und daher eine Verletzung der Antragstellerin in dem damit korrespondierenden Gleichheitsgrundrecht möglich.

Der Antrag ist nach der amtswegig erfolgten Korrektur des Passivrubrums gegen das Land Niedersachsen als normerlassende Körperschaft im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO gerichtet. Das Land Niedersachsen wird durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vertreten (vgl. Nr. II. des Gemeinsamen Runderlasses der Staatskanzlei und sämtlicher Ministerien, Vertretung des Landes Niedersachsen, v. 12.7.2012 (Nds. MBl. S. 578), zuletzt geändert am 15.9.2017 (Nds. MBl. S. 1288), in Verbindung mit Nr. 4.22 des Beschlusses der Landesregierung, Geschäftsverteilung der Niedersächsischen Landesregierung, v. 17.7.2012 (Nds. MBl. S. 610), zuletzt geändert am 18.11.2019 (Nds. MBl. S. 1618)).

2. Der zulässige Antrag ist unbegründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag voraussichtlich Erfolg haben wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe müssen die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.4.2019 - BVerwG 4 VR 3.19 -, juris Rn. 4 (zur Normenkontrolle eines Bebauungsplans); OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.10.2019 - 6 B 11533/19 -, juris Rn. 5 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags); Sächsisches OVG, Beschl. v. 10.7.2019 - 4 B 170/19 -, juris Rn. 20 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung zur Bildung und Arbeit des Integrationsbeirats); Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.5.2018 - 12 MN 40/18 -, juris Rn. 24 ff. (zur Normenkontrolle gegen die Ausschlusswirkung im Flächennutzungsplan) jeweils m.w.N.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze bleibt der Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung des § 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert am 24. April 2020, ohne Erfolg. Der in der Hauptsache gestellte Normenkontrollantrag der Antragstellerin wird voraussichtlich unbegründet sein (a.). Zudem überwiegen die von der Antragstellerin geltend gemachten Gründe für die einstweilige Außervollzugsetzung die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe nicht (b.).

a. Der in der Hauptsache zulässigerweise (siehe oben II.1.) gestellte Normenkontrollantrag bleibt voraussichtlich ohne Erfolg. Nach der derzeit nur gebotenen summarischen Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass § 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert am 24. April 2020, soweit damit Schülerinnen und Schüler im 4. Schuljahrgang in Schulen des Primarbereichs mit Ausnahme des Fachs Sport ab dem 4. Mai 2020 von der Untersagung des Präsenzunterrichts in § 1a Abs. 1 Satz 1 der Verordnung ausgenommen werden, rechtmäßig ist.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats ist die Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert am 24. April 2020, voraussichtlich formell rechtmäßig. Sie kann auf § 32 Satz 1 und 2 in Verbindung mit §§ 28 ff. des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG -) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), in der hier maßgeblichen zuletzt durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) mit Wirkung vom 28. März 2020 geänderten Fassung, als taugliche und auch verfassungsgemäße Rechtsgrundlage gestützt werden. Auch sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 IfSG für ein staatliches Handeln zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, der offiziellen Bezeichnung der durch den neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (anfangs 2019-nCoV) als Krankheitserreger ausgelösten Erkrankung, erfüllt (vgl. zuletzt mit eingehender Begründung: Senatsbeschl. v. 29.4.2020 - 13 MN 117/20 -, Umdruck S. 6 ff.).

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin vermag der Senat nicht festzustellen, dass § 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert am 24. April 2020, soweit damit Schülerinnen und Schüler im 4. Schuljahrgang in Schulen des Primarbereichs mit Ausnahme des Fachs Sport ab dem 4. Mai 2020 von der Untersagung des Präsenzunterrichts in § 1a Abs. 1 Satz 1 der Verordnung ausgenommen werden, gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt und die Antragstellerin in dem damit korrespondierenden Gleichheitsgrundrecht verletzt.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.2.2012 - 1 BvL 14/07 -, BVerfGE 130, 240, 252 - juris Rn. 40; Beschl. v. 15.7.1998 - 1 BvR 1554/89 u.a. -, BVerfGE 98, 365, 385 - juris Rn. 63). Es sind nicht jegliche Differenzierungen verwehrt, allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.7.2012 - 1 BvL 16/11 -, BVerfGE 132, 179, 188 - juris Rn. 30; Beschl. v. 21.6.2011 - 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49, 69 - juris Rn. 65; Beschl. v. 21.7.2010 - 1 BvR 611/07 u.a. -, BVerfGE 126, 400, 416 - juris Rn. 79).

§ 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert am 24. April 2020, bewirkt zwar eine Ungleichbehandlung. Die dort (und in Nrn. 2 und 3 der Regelung) genannten Schülerinnen und Schüler werden von der Untersagung des Präsenzunterrichts nach § 1a Abs. 1 Satz 1 der Verordnung ausgenommen, während gegenüber den dort (und in Nrn. 2 und 3 der Regelung) nicht genannten Schülerinnen und Schülern die Untersagung des Präsenzunterrichts fortgilt. Dies hat zur Folge, dass die für alle Schülerinnen und Schüler bestehende allgemeine gesetzliche Schulpflicht nach §§ 63 ff. des Niedersächsischen Schulgesetzes - NSchG - gegenüber den in § 1a Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert am 24. April 2020, genannten Schülerinnen und Schülern wieder uneingeschränkt gilt und auch die grundsätzliche Pflicht zur Teilnahme am Präsenzunterricht wieder besteht, während letztgenannte Pflicht gegenüber den nicht in § 1a Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 der Verordnung genannten Schülerinnen und Schülern weiter suspendiert bleibt.

Diese - zudem zeitweise - Ungleichbehandlung verletzt aber den allgemeinen Gleichheitssatz nicht (anderer Ansicht: Hessischer VGH, Beschl. v. 24.4.2020 - 8 B 1097/20.N -, juris Rn. 54 ff.). Denn sie ist durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind, gerechtfertigt. Dabei ist die sachliche Rechtfertigung nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des Senats nicht allein anhand des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades zu beurteilen. Vielmehr sind auch alle sonstigen relevanten Belange zu berücksichtigen, etwa die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die von ihnen Betroffenen und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter Tätigkeiten (vgl. etwa Senatsbeschl. v. 14.4.2020 - 13 MN 63/20 -, juris Rn. 62).

Hier verkennt der Senat nicht, dass die in § 1a Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert am 24. April 2020, genannten Schülerinnen und Schüler durch die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sein werden, als die anderen Schülerinnen und Schüler, die dem Präsenzunterricht weiterhin fernzubleiben haben. Der Senat hat aber keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass dieses Infektionsrisiko ein solches Maß aufweisen wird, dass die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts von vorneherein sachlich unvertretbar ist und dass der Antragsgegner weiterhin unverändert zu einer ausnahmslosen Untersagung des Präsenzunterrichts verpflichtet ist. Das bisherige Infektionsgeschehen im Land Niedersachsen bietet hierfür keinen Anhalt (vgl. zu dessen Entwicklung die Übersicht unter www.niedersachsen.de/Coronavirus/aktuelle_lage_in_niedersachsen/, Stand: 30.4.2020). Zudem hat der Antragsgegner durch den Niedersächsischen Rahmen-Hygieneplan Corona Schule (veröffentlicht unter www.mk.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/niedersachsischer-rahmenhygieneplan-corona-schule-tonne-praxistaugliches-werkzeug-beim-schrittweisen-wiederhochfahren-der-schulen-187775.html, Stand: 30.4.2020), der die schulischen Hygienepläne ergänzt, Vorsorge getroffen, damit die Wiedereröffnung der Schulen im Einklang mit dem Infektionsschutz und den Hygienevorschriften erfolgen kann und um durch ein hygienisches Umfeld zur Gesundheit der Schülerinnen und Schüler und aller an der Schule Beteiligten beizutragen. Neben verstärkten Hygienemaßnahmen ist unter anderem ein eingeschränkter Präsenzschulbetrieb mit geringeren Klassengrößen und ein Ausschluss des infektionsschutzrechtlich besonders relevanten Sportunterrichts vorgesehen. Den von der Antragstellerin betonten erhöhten Gefahren während der Pausen soll durch versetzte Pausenzeiten der Klassen und erhöhte Aufsichtspflichten begegnet werden.

Die Hinnahme des gleichwohl erhöhten Infektionsrisikos auch für die in § 1a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert am 24. April 2020, genannten Schülerinnen und Schüler ist sachlich gerechtfertigt. Der Senat legt dabei auch die Einschätzung des hierzu nach § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG berufenen Eufach0000000017s (RKI) zur "Wiedereröffnung von Bildungseinrichtungen – Überlegungen, Entscheidungsgrundlagen und Voraussetzungen" (in: Epidemiologisches Bulletin Nr. 19/20 v. 23.4.2020, veröffentlicht unter: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/
EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20_02.pdf?__blob=publicationFile, abgerufen am 30.4.2020) zugrunde. Danach ist eine schrittweise und altersadaptierte Wiedereröffnung von Betreuungs- und Bildungseinrichtungen aus fachlicher Sicht derzeit vertretbar, da die Zielstellung der proaktiven Schließung, einen Beitrag zu der Eindämmung und Verlangsamung der Ausbreitung zu leisten, erreicht wurde. Das schrittweise und jahrgangsabgestufte Vorgehen wird als wichtig angesehen, um den Bildungseinrichtungen ausreichend Zeit für die Umsetzung und gegebenenfalls Anpassung ihrer Konzepte zu geben, aber auch um einen unkontrollierbaren Wiederanstieg der Neuinfektionen zu vermeiden und gegebenenfalls gezielte Deeskalationsmaßnahmen ergreifen zu können. Eben dieses empfohlene schrittweise und jahrgangsabgestufte Vorgehen ist in den Regelungen der Nrn. 1 bis 3 des § 1a Abs. 1 Satz 2 der Verordnung angelegt, die eine Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts zunächst für die "älteren" Schuljahrgänge vorsahen und nun ab dem 4. Mai 2020 für den Primarbereich beginnend mit dem 4. Schuljahrgang vorsehen. Überzeugende Gründe, den Primarbereich von diesem abgestuften Vorgehen zunächst vollständig auszunehmen, vermag der Senat nicht zu erkennen. In diesem an sachbezogenen Kriterien orientierten System ist es schließlich nicht zu beanstanden, im Primarbereich die Wiedereinführung des Präsenzunterrichts mit den Schülerinnen und Schülern des 4. Schuljahrgangs zu beginnen. Sie sind im Primarbereich die "älteren" Schülerinnen und Schüler und - jedenfalls regelmäßig - am ehesten bereit und in der Lage, die hygienischen Maßnahmen selbst vorzunehmen und den gebotenen Abstand weitgehend einzuhalten. Auch wenn, anders als bei den in Nrn. 2 und 3 des § 1a Abs. 1 Satz 2 der Verordnung genannten Schülerinnen und Schülern, der Präsenzunterricht nicht zur Ablegung von Prüfungen zwingend erforderlich ist, kommt für die Schülerinnen und Schüler des 4. Schuljahrgangs hinzu, dass sie nach Abschluss der 4. Klasse die Schule wechseln, eine andere weiterführende Schule besuchen werden und insofern vor einer Zäsur in ihrer schulischen Laufbahn stehen. Hierbei hält es der Senat für eher nachrangig, dass die Entscheidung für diesen Wechsel maßgeblich anhand des bereits erteilten Halbjahreszeugnisses getroffen wird und von den meisten Schülerrinnen und Schülern zumeist bereits getroffen sein wird. Denn die Bedeutung der Schule für die persönliche Entwicklung der Schülerinnen und Schüler erschöpft sich nicht in der Vergabe von Noten und der Erteilung von Zeugnissen, sondern besteht auch, wenn nicht gerade in der Teilnahme am Präsenzunterricht und der interaktiven und kommunikativen Auseinandersetzung mit Lehrerinnen und Lehrern und anderen Schülerinnen und Schülern.

b. Schließlich überwiegen auch die von der Antragstellerin geltend gemachten Gründe für die einstweilige Außervollzugsetzung die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe nicht.

Dabei erlangen die erörterten Erfolgsaussichten des in der Hauptsache gestellten oder zu stellenden Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Normenkontrolleilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag in der Hauptsache noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn die angegriffene Norm erhebliche Grundrechtseingriffe bewirkt, sodass sich das Normenkontrolleilverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweist (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 30.3.2020 - 20 NE 20.632 -, juris Rn. 31).

Danach wiegt das Interesse der Antragstellerin an einer einstweiligen Außervollzugsetzung der Verordnung für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens nicht schwer. Dieses Gewicht wird durch besondere individuelle Umstände nicht signifikant erhöht. Die Antragstellerin wird durch die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts zwar einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sein. Sie hat aber nicht ansatzweise aufgezeigt, dass sie oder Familienangehörige zu einer Gruppe gehören, die besonderen Erkrankungsrisiken ausgesetzt ist (vgl. zu diesen Gruppen: Senatsbeschl. v. 14.4.2020 - 13 MN 63/20 -, juris Rn. 46 m.w.N.), oder dass wegen solcher besonderen Risiken nicht ausnahmsweise eine Befreiung vom Präsenzunterricht in Betracht kommen kann (vgl. hierzu insbesondere Nr. 3.2 des Runderlasses des Kultusministeriums, Ergänzende Bestimmungen zum Rechtsverhältnis zur Schule und zur Schulpflicht, hier: §§ 58 bis 59a, §§ 63 bis 67 und § 70 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG), v. 1.12.2016, SVBl. S. 705).

Das danach geringe Interesse an einer einstweiligen Außervollzugsetzung wird von dem erheblichen öffentlichen Interesse überwogen, dem in Art. 7 Abs. 1 GG normierten staatlichen Erziehungsauftrag zur Durchsetzung zu verhelfen, welcher seinerseits nicht nur im durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kindesinteresse, sondern ebenso im Allgemeininteresse liegt (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 15.10.2014 - 2 BvR 920/14 -, juris Rn. 16).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).