Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.04.2020, Az.: 13 ME 85/20
Allgemeinverfügung; Betreuer; Heimbetretungsverbot; Infektionsschutzrecht; notwendige Schutzmaßnahme
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.04.2020
- Aktenzeichen
- 13 ME 85/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 71697
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 16.04.2020 - AZ: 15 B 2147/20
Rechtsgrundlagen
- § 28 IfSG
- § 2 HeimG ND
- § 80 Abs 5 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Eine notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG liegt grundsätzlich nicht darin, dass einem Betreuer durch eine infektionsschutzrechtliche Anordnung der Zutritt zu einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft nach § 2 Abs. 3 NuWG, zu Formen des betreuten Wohnens nach § 2 Abs. 4 NuWG sowie zu ambulant betreuten Wohngemeinschaften zum Zweck der Intensivpflege, die nicht in den Gestaltungsbereich des NuWG fallen, untersagt und er dadurch an der Wahrnehmung der ihm gerichtlich übertragenen Betreuungsaufgaben gehindert wird.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnende Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover – 15. Kammer – vom 16. April 2020 teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:
Die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 9. April 2020 wird insoweit angeordnet, als diese dem Antragsteller zu 2. den Zutritt zur Antragstellerin zu 1. im beigeladenen Pflegeheim zur Wahrnehmung seiner Aufgaben als rechtlicher Betreuer versagt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Antragsteller zu 1/4 und der Antragsgegner zu 3/4 aufgehoben.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Der Antragstellerin zu 1. wird Prozesskostenhilfe zu einem Streitwert von 2.500 Euro unter Beiordnung des Antragstellers zu 2. bewilligt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Gründe
I. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 16. April 2020, mit dem dieses den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 9. April 2020 abgelehnt hat, hat nur in dem im Tenor bezeichneten Umfang Erfolg.
Soweit dem Antragsteller zu 2. als durch Beschluss des Amtsgerichts B-Stadt vom 8. Januar 2020 bestelltem Betreuer der Zutritt zur Antragstellerin zu 1. durch die angefochtene Allgemeinverfügung versagt wird, ist sie offensichtlich rechtswidrig. Ein derartige Beschränkung des Zugangsrechts des Betreuers stellt keine notwendige Maßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG dar. Schon im Hinblick auf die in der Allgemeinverfügung geregelten Zutrittsrechte anderer Personen sind keine infektionsrechtlichen Gesichtspunkte erkennbar, die eine Hinderung eines Betreuers an der Erfüllung seiner Aufgaben rechtfertigen könnte. Mit deren Wahrnehmung ist notwendig auch die Aufnahme persönlichen Kontakts zu der betreuten Antragstellerin zu 1. verbunden.
II. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe auf deren Prüfung sich der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen jedoch keine weitergehende Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage.
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, spricht - jedenfalls für die hier zu entscheidende Fallkonstellation - Vieles für die Rechtmäßigkeit der Regelung der Allgemeinverfügung vom 9. April 2020, mit der der Zutritt zu ambulant betreuten Wohngemeinschaften nach § 2 Abs. 3 NuWG, für Formen des betreuten Wohnens nach § 2 Abs. 4 NuWG sowie für ambulant betreute Wohngemeinschaften zum Zweck der Intensivpflege, die nicht in den Gestaltungsbereich des NuWG fallen, eingeschränkt wird.
Die dagegen gerichteten Ausführungen der Antragsteller in der Beschwerdebegründung, die im Wesentlichen in einer Wiederholung und Bekräftigung ihres erstinstanzlichen Vorbringens bestehen, überzeugen nicht.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen vor. Der Senat hat dazu in seinem Beschluss vom 14. April 2020 (13 MN 63/20) ausgeführt:
„Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
Es wurden zahlreiche Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider (vgl. die Begriffsbestimmungen in § 2 Nrn. 3 ff. IfSG) im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG festgestellt. Die weltweite Ausbreitung von COVID-19, die offizielle Bezeichnung der durch den neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (anfangs 2019-nCoV) als Krankheitserreger ausgelösten Erkrankung, wurde am 11. März 2020 von der WHO zu einer Pandemie erklärt. Weltweit sind derzeit mehr 1.700.000 Menschen mit dem Krankheitserreger infiziert und mehr als 111.000 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben (vgl. WHO, Coronavirus disease (COVID-19) Pandemic, veröffentlicht unter: www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019, Stand: 13.4.2020). Derzeit sind im Bundesgebiet mehr als 125.000 Menschen infiziert und mehr als 2.900 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben und in Niedersachsen mehr als 7.800 Menschen infiziert und mehr als 210 Menschen infolge der Erkrankung verstorben (vgl. Robert Koch Institut (RKI), COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html, Stand: 14.4.2020).
COVID-19 ist jedenfalls eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG. Die Erkrankung manifestiert sich als Infektion der Atemwege mit den Leitsymptomen Fieber und Husten. Bei 81 % der Patienten ist der Verlauf mild, bei 14 % schwer und 5 % der Patienten sind kritisch krank. Zur Aufnahme auf die Intensivstation führt im Regelfall Dyspnoe mit erhöhter Atemfrequenz (> 30/min), dabei steht eine Hypoxämie im Vordergrund. Mögliche Verlaufsformen sind die Entwicklung eines akuten Lungenversagens (Acute Respiratory Distress Syndrome - ARDS) sowie, bisher eher seltener, eine bakterielle Koinfektion mit septischem Schock. Weitere beschriebene Komplikationen sind zudem Rhythmusstörungen, eine myokardiale Schädigung sowie das Auftreten eines akuten Nierenversagens (vgl. zum Krankheitsbild im Einzelnen mit weiteren Nachweisen: Kluge/Janssens/Welte/Weber-Carstens/Marx/Karagiannidis, Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19, in: Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin v. 12.3.2020, veröffentlicht unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00063-020-00674-3.pdf, Stand: 30.3.2020). Obwohl schwere Verläufe auch bei Personen ohne Vorerkrankung auftreten und auch bei jüngeren Patienten beobachtet wurden, haben ältere Personen (mit stetig steigendem Risiko für einen schweren Verlauf ab etwa 50 bis 60 Jahren), Raucher, Personen mit bestimmten Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems (z.B. koronare Herzerkrankung und Bluthochdruck) und der Lunge (z.B. COPD) sowie Patienten mit chronischen Lebererkrankungen, mit Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), mit einer Krebserkrankung oder mit geschwächtem Immunsystem (z.B. aufgrund einer Erkrankung, die mit einer Immunschwäche einhergeht oder durch Einnahme von Medikamenten, die die Immunabwehr schwächen, wie z.B. Cortison) ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe. Eine Impfung oder eine spezifische Medikation sind derzeit nicht verfügbar. Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf bis sechs Tage bei einer Spannweite von einem bis zu 14 Tagen. Der Anteil der Infizierten, der auch tatsächlich erkrankt (Manifestationsindex), beträgt bis zu 86%. Die Erkrankung ist sehr infektiös. Die Übertragung erfolgt hauptsächlich im Wege der Tröpfcheninfektion. Auch eine Übertragung durch Aerosole und kontaminierte Oberflächen kann nicht ausgeschlossen werden. Es ist zwar offen, wie viele Menschen sich insgesamt in Deutschland mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren werden. Schätzungen gehen aber von bis zu 70 % der Bevölkerung aus, es ist lediglich unklar, über welchen Zeitraum dies geschehen wird. Grundlage dieser Schätzungen ist die so genannte Basisreproduktionszahl von COVID-19. Sie beträgt ohne die Ergreifung von Maßnahmen 2,4 bis 3,3. Dieser Wert kann so interpretiert werden, dass bei einer Basisreproduktionszahl von etwa 3 ungefähr zwei Drittel aller Übertragungen verhindert werden müssen, um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen (vgl. zu Vorstehendem im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: RKI, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html?nn=13490888, Stand: 10.4.2020; Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, veröffentlicht unter: www.rki.de/SharedDocs/FAQ/ NCOV2019/FAQ_Liste.html, Stand: 10.4.2020).
Auch wenn nach derzeitigen Erkenntnissen nur ein kleiner Teil der Erkrankungen schwer verläuft, könnte eine ungebremste Erkrankungswelle aufgrund der bisher fehlenden Immunität und nicht verfügbarer Impfungen und spezifischer Therapien zu einer erheblichen Krankheitslast in Deutschland führen. Bei vielen schweren Verläufen muss mit einer im Verhältnis zu anderen schweren akuten respiratorischen Infektionen (SARI) - vermutlich sogar deutlich - längeren intensivmedizinischen Behandlung mit Beatmung/zusätzlichem Sauerstoffbedarf gerechnet werden. Selbst gut ausgestattete Gesundheitsversorgungssysteme wie das in Deutschland können hier schnell an Kapazitätsgrenzen gelangen, wenn sich die Zahl der Erkrankten durch längere Liegedauern mit Intensivtherapie aufaddiert. Dieser Gefahr für das Gesundheitssystem und daran anknüpfend der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung kann derzeit, da weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie in konkret absehbarer Zeit zur Verfügung stehen, nur dadurch begegnet werden, die Verbreitung der Erkrankung so gut wie möglich zu verlangsamen, die Erkrankungswelle auf einen längeren Zeitraum zu strecken und damit auch die Belastung am Gipfel leichter bewältigbar zu machen (vgl. zur aktuellen Zahl - gemeldeter - freier Krankenhausbetten mit Beatmungskapazität: DIVI Intensivregister, Tagesreport, veröffentlicht unter: www.divi.de/images/Dokumente/DIVI-IntensivRegister_Tagesreport_2020_04_13.pdf, Stand: 13.4.2020). Neben der Entwicklung von Impfstoffen und spezifischen Therapien sowie der Stärkung des Gesundheitssystems und der Erhöhung der medizinischen Behandlungskapazitäten, die indes nicht sofort und nicht unbegrenzt möglich sind, bedarf es hierzu zuvörderst der Verhinderung der Ausbreitung durch Fallfindung mit Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko, des Schaffens sozialer Distanz und ähnlich wirkender bevölkerungsbezogener antiepidemischer Maßnahmen sowie des gezielten Schutzes und der Unterstützung vulnerabler Gruppen (vgl. hierzu im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: RKI, Aktuelle Daten und Informationen zu Infektionskrankheiten und Public Health, Epidemiologisches Bulletin Nr. 12/2020 v. 19.3.2020, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/ 2020/Ausgaben/12_20.pdf?__blob=publicationFile; Risikobewertung zu COVID-19, veröffentlicht unter www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, Stand: 26.3.2020).
Die danach vorliegenden tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG verpflichten die zuständigen Behörden zum Handeln (gebundene Entscheidung, vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012 - BVerwG 3 C 16.11 -, BVerwGE 142, 205, 212 - juris Rn. 23).
[…]
Wird ein Kranker, Krankheitsverdächtiger, Ansteckungsverdächtiger oder Ausscheider festgestellt, begrenzt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG den Handlungsrahmen der Behörde nicht dahin, dass allein Schutzmaßnahmen gegenüber der festgestellten Person in Betracht kommen. Die Vorschrift ermöglicht Regelungen gegenüber einzelnen wie mehreren Personen. Vorrangige Adressaten sind zwar die in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG benannten Personengruppen. Bei ihnen steht fest oder besteht der Verdacht, dass sie Träger von Krankheitserregern sind, die bei Menschen eine Infektion oder eine übertragbare Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 1 bis Nr. 3 IfSG verursachen können. Wegen der von ihnen ausgehenden Gefahr, eine übertragbare Krankheit weiterzuverbreiten, sind sie schon nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehr- und Polizeirechts als "Störer" anzusehen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG können aber auch (sonstige) Dritte ("Nichtstörer") Adressat von Maßnahmen sein, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, a.a.O., S. 212 f. - juris Rn. 25 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 3.4.2020 - OVG 11 S 14/20 -, juris Rn. 8 f.).
Aus infektionsschutzrechtlicher Sicht maßgeblich ist insoweit allein der Bezug der durch die konkrete Maßnahme in Anspruch genommenen Person zur Infektionsgefahr. Dabei gilt für die Gefahrenwahrscheinlichkeit kein strikter, alle möglichen Fälle gleichermaßen erfassender Maßstab. Vielmehr ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Dafür sprechen das Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG), sowie der Umstand, dass die betroffenen Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen unterschiedlich gefährlich sind. Im Falle eines hochansteckenden Krankheitserregers, der bei einer Infektion mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer tödlich verlaufenden Erkrankung führen würde, drängt sich angesichts der schwerwiegenden Folgen auf, dass die vergleichsweise geringe Wahrscheinlichkeit eines infektionsrelevanten Kontakts genügt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, a.a.O., S. 216 - juris Rn. 32).
[…]
§ 28 Abs. 1 IfSG liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, a.a.O., S. 213 - juris Rn. 26 unter Hinweis auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468, S. 27 f.). Der Begriff der "Schutzmaßnahmen" ist folglich umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum geeigneter Maßnahmen (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 2.4.2020 - 3 MB 8/20 -, juris Rn. 35). "Schutzmaßnahmen" im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG können daher auch Untersagungen oder Beschränkungen von unternehmerischen Tätigkeiten in den Bereichen Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sein (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 30.3.2020 - 20 CS 20.611 -, juris Rn. 11 ff. (Schließung von Einzelhandelsgeschäften)). Dem steht nicht entgegen, dass § 31 IfSG eine Regelung für die Untersagung beruflicher Tätigkeiten gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen, Ausscheidern und sonstigen Personen trifft. Denn diese Regelung ist gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG("insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten") nicht abschließend. Auch die mangelnde Erwähnung der Grundrechte nach Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG in § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG steht der dargestellten Auslegung nicht entgegen. Denn das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, welches § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG zu erfüllen sucht, besteht nur, soweit im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG"ein Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann". Von derartigen Grundrechtseinschränkungen sind andersartige grundrechtsrelevante Regelungen zu unterscheiden, die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.5.1970 - 1 BvR 657/68 -, BVerfGE 28, 282, 289 - juris Rn. 26 ff. (zu Art. 5 Abs. 2 GG); Beschl. v. 12.1.1967 - 1 BvR 168/64 -, BVerfGE 21, 92, 93 - juris Rn. 4 (zu Art. 14 GG); Urt. v. 29.7.1959 - 1 BvR 394/58 -, BVerfGE 10, 89, 99 - juris Rn. 41 (zu Art. 2 Abs. 1 GG). Hierzu zählen auch die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und des Eigentumsschutzes nach Art. 14 Abs. 1 GG.
Der danach weite Kreis möglicher Schutzmaßnahmen wird durch § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG dahin begrenzt, dass die Schutzmaßnahme im konkreten Einzelfall "notwendig" sein muss. Der Staat darf mithin nicht alle Maßnahmen und auch nicht solche Maßnahmen anordnen, die von Einzelnen in Wahrnehmung ihrer Verantwortung gegenüber sich selbst und Dritten bloß als nützlich angesehen werden. Vielmehr dürfen staatliche Behörden nur solche Maßnahmen verbindlich anordnen, die zur Erreichung infektionsschutzrechtlich legitimer Ziele objektiv notwendig sind. Diese Notwendigkeit ist während der Dauer einer angeordneten Maßnahme von der zuständigen Behörde fortlaufend zu überprüfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.4.2020 - 1 BvQ 31/20 -, juris Rn. 16).“
An diesen Ausführungen ist auch im vorliegenden Fall festzuhalten.
Es liegt auch kein Begründungsmangel vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das dem Antragsgegner verbliebene Auswahlermessen durch die fachaufsichtliche Weisung des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vom 30. März 2020 (Az. 401.41609-11-3) eingeschränkt ist. Vor diesem Hintergrund kann in der Begründung, die auf die besondere Gefährdung älterer und erkrankter Bewohner in ambulant betreuten Wohngemeinschaften nach § 2 Abs. 3 NuWG, in Formen des betreuten Wohnens nach § 2 Abs. 4 NuWG sowie in ambulant betreuten Wohngemeinschaften zum Zweck der Intensivpflege, die nicht in den Gestaltungsbereich des NuWG fallen, abstellt, kein Ermessensausfall gesehen werden.
Die grundsätzliche Versagung des Zugangs der Angehörigen der in den genannten Einrichtungen lebenden Personen ist auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden. Insoweit nimmt der Senat auf die insoweit zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Insbesondere sind nahestehende Personen von palliativmedizinisch versorgten Bewohnern von dem Besuchs- bzw. Betretungsverbot ausgenommen. Auch handelt es sich um eine zeitlich befristete Maßnahme zur Abwendung von durch den Coronavirus SARS-CoV-2 ausgehenden erheblichen Gefährdungen für die in den genannten Einrichtungen lebende äußerst anfällige Bevölkerungsgruppe. Die Leugnung der von ihm potentiell ausgehenden Ansteckungsgefahr durch den Antragsteller zu 2. ist vor diesem Hintergrund weder verständlich noch beachtlich.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 161 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen beruht die Entscheidung auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil diese mangels Antragstellung kein eigenes Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.
Der Umfang der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die prozesskostenarme Antragstellerin zu 1. folgt dem Umfang der Erfolgsaussicht der Beschwerde (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).