Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.04.2020, Az.: 13 MN 114/20

Altenheim; Besuchsverbot; Betretungsverbot; Betreuer; Corona-Virus; Pflegeheim; Verordnung; Wohngemeinschaft

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.04.2020
Aktenzeichen
13 MN 114/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 72143
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

§ 2b Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84), wird insoweit vorläufig außer Vollzug gesetzt, als ein Besuchs- und Betretungsverbot für ambulant betreute Wohngemeinschaften zum Zwecke der Intensiv-Pflege angeordnet wird, das auch gerichtlich bestellte Betreuer erfasst, die zur Wahrnehmung der ihnen obliegenden Aufgaben die von ihnen betreuten Bewohner in dieser Einrichtung besuchen und kontaktieren müssen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf vorläufige Außervollzugsetzung des § 2b Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84), hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen und damit in vollem von den Antragstellern beantragten Umfang Erfolg

Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

I. Der Antrag ist zulässig

1. Der Normenkontrolleilantrag ist nach § 47 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 VwGOund § 75 NJG statthaft. Die Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84), ist eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 75 NJG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, NdsRpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 16 ff.).

2. Die Antragsteller sind antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, da sie geltend machen können, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die Verletzung der Antragsteller in ihrem aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG fließenden Selbstbestimmungsrecht und die Verletzung des Antragstellers in seiner durch Art. 12 GG geschützten Berufsfreiheit durch das Besuchs- und Betretungsverbot erscheint möglich.

3. Der Antrag ist zutreffend gegen das Land Niedersachsen als normerlassende Körperschaft im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO gerichtet. Das Land Niedersachsen wird durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vertreten (vgl. Nr. II. des Gemeinsamen Runderlasses der Staatskanzlei und sämtlicher Ministerien, Vertretung des Landes Niedersachsen, v. 12.7.2012 (Nds. MBl. S. 578), zuletzt geändert am 15.9.2017 (Nds. MBl. S. 1288), in Verbindung mit Nr. 4.22 des Beschlusses der Landesregierung, Geschäftsverteilung der Niedersächsischen Landesregierung, v. 17.7.2012 (Nds. MBl. S. 610), zuletzt geändert am 18.11.2019 (Nds. MBl. S. 1618)).

II. Der Antrag ist auch begründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag voraussichtlich Erfolg haben wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe müssen die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.4.2019 - BVerwG 4 VR 3.19 -, juris Rn. 4 (zur Normenkontrolle eines Bebauungsplans); OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.10.2019 - 6 B 11533/19 -, juris Rn. 5 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags); Sächsisches OVG, Beschl. v. 10.7.2019 - 4 B 170/19 -, juris Rn. 20 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung zur Bildung und Arbeit des Integrationsbeirats); Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.5.2018 - 12 MN 40/18 -, juris Rn. 24 ff. (zur Normenkontrolle gegen die Ausschlusswirkung im Flächennutzungsplan) jeweils m.w.N.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung des § 2b Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 Erfolg, soweit darin ein Besuchs- und Betretungsverbot für ambulant betreute Wohngemeinschaften zum Zwecke der Intensiv-Pflege angeordnet wird, das auch gerichtlich bestellte Betreuer erfasst, die zur Wahrnehmung der ihnen obliegenden Aufgaben die von ihnen betreuten Bewohner in dieser Einrichtung besuchen und kontaktieren müssen. Ein in der Hauptsache zulässigerweise gestellter Normenkontrollantrag wäre voraussichtlich begründet (a.). Zudem überwiegen die von den Antragstellern geltend gemachten Gründe für die einstweilige Außervollzugsetzung die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe (b.).

a. Ein in der Hauptsache zulässigerweise gestellte Normenkontrollantrag hätte voraussichtlich Erfolg. Nach der derzeit nur gebotenen summarischen Prüfung spricht Überwiegendes dafür, dass § 2b Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84), insoweit rechtswidrig ist, als ein Besuchs- und Betretungsverbot für ambulant betreute Wohngemeinschaften zum Zwecke der Intensiv-Pflege angeordnet wird, das auch gerichtlich bestellte Betreuer erfasst, die zur Wahrnehmung der ihnen obliegenden Aufgaben die von ihnen betreuten Bewohner in dieser Einrichtung besuchen und kontaktieren müssen.

(1) Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung ist § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG -) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), in der hier maßgeblichen zuletzt durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) mit Wirkung vom 28. März 2020 geänderten Fassung. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Rechtsgrundlagen, insbesondere mit Blick auf die Bestimmtheit der getroffenen Regelungen und deren Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes, drängen sich dem Senat nicht auf (vgl. hierzu im Einzelnen: OVG Bremen, Beschl. v. 9.4.2020 - 1 B 97/20 -, juris Rn. 24 ff.; Hessischer VGH, Beschl. v. 7.4.2020 - 8 B 892/20.N -, juris Rn. 34 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 6.4.2020 - 13 B 398/20.NE -, juris Rn. 36 ff.; Bayerischer VGH, Beschl. v. 30.3.2020 - 20 NE 20.632 -, juris Rn. 39 ff.; Beschl. v. 30.3.2020 - 20 CS 20.611 -, juris 17 f.).

(2) Anstelle der nach § 32 Satz 1 IfSG ermächtigten Landesregierung war aufgrund der nach § 32 Satz 2 IfSG gestatteten und durch § 3 Nr. 1 der Verordnung zur Übertragung von Ermächtigungen aufgrund bundesgesetzlicher Vorschriften (Subdelegationsverordnung) vom 9. Dezember 2011 (Nds. GVBl. S. 487), zuletzt geändert durch Verordnung vom 17. März 2017 (Nds. GVBl. S. 65), betätigten Subdelegation das Niedersächsische Ministerium für Gesundheit, Soziales und Gleichstellung zum Erlass der Verordnung zuständig.

Gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz 2 NV sind die Verordnung und die Änderungsverordnung von der das Ministerium vertretenden Ministerin ausgefertigt und im Niedersächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt vom 17. April 2020, S. 74 ff., und vom 24. April 2020, S. 84 f., verkündet worden.

§ 13 der Verordnung bestimmt, wie von Art. 45 Abs. 3 Satz 1 NV gefordert, den Tag des Inkrafttretens.

Auch dem Art. 43 Abs. 2 Satz 1 NV (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: BVerfG, Urt. v. 6.7.1999 - 2 BvF 3/90 -, BVerfGE 101, 1 - juris Rn. 152 ff. (zu Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG); Steinbach, in: Epping/Butzer u.a., Hannoverscher Kommentar zur Niedersächsischen Verfassung, 2012, Art. 43 Rn. 20 m.w.N.) dürfte die Verordnung genügen.

(3) Die Regelung des § 2b Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020, dürfte allerdings nicht die materiellen Voraussetzungen des § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG erfüllen, soweit darin ein Besuchs- und Betretungsverbot für ambulant betreute Wohngemeinschaften zum Zwecke der Intensiv-Pflege angeordnet wird, das auch gerichtlich bestellte Betreuer erfasst, die zur Wahrnehmung der ihnen obliegenden Aufgaben die von ihnen betreuten Bewohner in dieser Einrichtung besuchen und kontaktieren müssen.

Nach § 32 Satz 1 IfSG dürfen unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnung entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen werden.

(a) Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sind erfüllt.

Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.

Es wurden zahlreiche Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider (vgl. die Begriffsbestimmungen in § 2 Nrn. 3 ff. IfSG) im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG festgestellt. Die weltweite Ausbreitung von COVID-19, die offizielle Bezeichnung der durch den neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (anfangs 2019-nCoV) als Krankheitserreger ausgelösten Erkrankung, wurde am 11. März 2020 von der WHO zu einer Pandemie erklärt. Weltweit sind derzeit mehr 3.000.000 Menschen mit dem Krankheitserreger infiziert und mehr als 211.000 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben (vgl. www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019, Stand: 30.4.2020). Derzeit sind im Bundesgebiet mehr als 159.000 Menschen infiziert und fast 6.300 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben und in Niedersachsen mehr als 10.000 Menschen infiziert und mehr als 400 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung verstorben (vgl. Robert Koch Institut (RKI), COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html, Stand: 30.4.2020).

COVID-19 ist jedenfalls eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG. Die Erkrankung manifestiert sich als Infektion der Atemwege mit den Leitsymptomen Fieber und Husten. Bei 81 % der Patienten ist der Verlauf mild, bei 14 % schwer und 5 % der Patienten sind kritisch krank. Zur Aufnahme auf die Intensivstation führt im Regelfall Dyspnoe mit erhöhter Atemfrequenz (> 30/min), dabei steht eine Hypoxämie im Vordergrund. Mögliche Verlaufsformen sind die Entwicklung eines akuten Lungenversagens (Acute Respiratory Distress Syndrome - ARDS) sowie, bisher eher seltener, eine bakterielle Koinfektion mit septischem Schock. Weitere beschriebene Komplikationen sind zudem Rhythmusstörungen, eine myokardiale Schädigung sowie das Auftreten eines akuten Nierenversagens (vgl. zum Krankheitsbild im Einzelnen mit weiteren Nachweisen: Kluge/Janssens/Welte/Weber-Carstens/Marx/Karagiannidis, Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit COVID-19, in: Medizinische Klinik - Intensivmedizin und Notfallmedizin v. 12.3.2020, veröffentlicht unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007/s00063-020-00674-3.pdf, Stand: 30.3.2020). Obwohl schwere Verläufe auch bei Personen ohne Vorerkrankung auftreten und auch bei jüngeren Patienten beobachtet wurden, haben ältere Personen (mit stetig steigendem Risiko für einen schweren Verlauf ab etwa 50 bis 60 Jahren), Raucher (bei schwacher Evidenz), stark adipöse Menschen, Personen mit bestimmten Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems (z.B. koronare Herzerkrankung und Bluthochdruck) und der Lunge (z.B. COPD) sowie Patienten mit chronischen Lebererkrankungen, mit Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit), mit einer Krebserkrankung oder mit geschwächtem Immunsystem (z.B. aufgrund einer Erkrankung, die mit einer Immunschwäche einhergeht oder durch Einnahme von Medikamenten, die die Immunabwehr schwächen, wie z.B. Cortison) ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe. Eine Impfung oder eine spezifische Medikation sind derzeit nicht verfügbar. Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf bis sechs Tage bei einer Spannweite von einem bis zu 14 Tagen. Der Anteil der Infizierten, der auch tatsächlich erkrankt (Manifestationsindex), beträgt bis zu 86%. Die Erkrankung ist sehr infektiös, und zwar nach Schätzungen von etwa zwei Tagen vor Symptombeginn bis zum achten Tag nach Symptombeginn. Die Übertragung erfolgt hauptsächlich im Wege der Tröpfcheninfektion. Auch eine Übertragung durch Aerosole und kontaminierte Oberflächen kann nicht ausgeschlossen werden, ist aber wenig wahrscheinlich. Es ist zwar offen, wie viele Menschen sich insgesamt in Deutschland mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren werden. Schätzungen gehen aber von bis zu 70 % der Bevölkerung aus, es ist lediglich unklar, über welchen Zeitraum dies geschehen wird. Grundlage dieser Schätzungen ist die so genannte Basisreproduktionszahl von COVID-19. Sie beträgt ohne die Ergreifung von Maßnahmen 2,4 bis 3,3. Dieser Wert kann so interpretiert werden, dass bei einer Basisreproduktionszahl von etwa 3 ungefähr zwei Drittel aller Übertragungen verhindert werden müssen, um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen (vgl. zu Vorstehendem im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: RKI, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html?nn=13490888, Stand: 24.4.2020; Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, veröffentlicht unter: www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 22.4.2020).

Auch wenn nach derzeitigen Erkenntnissen nur ein kleiner Teil der Erkrankungen schwer verläuft, könnte eine ungebremste Erkrankungswelle aufgrund der bisher fehlenden Immunität und nicht verfügbarer Impfungen und spezifischer Therapien zu einer erheblichen Krankheitslast in Deutschland führen. Bei vielen schweren Verläufen muss mit einer im Verhältnis zu anderen schweren akuten respiratorischen Infektionen (SARI) - vermutlich sogar deutlich - längeren intensivmedizinischen Behandlung mit Beatmung/zusätzlichem Sauerstoffbedarf gerechnet werden. Selbst gut ausgestattete Gesundheitsversorgungssysteme wie das in Deutschland können hier schnell an Kapazitätsgrenzen gelangen, wenn sich die Zahl der Erkrankten durch längere Liegedauern mit Intensivtherapie aufaddiert. Dieser Gefahr für das Gesundheitssystem und daran anknüpfend der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung kann derzeit, da weder eine Impfung noch eine spezifische Therapie in konkret absehbarer Zeit zur Verfügung stehen, nur dadurch begegnet werden, die Verbreitung der Erkrankung so gut wie möglich zu verlangsamen, die Erkrankungswelle auf einen längeren Zeitraum zu strecken und damit auch die Belastung am Gipfel leichter bewältigbar zu machen (vgl. zur aktuellen Zahl - gemeldeter - freier Krankenhausbetten mit Beatmungskapazität: DIVI Intensivregister, Tagesreport, veröffentlicht unter: www.divi.de/images/Dokumente/Tagesdaten_Intensivregister_CSV/DIVI-IntensivRegister_Tagesreport_2020_04_30.pdf, Stand: 30.4.2020). Neben der Entwicklung von Impfstoffen und spezifischen Therapien sowie der Stärkung des Gesundheitssystems und der Erhöhung der medizinischen Behandlungskapazitäten, die indes nicht sofort und nicht unbegrenzt möglich sind, bedarf es hierzu zuvörderst der Verhinderung der Ausbreitung durch Fallfindung mit Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko, des Schaffens sozialer Distanz und ähnlich wirkender bevölkerungsbezogener antiepidemischer Maßnahmen sowie des gezielten Schutzes und der Unterstützung vulnerabler Gruppen (vgl. hierzu im Einzelnen und mit weiteren Nachweisen: RKI, Aktuelle Daten und Informationen zu Infektionskrankheiten und Public Health, Epidemiologisches Bulletin Nr. 12/2020 v. 19.3.2020, veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/ 2020/Ausgaben/12_20.pdf?__blob=publicationFile; Risikobewertung zu COVID-19, veröffentlicht unter www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, Stand: 30.4.2020).

Die danach vorliegenden tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG verpflichten die zuständigen Behörden zum Handeln (gebundene Entscheidung, vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012 - BVerwG 3 C 16.11 -, BVerwGE 142, 205, 212 - juris Rn. 23).

Zugleich steht fest, dass die Maßnahmen nicht auf die Rechtsgrundlage des § 16 Abs. 1 IfSG gestützt werden können. Denn die Rechtsgrundlagen einerseits des § 16 Abs. 1 IfSG im Vierten Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes "Verhütung übertragbarer Krankheiten" und andererseits des § 28 Abs. 1 IfSG im Fünften Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes "Bekämpfung übertragbarer Krankheiten" stehen in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander; der Anwendungsbereich des § 16 Abs. 1 IfSG ist nur eröffnet, solange eine übertragbare Krankheit noch nicht aufgetreten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.12.1971 - BVerwG I C 60.67 -, BVerwGE 39, 190, 192 f. - juris Rn. 28 (zu §§ 10 Abs. 1, 34 Abs. 1 BSeuchG a.F.); Senatsurt. v. 3.2.2011 - 13 LC 198/08 -, juris Rn. 40).

(b) Es bestehen allerdings durchgreifende Bedenken gegen das vom Antragsgegner beim Erlass des § 2b Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020, betätigte Ermessen.

(aa) Wird ein Kranker, Krankheitsverdächtiger, Ansteckungsverdächtiger oder Ausscheider festgestellt, begrenzt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG den Handlungsrahmen der Behörde nicht dahin, dass allein Schutzmaßnahmen gegenüber der festgestellten Person in Betracht kommen. Die Vorschrift ermöglicht Regelungen gegenüber einzelnen wie mehreren Personen. Vorrangige Adressaten sind zwar die in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG benannten Personengruppen. Bei ihnen steht fest oder besteht der Verdacht, dass sie Träger von Krankheitserregern sind, die bei Menschen eine Infektion oder eine übertragbare Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 1 bis Nr. 3 IfSG verursachen können. Wegen der von ihnen ausgehenden Gefahr, eine übertragbare Krankheit weiterzuverbreiten, sind sie schon nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehr- und Polizeirechts als "Störer" anzusehen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG können aber auch (sonstige) Dritte ("Nichtstörer") Adressat von Maßnahmen sein, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, a.a.O., S. 212 f. - juris Rn. 25 f.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 3.4.2020 - OVG 11 S 14/20 -, juris Rn. 8 f.).

Aus infektionsschutzrechtlicher Sicht maßgeblich ist insoweit allein der Bezug der durch die konkrete Maßnahme in Anspruch genommenen Person zur Infektionsgefahr. Dabei gilt für die Gefahrenwahrscheinlichkeit kein strikter, alle möglichen Fälle gleichermaßen erfassender Maßstab. Vielmehr ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Dafür sprechen das Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§§ 1 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG), sowie der Umstand, dass die betroffenen Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen unterschiedlich gefährlich sind. Im Falle eines hochansteckenden Krankheitserregers, der bei einer Infektion mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer tödlich verlaufenden Erkrankung führen würde, drängt sich angesichts der schwerwiegenden Folgen auf, dass die vergleichsweise geringe Wahrscheinlichkeit eines infektionsrelevanten Kontakts genügt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, a.a.O., S. 216 - juris Rn. 32).

Nach der Risikobewertung des gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG hierzu berufenen RKI im täglichen "Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)" vom 28. April 2020 besteht auch in Deutschland unverändert eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit "insgesamt als hoch" eingeschätzt, "für Risikogruppen als sehr hoch" (vgl. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-04-28-de.pdf?__blob=publicationFile, Stand: 28.4.2020). Aufgrund dieser Bewertung besteht für jeden Adressaten der Verordnung ein hinreichend konkreter Bezug zu einer Infektionsgefahr.

(bb) Auch die Art der vom Antragsgegner konkret gewählten Schutzmaßnahme eines grundsätzlichen Besuchs- und Betretungsverbots für ambulant betreute Wohngemeinschaften zum Zwecke der Intensiv-Pflege ist nicht ersichtlich ermessensfehlerhaft.

§ 28 Abs. 1 IfSG liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, a.a.O., S. 213 - juris Rn. 26 unter Hinweis auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468, S. 27 f.). Der Begriff der "Schutzmaßnahmen" ist folglich umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum geeigneter Maßnahmen (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 2.4.2020 - 3 MB 8/20 -, juris Rn. 35). Hierzu gehören ausweislich der in § 28 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz IfSG ausdrücklich getroffenen Regelung auch Verbote, bestimmte Orte zu betreten.

Der weite Kreis möglicher Schutzmaßnahmen wird durch § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG aber dahin begrenzt, dass die Schutzmaßnahme im konkreten Einzelfall "notwendig" sein muss. Der Staat darf mithin nicht alle Maßnahmen und auch nicht solche Maßnahmen anordnen, die von Einzelnen in Wahrnehmung ihrer Verantwortung gegenüber sich selbst und Dritten bloß als nützlich angesehen werden. Vielmehr dürfen staatliche Behörden nur solche Maßnahmen verbindlich anordnen, die zur Erreichung infektionsschutzrechtlich legitimer Ziele objektiv notwendig sind. Diese Notwendigkeit ist während der Dauer einer angeordneten Maßnahme von der zuständigen Behörde fortlaufend zu überprüfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.4.2020 - 1 BvQ 31/20 -, juris Rn. 16).

(cc) Das in § 2b Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020, angeordnete Besuchs- und Betretungsverbot für ambulant betreute Wohngemeinschaften zum Zwecke der Intensiv-Pflege, das auch gerichtlich bestellte Betreuer erfasst, die zur Wahrnehmung der ihnen obliegenden Aufgaben die von ihnen betreuten Bewohner in dieser Einrichtung besuchen und kontaktieren müssen, ist jedoch in seinem konkreten Umfang zu beanstanden.

Auch wenn sich das Infektionsgeschehen aufgrund der von den Infektionsschutzbehörden ergriffenen Maßnahmen in letzter Zeit verlangsamt hat und insbesondere die Zahl der Neuinfektionen, aber auch die Zahl der tatsächlich (noch) Infizierten zurückgegangen ist, besteht die Gefahr der Verbreitung der Infektion und die daran anknüpfende Gefahr der mangelnden hinreichenden Behandelbarkeit schwer verlaufender Erkrankungen wegen fehlender spezifischer Behandlungsmöglichkeiten und nicht unbegrenzt verfügbarer Krankenhausbehandlungsplätze fort. Einen Wegfall dieser Gefahren vermag der Senat auch derzeit noch nicht festzustellen. Das danach unverändert legitime Ziel der Verhinderung der Ausbreitung von COVID-19, der durch den neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 (anfangs 2019-nCoV) als Krankheitserreger ausgelösten Erkrankung, kann nur erreicht werden, wenn neben der Fallfindung mit Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen mit einem erhöhten Erkrankungsrisiko sowie dem gezielten Schutz und der Unterstützung vulnerabler Gruppen auch "soziale" Distanz, vornehmlich verstanden als körperliche Distanz, geschaffen und ähnlich wirkende bevölkerungsbezogene antiepidemische Maßnahmen ergriffen werden. Dies kann auch Beschränkungen des unmittelbaren Kontakts zwischen verschiedenen Personen, gleich ob im öffentlichen oder im privaten Raum, rechtfertigen. Dies betrifft insbesondere Ansammlungen zahlreicher, untereinander nicht bekannter Personen, weil bei solchen Personenansammlungen Krankheitserreger besonders leicht übertragen werden können und zudem mangels Bekanntheit der Personen untereinander die Fallfindung mit Absonderung von Erkrankten und engen Kontaktpersonen erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht wird.

Zur Erreichung der infektionsschutzrechtlich legitimen Ziele ist das in § 2b Abs. 2 Satz 1 der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020, angeordnete Besuchs- und Betretungsverbot für ambulant betreute Wohngemeinschaften zum Zwecke der Intensiv-Pflege, das auch gerichtlich bestellte Betreuer erfasst, die zur Wahrnehmung der ihnen obliegenden Aufgaben die von ihnen betreuten Bewohner in dieser Einrichtung besuchen und kontaktieren müssen, auch geeignet. Denn es verringert die Besuchskontakte der Bewohner der Einrichtung und schließt damit eine Vireneintragsquelle aus.

Die Regelung des § 2b Abs. 2 Satz 1 der Verordnung ist jedoch im Hinblick auf die Einschränkung der Kontakte der Bewohner zu ihren gerichtlich bestellten Betreuern zur Erreichung der infektionsschutzrechtlichen Ziele nicht erforderlich. In ihrer Eingriffsintensität mildere, zur Zielerreichung gleich geeignete Maßnahmen ergeben sich bereits aus der Verordnung selbst. So sieht § 2b Abs. 2 Satz 3 der Verordnung im Einzelfall Ausnahmen für Richter in Betreuungsangelegenheiten, Seelsorger, Geistliche und Urkundspersonen vor. Auch Bestatter, Handwerker, deren Leistungen nicht aufgeschoben werden können, haben nach § 2b Abs. 2 Satz 4 der Verordnung ebenfalls Zutritt. Hinzu kommt, dass nach § 2a Abs. 2 Satz 4 der Verordnung die zuständige Behörde etwa für Pflege- und Altenheime Ausnahmen vom Besuchs- und Betretungsverbot zulassen kann, wenn die Leitung der Einrichtung auf der Grundlage eines Hygienekonzepts nachweist, dass ein geschützter Kontakt zwischen Bewohnern und Besuchern sichergestellt ist. Es ist vom Antragsgegner nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich, warum vergleichbare Öffnungs- bzw. Ausnahmemöglichkeiten bei den Wohngemeinschaften im Sinne des § 2b Abs. 2 der Verordnung nicht bestehen sollten, zumal diese ein gegenüber einem Heim selbstbestimmteres Leben ermöglichen sollen. Auch der Antragsgegner geht offensichtlich von einer Zutrittsmöglichkeit für Betreuer aus, wenn er die Möglichkeit einer Ausnahme nach „§ 2b Abs. 4 der Verordnung“ anführt. Allerdings existiert eine derartige Bestimmung nicht. Die mannigfaltigen Ausnahmen belegen jedoch, dass spezielle Hygienemaßnahmen bzw. -auflagen - auch bei Berücksichtigung der zahlreichen Todesfälle in Alten- und Pflegeeinrichtungen - als gegenüber einem strikten Besuchs- und Betretungsverbot in gleicher Weise geeignete aber mildere Mittel zur Verfügung stehen. Ein gerichtlich bestellter Betreuer dürfte dabei im Hinblick auf seine Verantwortung für die Belange der betreuten Person den in § 2b Abs. 2 Satz 3 der Verordnung genannten Personen zumindest gleichzusetzen sein.

Ein striktes Besuchs- und Betretungsverbot für Betreuer führte auch zu einer unangemessenen Belastung der Antragsteller. Weder könnte der Antragsteller die Betreuung seiner Ehefrau ohne persönlichen Kontakt in sinnvoller Weise durchführen, noch wäre diese in der Lage, das ihr verbliebene Selbstbestimmungsrecht über ihren Betreuer wahrzunehmen. Das gälte insbesondere, sofern es zu Konflikten mit anderen Bewohner oder dem Betreiber der Einrichtung käme.

b. Schließlich überwiegen auch die von den Antragstellern geltend gemachten Gründe für die einstweilige Außervollzugsetzung die für den weiteren Vollzug der Bestimmung des § 2b Abs. 2 Satz 1 der Verordnung sprechenden Gründe.

Dabei erlangen die erörterten Erfolgsaussichten des in der Hauptsache gestellten oder zu stellenden Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Normenkontrolleilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag in der Hauptsache noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn die angegriffene Norm erhebliche Grundrechtseingriffe bewirkt, sodass sich das Normenkontrolleilverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweist (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 30.3.2020 - 20 NE 20.632 -, juris Rn. 31).

Danach wiegt das Interesse der Antragstellerin zu 1. an einer einstweiligen Außervollzugsetzung der Verordnung für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens schwer. Sie wäre aufgrund der Einschränkungen, persönlichen Kontakt mit ihrem Betreuer zu halten, massiv in der Wahrnehmung ihres aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG herzuleitenden Selbstbestimmungsrecht beeinträchtigt. Demgegenüber endet die Geltungsdauer der angefochtenen Bestimmung bereits am 6. Mai 2020. Der Verordnungsgeber wäre auch ohne weiteres in der Lage, die durch die vorläufige Außervollzugsetzung der Norm geschaffene Lücke durch neue geeignete Bestimmungen zur Sicherung der Hygiene in den betreffenden Wohngemeinschaften zu sichern.

Die einstweilige Außervollzugsetzung wirkt nicht nur zugunsten der Antragsteller in diesem Verfahren; sie ist allgemeinverbindlich (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 611). Der Antragsgegner hat die Entscheidungsformel in entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO unverzüglich im Niedersächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt zu veröffentlichen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).