Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.04.2020, Az.: 8 LA 60/19

Ausgeschlossensein; Befangenheit; Selbstanzeige

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.04.2020
Aktenzeichen
8 LA 60/19
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 72005
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 04.04.2019 - AZ: 5 A 8407/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Im Klageverfahren gegen den Widerruf der Approbation eines Arztes kann ein Richter, der diesen Arzt wiederholt als Patient konsultiert hat, aus der - insoweit maßgeblichen - Perspektive der Beteiligten befangen erscheinen.

Tenor:

Der von dem Richter mit dienstlicher Äußerung angezeigte Sachverhalt begründet die Besorgnis der Befangenheit.

Gründe

Nach § 48 ZPO, der in der Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend anzuwenden ist (§ 54 Abs. 1 VwGO), hat das für die Erledigung eines Ablehnungsgesuchs zuständige Gericht auch dann zu entscheiden, wenn ein solches Gesuch nicht angebracht ist, der Richter aber – wie hier – von einem Verhältnis Anzeige macht, das seine Ablehnung rechtfertigen könnte, oder wenn aus anderer Veranlassung Zweifel darüber entstehen, ob ein Richter kraft Gesetzes ausgeschlossen sei.

Das Institut der Richterablehnung und das Institut des Ausgeschlossenseins eines Richters in §§ 42 ff. ZPO dienen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts demselben Ziel: Die Richterbank freizuhalten von Richtern, die dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt und den daran Beteiligten nicht mit der erforderlichen Distanz des unbeteiligten und deshalb am Ausgangsverfahren uninteressierten "Dritten" gegenüberstehen (BVerfG, Beschl. v. 5.10.1977 – 2 BvL 10/75 –, juris Rn. 6). Für die Beurteilung gelten die gleichen Maßstäbe wie für die Prüfung der Befangenheit (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.7 2019 – 2C 35/18 –, juris Rn. 5). Maßgebend ist, ob vom Standpunkt des betreffenden Beteiligten aus genügende objektive Gründe vorliegen, die in den Augen eines vernünftigen Betrachters geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu begründen (BVerwG, Beschl. v. 20.10.2011 - 9 B 82.11 u.a. -, juris Rn. 3; Beschl. v. 28.7.1996 - 6 B 70.85 -, juris Rn. 4). Tatsächliche Befangenheit oder Voreingenommenheit ist nicht erforderlich; vielmehr genügt der "böse Schein" (BVerfG, Beschl. v. 12.12.2012 – 2 BvR 1750/12 –, juris Rn. 14). Ausreichend ist, wenn die aufgezeigten Umstände geeignet sind, einem Beteiligten Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben (BFH, Beschl. v. 5.9.2018 – XI R 55/17 –, juris Rn. 7). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Der Richter hat in seiner Selbstanzeige mitgeteilt, dass er bis zur Schließung der Arztpraxis langjähriger Patient des Klägers gewesen und von diesem wiederholt behandelt worden ist. Es kann dahinstehen, ob die Behandlung durch einen Arzt in jedem Fall die Annahme der Befangenheit eines Richters in einem Verfahren rechtfertigt, an dem dieser Arzt als Partei beteiligt ist (vgl. OLG Bremen, Beschl. v. 12.1.2012 – 5 W 36/11 –, juris Rn. 5). Im vorliegenden Verfahren geht es indes um den Widerruf der Approbation eines Arztes, der von dem Richter aufgrund seiner spezifischen Expertise als Facharzt für Orthopädie aufgesucht worden ist. Aufgrund des spezifischen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient, das insbesondere in der wiederholten Konsultation des Arztes zum Ausdruck kommt, ist aus der - insoweit maßgeblichen Perspektive des Beklagten – die Besorgnis, der Richter könne möglicherweise nicht unbefangen entscheiden, jedenfalls nicht von der Hand zu weisen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).