Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.04.2020, Az.: 13 MN 90/20

Außervollzugsetzungsinteresse, besonderes; Doppelhypothese; Folgenabwägung; Golfclub; Golfplatz; Kirche, katholische; Mitgliedschaft; Nachteil, gewichtiger; Schließung; Zugehörigkeit; Zusammenkunft

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
28.04.2020
Aktenzeichen
13 MN 90/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 72141
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert des Verfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I. Der am 17. April 2020 eingereichte Normenkontrolleilantrag des Antragstellers mit dem sinngemäß durch Auslegung (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO) ermittelten Begehren, die in § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84), statuierte Schließung aller öffentlichen und privaten Sportanlagen bis zum 6. Mai 2020 sowie das durch § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 dieser Verordnung angeordnete Verbot (religiöser) Zusammenkünfte in Kirchen bis zum 6. Mai 2020 im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO vorläufig außer Vollzug zu setzen, bleibt ohne Erfolg.

Er ist zwar zulässig (1.), aber unbegründet (2.) und daher abzulehnen. Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

1. Der Antrag ist zulässig.

a) Der Eilantrag ist nach § 47 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 75 NJGstatthaft. Die (4.) Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84), ist eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 75 NJG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, NdsRpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 16 ff.).

b) Der Antrag ist nunmehr auch zutreffend gegen das Land Niedersachsen als normerlassende Körperschaft im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO gerichtet. Das Land Niedersachsen wird durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vertreten (vgl. Nr. II. des Gemeinsamen Runderlasses der Staatskanzlei und sämtlicher Ministerien, Vertretung des Landes Niedersachsen, v. 12.7.2012 (Nds. MBl. S. 578), zuletzt geändert am 15.9.2017 (Nds. MBl. S. 1288), in Verbindung mit Nr. 4.22 des Beschlusses der Landesregierung, Geschäftsverteilung der Niedersächsischen Landesregierung, v. 17.7.2012 (Nds. MBl. S. 610), zuletzt geändert am 18.11.2019 (Nds. MBl. S. 1618)).

c) Auch an der Antragsbefugnis des Antragstellers entsprechend § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO bestehen keine Zweifel. Die angegriffenen Vorschriften der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 24. April 2020, die ein ausnahmsloses Verbot von Zusammenkünften in Kirchen anordnen und die Schließung von Sportanlagen gebieten, verletzen den Antragsteller, welcher der katholischen Kirche zugehört und Mitglied des Golfclubs B. e.V. ist, der wiederum in A-Stadt/C. einen Golfplatz und damit eine private Sportanlage betreibt, möglicherweise (§ 42 Abs. 2 VwGO analog) in seinen Grundrechten aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG (Glaubensfreiheit), Art. 3 Abs. 1 GG (allgemeiner Gleichheitssatz) sowie Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit).

2. Der Antrag ist aber unbegründet.

Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht in Normenkontrollverfahren auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind zunächst die Erfolgsaussichten eines Normenkontrollantrages im Hauptsacheverfahren, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag voraussichtlich Erfolg haben wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Gegenüberzustellen sind im Rahmen der sog. „Doppelhypothese“ diejenigen Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Normenkontrollantrag aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe müssen die gegenläufigen Interessen deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.4.2019 - BVerwG 4 VR 3.19 -, juris Rn. 4 (zur Normenkontrolle eines Bebauungsplans); OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.10.2019 - 6 B 11533/19 -, juris Rn. 5 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung über die Freigabe eines verkaufsoffenen Sonntags); Sächsisches OVG, Beschl. v. 10.7.2019 - 4 B 170/19 -, juris Rn. 20 (zur Normenkontrolle einer Rechtsverordnung zur Bildung und Arbeit des Integrationsbeirats); Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 11.5.2018 - 12 MN 40/18 -, juris Rn. 24 ff. (zur Normenkontrolle gegen die Ausschlusswirkung im Flächennutzungsplan) jeweils m.w.N.).

Unter Anwendung dieser Grundsätze bleibt der Antrag auf einstweilige Außervollzugsetzung des § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 und des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 24. April 2020 in der Sache ohne Erfolg.

a) Hinsichtlich des ausnahmslosen, die kollektive Glaubensausübung in geschlossenen Räumen hindernden Verbots von Zusammenkünften in Kirchen aus § 1 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 der Verordnung wird bereits der in der Hauptsache zulässigerweise gestellte Normenkontrollantrag 13 KN 89/20 voraussichtlich unbegründet sein, weil die dieses Verbot statuierende Norm in der aktuellen Phase der Corona-Pandemie noch rechtmäßig ist, insbesondere nicht gegen Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG und Art. 3 Abs. 1 GG verstößt (vgl. Senatsbeschl. v. 23.4.2020 - 13 MN 109/20 -, juris Rn. 25 ff.). Zudem überwögen in einer reinen Folgenabwägung anhand der oben erläuterten sog. „Doppelhypothese“ die für den weiteren Vollzug der Verordnung sprechenden Gründe die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe für eine einstweilige Außervollzugsetzung. Letztere erschöpfen sich nämlich in einer bloßen Erwähnung der Verbotswirkung, die vom Antragsteller in Gestalt der Begründung in der Antragsschrift vom 17. April 2020 (Bl. 4 der GA) als auch der Replik vom 23. April 2020 (Bl. 23 f. der GA) mit abstrakten und generellen Ausführungen mit Blick auf die seit dem 17. April 2020 für andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens vorgesehenen „Lockerungen“ für verfassungswidrig gehalten wird, weil diese Wirkung „auch bei Einhaltung der Regeln des § 2 der VO [gemeint sind die Abstandsregeln für den Aufenthalt in der Öffentlichkeit]“ (vgl. Bl. 6 der GA) Geltung beanspruche. Mit Schriftsatz vom 20. April 2020 (Bl. 9 ff. der GA) hat der Antragsteller lediglich durch Vorlage des Einkommen- und Kirchensteuerbescheides 2018 seine Zugehörigkeit zur römisch-katholischen Kirche glaubhaft gemacht. Dass er selbst beabsichtige, in dem verbleibenden Zeitraum der restlichen Geltungsdauer des Verbots bis zum 6. Mai 2020, 24.00 Uhr (vgl. § 13 Satz 1 der Verordnung), an einem katholischen Gottesdienst in einer Kirche (an der Heiligen Messe) oder einer sonstigen religiösen Zusammenkunft in einem Kirchengebäude teilzunehmen und hierzu gar aufgrund einer inneren Verpflichtung angewiesen oder gehalten zu sein, hat er nicht ansatzweise vorgetragen.

b) Unterstellt, die mit der Normenkontrolle 13 KN 89/20 auch angegriffene ausnahmslose und umfassende Anordnung der Schließung von Sportanlagen aus § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Alt. 1 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 24. April 2020 wäre rechtswidrig und gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO für unwirksam zu erklären, das heißt, der Normenkontrollantrag hätte in der Hauptsache insoweit Erfolg, so fehlte es im vorliegenden Fall dennoch an einem gewichtigen Nachteil, aufgrund dessen es im Sinne des § 47 Abs. 6 VwGO „dringend geboten“ (unaufschiebbar) wäre, die Norm vorläufig außer Vollzug zu setzen. Mit anderen Worten mangelt es im Hinblick auf die begehrte einstweilige Anordnung insoweit jedenfalls an einem Eilbedürfnis (an einem „besonderen Außervollzugsetzungsinteresse“).

Aus der bloßen Schließungswirkung dieser Norm, die der Antragsteller für verfassungswidrig hält, weil sie auch für den Fall gilt, dass „bei Benutzung der Sportanlage durch Vereinsmitglieder das Kontaktminimierungsgebot eingehalten wird und keinerlei Gefahr einer aktiven oder passiven Infektion gegeben ist“ (vgl. Bl. 6 der GA), und der daraus resultierenden Betroffenheit der Rechtssphäre des Antragstellers folgt ein Eilbedürfnis nicht ohne Weiteres. Sowohl die Begründung in der Antragsschrift vom 17. April 2020 (Bl. 4 der GA) als auch die Replik vom 23. April 2020 (Bl. 23 der GA) enthalten lediglich abstrakte und generelle Überlegungen zu angeblichen tatsächlichen Besonderheiten von Golfplätzen und des Golfspiels als solchen, ohne irgendeinen konkreten Bezug zu dem Golfplatz des Golfclubs B. e.V. in A-Stadt/C. herzustellen oder einen individuellen Bezug zum Antragsteller selbst auch nur zu erwähnen. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 20. April 2020 (Bl. 9 ff. der GA) lediglich den formellen Umstand der Mitgliedschaft in dem Golfclub B. e.V. durch Vorlage einer Kopie seines Clubausweises (Bl. 12 der GA) glaubhaft gemacht. Dass er in dem überschaubaren Zeitraum der restlichen Geltungsdauer der Norm bis zum 6. Mai 2020, 24.00 Uhr (vgl. § 13 Satz 1 der Verordnung) überhaupt beabsichtige, auf dem clubeigenen Golfplatz Golf zu spielen, und dass er in diesem Zeitraum auf eine derartige, der Freizeitgestaltung zuzuordnende Spielmöglichkeit wegen äußerer Umstände (z.B. anstehende Wettkampfvorbereitung etc.) oder aufgrund einer inneren Verpflichtung materiell in besonderem Maße angewiesen wäre, ist nicht einmal vorgetragen worden. Das reicht - zumal bei einem Antragsteller, der selbst Rechtsanwalt und mit den Anforderungen aus § 47 Abs. 6 VwGO vertraut ist - nicht aus.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.

III. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).