Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.04.2020, Az.: 13 MN 125/20
Besuchsverbot; Infektionsschutzrecht; Normenkontrolleilantrag; Pflegeheim
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 30.04.2020
- Aktenzeichen
- 13 MN 125/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 72136
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 28 IfSG
- § 47 Abs 6 VwGO
Tenor:
Der Antrag wird verworfen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Antragstellern je zur Hälfte auferlegt.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1. Der am 28. April 2020 eingereichte Normenkontrolleilantrag der Antragsteller, mit dem diese begehren, § 2b Abs. 2 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84), nach § 47 Abs. 6 VwGO insoweit vorläufig außer Vollzug zu setzen, als der Besuch pflegebedürftiger Menschen im Pflegeheim durch den Ehepartner und Rechtsanwälte untersagt wird, ist bereits unzulässig.
a) Der Eilantrag ist nach § 47 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 75 NJG statthaft. Die (4.) Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84), ist eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 75 NJG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, NdsRpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 16 ff.).
b) Das Rubrum ist durch die Eingangsverfügung vom 28. April 2020 von Amts wegen berichtigt worden. Der Antrag ist gegen das Land Niedersachsen als normerlassende Körperschaft im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 2 VwGO gerichtet. Das Land Niedersachsen wird durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung vertreten (vgl. Nr. II. des Gemeinsamen Runderlasses der Staatskanzlei und sämtlicher Ministerien, Vertretung des Landes Niedersachsen, v. 12.7.2012 (Nds. MBl. S. 578), zuletzt geändert am 15.9.2017 (Nds. MBl. S. 1288), in Verbindung mit Nr. 4.22 des Beschlusses der Landesregierung, Geschäftsverteilung der Niedersächsischen Landesregierung, v. 17.7.2012 (Nds. MBl. S. 610), zuletzt geändert am 18.11.2019 (Nds. MBl. S. 1618)).
c) Es fehlt aber das entsprechend § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderliche Antragsinteresse der Antragsteller. Die angefochtene Regelung des § 2b Abs. 2 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020 (Nds. GVBl. S. 74), zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84) untersagt - von näher geregelten Ausnahmen abgesehen - in ambulant betreuten Wohngemeinschaften gemäß § 2 Abs. 3 NuWG, in Formen des betreuten Wohnens gemäß § 2 Abs. 4 NuWG und in ambulant betreuten Wohngemeinschaften zum Zweck der Intensivpflege, die nicht in den Geltungsbereich des NuWG fallen, den Besuch bei Bewohnerinnen, Bewohnern und beim Personal sowie das Betreten zu anderen Zwecken als zur Heilung und Pflege. Ausweislich der Sachverhaltsschilderung in der Antragsbegründung und des vorgelegten Heimvertrages wohnt die Antragstellerin zu 2. aber nicht in einer derartigen Einrichtung, sondern in einem Pflegeheim für ältere Menschen, pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Behinderungen nach § 2 Abs. 2 NuWG. Infolgedessen sind sie und ihr Ehemann, der Antragsteller zu 1., nicht durch die Regelung des § 2b Abs. 2 der Verordnung betroffen. Dies gilt auch, soweit der Antragsteller zu 1. geltend macht, in seiner Berufsfreiheit als Rechtsanwalt (Art. 12 GG) betroffen zu sein, weil er seine Ehefrau in einer Verwaltungsangelegenheit vertrete und aufgrund der Folgen der Erkrankung seiner Ehefrau ein telefonischer Kontakt nicht möglich sei. Einschlägige Norm ist vielmehr der für Pflegeheime geltende § 2a Abs. 2 der Verordnung.
Der Senat nimmt keine Umdeutung des ausdrücklich gestellten Antrags vor. Eine Prozesserklärung, die ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter abgegeben hat, ist einer gerichtlichen Umdeutung grundsätzlich unzugänglich (vgl. BVerwG, Beschl. v. 9.2.2005 - BVerwG 6 B 75.04 -, juris Rn. 12; Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 19.6.2013 - 8 LA 79/13 -, juris Rn. 16 jeweils m.w.N.). Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine Umdeutung gestatten oder gar gebieten würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist die Norm, deren vorläufige Außervollzugsetzung begehrt wird, in dem gestellten Antrag ausdrücklich benannt worden. Deren Rechtmäßigkeit wird auch im weiteren Verlauf der Antragsbegründung erörtert.
Hinzu kommt, dass die für Pflegeheime geltende und daher nach dem Begehren der Antragsteller als Angriffsobjekt allein in Betracht kommende Vorschrift des § 2a Abs. 2 der Verordnung in ihrem Satz 4 der zuständigen Behörde die Zulassung von Ausnahmen vom Besuchs- und Betretungsverbot einräumt, wenn die Leitung der Einrichtung auf der Grundlage eines Hygienekonzepts nachweist, dass ein geschützter Kontakt zwischen Bewohnern und Besuchern sichergestellt ist. Auf dieser Grundlage ist ein persönlicher Kontakt des Antragstellers zu 1. mit der Antragstellerin zu 2. sowohl als deren Ehemann als auch in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt möglich. Der insoweit bestehende Ermessensspielraum wird im Hinblick auf die betroffenen Grundrechte der Antragsteller und der übrigen Heimbewohner auszuüben sein. Es ist nicht erkennbar, dass bei Berücksichtigung dieser Umstände die Umdeutung ihres Antrags in eine Anfechtung des § 2a Abs. 2 der Verordnung im Interesse der Antragsteller läge.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs.1, 159 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 100 Abs. 1 ZPO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).