Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.04.2020, Az.: 13 MN 107/20

Antrag; Gewaltenteilung; Kassation; Normergänzung; objektives Beanstandungsverfahren; vorläufige Außervollzugsetzung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.04.2020
Aktenzeichen
13 MN 107/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71977
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Antrag in einem einstweiligen Anordnungsverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO darf nicht auf Normergänzung sondern nur auf vorläufige (teilweise) Außervolzugsetzung der angefochtenen Norm gerichtet werden.

Tenor:

Der Antrag, im Sinne des § 47 Abs. 6 VwGO einstweilig anzuordnen, dass der Antragsteller befugt ist, seine Außen-Tennisanlage in A-Stadt, A-Straße, zu öffnen und zu betreiben, mit der Maßgabe, dass die Umkleide und Duschräume sowie die Aufenthaltsbereiche (Pavillons) ungenutzt bleiben, auf den Plätzen lediglich jeweils zwei Personen Tennis spielen (Einzelspiel) und die Spieler verpflichtet werden, auf der Anlage einen Abstand von 1,5 m zu anderen Personen einzuhalten, wird verworfen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsteller auferlegt.

Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Normenkontrolleilantrag bleibt ohne Erfolg. Der Antrag ist bereits unzulässig

Diese Entscheidung, die nicht den prozessrechtlichen Vorgaben des § 47 Abs. 5 VwGO unterliegt (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 607; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 47 Rn. 110 ff.), trifft der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 12.6.2009 - 1 MN 172/08 -, juris Rn. 4 m.w.N.) und gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 NJG ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter.

Der Eilantrag ist nach § 47 Abs. 6 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 2 VwGO und § 75 NJG statthaft. Die (4.) Niedersächsische Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020, zuletzt geändert durch Verordnung zur Änderung der Niedersächsischen Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 24. April 2020 (Nds. GVBl. S. 84), ist eine im Range unter dem Landesgesetz stehende Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Verbindung mit § 75 NJG (vgl. zu den insoweit bestehenden Anforderungen: Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, NdsRpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 16 ff.).

Der Normenkontrolleilantrag ist jedoch in der gestellten Fassung unzulässig. Er ist nicht auf vorläufige Außervollzugsetzung, sondern auf Normergänzung gerichtet. Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO ist die Gültigkeit einer Rechtsvorschrift. Die Norm muss - wie es in § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO heißt und auch für § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gilt - "erlassen", also jedenfalls bereits verkündet sein. Eine Normenkontrolle, die auf Erlass einer untergesetzlichen Regelung gerichtet ist, ist daher unstatthaft. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, dass die Rechtsvorschrift (teilweise) ungültig ist, so erklärt es sie nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO (teilweise) für unwirksam. Ein Rechtsgrund für eine Unwirksamkeit kann darin liegen, dass der Normgeber unter Verstoß gegen höherrangiges Recht einen bestimmten Sachverhalt nicht berücksichtigt und damit eine rechtswidrige, unvollständige Regelung erlassen hat. Zielt ein Normenkontrollantrag dagegen auf Ergänzung einer vorhandenen Norm, ohne deren Wirksamkeit in Frage zu stellen, ist der Weg der Normenkontrolle nicht eröffnet. Auch der Wortlaut des § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO ist eindeutig und lässt keinen Raum für Ergänzungen des Tenors über die Feststellung der Unwirksamkeit hinaus. Das Normenkontrollgericht hat sich auf die (teilweise) Kassation von Rechtsvorschriften zu beschränken und muss sich nicht zu Möglichkeiten einer Fehlerbehebung verhalten. Es ist nicht Aufgabe des Normenkontrollverfahrens, eine bestimmte Art der Fehlerbehebung durch Feststellungen, die über den Ausspruch der Unwirksamkeit hinausgehen, in den Raum zu stellen, bevor der Normgeber darüber entschieden hat. Denn es ist grundsätzlich Sache des Normgebers, welche Konsequenzen er aus der gerichtlich festgestellten Fehlerhaftigkeit zieht. Das folgt aus der im Gewaltenteilungsgrundsatz angelegten Entscheidungsfreiheit der rechtsetzenden Organe. Auch die Verpflichtung des Normgebers, die Entscheidungsformel im Falle der Erklärung als unwirksam nach § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre, spricht dafür, dass eine stattgebende Normenkontrollentscheidung (nur) die (teilweise) Kassation der Norm zur Folge hat. Mit dem actus contarius der Veröffentlichung wird spiegelbildlich zur Verkündung inter omnes Kenntnis von der Unwirksamkeit vermittelt und der Rechtsschein der Norm verlässlich beseitigt. Damit verträgt sich ein Ausspruch nicht, der die Ergänzungsbedürftigkeit einer Norm zum Gegenstand hat (vgl. im Einzelnen: BVerwG, Urt. v. 16.4.2015 - BVerwG 4 CN 2.14 -, BVerwGE 152, 55, 56 f. - juris Rn. 4 m.w.N.).

So liegt der Fall hier. Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO die Freigabe seiner Außen-Tennisanlage auf eine konkret vorgegebene Art und Weise. Dies solle mit der Maßgabe geschehen, dass die Umkleide- und Duschräume sowie die Aufenthaltsbereiche (Pavillons) ungenutzt bleiben, auf den Plätzen lediglich jeweils zwei Personen Tennis spielen (Einzelspiel) und die Spieler verpflichtet werden, auf der Anlage einen Abstand von 1,5 m zu anderen Personen einzuhalten. Dabei handelt es sich lediglich um eine von mehreren möglichen Formen der Behebung der vom Antragsteller als zu weitreichend empfundenen Regelung des § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 der (4.) Niedersächsischen Verordnung zum Schutz von Neuinfektionen mit dem Corona-Virus vom 17. April 2020. Es ist aber nicht Aufgabe des Senats - im Falle der Unwirksamkeit der genannten Bestimmung -, dem Normgeber eine von mehreren Korrekturmöglichkeiten vorzugeben. So wäre es beispielsweise ebenfalls möglich, die konkrete Entscheidung über die Schließung bzw. Öffnung von Sportanlagen den örtlich zuständigen Stellen zu übertragen. Der Antragsteller hätte es mithin bei seiner Antragstellung damit bewenden lassen müssen, die vorläufige (teilweise) Außervollzugsetzung der angefochtenen Norm als solcher zu beantragen. Auch nachdem der anwaltlich vertretene Antragsteller vom Antragsgegner mit Schriftsatz vom 23. April 2020 auf die Bedenken an der Zulässigkeit seiner Antragstellung hingewiesen worden ist, hat er mit Schriftsatz vom 27. April 2020 seinen Antrag nicht in der gebotenen Weise umgestellt, sondern es in das Belieben des Senats gestellt, die Regelung insgesamt für unwirksam zu erklären. Das sei aber nicht erklärtes Ziel des Antragstellers, dem es ausschließlich darum gehe, seine Außen-Tennisanlage betreiben zu können. Damit wird er dem Sinn und Zweck eines Normenkontrollverfahrens als einem objektiven Beanstandungsverfahren nicht gerecht, der auch das zugehörige Eilverfahren erfasst. Eine Umdeutung des Antrags kommt vor diesem Hintergrund nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Es entspricht der Praxis des Senats, in Normenkontrollverfahren in der Hauptsache nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO grundsätzlich den doppelten Auffangwert im Sinne des § 52 Abs. 2 GKG, mithin 10.000 EUR, als Streitwert anzusetzen (vgl. Senatsbeschl. v. 31.1.2019 - 13 KN 510/18 -, Nds. Rpfl. 2019, 130 f. - juris Rn. 29). Dieser Streitwert ist für das Verfahren auf sofortige Außervollzugsetzung der Verordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).