Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.09.2020, Az.: 4 KN 308/19

Amtsblatt; Bekanntmachung; Bestimmtheit; Geltungsbereich; Grobbeschreibung, textliche; Karten; Maßstab; Naturschutzgebiet; Verkündung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.09.2020
Aktenzeichen
4 KN 308/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71824
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Bestimmtheitsmangel bei der Abgrenzung des von einer naturschutzrechtlichen Schutzgebietsverordnung erfassten Gebiets führt grundsätzlich nur zur Teilnichtigkeit der Verordnung, die sich räumlich auf den „Unschärfebereich“ beschränkt.

Tenor:

Die Verordnung über das Naturschutzgebiet „Mascheroder- und Rautheimer Holz“ in der Stadt Braunschweig (NSG BR 153) ist unwirksam.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar.

Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht der Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Antragsteller wendet sich mit seinem Normenkontrollantrag gegen die Verordnung über das Naturschutzgebiet „Mascheroder- und Rautheimer Holz“ in der Stadt Braunschweig (NSG BR 153).

Diese Naturschutzgebietsverordnung wurde vom Rat der Antragsgegnerin am 18. Dezember 2018 beschlossen und in der Ausgabe Nr. 14/2018 des Amtsblatts für die Stadt Braunschweig am 28. Dezember 2018 bekannt gemacht. Als Tag des Inkrafttretens legt § 10 Abs. 1 VO den Tag nach der Verkündung fest, also den 29. Dezember 2018.

Am 27. Dezember 2019 hat der Antragsteller, der eine rund 70 ha große im Geltungsbereich der Verordnung liegende Waldfläche bewirtschaftetet, einen Normenkontrollantrag gestellt. Er macht geltend, die Verordnung sei aus formellen und materiellen Gründen unwirksam.

Der Antragsteller beantragt,

die Verordnung über das Naturschutzgebiet „Mascheroder- und Rautheimer Holz“ in der Stadt Braunschweig für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Beiakten (1-7) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Der Normenkontrollantrag ist zulässig und begründet.

Der Antrag ist statthaft, weil die angegriffene Naturschutzgebietsverordnung nach § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 75 NJG der Normenkontrolle durch das Oberverwaltungsgericht unterliegt.

Der Antrag erfüllt auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen. Er ist innerhalb der Antragsfrist des § 47 Abs. 1 Satz 2 VwGO und damit rechtzeitig gestellt worden. Außerdem ist der Antragsteller i. S. d. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt, weil er Waldflächen im Geltungsbereich der Verordnung bewirtschaftet und daher geltend machen kann, durch die Bestimmungen der Verordnung oder deren Anwendung in eigenen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Das gilt insbesondere in Bezug auf die in § 3 Abs. 1 und 2 VO geregelten Verbote, die der Antragsteller bei der Bewirtschaftung der Waldflächen zu beachten hat, soweit keine der in 4 VO geregelten Freistellungen eingreift.

Der demnach zulässige Normenkontrollantrag ist auch begründet. Die Naturschutzgebietsverordnung ist bereits aus formellen Gründen, nämlich wegen einer fehlerhaften Bekanntmachung der zur Verordnung gehörenden Karten unwirksam.

Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG richten sich Form und Verfahren der Unterschutzstellung sowie die Beachtlichkeit von Form- und Verfahrensfehlern und die Möglichkeit ihrer Behebung nach Landesrecht. Die landesrechtlichen Vorgaben zu Form und Verfahren der Unterschutzstellung und der Beachtlichkeit von Verfahrensmängeln sind in § 14 NAGBNatSchG geregelt. Hier hat die Antragsgegnerin bei der Verkündung der Verordnung die Vorgaben des § 14 Abs. 4 NAGBNatSchG nicht vollständig beachtet.

Gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 NAGBNatSchG werden der geschützte Teil von Natur und Landschaft und der Geltungsbereich von Vorschriften in der Verordnung zeichnerisch in Karten bestimmt. Werden bei der Verkündung die Karten nicht oder nicht vollständig abgedruckt, so ist gemäß § 14 Abs. 4 Sätze 2 bis 6 NAGBNatSchG wie folgt zu verfahren: Die Naturschutzbehörde, die die Verordnung erlässt, und die Gemeinden, deren Gebiet betroffen ist, haben eine Ausfertigung der Karten aufzubewahren und jedermann kostenlos Einsicht zu gewähren. Hierauf ist in der Verordnung hinzuweisen. Außerdem sind die zum Schutzgebiet gehörenden Örtlichkeiten im Text der Verordnung grob zu beschreiben. Diese Beschreibung ist nicht erforderlich, wenn eine Übersichtskarte mit einem Maßstab von 1 : 50 000 oder einem genaueren Maßstab Bestandteil der Verordnung ist. Nach § 14 Abs. 4 Satz 7 NAGBNatSchG erfolgt die Verkündung der Verordnung im amtlichen Verkündungsblatt oder, sofern ein solches nicht vorhanden ist, im Niedersächsischen Ministerialblatt.

Hierzu ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass Karten, die Bestandteil der Verordnung sind, in Originalgröße im amtlichen Verkündungsblatt abzudrucken sind, da Karten mit abweichenden, in der Regel verkleinerten Maßstab den Verlauf der Grenze des unter Schutz gestellten Gebietes ungenauer als die Originalkarten wiedergeben (vgl. Senatsurt. v. 4.12.2018 - 4 KN 77/16 -, v. 19.7.2017 - 4 KN 29/15 -, v. 2.5.2017 - 4 KN 318/13 -; so auch Nds. OVG, Urt. v. 15.9.2005 - 8 KN 72/02 -; Urt. v. 13.3.2003 - 8 KN 236/01 -; Bay. VGH, Urt. v. 3.4.1984 - 9 N 83 A.1461 -; Louis, Niedersächsisches Naturschutzgesetz, Kommentar, § 30 Rn. 6).

Diese Vorgaben hat die Antragsgegnerin nicht befolgt, denn sie hat sämtliche Karten, die Bestandteil der Verordnung sind, bei der Verkündung in ihrem Amtsblatt nur in einem deutlich verkleinerten Maßstab abgedruckt. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 VO ergibt sich die Grenze des Schutzgebiets aus der maßgeblichen und mitveröffentlichten Karte im Maßstab 1 : 10.000 (Anlage 1) und aus der Übersichtskarte im Maßstab 1 : 50.000 (Anlage 2). Ferner sind nach Satz 2 der Regelung die forstlichen Freistellungen und Betretensrechte gemäß § 4 VO in der Detailkarte im Maßstab 1 : 10.000 dargestellt (Anlage 3). Alle drei genannten Karten hat die Antragsgegnerin zusammen mit dem Text der Verordnung in ihrem Amtsblatt verkündet. Die drei Karten weisen aber nur in dem ausgefertigten Original-Exemplar der Verordnung die in § 10 Abs. 3 Sätze 1 und 2 VO festgelegten Maßstäbe von 1 : 10.000 bzw. 1 : 50.000 auf (Beiakte 4, Bl. 1674-76). Bei der Bekanntmachung im Amtsblatt (siehe Beiakte 7) sind hingegen alle drei Karten nur noch etwas mehr als halb so groß abgedruckt worden. Damit unterschreitet die verkündete Fassung der Übersichtskarte (Anlage 2) zugleich auch den durch § 14 Abs. 4 Satz 6 NAGBNatSchG vorgegebenen Mindestmaßstab von 1 : 50.000 deutlich.

Die fehlerhafte Verkündung der Karten ist auch nicht aufgrund einer groben Beschreibung des von der Unterschutzstellung erfassten Gebiets im Text der Verordnung unerheblich. Denn an einer den Anforderungen von § 14 Abs. 4 Satz 5 NAGBNatSchG genügenden textlichen Grobbeschreibung fehlt es hier.

Das Erfordernis einer textlichen Grobbeschreibung ist nur dann erfüllt, wenn die Gebietsgrenzen im Verordnungstext selbst grob beschrieben und diese Gebietsbeschreibung auch ohne Zuhilfenahme von Karten aus sich heraus verständlich ist (Senatsurt. v. 19.7.2017 - 4 KN 29/15 -; Nds. OVG, Beschl. v. 10.2.2000 - 3 K 3887/99 - u. Beschl. v. 6.12.1990 - 3 K 21/89 -). Eine derartige Grobbeschreibung soll Anstoßfunktion haben und die potenziell Betroffenen dazu anregen, sich mithilfe der hinterlegten Karte zu vergewissern, ob ihre Grundstücke innerhalb oder außerhalb des Schutzgebietes liegen (vgl. Blum/Agena, Niedersächsisches Naturschutzrecht, Kommentar, Stand Januar 2017, § 14 Rn. 44).

Hier enthält der Verordnungstext zwar in § 1 Abs. 2 VO Hinweise auf die Lage des Schutzgebiets, insbesondere in Satz 2 zur Begrenzung des Gebiets durch die Siedlungsbereiche Mascherode, Südstadt und Heidberg. Die Lage und Ausbreitung des Naturschutzgebiets wird hierdurch jedoch nicht insgesamt grob ersichtlich, da anhand dieser Beschreibung nur Teilstücke des Verlaufs der Gebietsgrenze grob nachvollzogen werden können.

Der somit vorliegende Verkündungsmangel führt, auch wenn er vom Antragsteller nicht gerügt worden ist, zur Unwirksamkeit der Naturschutzgebietsverordnung. Denn er ist von Amts wegen zu berücksichtigen, da sich die Präklusionsregelung in § 14 Abs. 7 NAGBNatSchG, wonach eine Verletzung von Formvorschriften unbeachtlich ist, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres nach Verkündung der Verordnung geltend gemacht worden ist, nur auf die Vorschriften des § 14 Abs. 1 bis 3 NAGBNatSchG bezieht, nicht jedoch auf die Vorschriften über die Verwendung von Karten und die Verkündung der Verordnung in § 14 Abs. 4 NAGBNatSchG.

Den Fehler bei der Verkündung der Verordnung kann die Antragsgegnerin aber dadurch ex nunc beheben, dass sie die Verordnung und die dazugehörigen Karten in der Originalgröße vollständig erneut verkündet. Ist eine naturschutzrechtliche Schutzgebietsverordnung wegen eines Verfahrensfehlers nicht wirksam geworden bzw. nichtig, bedarf es nämlich keiner Wiederholung des gesamten Normsetzungsverfahrens. Es genügt vielmehr, den Fehler zu beheben und eventuell nachfolgende Verfahrensschritte zu wiederholen (vgl. Senatsurt. v. 19.4.2018 - 4 KN 258/17 -, v. 30.10.2017 - 4 KN 275/17 - u. v. 2.5.2017 - 4 KN 318/13 -; Nds. OVG, Urt. v. 10.3.2005 - 8 KN 41/02 - u. v. 13.3.2003 - 8 KN 236/01 -; Bay. VGH, Urt. v. 28.10.1994 - 9 N 87.03911 und 9 N 90.00928 -; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 4.6.1992 - 5 S 2616/91 -; Blum/Agena, Nds. Naturschutzrecht, § 14 Rn. 56; vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 24.5.1989 - 4 NB 10.89 - zu Bebauungsplänen).

Da die Naturschutzgebietsverordnung bereits aufgrund des Verkündungsfehlers unwirksam ist, bedarf es keiner umfassenden Prüfung, ob sie in sonstiger, insbesondere materieller Hinsicht mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass er nicht die vom Antragsteller vertretene Ansicht teilt, dass die Antragsgegnerin zur Wahrung des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatzes die zeichnerische Bestimmung des geschützten Teils von Natur und Landschaft in der für die Gebietsabgrenzung maßgeblichen Karte (Anlage 1 zu § 1 Abs. 3 Satz 1 VO) in einem noch genaueren als dem gewählten Maßstab von 1 : 10.000 hätte vornehmen müssen.

§ 14 Abs. 4 Satz 6 NAGBNatSchG lässt sich entnehmen, dass eine Übersichtskarte einen Mindestmaßstab von 1 : 50.000 aufweisen muss. Im Gegenschluss ergibt sich daraus, dass die für die Grenzziehung des geschützten Teils von Natur und Landschaft maßgebliche Karte nach § 14 Abs. 4 Satz 1 NAGBNatSchG einen genaueren Maßstab aufweisen muss, der eine zeichnerische Darstellung ermöglicht, anhand derer sich das Schutzgebiet klar und nachprüfbar bestimmen lässt. Die Wahl des Kartenmaßstabs hat sich dabei an den Erfordernissen der jeweiligen tatsächlichen Gegebenheiten auszurichten, insbesondere an der Größe des Gebiets und der Übersichtlichkeit des Grenzverlaufs (vgl. Blum/Agena, Niedersächsisches Naturschutzrecht, § 14 NAGBNatSchG Rn. 37). Für kleinere Schutzgebiete – i.d.R. Naturschutzgebiete – werden Maßstäbe von 1 : 2.500 bis 1 : 5.000 als ausreichend angesehen, während größere Schutzgebiete – i.d.R. Landschaftsschutzgebiete – auch durch Karten mit größeren Maßstäben noch hinreichend genau bezeichnet werden können (vgl. Senatsbeschl. v. 2.9.2020 - 4 MN 53/19 - u. Senatsurt. v. 15.10.2019 - 4 KN 185/17 -).

Daran gemessen geht der Senat davon aus, dass die Karte im Maßstab von 1 : 10.000 die Grenzen des Geltungsbereichs der Verordnung (noch) mit ausreichender Bestimmtheit darstellt. Es handelt sich bei dem eine Fläche von ca. 155 ha (§ 1 Abs. 5 VO) einnehmenden Naturschutzgebiet zwar nicht um ein besonders großes Schutzgebiet. Der Senat ist aber der Auffassung, dass anhand der Karte und anhand der Regelung in § 1 Abs. 3 Sätze 3 und 4 VO, wonach die Gebietsgrenze das in die Karte eingezeichnete graue Band von innen berührt, der Grenzverlauf noch mit ausreichender Klarheit erkennbar wird. Das gilt insbesondere deshalb, weil die Gebietsgrenze mit Flurstücks- und Straßengrenzen sowie im Südosten mit der Stadtgrenze übereinstimmt, wie aus der Karte zu ersehen ist. Der Grenzverlauf ist daher nicht so unübersichtlich, dass er einer genaueren Darstellung als in dem gewählten Maßstab von 1 : 10.000 bedurft hätte.

Im Übrigen würde eine zu unbestimmte Abgrenzung des Schutzgebiets durch Wahl eines zu kleinen Kartenmaßstabs ohnehin nicht einen Rechtsfehler darstellen, der (ebenso wie der oben dargestellte Verkündungsmangel) zur Unwirksamkeit der gesamten Verordnung führen würde. Denn ein Bestimmtheitsmangel bei der Gebietsabgrenzung führt grundsätzlich nur zur Teilnichtigkeit der Verordnung, die sich räumlich auf den „Unschärfebereich“ beschränkt (OVG NRW, Urt. v. 2.10.1997 - 11 A 4310/94 -, NuR 1998, 329; Blum/Agena/Brüggeshemke, Nds. Naturschutzrecht, Stand: 16. EL 2020, § 14 Rn. 37; Hendrischke in: Schlacke, GK-BNatSchG, 2. Aufl. 2017, § 22 Rn. 10 m. w. Nachw.; zu Bebauungsplänen BVerwG, Urt. v. 4.1.1994 - 4 NB 30.93 -, Buchholz 406.11 § 9 BauGB Nr. 69 = NVwZ 1994, 684).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.