Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.09.2020, Az.: 12 LA 171/18

Aussetzung des Verfahrens; Berufungszulassungsverfahren; Flugsicherheit; Flugsicherungseinrichtung; Störungsfeststellung; Windenergieanlage; Windpark; Zulassungsverfahren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
21.09.2020
Aktenzeichen
12 LA 171/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 71938
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 23.08.2018 - AZ: 12 A 37/18

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Aussetzung des Verfahrens über die Berufungszulassungsanträge des beklagten Trägers der Genehmigungsbehörde und des beigeladenen Trägers des Vorhabens der Errichtung eines Windparks ist nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz möglich, wenn das als Vertreter der Bundesrepublik klagende Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung eine Überprüfung seiner Störungsfeststellung nach § 18a Abs. 1 Satz 2 LuftVG angekündigt hat.

Tenor:

Das Verfahren wird ausgesetzt bis zum Abschluss des unter dem Aktenzeichen ST/5.2.1/0196-003/13 201304120006 bei dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung geführten Verfahrens zur Herbeiführung einer erneuten Entscheidung gemäß § 18a Abs. 1 Satz 2 LuftVG betreffend den aus fünf Windenergieanlagen bestehenden Windpark „G.“.

Gründe

Die Entscheidung ergeht gemäß § 87a Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 und Abs. 3 VwGO durch den Berichterstatter (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.7.2020 - BVerwG 9 A 6.20 -; Bay VGH, Beschl. v. 28.6.2018 - 8 B 18.413 -, juris, Rn. 1).

Die Vorschrift des § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG kann als Rechtsgrundlage für eine Aussetzung herangezogen werden, weil auf die hiesige Klage gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) UmwRG das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz Anwendung findet. Denn der Rechtsbehelf der Klägerin richtet sich gegen eine Zulassungsentscheidung im Sinne des § 2 Abs. 6 Nr. 1 UVPG, für die gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UVPG i. V. m. Nr. 1.6.3 der Anlage 1 eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Darauf, ob eine standortbezogene Vorprüfung im Einzelfall ergeben hatte, dass es einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedurfte, kommt es deshalb nicht an (vgl. Schieferdecker, in: Hoppe/Beckmann/Kment [Hrsg.], UVPG/UmwRG, 5. Aufl. 2018, § 1 UmwRG, Rnrn. 39 f.). Auch lässt sich aus der Anwendung des § 17 Abs. 3 UVPG a. F. im hiesigen Falle (vgl. die öffentliche Bekanntmachung des verfügenden Teils der Genehmigung vom 13. September 2017, AmBl. f. d. LK Wesermarsch, Nr. 21, 2013, S. 71 f. = Bl. 149a Beiakte 1 zu 12 LA 175/18) nicht schließen (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 26.2.2020 - 12 LB 157/18 -, RdL 2020, 318 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 59), dass die Pflicht zu einer standortbezogenen Vorprüfung entfallen sei (zur Relevanz mangelnder Vorprüfungspflicht vgl. Fellenberg, in: Landmann/Rohmer, UmwR, Werkstand: Feb. 2020, § 1 UmwRG, Rn. 39).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 1b Satz 3 UmwRG liegen vor.

Eine Aussetzung gemäß dieser Vorschrift ist von (mindestens) einem Beteiligten, hier der (notwendig) Beigeladenen zu 2) mit Schriftsatz vom 17. Januar 2020 (Bl. 1206 ff. der Gerichtsakte – GA –) und dem Beklagten mit Schriftsatz vom 11. Februar 2020, (Bl. 1255 ff. GA) beantragt worden.

Das Verfahren soll zur Heilung eines Verfahrensfehlers im Sinne des § 4 Abs. 1a UmwRG ausgesetzt werden. Denn es stellt (auch) einen Verfahrensfehler dar, dass der angefochtene Genehmigungsbescheid ohne die erforderliche Mitwirkung – in Gestalt einer die Störung von Flugsicherungseinrichtungen verneinenden Entscheidung – (vgl. Meyer/Wysk, in: Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, Werkstand: Jan. 2019, § 18a, Rn. 54) des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung erlassen worden ist. Es ist nicht richtig, der Missachtung der im Verhältnis des Bundesaufsichtsamtes zu dem Beklagten verbindlichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.4.2016 - BVerwG 4 C 1.15 -, BVerwGE 154, 377 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 10) Störungsfeststellung eine (auch) verfahrensrechtliche Bedeutung abzusprechen. Vielmehr ist diese Missachtung ebenso wenig verfahrensrechtlich korrekt, wie es etwa die Missachtung der Bindungswirkung des § 144 Abs. 6 VwGO durch ein Gericht (vgl. dazu: BVerwG, Urt. v. 28.11.2012 - BVerwG 8 C 21.11 -, BVerwGE, 145, 122 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 20) ist.

Es ist gemäß § 4 Abs. 1b Satz 2 Nr. 1 UmwRG i. V. m. § 45 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 VwVfG sowie § 1 Abs. 1 NVwVfG rechtlich möglich, den Verfahrensfehler in einem ergänzenden Verfahren (vgl. Kment, in: Hoppe/Beckmann/Kment [Hrsg.], UVPG/UmwRG, 5. Aufl. 2018, § 4 UmwRG, Rn. 31) zu heilen, weil § 45 VwVfG als Mitwirkungshandlungen auch die Genehmigungsbehörde zwar bindende, aber dennoch rein verwaltungsinterne Entscheidungen erfasst (vgl. Emmenegger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 45 Rn. 120) und weil sich die Rechtswidrigkeit einer – wie hier – entgegen der Störungsfeststellung des Bundesaufsichtsamtes erlassenen Genehmigung durch eine nachträgliche Änderung der nach § 18a Abs. 1 Satz 2 LuftVG getroffenen Entscheidung grundsätzlich beseitigen lässt (vgl. Meyer/Wysk, in: Grabherr/Reidt/Wysk, LuftVG, Werkstand: Jan. 2019, § 18a, Rn. 41). In vergleichbarer Weise hat der beschließende Senat auch das Fehlen einer zunächst nach § 14 Abs. 1 LuftVG versagten Zustimmung grundsätzlich für gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 5 VwVfG heilbar gehalten (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 13.11.2019 - 12 LB 123/19 -, BauR 2020, 248 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 73). Da der hiesige Verfahrensfehler in dem Gegensatz zwischen dem Verwaltungshandeln der Genehmigungsbehörde und der Störungsfeststellung des Bundesaufsichtsamtes besteht, kann er nicht nur durch eine Änderung des Verwaltungshandelns, sondern auch durch eine Änderung der Störungsfeststellung beseitigt werden. Zudem wäre es nicht gerechtfertigt, Missachtungen der beiden Pflichten, eine Entscheidung des Bundesaufsichtsamtes nach § 18a Abs. 1 Satz 2 LuftVG einzuholen und diese Entscheidung zu beachten, einander bezüglich ihrer Heilbarkeit nicht gleichzustellen. Dadurch würde nämlich ein Anreiz geschaffen, das Bundesaufsichtsamt erst gar nicht zu befassen.

Wie erforderlich (vgl. Fellenberg, in: Landmann/Rohmer, UmwR, Werkstand: Feb. 2020, § 4 UmwRG, Rn. 105), besteht auch in tatsächlicher Hinsicht die konkrete Möglichkeit, dass sich der Verfahrensfehler durch eine Änderung der Entscheidung des Bundesaufsichtamtes nach § 18a Abs. 1 Satz 2 LuftVG ganz oder teilweise heilen lässt. Denn ausweislich seines Schreibens vom 23. Juli 2020 (Bl. 1360 f. GA) unterzieht dieses Amt das streitgegenständliche Vorhaben mit hoher Priorität einer weiteren Betrachtung und beabsichtigt, auf der Grundlage einer von der Beigeladenen zu 1) erbetenen gutachterlichen Stellungnahme, der eine modifizierte Bewertungsmethode zugrunde liegen wird, eine erneute Entscheidung nach §18a Abs. 1 Satz 2 LuftVG zu treffen. Dafür bestünde kein Anlass, wenn bereits ohne eine gutachterliche Stellungnahme hinreichend sicher feststünde, dass keine Änderung der Entscheidung des Bundesaufsichtamtes nach § 18a Abs. 1 Satz 2 LuftVG in Betracht käme.

Die Aussetzung des Verfahrens ist auch im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich. Letzteres ist im Einzelfall unter Würdigung sämtlicher Interessen und Rechte der Beteiligten zu beurteilen (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 30.8.2017 - 8 A 493/16 -, BauR 2018, 88 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 16). Im vorliegenden Falle kann die Aussetzung verhindern, dass ein bereits in Gang gesetzter behördlicher Heilungsversuch von der gerichtlichen Entscheidung „überholt“ wird und damit in Leere läuft (vgl. Fellenberg, a. a. O., § 4 UmwRG, Rn. 103) und dass mehrfach wegen desselben Vorhabens Verwaltungs- und ggf. auch Gerichtsverfahren (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 28.6.2018 – 8 B 18.413 -, juris, Rn. 4) geführt werden.

Denn – wie oben ausgeführt – haben sich auf Bitten des Beklagten das Bundesaufsichtsamt und die Beigeladene zu 1) einem Versuch nicht versagt, gerade im Hinblick auf den noch anhängigen Verwaltungsprozess den hier in Rede stehenden Verfahrensfehler zu heilen. Der Widerstand ihrer Prozessbevollmächtigten dagegen, daraus auch entsprechende prozessuale Konsequenzen zu ziehen, erscheint widersprüchlich. Außerdem liegt es allein in der Hand des die Klägerin vertretenden Bundesaufsichtsamtes sowie der Beigeladenen zu 1), die zeitliche Dauer der Aussetzung des Verfahrens gering zu halten, und ist eine Verletzung der materiellen Rechtspositionen dieser Beteiligten allein durch eine Fortdauer des Prozesses nicht zu erwarten. Vielmehr bliebe das Ziel der verletzten Verfahrensnorm des § 18a Abs. 1 Satz 2 LuftVG auch dann gewahrt, wenn sich das umstrittene Vorhaben erst nach erneuter Bewertung ganz oder teilweise nicht als störend erweisen sollte. Dagegen wäre im Falle einer umgehenden, aber etwa abschlägigen Entscheidung über die Zulassungsanträge für das Vorhaben der Beigeladenen zu 2) selbst dann ein vollständig neues Genehmigungsverfahren erforderlich, wenn eine Störungsfeststellung nach dem aktuellen Wissenstand der Beigeladenen zu 1) und der Überzeugung des Bundesaufsichtsamtes nicht mehr zu treffen wäre. Der damit verbundene Nachteil für die Beigeladene zu 2) ist wesentlich größer als es die Nachteile sind, welche die Verlängerung der Verfahrensdauer für die Klägerin und die Beigeladene zu 1) bedeutet.

Im vorliegenden Falle ist die Aussetzung auch ermessensgerecht. Zwar wird regelmäßig die Aussetzung eines von der Genehmigungsbehörde oder dem Vorhabenträger betriebenen Berufungszulassungsverfahrens nur angezeigt sein, wenn es mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer Zulassung der Berufung kommen wird und deshalb zu erwarten steht, dass durch die schon während des Zulassungsverfahrens angeordnete Aussetzung eine spätere Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit der Genehmigung als Ergebnis des Berufungsverfahrens vermieden werden kann. Der hiesige Fall weist aber Besonderheiten auf, weil sich die Beigeladene zu 2) aufgrund der Kompetenzüberschreitung des Beklagten in einer auch verwaltungsprozessual ungünstigen Lage befindet. Das spricht dafür, für sie nachteilige Folgen der Kompetenzstreitigkeiten unter den Behörden – soweit das rechtlich möglich ist – gering zu halten.

Da zum einen der Mitwirkungsmangel schon mit der Verlautbarung einer dem Vorhaben der Beigeladenen zu 2) günstigen Entscheidung gemäß § 18a Abs. 1 Satz 2 LuftVG insoweit entfiele, als das Vorhaben nicht für störend erachtet wird, und es zum anderen nicht sicher ist, dass am Ende des bei dem Bundesaufsichtsamt geführten Überprüfungsverfahrens überhaupt eine ganz oder teilweise günstige Entscheidung stehen wird, beschränkt das Gericht den Zeitraum der Aussetzung auf die Dauer des vorgenannten Überprüfungsverfahrens.

Es ist aber darauf hinzuweisen, dass es für den Beklagten selbst nach einer dem Vorhaben der Beigeladenen zu 2) vollständig günstigen erneuten Entscheidung im Sinne des § 18a Abs. 1 Satz 2 LuftVG objektivrechtlich geboten sein dürfte, den angefochtenen Genehmigungsbescheid in seiner Begründung entsprechend anzupassen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 20.12.2019 - 12 ME 169/19 -, S. 11, letzter Absatz, des Abdrucks).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).