Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.09.2020, Az.: 2 NB 751/19
Bachelor; Geschichte; Hochschule; Hochschulzulassung; Kapazität; Lehramt; Lehramtsstudium; Zulassung; Zwei-Fächer-Bachelor
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 24.09.2020
- Aktenzeichen
- 2 NB 751/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 71941
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 26.11.2019 - AZ: 8 C 4219/19
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Zulassung zum Studiengang Geschichte (Zwei-Fächer-Bachelor mit Option Lehramt) an der Leibniz Universität Hannover - Wintersemester 2019/2020 - außerhalb der festgesetzten Kapazität.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 8. Kammer (Einzelrichter) - vom 26. November 2019 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover, mit der diese ihr Begehren, zum Studium im Studienfach Geschichte (Zwei-Fächer-Bachelor) außerhalb der festgesetzten Kapazität nach den Rechtsverhältnissen im Wintersemester 2019/2020 zugelassen zu werden, weiterverfolgt, hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen im Ergebnis keine Änderung des angegriffenen, auf wesentliche bereits in erster Instanz vorgebrachte Argumente der Antragstellerin allerdings bedauerlicherweise nicht eingehenden Beschlusses.
Mit ihrem ersten Einwand wendet sich die Antragstellerin dagegen, dass das Verwaltungsgericht die Überbuchung der rechnerisch ermittelten Studienplatzkapazität von 56 Vollzeitstudienplätzen (vgl. Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 Satz 1 ZZ-VO 2019/2020) durch Zulassung von 67,26 Vollzeitäquivalenten nicht beanstandet hat. Dieser Einwand geht fehl.
Überbuchungen sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. hierzu zuletzt Senatsurt. v. 25.6.2019 - 2 LC 655/17 -, juris Rn. 71 f.; Senatsbeschl. v. 23.7.2020 - 2 NB 690/19 -, juris Rn. 30), die mit der anderweitigen obergerichtlichen Rechtsprechung in Einklang steht (vgl. etwa OVG Berl.-Bbg., Beschl. v. 5.3.2018 - OVG 5 NC 38.17 -, juris Rn. 17; BayVGH, Beschl. v. 17.4.2014 - 7 CE 14.10046 -, juris Rn. 9; OVG NRW, Beschl. v. 28.1.2013 - 13 B 971/12 -, juris Rn. 4), grundsätzlich zulässig. Nach § 5 Abs. 4 der Hochschul-Vergabeverordnung kann die Hochschule durch eine Überbuchung berücksichtigen, dass Studienplätze voraussichtlich nicht angenommen werden. Damit wird keine neue Kapazität erschlossen, sondern lediglich die in der Zulassungszahl erfasste Kapazität wirksam genutzt. Ob die Hochschule überbucht oder nachrücken lässt, ist keine Frage der verfassungsrechtlich gebotenen vollständigen Kapazitätsausnutzung, sondern richtet sich nach verwaltungsorganisatorischen Zweckmäßigkeitserwägungen. Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Hochschule zu entscheiden, welcher der beiden Maßnahmen sie den Vorzug gibt. Überbuchungen zehren die vorhandene Kapazität auf. Für einen Zuteilungsanspruch des Studienplatzbewerbers müsste deshalb vom Gericht das Vorhandensein einer über die bereits vorgenommenen Überbuchungen hinaus bestehenden freien Kapazität festgestellt werden. Zwar kann eine Überbuchung infolge von Prognoseunsicherheiten dazu führen, dass mehr Studierende zugelassen werden als in der Zulassungszahlenverordnung vorgesehen, was die Chancen anderer Studienbewerber schmälert, im Wege eines gerichtlichen Verfahrens an einen Studienplatz zu gelangen. Das ist jedoch grundsätzlich nicht zu beanstanden. Wer sich für einen Platz unter den Begünstigten einer Überbuchung durch seine Rangziffer qualifiziert, braucht nicht hinter anderen Studienplatzklägern zurückzustehen, zumal ihm ebenfalls das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG zur Seite steht (vgl. Senatsbeschl. v. 22.8.2013 - 2 NB 394/12 -, juris Rn. 16 m.w.N.).
Eine Ausnahme mag dann gerechtfertigt sein, wenn das Instrument der Überbuchung "rechtsmissbräuchlich" gehandhabt wird, etwa um die tatsächlich vorhandenen Kapazitäten zu verschleiern oder um einen etwaigen "Anreiz" zur Führung von Prozessen, die eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung festgesetzter Zulassungszahlen ermöglichen, zu konterkarieren. Insoweit ist allerdings kein enger Maßstab anzulegen, denn eine großzügige Überbuchung ist "kapazitätsfreundlich" und verliert diese aus der Sicht der Studierwilligen positive Eigenschaft nicht dadurch, dass sie zu Verschiebungen der Zulassungsquoten zwischen der Gruppe der Bewerber mit "zulassungsnaher Qualifikation" einerseits und der Gruppe der Studienplatzkläger andererseits führt. Bei der Einschätzung des Annahmeverhaltens der zugelassenen Bewerber darf deshalb Raum gelassen werden für Prognosefehler zugunsten von Studienbewerbern mit "zulassungsnaher Qualifikation". Für eine Argumentation mit mathematischen Scheingenauigkeiten ist in diesem Zusammenhang deshalb von vornherein kein Raum (vgl. Senatsbeschl. v. 20.2.2013 - 2 NB 386/12 -, juris Rn. 23 f.).
Das zugrunde gelegt gibt es für einen Missbrauch des Instruments der Überbuchung durch die Antragsgegnerin keinen Anhaltspunkt. Im Gegenteil hat die Antragsgegnerin plausibel erläutert, sie lasse stets so viele Studienbewerber zu, dass die Studienplatzkapazität unter Berücksichtigung der zu erwartenden Annahmequote ausgeschöpft werde. Ein solches - hier kapazitätsfreundlich gehandhabtes - Verfahren ist nicht zu beanstanden, auch wenn ihm gewisse Unsicherheiten immanent sind. Eine systematische Überbuchung liegt zudem auch der Sache nach nicht vor; im Gegenteil konnten die Studienanfängerplätze in den Studienjahren 2015/2016, 2016/2017 und 2017/2018 nicht vollständig gefüllt werden. Im Studienjahr 2018/2019 war die Überbuchung mit 6,3 VZÄ eher gering.
Im Ergebnis ohne Erfolg bleiben die Einwände gegen die Deputatsverminderungen von Frau D. und Herrn E.. Die Verminderung in Bezug auf Frau D. muss allerdings aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen unberücksichtigt bleiben; der Senat teilt auch die Kritik der Antragstellerin, dass die Verminderungsgründe in Bezug auf Herrn E. in der von der Antragsgegnerin dargelegten Form nicht prüffähig sind. Dies ist jedoch unerheblich. Mit Blick auf die Überbuchung ist offensichtlich, dass auch unter Berücksichtigung eines um drei LVS erhöhten Lehrangebots kein weiterer freier Studienplatz zur Verfügung stünde. Auch die Antragstellerin legt dies nicht dar.
Die Einwände gegen den von der Antragsgegnerin angesetzten Dienstleistungsexport greifen nicht durch. Die mit jedem Dienstleistungsexport einer Lehreinheit einhergehende Beeinträchtigung des grundrechtlich gewährleisteten Anspruchs eines Studienbewerbers auf Zulassung zum Studium, der bei Studiengängen mit numerus clausus als Recht auf Teilhabe an den vorhandenen Ausbildungskapazitäten gewährleistet ist, ist im Grundsatz zulässig. Denn die als Dienstleistung exportierte Lehre geht nicht verloren, sondern schafft Ausbildungskapazität in einem anderen Studiengang. Weder das Kapazitätserschöpfungsgebot noch das Teilhaberecht des Studienbewerbers vermitteln einen Anspruch darauf, das Lehrpotential der wissenschaftlichen Lehrkräfte einer Hochschule in einer allein einem von dieser Hochschule angebotenen Studiengang zugutekommenden Weise einzusetzen. Ein von einer Lehreinheit für zulassungsbeschränkte Studiengänge erbrachter Dienstleistungsexport könnte lediglich dann verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegen, wenn er sachlich nicht geboten ist (vgl. Senatsbeschl. v. 22.1.2019 - 2 NB 1695/17 -, juris Rn. 15). Die Antragstellerin legt schon nicht dar, dass dies der Fall sein könnte. Dass die Lehreinheit Geschichte in einem relevanten Umfang Lehre für andere geisteswissenschaftliche Bachelor- und Masterstudiengänge erbringen muss, liegt - die Antragsgegnerin hat das zutreffend erläutert - angesichts des interdisziplinären Charakters dieser Studiengänge auf der Hand. Eine dahingehende hochschulpolitische Entscheidung der Antragsgegnerin ist im Grundsatz nicht zu beanstanden.
Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin eine so genannte horizontale Substitution, also eine Kapazitätsverlagerung zwischen einzelnen der Lehreinheit zugeordneten Studiengängen zugunsten des Zwei-Fächer-Bachelorstudiengangs Geschichte hätte vornehmen müssen, sind gleichfalls weder dargetan noch ersichtlich. Dies folgt bereits daraus, dass die erheblichen Überbuchungen im Zwei-Fächer-Bachelor Geschichte und vor allem auch im Fach Atlantic Studies die frei gebliebene Kapazität in den Fächern Geschichte (Lehramt Gymnasium), Geschichte (Bachelor, Lehramt Sonderschulen) und Geschichte (Master, Lehramt Sonderschulen) mehr als aufzehren.
Die Einwände gegen den Umfang der Lehrverpflichtung der Mitarbeiter F. und G. liegen neben der Sache; diese entspricht mit vier LVS den Vorgaben des § 4 Abs. 2 Nr. 2 LVVO. Ebenso neben der Sache liegt die Kritik am Wegfall einer zuvor mit kw-Vermerk versehenen Planstelle nach Eintritt des Stelleninhabers in den Ruhestand. Es liegt in der haushaltsrechtlichen Natur der Sache, dass eine derartige Stelle von der Antragsgegnerin nicht erneut besetzt werden kann; eine Abwägung kann sie insofern nicht vornehmen. Nicht überzeugend ist auch die Überlegung der Antragstellerin, eine „Unterlast“ aus den Studienjahren, in denen nicht alle Studienplätze besetzt werden konnten, sei durch einen aktuell aufzubringenden Sicherheitszuschlag zu kompensieren. Die Zulassungszahlen sind nach den Regelungen der Kapazitätsverordnung aufgrund der aktuell bestehenden Kapazität festzusetzen. Eine geringere Auslastung in der Vergangenheit ändert daran nichts.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).